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1877. 88. Dienstag, den 4. Dcccmber für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Giebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für die Königl. Amtshauptmannschast zu Meißen, das Königl. Gerichtsamt und den Stadtrath zu Wilsdruff. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zwei mal, Dienstags ».Freitags und kostet pro Quartal 1 Mark. Jnseratenannahme bis Montag resp.Donnerstag Mittag 12 Uhr. Bekanntmachung. Bei Verhandlungen einer Plenarversammlung des Königl. Landes-Medicinal-Collegium ist auf die in manchen Gegenden des Landes, namentlich auf dem platten Lande, herrschende Sitte, die Leichen in Sonderheit zu Ermöglichung eines solenneren Begräbnisses an den, auf den Todestag nächstfolgenden Sonn- oder Festtagen, überlang in dem Sterbehause zurückzuhalten, hingewiesen worden. In dessen Folge hat das Königliche Ministerium des Innern aus den sich geltend machenden, sehr bedeutsamen Rücksichten auf die öffentliche Gefundhettspflege angeordnet, daß bei Vermeidung einer Geldbuße bis zu 100 Mark für jeden einzelnen Contraventionsfall alle Leichen, an welchen deutliche Zeichen von Fäulniß wahrnehmbar sind, nicht über den 4. Tag schmal 24 Stunden) von der Stunde des ein getretenen Todes an im Sterbehaufe belassen werden dürfen, sondern aus dem letzteren spätestens mit Ablauf der gedachten Zeitfrist entfernt werden müssen, um entweder beerdigt, oder den Todtenhallen übergeben zu werden. Solches wird zur Nachachtung hiermit bekann gemacht. Meißen, am 27. November 1877. Königliche Amtshauptmannschast. von Bosse. Der diesjährige Wilsdruffer Herbstjahrmarkt wird Donnerstag den 13. und Freitag den 14. Deeember abgehalten. Wilsdruff, am 26. November 1877. Der Stadtgemeinderath. " , Ficker, Bürgermstr. Tagesgeschichte. Wir treten mit dem Deeember gleichsam in die bedenkliche 12. Stunde des ohnehin bedenklichen Jahres 1877 ein. Wir Alle glauben nicht an den mitternächtlichen Spuk abgeschiedener Geister und nicht einmal an die so modernen Mediums oder Vermittler, die das Zwischenreich zwischen Himmel oder Hölle und der Erde heraufzuführen sich vermessen, wir muffen aber wohl an den Spuk von allerlei lebenden Geistern, die ihren Hexentanz aufführen und in diesem letzten Monat des Jahres zum Cotillonantreten. In Bulgarien, namentlich vor Plewna kann jeden Tag ein Todtcntanz anheben, dergleichen weder Holbein, noch ein anderer Maler gemalt hat und der Schau platz der Kämpfe droht sich noch zu erweitern (Serbien und Griechen land). In Rom steht die Papstwahl unheimlich nah bevor und die bekannten unheimlichen Geister, die schon so schreckliches Unglück „zur größeren Ehre Gottes" über die Welt gebracht haben, bereiten ihren Sieg vor. Wer will cs sagen, zu welchem Tanz die Kämpfe in Frankreich führen und ob wir Deutschen dem unheilvollen Reigen ganz fern bleiten können! Man bemerkt zwischen Berlin und Paris und den großen Residenzen und Höfen Europa's einen ungemein leb- hailen Depeschenwechsel, Courierc fliegen hin und her und man sagt, die deutsche Ncichsregicrung habe mit den ihr befreundeten Ne gierungen für gewisse Fälle in Frankreich ihr Abkommen getroffen und Vorsorge getroffen, daß die etwa ausbrechenden Flammen nicht über die Grenze schlagen. Mit überflüssigen Vertrauen sieht man weder auf Mac Mahon, noch auf Gambetta. Der angebliche Ein siedler von Varzin hat das scharfe Auge überall und steht wohl oder übel im Mittelpunkt der diplomatischen Unternehmungen Europas. Auch der in vielen Beziehungen so fatale Zollkrieg zwischen Deutsch land und Oesterreich steht in der 12. Stunde. Der alte Vertrag läuft in dies.m Monat ab und ein neuer steht kaum noch in Aussicht. Das Hangen und Bangen des Handels in Deutschland und Oesterreich mit seinem stillen Krieg kann leicht das seitherige freundliche politische Vernehmen trüben und stören. Da thut es sicher nolh, daß alle guten Geister in der 12. Stunde sich zusammen thun und zu- sammcnhallen. In der Kammer in Frankreich trat dieser Tage einer der be kanntesten Finanzmänner, Germain aus Lyon, auf und schilderte das Daniederliegen aller Geschäfte in Folge des Kampfes zwischen der Negierung und dem Willen des Volkes. Der ruhige, gewiegte Ge schäftsmann sagte: Die erste Bedingung für Geschäfte ist Vertrauen in die Zukunft. Das fehlt. Wir sehen ungeheuere Kapitalien brach liegen, zahlreiche Fabriken, die stillstehen und Werkstätten, in denen nicht gearbeitet wird. Das kommt daher, weil Niemand weiß, was morgen kommen kann. Wir leben in dem fleißigsten, sparsamsten und reichsten Land Europas, aber wir haben eine weniger gesichertere