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Tagesgeschichte. Die russische Armee hat in Kleinasien abermals eine große Waffenthat zu verzeichnen, die ein glänzendes Seitenstück zu der am 16. Oclober bei Kars stattgcsundencn Schlacht am Aladscha - Dagh, ja gewissermaßen den Schluß des damaligen großartigen Erfolges bildet. Die Festung Kars, das Hanptbollwerk des türkischen Reiches an der russisch-armenischen Grenze, ist nach vorangegangenem mehr tägigem Bombardement am 18. November früh durch die Russen er stürmt worden. Das officielle Telegramm aus dem Hauptquartiere der Kaukasusarmee vom 18. November meldet hierüber: „Kars wurde heute erstürmt. Der Kampf dauerte von gestern Abend 8 Uhr bis heute morgen 8 Uhr. Unsere Trophäen, sowie die Verluste noch un bekannt." Wie es möglich gewesen ist, den durch vorzügliche Be festigungen und natürlich feste Lage ausgezeichneten Ort mit Sturm zu nehmen, werden wir wohl erst später durch nähere Berichte er fahren; vorläufig läßt sich nur annehmcn, daß die in der Festung eingeschlossene türkische Besatzung doch nickt hinreichend gewesen ist, die zehn Forts, welche die eigentliche Stadt und Citadclle in engerem und weiterem Umkreise decken, überall genügend zu vcrtbeidigcn und daß somit die türkischen Nachrichten von einer widerstandssühigen Lage der Festung wie gewöhnlich nicht der Wahrheit entsprachen. W:r brauchen wohl kaum auseinanderzusctzen, wie ungeheuer schwer- w o der Verlust von Kars für die Türkei ist. Türkisch Armenien Mick dadurch bis Erzerum in dem Besitz der Russen, die -a ' verdoppelten Kräften auch die letztere Festung angrcifen tonnen mßcr dem an dem Schwarzen Meere liegenden Batum ep tu' bin größerer befestigter Platz mehr, der nicht in den Händen d»r Rassen wäre. Die „Daily News" melden über die Einnahme von Kars: Gene ral Lasareff griff mit der 40. Division, die er befehligte, vom rechten Flügel das auf steiler Höhe gelegene Fort Hafiz Pascha an. General Graf Grabbe griff mit dem Grenadierregiment Moskau und einem Regiment von der Brigade Kanlitabia die Thürme von Hawaritabia und die Citadelle au, während eine von Adrahan gekommene Brigade und ein anderes Grcnadierregiment Moskau unter den Generalen Roop und Komaroff das Fort Inglis angriffen. Früh 8 Uhr be gann der Kampf im Centrum. Graf Grabbe fiel an der Spitze der Brigade. Der Hauptmann Kwadmicki drang in die 11. Redoute ein. Die große Nedoute Horann ergab sich frühmorgens, hierauf die 3 Thürme. Die Citadelle und das Fort Louvary' wurden gleichzeitig mit dem Fort Kanly genommen. Das Fort Hafiz wurde ebenfalls gestürmt, gegen Morgen das Fort Karadagk und die übrigen Forts. Die Forts Tikmet und Arale widerstanden bis Morgens 8 Uhr. 40 türkische Bataillone versuchten darauf gegen Erzerum zu fliehen, wurden aber durch russische Cavallerie ausgchalten und gefangen genommen. Die ganze Festung wie die Stadt und 300 Kanonen, Munition wie Vorräthe fielen in die Hände der Russen. Die Türken verloren 5000 Todte und Verwundete, 10,000 Gefangene und viele Fahnen; die Russen verloren ca. 2700 Mann. Die Russen schonten die fried lichen Bürger, Frauen nnd Kinder. General Loris Melikoff dirigirte die Schlacht. Im Laufe des Tages wohnte derselben Großfürst Michael ebenfalls bei. General Melikoff zog 11 Uhr Vormittags in Kars ein. Welche weittragenden Folgen der Fall von Kars für den fer neren Verlauf