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n n t, n e- !N Beilage zu Nr. 86 des Amts- u. Wochenblattes für Wilsdruff. Freitag, den 28. Dctober 1881. Im Wege. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Auf der Grenze", „Der rechte Erbe" rc. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Und je länger Frau Harper nachsann, je unsicherer wurde ihr die Sache, die sie verfocht. „Da hab' ich mich von meiner alten Kampflust Hinreißen lassen!" murmelte sie vor sich hin. „Ettore hat Recht. Ich habe mir einen unversöhnlichen Feino gemacht, der nicht eher ruhen wird, bis er mich vernichtet hat; das sagte mir sein Blick deutlich genug, und meine Freunde sind viel zu schwach, um mich gegen einen solchen Menschen zu schützen. Du hast wieder einmal übereilt gehandelt, Henriette! Nun magst Du auch sehen, wie Du herauskommst!" schloß sie ihr Selbstgespräch, und damit war ihre Sorglosigkeit zurückgekehrt. Die hatte nicht umsonst von Kindheit auf für die Bühne geschwärmt, und konnte sie nicht mehr auf den Brettern als tragische Künstlerin auftreten, so vergönnte ihr jetzt das Schicksal, im wirklichen Leben eine Rolle zu spielen, und die ihr zugcfallene Rolle des Schutzgeistes dieser edlen trefflichen Fran wollte sie mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln zu Ende führen. Festen Schrittes und in stolzer, sicherer Haltung, als sei sie des Sieges schon gewiß, schritt sie dem Schlosse zu. — Wenige Tage darauf traf Ettore plötzlich alle Anstalten zu einer größeren Reise. Es hieß, er wolle zuerst nach Paris gehen, um die große Welt kennen zu lernen, wenigstens hatte Jacques davon ge sprochen, der natürlich seinen Herrn begleiten mußte; denn er war dessen unentbehrliches Factotnm geworden. Ob den jungen Mann endlich die Langeweile aus dem Schlosse trieb, oder ob er mit dem alten Baron in einen Konflikt gerathen, der sich vielleicht zu einer energischen Zurechtweisung des Sohnes auf gerafft? wußte Frau Harper freilich nicht. Aus dem alten, schweig samen Herrn waren solche Dinge nicht herauszulocken, — und Hen riette wollte sich auch nicht länger darüber den Kopf zergrübeln; und sie war doch trotz ihres resoluten, kampflustigen Wesens im Grunde sehr froh, daß ihr gefährlicher Gegner das Feld räumte. Auch die Baronin, obwohl sie wenig davon vcrrieth, schien doch über die bevorstehende Entfernung ihres Schwagers eine Herzenser leichterung zu empfinden. Scitdeni Henriette ihr den Charakter Ettores in einer solchen Beleuchtung gezeigt, empfand sie eine namenlose Un ruhe, als müsse ihr an feiner L-eite noch etwas recht Schlimmes kom men. Nun reiste er fort, höchst wahrscheinlich auf viele Jahre, und sie wollte dann ein Wenig freier aufathmen. Wirklich mußte der erste Ausflug des jungen Herrn nach Paris gehen; dorthin wurden alle Rcisesachcn gerichtet, und Ettore versprach sich gewiß von seinem glänzenden Ziel sehr viel; denn er betrieb Alles mit außerordentlicher Hast und konnte die Abfahrt kaum erwarten. Endlich stand der vollgepackte Wagen im Schloßhof, der ihn zum nächsten Bahnhof bringen sollte. Der Abschied von seinem Vater fiel sehr kühl aus; der alte Baron hielt es uicht der Mühe werth, seinen Sohn bis zum Wagen zu ge leiten. Dagegen sagte Ettore seiner Schwägerin mit ungewöhnlicher Herzlichkeit Lebewohl, und diese, davon gerührt, vergaß ihr Vorurthcil, wünschte ihm von Herzen Glück und sprach von einem frohen Wiedersehen. Ettore zuckte die Achseln, und indem ein letzter, flüchtiger Blick das alte Schloß streifte, sagte er mit geringschätzigem Lächeln: „Ich habe kein Verlangen darnach, in dieses Nest sobald zurückznkehren;" — dann stieg er rasch in den Wagen, als bereue er sogleich, seiner Schwägerin den geheimsten Gedanken seines Innern verrathen zu haben.