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bekränzt, zwar eine Zeit lang unter strömendem Regen, doch in un unterbrochenem Zuge dem Bestimmungsorte entgegengeführt. Auf dem hiesigen Marktplatze angekommen wurden sie nun vom hiesigen Pfarrer unter vorangehenden und nachfolgenden Gesängen, insbe sondere des hiesigen von auswärtigen Lehrern freundlichst unterstützten Gesangvereins, zu ihrem erhabenen Zwecke geweiht, während hierauf die früheren auf dem Festplatze aufgestellten Glocken unter sinnreichen Sprüchen hiesiger Gemeindeglieder zum Danke für Jahrhunderte lange treue Dienste bekränzt wurden. An dieser Feierlichkeit nahmen außer vielen von auswärts gekommenen Gästen auch Herr Amtshauptmann von Bosse aus Meißen, sowie eine größere Anzahl benachbarter Geistlicher Theil. Länger freilich als man gehofft hatte, dauerte es in Folge unvorgeschener Schwierigkeiten, bis nach Vollendung des fchweren, unter persönlicher Aufsicht des Herrn Glockengießer Werner aus Klein-Wclka vorgenommenen Werkes der Aufhängung der Glocken die ersten feierlichen Klänge der versammelten Mengenden Beginn des Festgottesdienstes in der höchst geschmackvoll geschmückten Kirche verkündeten. In demselben predigte Herr L. klag. Schönberg aus Weistropp in zündenden Worten von dem Danke, den man Gott sür das gelungene Werk schuldig sei und von dem Zwecke der Glocken im Anschluß an die 3 Inschriften derselben (l.Joh.5, 4; Eph. 5, 2; Hebr. lO, 23). In das „Run danket alle Gott" am Schluß des Gottesdienstes fielen die neuen Glocken mit vollem Klange ein und ließen noch lange ihre harmonifchen Töne in die abendliche Stille hinaus ertönen, während ein Festessen im hiesigen Gasthofe die Ge- meindeglieder mit ihren auswärtigen Gästen vereinigte und so in frohester Weise diesen allen Theilnehmern unvergeßlichen Tag schloß. Roßwein. Die Anstrengungen, die gemacht worden sind, den hiesigen Vorschußverein zn erhalten und fortbestehen zu lassen, sind resultatlos geblieben; der völlige Zusammenbruch ist nun erfolgt. Dies unheilvolle, die fortschreitende Entwickelung der Stadt hemmende, viele gesicherte Existenzen vernichtende, in seinen materiellen und mo ralischen Folgen noch gar nicht zu übersehende, viel weniger abzu wägende Ereigniß konnte nicht ansbleiben, da eine große Anzahl Mit glieder die Summe von 500 Mk., die als vorläufige Einzahlung fest gesetzt worden war, nicht eingezahlt hat. Ein Theil hat nicht zahlen können, ein andrer nicht zahlen wollen. Das arme Roßwein steht vor einem schweren, vcrhängnißvoüen Zeitabschnitt. Frauenstein. In Folge der namentlich unter den Kindern der dritten und vierten Klasse hiesiger Stadtschule epidemisch ausgetretenen Masern- und Scharlachkrankhcit ist von der königl. Bezirksschul inspektion zu Dippoldiswalde angeordnet worden, daß bis auf Weiteres der Unterricht in der dritten und vierten Klasse eingestellt, die Ge schwister von masern- oder scharlachkranken Kindern aus den übrigen Klassen auf vierzehn Tage von dem Schulbesuch ferngehalten und nach Verlauf dieser Zeit der königl. Bezirksschulinspektivn über den Stand der Krankheit Bericht erstattet werde. Bettler und Millionär. Roman von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Es ist leider eine traurige Erscheinung, daß die sittliche