des-Krieges haben dürfte, kann inan am besten daraus ersehen, daß Rußland nach dem Kriegsschauplätze in Kleinasien keine weiteren Verstärkungen mehr absendcn wird, vielmehr alle für zetzt disponiblen Truppen nach Bulgarien dirigiren läßt. Zwei neue Ar meecorps sind bereits dahin unterwegs und außerdem kommt noch die überraschende Nachricht von der Mobilmachung der ganzen russischen Armee. Fragt man sich, wozu diese ungeheuren weiteren Rüstungen dienen sollen, so findet man die Antwort erstlich in den letzten verzweifelten Anstrengungen, welche die Pforte unternimmt, um den Widerstand gegen die russische Invasion fortzusctzen und ins besondere Osman Pascha ans seiner gefährlichen Lage zu befreien, andererseits ist aber wohl nicht zn verkennen, wie Rußland jetzt Alles ausbietet, um vollständig gerüstet dazustchen, wenn die Frage des Friedens ernstlich erwogen werden sollte. Es wild sich kaum von unberufener Seite irgendwelche Bedingungen auferlegen lassen wollen, die geeignet sind, die errungenen Erfolge rückgängig zu macken. Und hierher gehört vor Allem der Besitz von Türkisch-Armenien, den Rußland durch die Erstürmung von Kars thatsächlich erlangte. Es ist die Ansicht der größeren Berliner Blätter, daß die Russen Kars diesmal nicht wieder herausgeben werden. Zu wiederholten Malen ist die Festung in den Händen des russischen Heeres gewesen, aber stets beim Friedensschlüsse den Türken zurückgcgebcn worden. Jetzt dürste sich dies anders gestalten, und man mag über die Ziele der russischen Politik denken wie man will, jedenfalls wird sich das ar menische Hochland mit seiner bedeutenden christlichen Berötkerung unter xussischer Herrschaft besser befinden als unter dem elenden, de- moralisirenden, das Land verwüstenden Regime der türkischen Paschas. Die Thatsache, daß Rußland noch 2 weitere Armcecorps nach Bulgarien dirigirt, wird die Anstrengungen der Pforte durch Schaff ung eines neuen Heeres bei Sofia, dem bedrängten Osman Pascha zu Hülfe zu kommen, sehr durchkreuzen. Man weiß, daß die Armee Mchcmed Alis im Rücken von Plewna, bei Berkovitza den Russen bereits ein erstes Lebenszeichen gegeben hat. Wenn nickt das schlechte Wetter Truppenbewegungen allzu sehr erschwert, so dürsten uns schon die nächsten Tage Nachricht von neuen Kämpfen auf der Straße Orchanie-Plcwna bringen, auf welcher das Gros der in Sofia ge bildeten Armee zum Entsätze Plewna's Vorrücken soll. Man erwartet außerdem im russischen Lager einen Vorstoß Suleiman's von Eski Dschuma auf Tinwwa, sobald Mehemed Ali aus Orchanie gegen Plewna hcranrückt. In dieser Voraussetzung suchten sich die Russen durch die Rekognoszirungsgefechte bei den Dörfern Kuslubey und Js- labar über die Stärke des Gegners zu unterrichten. Sehr wichtig ist auch die Nachricht, daß sich zwei russische Com pagnien des 6000 Fuß hohen Rosalitapasses bemächtigt haben, dieser Balkanübergang liegt fünf Meilen westlich vom Schjpkapasse und über ihn geht ein Karrenweg, welcher von Lowatsch über Trojan uns Kalofer nach Philippopel führt. Die Russen halten nunmehr drei Balkanpässe besetzt, welche sie bei einem eventuellen Vordringen nach Rumelien benützen können. Durch die Gewinnung des Nosalita- Paffes haben die türkischen Positionen bei Schipka indirekt an Wider standskraft verloren. Wie aus Bukarest berichtet wird, hat General Skobelesf im Kampfe vom lö. November 5 Pferde unter dem Leibe