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Von der russischen Division, die Ardemuisch besetzt hatte, wurden aus Lem Rückzüge nach der Grenze 50 Personen ohne Unterschied des Geschlechts und Alters nicdergemacht. Mehrere Orte, welche die Di vision passirte, wurden angezündet. Der armenische Bischof von Utschkilissa wurde ergriffen, geknebelt und in diesem abscheulichen Zu stande fortgcsnhrt. Diese Thatsachen, deren Abscheulichkeit ein wei terer Kommentar nur abschwächen würde, bitte ich Sie, der öffent liche» Meinung zu unterbreiten, sie tragen sich überall zu, wohin die russischen Truppen den Weg nehmen, sowohl in Europa, wie in Asien, und lassen keinen Zweifel über das Programm des Mordes und der Verwüstung, das der Feind angenommen hat, um das Land zu ter- rorisiren und die am Kriege nicht theilnchmende Bevölkerung zu ver tilgen. Die russischen Mißerfolge in Asien haben nicht nur den lärmenden Jubel der russophilen Blätter bedenklich gedämpft, sondern auch ün russischen Hauptquartiere eine begreifliche tiefe Verstimmung erzeugt. Man spricht bereits von einem Wechsel im Oberkommando in Armenien; General Loris Melikoff, der eben noch gefeierte Sieger von Ardahan wird völliger Unfähigkeit geziehen, man soll dem alten Feldmarschall Barjatinsky, dem Bezwinger des Kaukasus, vergebens das Oberkom mando der Kaukasusarmce angetragen haben. Die Kaukasusarmce soll dezimirt und taktisch und moralisch dcroutirt sein. Es ist er klärlich, daß nach der glänzenden Eröffnung des Feldzuges dieser jähe Wechsel wie ein Blitz aus heiterem Himmel wirken mußte; statt in Erzerum sind die russischen Heerführer thcilweise bereits wieder auf russischem Boden angelangt und es wird jedenfalls viele Opfer an Zeit, Geld Menschenleben erfordcn, um alle die Vortheile, welche die Russen bereits errungen und wieder aufgegeben halten, wieder zu er langen. Tergukasoff steht bereits jenseits der Grenze; nach einer Depesche aus Constantinvpel hat sich Mukhtar Pascha eine Stunde vor Kars mit der Garnison von Kars vereinigt und ist in Kars eingerückt. Die Russen haben sich in der Richtung von Alexan- dropol zurückgezogen. Auch in Rußland selbst ist die Stimmung keineswegs so rosig, wie sie offiziöse Berichte färben. Eine Nachricht des Neuen Wiener Tageblatts bezeichnet die ökonomischen Verhältnisse Rußlands als geradezu desparater Natur und den Krieg als höchst unpopulär bei allen besitzenden Klassen. Auch in Conjtantinopel hat sich die Stimmung trotz der Erfolge in Asien und Montenegro nicht gehoben; die allgemeine Noth hat eine geradezu erschreckende Höhe erreicht und die Verarmung der Be völkerung macht rapide Fortschritte. Trotzdem macht die Pforte krampf hafte Anstrengungen. Nach einem Telegramm des N. W. Tageblattes treffen von England, Frankreich und Belgien täglich große Waffen sendungen in Stambul ein. Die Pforte hat Lie Aushebung einer neuen Armee von 140,000 Mann ungeordnet, dieselbe soll binnen zwei Monaten an den Balkanpässen konzcntrirt sein. Der Sultan und seine Brüder stellen 25 Millionen Francs aus ihren Privatmitteln zur Verfügung des Kriegsministers. Von der Bevölkerung Constan- tinopels werden 6 Freiwillige»-Bataillone gebildet. In Thessalien und Epirus sowie in andern türkischen Pro vinzen mit vorwiegend griechischer Bevölkerung zirkulirt jetzt ein zündender, begeisterter Aufruf des „Centrals Aktiöns-Komücs," worin aufgefordert wird, sich zum bevorstehenden Befreiungskämpfe bereit zu halten. „Glaubt unserm Schwur, daß wir Euch frei machen werden," heißt es darin. „Alle Stätten, die den Griechen gehören, alle Gauen, wo das griechische Wort ertönt, werden von dem mächtigen Frciheits- rufe wiederhallen, welcher von Berg zu Berg, von Meer zu Meer er tönen wird." Die Begeisterung derer, an welche die Proklamation gerichtet wurde, ist unbeschreiblich. Wir werden daher wahrscheinlich bald von einem Eingreifen Griechenland's in die kriegerischen Ereignisse berichten können. Aus Constantinvpel, 4. Juli, wird dem „Standard" über den Eindruck des Donauübcrganges der Nüssen berichtet, daß dort große Niedergeschlagenheit herrsche. „Ter Truppcncommandant bei Sistowa entschuldigt sich wegen seücer Unthäligkeit damit, daß er