Verkom menheit in der^Nalur des WcibeS einen schärferen und ausgeprägteren Niß hcrvorbringt, als beim Manne. Die Natur schuf dgs Weib als ihr edelstes Abbild, sie rächt darum auch doppelt jeden Frevel des selben gegen sich selber mit unbarmherziger Strenge. „Wahnsinniger Thor!" murmelte sie mit einer zornigen Beweg ung, "was hätte entstehen können, wenn fremde Hände dieses Zim mer geöffnet, fremde Augen dieses Bild geschaut? Elender Mörder! Du konntest den Mordstahl in das Vaterherz stoßen, aber Deine That wie ein Mann tragen vermochtest Du nicht und griffest in Dei- nem Gewissenswahnsinn zu solchem Komödienkram, als könne dies Deinen Gott besänftigen und versöhnen und Dich schließlich noch in den erträumten Himmel geleiten. Possen, Possen, so sucht selbst ein Vatermörder sich den himmlischen Lohn noch zu erheucheln." Und sie fuhr immer lauter und heftiger fort: „Ja, ja, er hat sich diese Büßer zelle ganz schlau eingerichtet, der alte Sünder, einmal wöchentlich konnte er wohl sich demüthigen und kasteien, der Himmel versprach ihm genug Lohn dafür. Es ist dasselbe Zimmer, welches der Vater stets bei seinem Hiersein als Schlafgemach benutzte, dasselbe Bett so gar mit der blutigen Decke. Der Alte hatte ja wohl einen Blutsturz bekommen. O, über den armseligen Komödianten! Ich werde dieses Puppentheater noch in dieser Nacht vernichten, das Haus Wallburg soll rein bleiben, das sei meine Aufgabe. Ob der gute, büßende Sohn denn alle Schuld auf sich allein genommen? Warum läßt er den Bastard so leer ausgehen, der Sündensohu hat ihm doch den den Mordstahl in die Hand gedrückt?" Sie leuchtete weiter und lachte plötzlich halblaut auf. In einer Nische war ein Altar mit einem Kruzifix und kleinen silbernen Lämpchen angebracht. Tante Angelika fühlte bei diesem Anblick ein unwiderstehliches Verlangen, den gespenstischen Spuk ganz zu genießen. Sie zündete deshalb bei dem Lichte ihrer Laterne das Lämpchen an und trat nun, erstere mit ihrer Blende umschließend, zurück, um mit grausiger Lust den wirklich wunderbar unheimlichen Effekt zu genießen. Das bläulich.sanfte Licht des Lämpchens ließ das Ganze wie eine Geistererscheinung hervortreten, ein Anblick, der selbst das eisen festeste Herz, besonders unter diesen schauerlichen Verhältnissen und Umstünden, zum Beben gebracht hätte. Aber Tante Angelika war ihr Lebenlang selber Komödiantin gewesen, sie hatte die Lüge und Verstellung praktisch studirt und jedes Grauen schon früh von sich abgeschüttelt. So nahm sie Alles, was Entsetzen oder Rührung er regen sollte, für Schein und Mährchcn, und hielt cs für alberne Schwachheit den Thalsachen des Lebens irgend ein Recht auf Gefühl einzuräumen. Herz! Seele! — sinnlose Phrasen, das Herz bildet den eigent lichen Pulsschlag alles körperlichen Lebens. Die Seele ist ein alberner Begriff ohne jegliche Berechtigung, und nur das Hirn ist die Sub stanz, welche uns die verschiedene Dosis Verstand liefert. Diese Do sis für das flüchtige Erdeuleben auszunutzen, ist die Aufgabe des Menschen; aus ihrem klugen Verbrauche fließt die Summa aller Macht dieser Basis des wahren Glückes. Das war Tante Angclika's The orie des Lebens, woraus alle ihre Handlungen entsprangen. Eine furchtbare Theorie, 1vö sie mit so vielem Verstände gepaart