— Ettore reichte ihr noch einmal die Hand, lächelte ihr freundlich zu, und das alterthümliche Gefährt setzte sich in Bewegung. Obwohl ihr Schwager nicht mehr zurücksah, schwenkte sie doch als letzten Gruß ihr Taschentuch. Ein Abschied erwärmt immer die kältesten Herzen und führt zuweilen selbst Diejenigen wieder näher, die sich sonst ganz fern gestanden hatten. Auch die Baronin sah, von seltsamen Empfindungen bewegt, dem Abreisenden lange nach. — Warum hatte sich zwischen ihnen kein wahrhaft freundschaftliches Verhältniß anknüpfcn wollen?! Immer war es ihr gewesen, als ob sich zwischen sie und ihren Schwager eine unsichtbare Scheidewand stelle, die jede trauliche Annäherung unmöglich mache. Trug sie vielleicht nicht selbst die Schuld daran? — Mit ihrer kühlen Zurückhaltung, die sie nun einmal aus ihrer englischen Heimath hcrüdergcbracht, mußte sie einen heißblüthigen Menschen abstoßcn, der seine italienische Abstammung nicht verleugnen konnte. Hätte sie sein damals noch junges, anschlußbedürftiges Herz für sich gewonnen, sie würde jetzt an ihrem nächsten Verwandten mich eine Stütze erhalten haben, während so zwischen ihnen eine förmliche Feindseligkeit geherrscht hatte. — „Welches Glück, daß er so rasch verschwindet!" hörte sie mit einem Heisern Auflachen. Es war Henriette, die Plötzlich neben ihr stand und bisher von ihrem Zimmer aus der Abfahrt Ettores mit trium- phircnden Lächeln zugeschant hatte. War cs ihr doch, als habe sie allein den gefährlichen Menschen Hinausgetrieben. — Nun erst bemerkte sie das schwcrmüthige Gesicht ihrer Vcrwaudtin. „Ich glaube gar, Sie nehmen es sich zu Herzen, daß dieser unheil brütende Italiener uns von seiner Gegenwart befreit," sagte sie rasch und blickte nicht wenig vorwurfsvoll in das Antlitz der Baronin. „Aber so sind wir Frauen!" fahr sie lebhaft fort. „Wir schluchzen selbst unsern bittersten, schlimmsten Todfeinden noch einige wehmüthige Thränen nach." — „Vielleicht haben wir ihn doch zu streng und falsch beurtheilt," bemerkte die Baronin. Frau Harper konnte sich gegen ihre Verwandte schon etwas her ausnehmen; deshalb entgegnete sie sogleich: „Unser größtes Unglück ist, daß wir alles viel zu sentimental ausiassen. Nach meiner beschei denen Meinung haben wir alle Ursache, uns zu der schleunigen Ab ¬ reise Ettore's Glück zu wünschen. Nun kann man doch freier aufathmen und darf nicht fürchten, daß wieder etwas Schlimmes durch einen bösen Zufall, — o, der Zufall ist oft so gefällig," — schaltete sie sarkastisch ein, „über uns hercinbricht!" Die Baronin gab keine Antwort. Sie mochte und konnte heut die Meinung Henriettens nicht theilen und wollte auch nicht durch einen ferneren Widerspruch die ohnehin lebhafte Frau noch mehr er regen. Schweigend wies sie auf die im Hofe herumstehende Diener schaft, die leicht ihre Unterhaltung anffangen konnte; dann sagte sie leise, daß sie ihren Schwiegervater anssuchen wolle und verließ rasch Frau Harper, die am liebsten noch ferner ihrem Groll gegen Ettore Luft gemacht hätte, trotzdem er bereits zu den Abwesenden gehörte. Seltsam genug, — auch der alte Baron zeigte etwas wie Erleich terung über die rasche Abreise seines Sohnes. In seiner Verschlossen heit sprach er sich freilich nicht direkt darüber aus, daß ihm die Ent fernung Ettores erwünscht sei; aber er deutete es mit den Worten an: „Es war für uns alle das Beste." Die Gewohnheit ist ein mächtiges Band. Selbst Lente, die auf uns einen beständigen Druck ausgeübt, vermisse» wir in den ersten Stunden höchst schmerzlich, bis dann die ruhige Vernunft unser Em pfinde» auf das rechte Maß zurückführt. Auch die Baronin mußte sich trotz ihrer Gutherzigkeit gestehen, daß ihr Schwiegervater sowohl wie Henriette Recht halte. Es schien plötzlich über sie alle eine be haglichere Stimmung zu kommen; sie konnten freier fühlen; nur war sich dessen Frau Harper vom ersten Augenblick an voll bewußt; sie wanderte heut mit der kleinen Edith ganz allein im Park herum, während sie sich sonst bei solchen Gelegenheiten stets von der Kinder frau begleiten ließ, damit der Kleinen ja nichts züstoßeu könne. Im mer hatte sie die dunke Ahnung gehabt, von dem heimtückischen Ita liener, wie sie Ettore gern nannte, drohe dem Kinde irgend eine Ge fahr, und mit der ganzen Umsicht nnd der Energie, die ihr zu Gebote standen, suchte sie einer solchen vorzubeugen. Jetzt war der Alpdruck von ihnen genommen, — Henriette konnte mit ihrem Lieblinge die dunkelsten