verloren. Beim 3. türkischen Angriffe wurde er leicht verwundet, was ihn aber nicht hinderte, das Commando zu behalten und fortzusühren. In-Frankreich ist »och keine Entscheidung gefallen. Nur Ge rückte und Coinbinationen über neue Ministerien und deren mehr oder weniger wahrscheinliche Zusammensetzung schießen rascher als Pilze in einer warmen Regennacht auf und wechseln so bunt und wirr, wie die Figuren in einem Kaleidoscop, das fortwährend gedreht wird. Die Aufregung und Erbiltterung aber dauert noch fort und Hal in Paris bereits zu tumultuarischen Auftritten und selbst zu wirklichem Kampf, bei welchem Bürgcrbiut geflossen ist, geführt. Es haben nämlich die Studenten der Universität einen der ullramontanen Seite angehörenden und deshalb unliebsamen Professor, als eine Vorlesung beginnen wollte, aüsgepfiffen und ausgetrommelt, sodaß er die Flucht ergriff und zwei den verschiedenen Seiten angehörige heißblütige Kammermilglieder haben ein Duell mit einander bestanden, bei welchem der eine einen blutigen Degenstich in den Arm davon ge tragen hat. Besonnene Leute meinen übrigens, daß, wenn es zu weiter nichts kommen sollte, das Unglück noch zu übersehen wäre. Ocrtliches und Sächsisches. Wilsdruff, am 22. November. Vorigen Dienstag waren auf geschehene Einladung ca. dreißig hiesige Geschäftsleute sowie Guts besitzer im Lindcnschlößchen versammelt, um darüber zu beralhen, ob es nicht zu Nutz und Frommen unserer Stadt sei, wenn dieselbe wieder einmal nach Innen und Außen zeige, wie lebensfähig und stetig fort schreitend sie nach allen Richtungen hin sei, und zwar diesmal durch eine ins Leben zu rufende Gewerbe- und Jungviehausstellung, verbunden mit Ausstellung landwirthschaftlicher Geräthe. Nach dem von mehreren Seiten ein derartiges Unternehmen lebhaft und freudig begrüßt und zur Bildung eines Comitss aufgefordert worden, wurde zunächst einstimmig beschlossen, im nächsten Jahre eine der artige Ausstellung zu veranstalten, darauf zwei engere Comites, ein gewerbliches und ein landwirthsckastliches, sowie ein Vorsitzender beider Comitss (Herr Bürgermeister Ficker) gewählt. Schon heute Abend findet eine weitere Sitzung statt, sowie nächsten Dienstag der Ge werbeverein, welchem bei diesem Unternehmen sicher ein großer Theil Arbeit zufallcn dürste, eine Versammlung abhalten wird, zu welcher alle Gewerbtreibende der Stadl und des Amtsbezirkes eingcladen werden, um weiter über die Ausstcllungsfrage zu discutiren und gleich zeitig eine Liste für Diejenige» auslegcn wird, welche sich bis dahin schlüssig machen, an der Ausstellung zu betheiligen. Gewiß ist das Unternehmen freudig zu begrüßen, gewiß ist aber auch, daß unsere freundliche Stadt, so recht inmitten einer ausgezeichneten Landwirlhschaft, sich speziell zu einer landwirthschastlichen Ausstellung gut eignet, und Behörde sowie die Einwohnerschaft allen an sie gestellt werdenden billige» Anforderungen bereitwillig entsprechen wird. Rufen wir kein Unternehmen ein herzlich gemeintes „Glück auf!" zu. Dresden, 19. November. Heute Vormittag erfolgte die feierliche Eröffnung unserer neuen Elbbrücke, „Albertsbrücke" genannt. Der selben wohnten die Herren SlaatSminister, die Spitzen der königlichen Behörden, der Rath und die Stadtverordneten, die Direktoren der beiden Kammern bei. Oberbürgermeister Stübel zollte den bau leitenden Oberingenieur Maack die vollste