erschien. Sie konnte es nicht läugnen, daß sie eine würdige Schülerin ihres gefürchteten Lehrmeisters Johann Behrend war. So betrachtete sie denn auch dieses entsetzliche Schauspiel mit einer dämonischen Lust und schüttelte endlich verächtlich den Kopf über die Hinneigung zum katholischen Cultus. „Der Schwachkopf hat keinen Halt im eigenen Beten mehr," sagte sie, „er muß einest Fürsprecher haben. Warum er die Madonna nicht erwühli hat? Es liegt in dieser weiblichen Fürsprache doch wenigstens Sinn." Und mit diesen chnischcn Worten setzte Tante Angelika ihre Forschungen furchtlos fort. Dort stand noch als letzter Schmuck dieser Büßerklause ein kleiner Schreibtisch mit einem Sessel versehen. Der Büßende Halle also auch geschrieben — seine Memoiren wahrscheinlich. Diese Thalsache schien für die Dame das meiste Interesse zu haben, denn mit sichtlicher Aufregung begab sie sich an die Oeffnung des verschlossenen Tisches. Daß sie ihren Apparat dazu mitgebracht, war selbstverständlich, und hier war ihr das Glück bald günstig, schon nach kurzer Zeil sprang das Schloß auf und da lag der Inhalt ihren gierigen Blicken preis- gegeben. Eine bedeutende Anzahl beschriebener Blätter fielen ihr sogleich in die Augen, sie zitterte wirklich, als sic dieselben zusammenraffte und vor sich nieder aus den Tisch legte, nm noch weiter zu suchen. Manufcripte waren nicht weiter La, ober einige kleine Portraits, welche die Daine gleichgültig betrachtete und wieder hineinwars. Es waren die Portraits ihrer eigenen Eltern, die sie mit dieser frivolen Gleichgültigkeit behandelte. Da waren noch zwei, und diese betrachtete sie länger, aber mit offenbarem Haß und Ingrimm. „Malthus und seine Amalie!" flüsterte sie, hämisch lachend. „Also auch um diese Beiden büßt der Nair? Das Glück hat mich offenbar hierher geführt, um einen Schetterbaufen sür den Wahnsinn zu errichten. Ihr beide seid, wie jenes Puppentheater dort, dem Gericht verfallen." Auch diese beiden Portrait legte sie auf dem Tisch nieder und wollte sich erheben, um an's Vernichtungswerk zu gehen. Da zuckte sie zusammen, eine Hand legte sich bleischwer aus ihre Schulter und drückte sie nieder. Sie konnte einen leisen Schrei nicht unterdrücken und wandte den Kopf rasch um. Was war das? — Gab cs wirklich noch etwas Anderes als das irdische Dasein? Waren ihre Sinne verwirrt, ihr Denken durchein ander gerüttelt, daß sie den Trug nicht mehr von der Wirklichkeit zu unterscheiden vermochte? Einc hohe Gestalt im Bettlerklcide stand an ihrer Seite und hielt den starren, drohenden Blick unverwandt auf sie gerichtet. Tante Angelika suhlte ihr Herz stocken, ihr Blut zu Eis erstarren unter der Macht dieses furchtbaren Blickes; sie fühlte in diesem Augenblick die Strafe der Verdammten, die Höllenqual der Todes angst zum ersten Mal in ihrem Leben. „Ungeheuer!" tönte cs jetzt wie die Stimme des Gerichts von den Lippen des bleichen Bettlers, „Dein Maß ist voll, jetzt heißt cs: Bis hierher und nicht weiter! Schau mich fest an, wenn Du cs vermagst. Kennst Du den Bettler, von Golt gesandt, zum Gerichte über die Todsünden, welche so lange zum Himmel geschricen? Spr ch, Teufel, kennst Du mich?" Tante Angelika zitterte am ganzen Körper, sie hatte den furcht baren Bettler erkannt und vermochte doch keinen