politische Zukunft als unsere Nachbarn. Jedermann meinte, als Mac Mahon die Nation befragte, dies geschehe, um ihren Willen kennen zu lernen, und Niemand konnte ahnen, daß man zehn Millionen Wähler zusammenrief, um am Tage nach ihre Abstimmung keine Notiz von ihr zu nehmen. — Dieses schlichte Wort hat den Nagel auf den Kopf getroffen und man spürte den Hammerschlag durch das ganze Land. Paris, 27. November. Der „Moniteur" hebt wiederholt her vor, daß der Marschall jede Concession in Folge der Haltung der Kammer für unmöglich erachte und fügt hinzu, die Rechte sei ent schlossen, die Initiative für die Beralhung des Budgets zu ergreifen. Der Finanzminister würde die Gelegenheit benutzen, aufs Neue die Ideen der Versöhnung und Beruhigung darzulegen, welche den Marschall bei der Neubildung des Cabinets leiteten. Sollte die Kammer es trotzdem verweigern, das Budget zu voliren, so würde Mac Mahon eine Botschaft an den Senat richten, worin er denselben zum Richler der Lage machen und ihn auffordern würde, zwischen einer neuen Auflösung der Kammer und dein Rücktritt des Staatschefs zu wählen. Der „Köln. Ztg." berichtet man aus Paris, 29. November: Der Cardinal Erzbischof Guibcrt bcschied vor 2 Tagen alle Pfarrer von Paris und Umgegend zu sich, um denselben, mitzutheilen, „daß neue surchbare Straßenkämpfe zu erwarten seien", und fügte hinzu, daß er ihnen Kennlniß davon gebe, damit sie ihre Vorsichtsmaßregeln ergreifen könnten, daß er selbst jedoch in jedem Falle das Beispiel des Erzbischofs Darboy befolgen und auf seinem Posten verbleiben werde. — Heute machte der ehemalige Rittmeister und heutige De- putirte Graf de Mun Gambetta einen Besuch und stellte im Verlaufe der Unterhaltung an ihn die Frage, welches Schicksal man im Falle der Zusammenberufung des Congresses dem Marschall bereiten wolle. „Wenn ein Congreß statlfindet," antwortete Gambetta, „so bürge ich Ihnen dafür, daß der Marschall bis 1880 an vcr Gewalt bleibt." Man schließt aus diesem Schrille eines der eifrigsten Ultramontanen in Frankreich, daß die Clcricalen ungeachtet der zuversichtlichen Sprache ihrer Blätter die Lage keineswegs für unbedenklich halten und des wegen zunächst Alles aujbieten, um den Marschall auf dem Präsi- denlenstuhie zu erhalten. Das Schicksal Plewua's und der Armee Osman Paschas scheint besiegelt zu sein. Was wird aber folgen? Diese Frage wird, wie mau der „P. K." aus Sünnitza schreibt in dortigen Militärkreisen Viel erörtert und wie verlaute!, sc! eint es doch daraus abzuziclcn, daß man sich nach dem Falle Plewua's einerseits gegen Rustschuk, anderer seits gegen den Balkan wenden wird, um, wenn möglich, noch in diesem Jahre nach Rumclien hinabzustcigen. Als Hauptgründe dieser Operationen werden die durch die finanziellen Verhältnisse molivirte Nothwendigkcit einer baldigen Kriegsbeendigung und der Vorthcil eines raschen Vorgehens angeführt, welches der Türkei keine Zeit zur Vorbereitung einer letzten verzweifelten Abwehr in Rumclien ließe. Unter dem Eindrücke des Falles von Kars snnd Plewna würde ein mit 80—100,000 Mann auSgesührtcr Balkanübergang die Türkei fast wehrlos finden und man würde ohne große Schwierigkeit bis vor die Thore Constantinopcls gelangen. Außerdem glaubt man auch, der Möglichkeit eine Aenderung in der politischen Konstellation Europas bis zum Frühjahre durch eine rasche Aktion begegnen zu können. An den Militärbahuen wird rastlos gearbeitet. Gegen alle Erwartung begünstigt das schöne Herbstwetter die Arbeiten, so daß die Simnitza- Fraieschtibahn noch in diesem Jahre fertig sein wird. An der Linie Sistowa-Tirnowa arbeiten Tausende von Arbeitern. Die Bildung der russischen Reservearmee in Rumänien hat begonnen. Schon sind starke Abtheilungcn in Rumänien-Bessarabien eingerückt und die Vortruppeu haben Galatz und Braila passirt. Auf der'Bahn erwartet man größere Durchzüge. Der Eilzug von Bukarest nach Roman soll deswegen bis auf Weiteres eingestellt werden. Bezüglich der letzten Necvgnoscirungsgesechtc bei PyrgoS und Metschka in der Nähe von Rustschuk gesteht Suleiman Pascha jetzt zu, daß er den Kürzeren gezogen habe. Die mit größeren Kräften unternommene Action kostete den Türken nach eigenem Geständniß 51 Officiere und über 1100 Mann, auch fehlen die sonst so beliebten Angaben über enorme russische Verluste. Der Zweck des nn fassenden türkischen Angriffs war ohne Zweifel der, die Russen von der Straße Bjela-Rustschük zu verdrängen und zum Rückzug an die Jantra zu nölhigcn. Suleiman Pascha dürste indcß bei seinen „Necognos- cirungcu" wenigstens den einen Umstand constatirt haben, daß seine Kräfte zu solchen Vorhaben nicht mehr ausrcichcn.