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Das lange erwartete Programm der deutschen Reichs regierung für die Wahlen zum Reichstag ist endlich erschienen. Es ist enthalten in einem Artikel der amtlichen „Provinzial-Corre- spondenz" unter der Ucberschrift: „Die Absichten und Wünsche der Regierung". Die Wähler und die Bewerber um Abgeordnetenstellen werden nun zu diesem Programm bestimmte Stellung nehmet müssen. Die Regierungen verlangen vor allem spezielle Lollmachten gegenüber der sozialdemokratischen Presse und den sozialdemokratischen Vereinen und Versammlungen. Hierdurch allem aber würden die sozialistischen Verirrungen nicht durchgreifend geheilt und überwunden werden können; vielmehr würden die gesetzlichen Maßregeln nur den Boden frei machen für die positiv heilende Wirksamkeit aller berufenen staat lichen, kirchlichen und bürgerlichen Kreise. Die Regierungen erkennen es als eine ihrer höchsten Aufgaben diese von innen heraus bessernde Wirksamkeit in jeder Weise anzuregen und zu beleben und mit Rath und That zu fördern behufs Wiederbelebung des öffentlichen Ver trauens und eines neuen Aufschwungs der gewerblichen und wirth- schaftlichen Lage der Nation. Die Regierungen erwarten vmn Reichs tag bereitwillige und kräftige Unterstützung für die seit Jahren vor bereiteten Reformen auf dem gewerblichen und finanziellen Gebiete. Dahin gehöre die Fortführung oer Verbesserung der Gewerbe-Ord nung unter Festhaltung ihrer Grundlage und unter Berücksichtigung der hervorgetreteneil praktischen Bedürfnisse, ferner die Selbstständigkeit der Reichsfinanzen, die Vermehrung der eigenen Reichscinuahmen und die überwiegende Heranziehung uud Ausnützung der dazu vor zugsweise geeigneten indirekten Steuern, um die directe Besteuerung un Staat, in den Kreis- und Communal-Verbäudeu zu vermindern. Unter den besteuerungsfahigen Vcrbrauchsgegensländen stehe in erster Linie der Tabak, wobei es von den angestelltcn Ermittelungen abhängig bleibe, ob das Monopol, eine hohe Fabrikationssteuer oder ein anderer Modus ins Auge zu fassen sei. In der Handelspolitik sollen unter Festhaltung der seit der Gründung des Zollvereins stetig beobachteten grundsätzlichen Gesichtspunkte in jeder Beziehung die thatsächlichen Interessen und Bedürfnisse des gejammten nationalen Verkehrs und der Production wie der Conjumtiou sorglich gewahrt werden. Der Artikel schließt mit der Aufforderung, bei den Wahlen dafür zu sorgen, daß die Mehrheit aus solchen Männern bestehe, denen ein aufrichtiges uud erfolgreiches Zusammenwirken mit den Regierungen nicht blos unter den augenblicklichen außerordentlichen Umständen, sondern auch bei weiteren "Arbeiten für eine gesunde po litische und wirthschaftliche Entwickelung ernst am Herzen liege. Aus der rascheren Aufeinanderfolge der Congreßsitzungen glaubt man schließen zu dürfen, daß die bereits gewonnene Grundlage für die künftige Gestaltung Bulgariens nunmehr bezüglich der damit zu sammenhängenden Organisationsfragen näher ins Auge gefaßt wird. Trotz des russischen Zugeständnisses einer Grenzlinie durch den Balkan hat doch die russische Diplomatie einen wesentlichen Erfolg dadurch erreicht, daß es ihr gelungen ist, Sofia für den nördlichen Theil Bulgariens zu erhalten. Durch den Besitz Sofias faßt das neue Fürstenthum Bulgarien zugleich festen Fuß jenseits des Balkans und erlangt damit eine militärisch wichtige Stellung, da die türkischen Balkanbefestigungen gegen eine von Sofia nach Osten vorrückende Armee künftig eben so wenig haltbar sein würden, wie sie es im letzten Kriege gewesen sind. Der Besitz von Varna und Sofia macht das neue Bulgarien zn einem lebenskräftigen Staate. Die Opfer für die Balkanpässe, namentlich für den Schipkapnß, sind