Laut hervorzubringen, ihre Kehle war wie zngeschnürt. Endlich stöhnte sie kaum verständ lich: „Bruder Malthus! Erbarmen!" „Du nennst mich Bruder, Weib!" ries der Bettler mit dem Ausdruck des tiefsten Abschcucs, „entweihe den nomen nickst wieder, ich war Dein Bruder längst nicht mehr. Kannst Du den Ermordeten dort auch mit schamlos frecher Stirn „Vater" nennen? Das Urbild alles Bösen ist Dein Bruder! Und Erbarmen erflehst Du von mir? — Ich bin Dein Richter, der Dich mit dem gleichen Maße messen wird, womit Du Deine Nebenmenschen bisher gemessen hast. Siche die Hand, welche das Blut des Vaters vergoß und mich, wie den eigenen Sohn in's Elend stieß, sie ist rein gegen Dich und Deinen Verbündeten, den höllischen Bastard. Den» Ihr Beide drücktet dem Unglückseligen den Mordstahl in die schwache Hand, Ihr häuftet den Zündstoff zwischen Vater und Sohn und seine Hand mußte die Brand fackel hincinwersen. Seine Buße in diesem Raume sichert ihm Gnade und Vergebung. Aber Ihr Beide seit verdammt hicnieden, dem Richterspruch des Bettlers, der von den Todlen erstanden ist, unrett bar verfallen. Hier schon treffe Euch die gerechte Strafe, da ein Jen seits für Euch nicht existirt. Slch' auf, Weib, und folge mir, ent weihe diesen heiligen Raum nicht länger durch Deine Gegenwart." Er riß Angelika gewaltsam empor und nahm dann die Papiere des Bruders, wie die Portraits, auch die der Eltern zu sich. Das Bild des schönen, jungen Weibes, welches die Tante „Amalie" ge nannt, betrachtete er einen Augenblick, bevor er es in seinem Nock bei dem Uebrigen barg. Tante Angelika schien sich jetzt ein wenig von der jähen Ucber- raschung, in welche sie dieser unerwartete Uebcrsall versetzt, zu erho len, ihr ganzes Wesen, das nichts mit Ueberraschungen und Schreck nissen zu schaffen hatte, war in Unordnung gcraihcn, sie brauchte Zeit, das fatale Zittern zu bewältigen und die fremde Angst von sich ab- zuschütteln. Der da vor ihr stand in seiner ganzen armseligen Erscheinung und dem geisterhaft bleichen Gesicht, war ihr Bruder Mallhus, daran zweiflte sie keine Minute. Warum aber ließ sie sich auch nur einen Augenblick von diesem Menschen, der als Bettler in dieses Haus ein- gedrungcn war, einschüchtern und lhörichter Weise in Schrecken setzen? i Wo war doch ihre stolze Ruhe, mit der sie gewohnt war, alle Dinge, auch die schrecklichsten, um sich her zu betrachten, geblieben? Was war aus ihrer Theorie geworden? Tante Angelika fühlte Scham in sich über die klägliche Rolle, welche sie soeben gespielt, und Haß und Wulh besiegten den Schrecken und die Furcht vor der Rache dcS gcmißhandeilcn und vcrraihenm Bruders. Sie hob den Kopf verächtlich empor, blickte ihn an mit wildsunkeln- den Augen und sagte: „Räuber und Dieb, Du willst hier an dieser Stätte Moral predigen? — Wer bist du. Elender, und womit willst du beweisen, daß du jener Mallhus bist, den der eigene Vater ob seiner Verworfenheit verflucht und verstoßen hat? Und Du hast die Stirn, in diesem Raume den Richler spielen zu wollen? Du —" Malthus hob dräuend die Hand empor und das Wort erstarb ans ihrer Lippe. Das Auge des Bruders schien eine bezwingende Gewalt über sie auszuüben. Er deutete schweigend nach dem Fenster, und mechanisch hob sie den Fuß, um zu gehorchen. (Fortsetzung folgt.)