und schattigsten Gänge des Parkes aufsuchen: denn ein ungewöhnlich heißer, schwüler Spätsommertag brütete über der stillen Landschaft. Das Murmeln eines Gewässers schlug an ihr Ohr. Sie war mit der Kleinen in ihrer achtlosen Wanderung an jene Stelle des Parkes gekommen, die sonst sorgfältig vermieden wurde. Die Baronin hatte den Befehl ertheilt, Edith nie mals in die Nähe des Flusses zu führen, der schon für ihren Erst geborenen so verhängnißvvtl geworden. Aber Frau Harper glaubte, sich schon eine Ausnahme gestatten zu dürfen. Was für die Diener schaft galt, auf deren peinliche Achtsamkeit niemals sicher zu rechnen war, hatte doch für sie keine Bedeutung; denn sie wußte selbst, daß Edith in ihren Händen zu jeder Zeit gut aufgehoben war; sie verstand es, die Kleine wie ihren Augapfel zu hüten. Was konnte anch jetzt noch dem Kinde passiren, da Derjenige fort war, dem es im Wege stand? — Die Luft wehte vom Fluß sa kühl und erfrischend herüber, und die Kleine war noch gar nicht müde; ja sie hatte schon etwas durch die Bäume glitzern sehen und wollte wissen, was das sei. Henriette sah in der Annäherung an den Fluß keine Gefahr, und, zur Sicherheit Edith an der Hand haltend, wanderte sie noch ein Stück weiter, bis der Fluß vor ihnen lag. Wie das blitzcrte und funkelte im Sonnenlicht, und die Wellen vvrüberhuschten, — dort über blanke Kiesel hinweghüpfend, hier einen größern Stein umtanzend! — Edith schlug vor Entzücken in die Hände. Sie hatte so Schönes gar noch nicht gesehen. Die am Ufer stehenden Erlen und Birken spiegelten sich in der krystallklaren Flnth; blaue, im Sonnenlicht schimmernde Falter gaukelte darüber hin. Auf einer kleinen Insel standen noch einige Blumen. „Ach, die Blume dort macht' ich haben," sagte die Kleine und zeigte auf eine große Königskerze, die stolz aus dem dunklen Grün emporragte. „Dietcheu, die können wir nicht bekommen," erklärte ihr Henriette. „Ich will sie aber haben," — begann Edith von Neuem, die als einziges, zärtlich geliebtes Kind doch ein wenig verwöhnt wurde, und der mau gern jeden Wunsch erfüllte, um sie nur zu beschwichtigen. „Das ist unmöglich," versicherte Frau Harper: „wir können doch nicht durch's Wasser waten." „Ich will aber," sagte Edith hartnäckig, suchte ihrer Führerin ans der Hand zu entschlüpfen und wollte dem Ufer zu eilen. Frau Harper hatte Noth, die Kleine, die bitterlich zn weinen anfing, zurückzuhalten, und als sie jetzt Edith in die Arme nahm, um sie zu beschwichtigen, stand plötzlich Frau Berthold vor ihr, so bleich und still wie immer. Sie schien aufmerksam den ganzen Vorgang betrachtet zu haben, nnd doch war sie völlig regungslos geblieben. „Warum kamen Sie mir nicht zu Hilfe, wenn Sie sahen, daß ich mit Dietchen alle Noth habe?" fragte Frau Harper vorwurfsvoll, und ihre Augen streiften grollend über die stille Frau, die so theil- nahmlos blieb, während sie sich um das Kiud abgeängstigt. „Sie müssen doch bemerkt haben, daß die Kleine in den Flnß laufen wollte." „Ich sah schon, daß Sie Edith erreichen würden," antwortete die Kammerfrau in ihrer alte», unterwürfigen Weise, die Frau Harper stets so nervös machte. Anch heute wurde sie davon nur gereizter; denn sie fuhr heftig fort: „Deshalb hielten Sie es nicht für nöthig, sich zu rühren. Aber ich weiß schon, Sie gehören auch zu jenen Leuten, die für die Sache ihrer Herrschaft nicht das mindeste Interesse haben. Sie beziehen Ihr Lohn, verrichten Ihre Arbeiten und damit Punktum. Aber von Treue, von herzlicher Anhänglichkeit — keine Spur. Das Kiud der Herrschaft mag immer ertrinken, das geht nus nichts an; das ist ja nicht unser eigenes; deshalb brauchen wir uns nicht in Bewegung zu setzen. Das fehlte auch noch, daß wir für gute Bezahlung uns noch mit Herz und Hand aufopfern!" — Frau Berthold nahm all' diese Vorwürfe mit einer Gelassenheit hin, die an.Stumpfsinn grenzte; nur bei den Worten: „das ist ja nicht unser eigenes," zuckte es seltsam um ihre dünnen, bleichen Lippen, und ein forschender, unruhiger Blick streifte die Sprecherin, dann war ihr Gesicht schon wieder so ruhig und unbeweglich wie immer.