keine Instructionen zum Widerstand erhalten; doch wird hier all gemein geglaubt, daß er ebenso wie der Commandant von Adrahan von den Russen gekauft worden sei." — Der Sultan soll höchst auf gebracht die Minister gefragt haben, wie es möglich sei, daß die Rusten so leicht den Uebergang hätten bewerkstelligen können. Diese schoben die Schuld auf Abdul Kerim Pascha, der seinerseits auf eine Anfrage entgegnete: „Ich ersuche Eure Majestät, sich nicht wegen des Uebergangs der Rusten bei Sistowa zu beunruhigen; es ist das von keiner Bedeutung. Ich habe einen ausgezeichneten Plan, der sicher lich auf eine gänzliche Niederlage der Russen hinauslaufen und jeden Derer, die übergegange», verhindern wird, lebendig nach seinem Lande zurückzukehrcn. Ich muß nur Ew. Majestät ersuchen, mir die Ausführungen meines Planes zu gestatten und den Herren in Stambul zu verbieten, meine Operationen zu hindern." Die Mitthcilnug seines Planes verweigerte Abdul Kerim positiv. Uebcr eine Besetzung von Constantinopcl durch russische Truppen im besonderen und russische Friedensbedingungcn im allge meinen wird „Daily News" telegraphirt: „Kaiser Alexander wieder holte in einer Unterredung mit Oberst Welle-Key die Zusicherung, welche er im vorigen Herbst in Livadia Lord Loftus gegeben. Die Russen, sagt er, würden Constantinvpel nur besetzen, um die Türken zu zwingen, die russischen Friedensbedingungcn anzunehmcn, welche in der Befreiung Bulgariens und feier bedrückten Bewohner gipfeln. Wolle England die Besetzung Constanlinopels verhindern, so müsse cs die Pforte zwingen, Frieden zu schließen, sobald die Russen in Adrianopel eingezvgen sein werden. Petersburg, 9. Juli. Ein Telegramm des Oberbefehlshabers Nikolaus Zaremitsch vom 8. Juli: Gestern eroberte der General Gurko mit der Kavallerie Tirnowa; 3000 Rizams und die türkischen Bat terien und Redits, deren Zahl unbekannt ist, wurden zum Rückzüge gegen Osmanbazar gezwungen. Die Bewohner Tirnowa's bezeugen einen unbeschreiblichen Enthusiasmus. Rach Besetzung der Stadt wurde ein Gottesdienst gefeiert. Der General Gurko nahm das Lager der Türken und deren Munition. Nach einem Berichte der „P. C." aus Bukarest vom 9. Juli wird die Einnahme von Tirnowa in allen russischen Militärkrcisen als eine glänzende Waffenthat gefeiert, da die genannte Stadt ziem lich befestigt, von zahlreicher türkischer Infanterie und Artilerie ver- theidigt, ausschließlich von russischer Cavallerie, in erster Linie von einer halben Escadron Gardedragoner, 2 Sotnien Don'scher Kosaken und reitender Artillerie genommen wurde. Erst am 9. Juli ist russische Infanterie und Artillerie zu Fuß in Tirnowa eingerückt. Oertliches und Sächsisches. Meißen. Am 7. Juli wurde dem Kirchschullehrer Schlimpert zu St. Afra das Albrechtskreuz im Namen der Bezilksschulinspection durch Herrn Amlshauptmann von Bosse vvr versammeltem Schul vorstande feierlich ausgehändigl. — Mit dem Kornschnitt hat man in der Gegend zwischen hier und Dresden und auch in hiesiger Gegend auf einigen Fluren schon begonnen. Die socialdemokratifchen Blätter Sachsens berichten über ein in Lichtenstein bei Chemnitz am 24. Juni, am Johannistage, gefeiertes Ccntralarbeiterfest des 17. Wahlkreises. Die focialdemokratische „Dresdner Volkszeitung" schreibt darüber in der Nummer vom 29. Juni Folgendes: „Das Centrai-Arbeiterfest in Lichtenstein am vorigen Sonntag vertief in großartiger Weise. Gegen 6000 Mann waren herbeigeeill aus den Städten und Ortschaften des 17. Wahlkreises und der angrenzenden Bezirke. Aus Glauchau kam mit Musik und fliegenden Fahnen ein Zug von mehreren Hundert Socialdemokraten, desgleichen aus Meerane. Auch die weiter entfernten Orte, wie Chemnitz, Crimmitschau, Zwickau rc„ waren zahlreich vertreten. Die Festrede, von unserem Genossen Joh. Most auf der Höhe eines Berges gehalten, während die Massen der Zuhörer Kopf an Kopf bis in die Ebene hinab dicht gedrängt standen, bildete einen feurigen Mahnruf an die Socialisten zum unablässigen Kampfe für den Zukunftsstaat, welcher Jedem ein menschenwürdiges Dasein biete und wie der Redner speciell nachwies, auch die wahre Wissenschaft und Kunst nicht beein trächtigen, sondern aus ihren Fesseln befreien und auf ein höheres Niveau erheben werde. Stürmischer Beifall folgte der Rede. Musik und Gesang belebten dann noch das muntere Treiben auf dem Fest platze. Am Abend war Ball in den zwei Sälen des „goldenen Helm" und im Garten wurde ein brillantes Feuerwerk abgebrannt." Die „Soc.