Anerkennung, Minister Nostiz überreichte ihm das ihm vom Könige verliehene Ritterkreuz erster Klasse des Albrechtsordcns. Ein vicltauseiidfältiges Publikum stimmte jubelnd in ein dreimaliges Hoch auf Se. Ma), des Königs ein, welches der Herr Oberbürgermeister Stübel ausbrachte. Der schöne Bau fand eine ungetheilte Anerkennung. — Vor dem Schwurgericht in Niederbayern kommt demnächst der Fall der Ermordung der Wirthi» auf dem Hohenbogen zur Verhandlung. Die Anklage richtet sich gegen K. Gumpclt, Ren tierssohn und Realschüler, imdF. A. Göhring, Kammcrmusikcrssvhn und Mechanikerlehrling, beide aus Dresden, die, auf einer Ferienrcise begriffen, in räuberischer Absicht die Frau mittels Nevolverschüffen er mordet haben. Der bekannte NeichstagsabgcorLnete Völk Hal die Vertheidigung der Angeklagten übernommen. Lermischtes. In Hamburg hörte am 10. d. ei» Bootführcr an einem Kanal stehend Abends kurz vor 10 Uhr, die in flehendem Tone ansge stoßenen Worte: „Laß Vater, Mutter laß, es gicbt ja einen Gott!" Unmittelbar darauf drang ein unheimliches Geräusch an sein Ohr, wie wenn ein schwerer Körper von der Höhe ins Wasser hinabstürzte. Beim matten Scheine des Gaslichtes sah der Bolsührer aus der Ferne drei Personen, eine Weibsperson und zwei Mannspersonen das Weile suchen und eine Viertelstunde später wurde dort Lie Leiche eines etwa 10jährigen Knaben aus dem Wasser gezogen. Von vornherein unler lag es sonach kam einem Zweifel, daß die eigenen Eltern die Mörder des unglücklichen Kindes seien. In Folge der von den Hamburger Sichcrheitsbehörden mit allem Eifer angestclllen Recherche» und ins besondere nach auswärts gemachten Kuiidgeblmgen ist jetzt bereits der Schleier, der über dem scheußlichen Verbrechen hing, gelüftet, und sind in Neustadt in Holstein drei Personen, die Köster'schcn Eheleute und ein Dritter in Untersuchung und Haft genommen worden. Durch Zeugen ist die Leiche des ertränkten Knabe» als der Sohn der Frau Köster auf das Vestimmteste anerkannt worden, mit dem sie sich am 9. d. M. von Neustadl unter dem Vorgeben entfernt hatte, denselben in Hamburg untcrbringcn zu wollen und ohne den sie zurückgckommen war und ihrem Bruder auf dessen Nachfrage vorgegeben hätte, daß sie ihren Sohn in Lückeck unlergebracht habe, sich aber weigerte, zu jagen, bei wem? vielmehr bei desfallsigen Drängen in Verwirrung gcrielh. Die Verhafteten sind »ach Hamburg zu Fortsetzung der Untersuchung übcrgesührt und die Frau Köster soll bereits ein Ge- ständniß der gräßlichen That abgelegt haben, dessen Einzelheiten aber natürlich noch nicht in die Oeffentlichkcil gelangt sind. In der Borsig'schen Maschinenbauanstalt zu Berlin sind neuer dings wieder zahlreiche Arbeiter eingestellt, um die eingelaufenen Be stellungen erledigen zu können. Man betrachtet dies als ein Zeichen der beginnenden Besserung der wirlhschafttichen Zustände überhaupt, weil es sich dabei nicht sowohl um Bestellungen für Kriegszwecke, als vietmehe um Aufträge rein industrieller Art handeln soll. Wir wünschen von Herzen, daß das Hoffnungszeichen sich bewähren möge. Die Brauereien von Wien und Umgegend haben, wie die„W. N. Fr. Pr." miltheilt, den Zeitvcrhältnissen und dem bedeutend herab geminderten — Verbrauch Rechnung getragen, und seit 1. d. M. die Preise des Lager- und Abzugbiercs um 1 fl. pr. Hectoliter herab gesetzt. Der Minderverbrauch an Bier in Wien soll in den ersten 6