also von Rußland doch nicht ganz vergeblich gebracht worden. — Montenegro und Serbien wurden hinsichtlich der Befriedigung ihrer Ansprüche und Wünsche von den russischen Congreß - Bevollmächtigten auf die directe Verständigung mit Oesterreich verwiesen, weil eine feste und gesicherte Stellung für die Fürstenthümer nur durch und mit Oester- rerch gefunden werden könne. Beide Staaten sind dadurch vor der Hand auf die Seite geschoben und die Congrcßmächte werden schließ lich nur noch ihr Siegel unter das von denselben mit Oesterreich ge troffene Abkommen zu drücken haben. Ueber den Grundgedanken, welcher für die Kompromißmächte bei ihrem Vorgehen maßgebend sei, läßt sich die „Kreuz-Zeitung" folgendermaßen aus: „Das jetzt eiumüthige Zusammengehen von Rußland, Oesterreich-Ungarn und England läßt sich, wohl ohne zu Piel zu sagen, als Basis ansehen, von der ans die Theilung der europäischen Türkei sich zu vollziehen beginnt. Die Korperationen dieser drei Mächte ist es, welche drei neue Staatcnbildungen auf der Balkan-Halbinsel schafft, deren jede stark genug gemacht werden soll, der anderen zu widerstehen und deren jede die Vorhut für die Aus führung der Pläne einer der drei Mächte wird, welche jene Staaten bildungen jetzt schaffen. So zieht denn thatsächlich durch die Schaffung eines Fürstenthums Bulgarien zunächst Rußland, durch die Uebcr- lassung griechischer Theile der Türkei au Griechenland England und durch die für Bosnien und die Herzegowina zu schaffenden Fest setzungen Oesterreich den Vvrtheil. Als Zeichen der Zeit meldet die „Post": Die „Germania" läßt ihr Sonntagsblatt cingehen und der katholische Kongreß in Deutsch land wird in diesem Jahre vom Fürsten Löwenstein abgesagt, — seit zehn Jahren wohl zum ersten Male! * Aus dem Haag, 21. Juni. Während der Debatten über das neue Nnterrichtsgesetz, welches namentlich darauf abzielt, den öffent lichen konfessionslosen Volksschulen zum Nachtheile der konfessionellen Privatschulen größere Staatszuschüsse zu gewähren, hat der hiesige Abgeordnete Wintgens eine Rede gehalten, die auch in weiteren Kreisen Aussehen macht. Auf die staatsgefährlichen Folgen eines Unterrichts ohne Religion aulmerksam machend, beleuchtet der ge nannte Wortführer der hiesigen konservativen Partei zugleich die inter nationalen Bestrebungen der Sozialdemokraten und erinnert an den hier im Jahre 1872 von Karl Marx gethanen Ansspruch: „An die Gewalt wird man appellircn müssen, um die Herrschaft der Arbeiter zu etabliren" Diese Theorien hätten zu Brandstiftungen und neuer dings zum Königsmord geführt. Jetzt, wo die niederländischen Ab geordneten versammelt seien, um die hochwichtige Frage zu berathen, wie ein Volk zu unterrichten, sei es wohl an der Zeit — fährt Wint gens ferner fort — der tiefen Entrüstung über das wiederholte Attentat auf das Leben des Kaisers von Deutschland öffentlich Aus druck zu geben. „Wir Niederländer auch von germanischem Blute, müßten uns dieser Stammesgemeinschaft schämen, wenn es je dazu käme, daß Meuchelmord auf deutschem Boden gleichsam zur heimischen Pflanze würde. Und ich glaube, das jetzt der Augenblick wohl ge wählt ist, um in der niederländischen Volksvertretung ein Wort der »frichtigstcn Sympathie und des innigsten Antheils dem ehrwürdigen Deutschen Kaiser und seinem ruhmreichen Geschlecht, sowie dem treuen biederen deutschen Volke zuzurufen!" In London haben die deutschen Sozialisten einen furcht baren Skandal angerichtet. In einer öffentlichen Versammlung am 15. Juni schimpsten sie auf den deutschen Kaiser und Bismarck und nannten das deutsche Volk, das dem Kaiser seine Theilnahme be zeugte, hündisch und verrückt, die deutschen Arbeiter in London, die an den Kronprinzen eine Adresse gerichtet hatten, feil und nieder trächtig. Gegen solches Gebühren wollten 5 deutsche Arbeitervereine in einer Versammlung am 22. Juni Protest erheben. Sie setzten auf ihr Programm: 1) Protest gegen jede Gemeinschaft mit jenen Deutschen, die unter der Maske der Sozialdemokratie sich gegen Kaiser und Reich verschwören und den deutschen Namen im Ausland verun glimpfen. 