-Corrcsp." bemerkt dazu: „Die vorstehende Mitlheilung läßt erkennen, daß cs in dem bevölkertsten Theile Sachsens und einem Hauptmittelpunkte der deutschen Industrie mit dem Rothstande nicht so schlimm stehen kann, wenn 6000 Arbeiter zum Theil aus weiter Entfernung herbeikommen und sich an Feuerwerk, Ball und allerlei Spiele» ergötzen können." Oschatz. Ani 6. Juli trat hier ein ziemlich heftiges Gewitter auf, daS den Fluren die längst ersehnte Feuchtigkeit zuführte. Ein Blitzschlag betäubte den Sohn des Gutsbesitzers Richter aus Sörne witz, welcher auf dem Felde beschäftigt war und tödtcte besten Pferd. — Am genannten Tage war in Saalhausen ein ILjährsges Schul mädchen mit Wäschebleichen beschäftigt und hatte dabei auf ein kleines Kind, welches in einem Wagen lag, aufzupassen. Der Wagen gcriclh vielleicht durch eine Bewegung des Kindes ins Nollen, fuhr in den Bach und stürzte um, so daß das Kind ins Wasser geworfen wurde. Das größere Mädchen zog es zwar sofort heraus, entkleidete es und wickelte es, um cs zu erwärmen, in Betten; allein nach einer halben Stunde war das Kind eine Leiche. Das Haus des Unfriedens. Erzählung von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) „Sie haben den Tag vorher von Ihrer Mutter Geld gefordert? zu welchem Zweck?" Fritz Jordan kniff wieder die Augen etwas zusammen und blickte den alten Herrn mit der Ucbcrlegenheit des jungen Lebemanns, förm lich bedauernd, an, daß er überhaupt erst eine solche Frage stellen konnte. „Zu welchem Zweck?" wiederholte er mit vornehmem Lächeln. „Zu welchem anders, als es so rasch wie möglich wieder aus- zugeben." „Haben Sie Schulden?" fragte der Gerichtsrach sehr ernst. Das Auftreten des jungen Lasten wurde ihm immer widerwärtiger. Fritz zuckte von Neuem die Achseln. „Natürlich, Herr Nath! Alle reichen Erben, dir aus die Zukunft angewiesen sind, haben Schulden. Ich konnte keine Ausnahme machen; denn Mama war in letzter Zeit merkwürdig knauserig geworden." „Wurden Sie von Ihren Gläubigern gedrängt?" „Leider! diese elenden Manichäer sind oft so ungeduldig," War die Antwort des jungen Mannes. „Wußte Ihre Mutter um Ihre Schulden?" fragte der Gerichts- rath weiter. „Ich selbst hab' Mama nie damit behelligt, weiß aber freilich nicht, ob nicht einmal einer von der edlen Zunft der Halsabschneider zu ihr gedrungen ist." „Sie haben in letzter Zeit große Summen ausgegeben und Alles in Gold bezahlt. Können Sie dies ableugnen?" „Durchaus nickt," entgegnete er mit überlegenem Lächeln. „Nennen Sie ein paar Hundert Thaler große Summen?" fragte er dann zurück. „Für den Sohn einer so reichen Frau, die ihr Vermögen nach Hundert- lausenden zählte, ist dies wahrhaftig unbedeutend." „Und wo nahmen Sie dies Gold her?" „Meine lieben Gläubiger versagten mir den Credit, und so blieb mir nichts anderes übrig, als wieder einmal bei Mama anzuklopfen. Sie zeigte sich schwieriger als je; aber nach vielen Bitten und Ver sprechungen rückte sie endlich mit 500 Thlr. heraus. „Und wann geschah dies?" „Einen Tag vor dem Unglück!" „Haben Sie darüber Zeugen?" „Nein," war die ruhige Antwort." „Wie war das möglich? Ihre Mutter hatte doch eine zahlreiche Dienerschaft und befand sich in den Tagesstunden fast niemals allein." „Schon recht. Um diese Zeit hätte ich auch bei Mama nichts angerichtet. Ich wählte zu meinem Versuch die Stunde kurz vor dem Schlafengehen. Da konnte ich am ungestörtesten mit ihr sprechen." „Auf welchem Wege gelangten Sie zu ihr?" „Natürlich auf dem kürzesten," antwortete Fritz völlig unbefangen. „Ich klopfte an die geheime Thür, wie ich dies früher schon oft gelhan." „Können Sie die Stunde genau bestimmen?" „Es wird kurz nach zehn Uhr gewesen fein." „Und Sie haben wirklich diesen Besuch einen Tag vor dem Mordanfall ausgeführt?" Die Augen des alten Gerichtsrathes ruhten bei dieser Frage förmlich durchbohrend auf dem jungen Manne. „Ah, und Sie glauben wirklich, daß ich in jener Mordnacht bei