2) Huldigung an den kranken Kaiser. 3) Widerlegung der Lügen gegen sie selbst. — Die Sozialisten suchten die Versamm lung gewaltsam zu sprengen; sie ließen eine Musikbande die Mar- faillaise spielen nnd brüllten sie selbst ab, die Arbeiter antworteten mit der „Wacht am Rhein" und „Heil Dir im Siegerkranz". Bald flogen Hüte, Stöcke wurden geschwungen, es regnete Hiebe und setzte blutige Köpfe, die Polizei verhaftete viele Sozialisten und räumte den Saal. Ganz London spricht von dem Skandal und der Schändung des englischen Gastrechtes — und unterscheidet scharf zwischen So zialisten und Arbeitern. Der Tod verjüngen Königin Mercedes hat in Madrid wahr hafte Bestürzung hervorgerufen. Mercedes hatte den König aus Liebe geheirathet und die Ehe war sehr glücklich. Spanien hatte eine glückliche Königsehe seit Jahrhunderten nicht gesehen, sondern nur Kälte, Eifersucht, Lüderlichkeit, Kabale und Scandal. Es sriert die Spanier ordentlich, wenn sie daran denken, daß ihre junge, lebens lustige , freundliche Fürstin im Mausoleum neben den grausamen Ty rannen Carl V. und Philipp 11. ruhen soll, die im Tode kaum kälter sind als im Leben. Osrtliches un- Sächsisches. Wilsdruff. Nächsten Sonntag wird unsere freiwillige Feuer wehr ihr neues Steigerhaus weihen. Es sind dazu eine größere An zahl auswärtiger freiwilliger Feuerwehren geladen, von denen auch die meisten bei günstigem Wetter eintreffen dürsten und nicht allein dadurch, sondern auch durch Zufluß vieler anderer Schaulustigen ans der Umgegend, sich an diesem Tage hoffentlich ein recht reges Leben in unserm freundlichen Städtchen entwickeln wird. Im Uebrigen ver weisen wir auf das in heutiger Nr. befindliche Prograinm, Welches das Commando der freiwilligen Feuerwehr ausgestellt hat. Freiberg. In der öffentlichen Sitzung des hiesigen Bezirks gerichts am 26. Juni gelangte die Untersuchung wider den Bahn- hofsinspektor Friedrich Wilhelm Brockauf in Tharaud zur Ver- haudlung. Als Zeugen für die Hauptverhandlung waren im Ganzen 24 Personen vorgctaden worden. Die Anklage lautete auf Unter schlagung von 4225 M. aus der dem Angeklagten zur Verwaltung anvertrauten Staatskasse. Der Angeklagte zeigte am 14. März d. I. auf dem Bureau der konigl. Betriebsdirektion zu Dresden dem Betriebsoberinjpektoc Hartmeyer an, daß ihm am Dienstag den 12. März 1878 Abends zwischen 3/H8 und Vg10 Uhr ans dem in seinem Jnspektionszimmer stehenden Geldschranke 4225 M. Dienstgelder ge stohlen worden seien. Er erkläre sich die Ausführung des Diebstahls damit, daß er an diesem Tage seine Reserveschlüssel zum Geldschrank eine Zeit lang verloren hätte. In dieser Zeit hätte Jemand diese Schlüssel gefunden und die That damit vollführt. Mit dieser An zeige hat der Angeklagte zwei Tage laug angestanden. Bei der er statteten Anzeige hat der Angeklagte auch'sofortige theilwcise Deckung angeboten. Es haben sich indeß gleich von Anfang an gewichtige Momente vorgefunden, die weniger den Verdacht des angezeigten Diebstahls als den einer von dem Angeklagten selbst verübten Un terschlagung rechtfertigten und haben sich im Laufe der Untersuchung in so erdrückender Weise vermehrt, daß der Angeklagte selbst den Schuldbeweis als voll erbracht ansah. Das Urtheil lautete auf 2 Jahre 6 Monate Gefängniß und 3 Jahre Ehrenrechtsvcrlust. Ein griechisches Tedenm in Pera. Aus Pera wird der „K Z." unterm 9. Juni geschrieben: Ich wohnte heute einer eigenthümlichen und wirklich ergreifenden Feier bei. einem Tedeum nämlich, welches der griechische Patriarch aus Anlaß der Lebensrettung Kaiser Wilhelmis in der Marienkirche zu Pera zu veranstalten besohlen, Als ich mich um 9 Uhr Morgens vor einer der Thüren der Hauptkirche Peraks einfand, sah ich schon viele Leute ins Innere derselben strömen, und es wäre mir wohl schwer geworden, einen guten Platz zu erlangen, wenn nicht einer der Ephoren, der mich persönlich kannte, mir durch einen Kirchendiener einen Weg durch tue Menge hätte bahnen lassen, die mir, als „einem Deutschen", bereitwilligst Platz machte. Ich kam in einen jener kleinen Betstühle zu stehen, welche sich dem erzbischöflichen Throne gegenüberbefinden, auf derselben Seite, wo siir die Mitglieder des deutschen Konsulats bereits Plätze reservirt und diesen besetzt waren. Das ganze Mittelschiff der Kirche war gedrängt voll von Männern, unter denen ebenfowohl Leute aus dem Volke, als auch be kannte und angesehene Mitglieder der griechischen Kolonie sich befanden. Vor dem Allerheiligsten war ein Raum frei gehalten, den brennende Kronleuchter erhellten und Teppiche und Grün schmückten. Die Seitenschisfe der Kirche waren dunkel und cigenthümliche Reflexe fielen von den Kerzen in der Mitte auf die rings an den Wänden aufgehängten, reich versilberten und vergoldeten großen Heiligenbilder. Die Galerien zur Seite bargen hinter ihren Holzgittern viele Damen, die, nach orientalischem Gebrauch, von dort dem Gottesdienste beiwohnten. Einige Minuten waren vergangen, als die Glocken zu läuten begannen und, unter dem Vortritt der Ephoren, Prinz und Prinzessin Reuß mit dem Personal der Botschaft durch die Kirchthür cintraten und gegenüber dem erzbischöflichen Throne Stellung nahmen. Unmittelbar darauf kamen aus dem dunkeln Allerheiligslen der Erzbischof von Ephesus, Agathangelos, Generalvikar des Patriarchen, und 4 andere Bischöfe unter Vortritt kerzentragender und singender Priester in den freien Raum; alle Welt neigte sich vor ihnen, und der Erzbischof bestieg den mit Guirladcn verzierten Thronscssel, von dem seine kostbaren, mit den herrlichsten Steinen und Brokatgewänder lang herabwallten. Er stützte sich auf einen silbernen Stab und gebot den Sängern, zu beginnen. Während nun Männer- und Knabenstimmen wohl eine halbe Stunde lang ohre alle Begleitung von Instrumenten die eigenthümlichen Tonrcihen mit ein ander verschlangen, die nach der griechischen Tradition aus urchristlicher Zeit stamme,, sollen, warf von Zeit zu Zeit einer der höchst merswürdig aussehenden langbärtigen Bischof die Worte „Für den Kaiser von Deutschlad" dazwischen. Als der Gesang endete, ergriff Agathangelos ein Papier, welches ihm einer seiner Begleiter über reichte, und las mit tönender Stimme einen Hirtenbrief des Patriarchen. Das Haupt der orthodoxen Kirche, hieß es darin, habe mit tiefem Schmerze vernommen, daß abermals ein fchändlicher Verbrecher gewagt, dem verehrten Kaiser von Deutsch land nach dem Leben zu stehen; er, der Patriarch, würde selbst gekommen sein, um Gott dem Vater, dem Sohne und dem heiligen Geiste zu danken für die Erhaltung des Kaisers, wenn er nicht durch Krankheit daran verhindert wäre; so habe er seinen Stellvertreter damit beauftragt. Nun folgte eine Reihe von Dantesworten wärmster Art, die so klangen, als wäre dem Patriarchen sein eigener Souverän wiedergeschenkt worden, und darauf die Segenswünsche ohne Zahl. „Noch viele Lebensjahre!" Ein brausender Ruf der Menge antwortete: „Hoch lebe er!" „Eine glückliche Regierung!" Wieder scholl das Lebehoch, und so fort unzählige Mal, bis der letzte Segenswunsch verhallt war. Als aber der ehrwürdige Priester schwieg, da ergriff dgh Volk die