Volltext Seite (XML)
noch in seiner Wohnung zu finden. Das Stadtgericht hat der „Post" zufolge unterm 2. d. hinter ihn: einen Steckbrief erlassen. Die „Times" hebt bei Besprechung der bei Eröffnung des deutschen Reichstages gehaltenen Thronrede hervor, dieselbe bekunde in Bezug auf die Orientfrage den festen Entschluß eines Monarchen, dessen Macht bei jedem europäischen Konflikte jetzt selbst diejenige Ruhlands überträfe und der bei den schwebenden Unter handlungen ein sehr bedeutendes, wenn nicht ein entscheidendes Ge wicht in die Wagfchale zu Wersen vermöge. Es könne demnach mit Befriedigung bemerkt werden, daß der deutsche Kaiser extremen An schauungen keinen Vorschub leiste und, da der Kaiser wahrscheinlich bessere Mittet habe, als irgendwer anders in Europa, den Charakter des schließlichen Fricdensprogrammes zu kennen und zu beurtheilen, ob dasselbe für die europäischen Mächte annehmbar sein dürfte, so seien die friedlichen Versicherungen desselben eine solide Thatsache, aus welche man bauen könne. Wenn Rußland nach einer Stellung im Osten Europas trachten sollte, durch welche die Interessen Oesterreichs und Deutschlands geschädigt würden, so werde ein Wort des deutschen Kaisers genügen, um Rußland Mäßigung anfzulegen. Die alte italienische Volksprophezeiung, daß Papst Pius IX. dem König Victor Emanuel binnen vier Wochen im Tode folgen werde, ist in Erfüllung gegangen Am 9. Januar d. I. starb Victor Emanuel und am 7. Februar Nachm. 4 Uhr ist Papst Pius IX. gestorben. König und Papst stehen nun beide vor ihrem höchsten Richter, wie sie beide zu den interessantesten und schicksalsreichsten Männern unseres Jahrhunderts gehören. Pius IX. ist geboren am 13. Mai 1792 zu Sinigaglia als Graf Mastai-Ferretti, im Jahre 1819 empfing er die erste Priesterweihe und wurde von 18:3—25 nach Chila geschickt; 1827 wurde er Erzbischof von Spoleto und 1840 Cardinal. 1846 bestieg er den päpstlichen Stuhl als Papst Pius IX. und erfüllte rasch die Welt mit seinem Namen und seinem Ruhm. Er wurde, was unerhört und vielleicht unmöglich war, ein liberaler Papst. Er begann seine Regierung mit einer großartigen Amnestie und mit Reformen, die ihn zum gefeiertesten Manne Italiens machten, er wollte, hoffte ganz Italien, der Gründer eines neuen gereinigten Italiens werden. Im Jahre 1848 trat der Um schwung ein, er verzweifelte daran, der liberale Führer Italiens sein zu können und sein liberales Regiment endete mit der Flucht nach Gaeta, von wo er mit Hülfe fremder Bajonette nach Rom zurück- kebrte. Die nationalen Hoffnungen wurden auf das Königshaus von Savoyen übertragen und gingen unter Victor Emanuel in Er füllung. Pius IX. leistete auf kirchlichen und weltlichen Mitteln Widerstand, so viel er konnte. In die Zeit vor dem Untergang seiner weltlichen Gewalt fielen das Dogma von der unbefleckten Em- pfängniß der Jungfrau Maria (1854), die Erlassung des Shüabus (1864), und endlich das Concil von 1870 mit dem Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes. Im September 1870 besetzten die Truppen Victor Emanuels Rom als ihre Hauptstadt, der Kirchenstaat und die weltliche Herrschaft des Papstes waren zu Ende. Der König regierte im Quirinal, der Papst im Vatikan, als Gefangener, wie er sich nannte. Der Zwiespalt zwischen nationalem Königthum und den Papstthum dauerte fort bis zu den Tage, wo der Persönlich mild ge sinnte Papst die Augen geschlossen hat. Rom, 9. Februar. Der „Populo Romano" sagt, es scheine entgiltig entschieden zu sein, daß das Konklave in Rom zusammen tritt. Die Eröffnung solle am 17. Februar stattfinden. Gestern wurde das Testament Pius IX. eröffnet. Dasselbe ist sehr kurz und ausschließlich kirchlichen Interessen gewidmet. Der Papst konstatirt, daß die Bestrebungen seines ganzen Lebens dem Wohle des heiligen Stuhles galten und empfiehlt der Kirche, während der Vakanz die drei bereit« bestimmten Kardinäle mit der Leitung der Kirche zu be trauen. Das Testament machte allgemein einen sehr guten Eindruck. Gestern Abend wurde Ministcrrath abgehalten, welcher Dispositionen traf, um die volle Freiheit des Konklave zu sichern. Die Kardinäle aus den Provinzen beginnen bereits einzutreffen. Wien, 8. Februar. Graf Andrassy hat an alle Kardinäle der Monarchie die Einladung gerichtet, sich zum Konklave nach Rom zu begeben. Die Krone wahrt ihr Vetorecht beim Konklave. Die italienische Regierung gab den Botschaftern Oesterreichs und Frank reichs die feierliche Versicherung, daß sie die Unabhängigkeit und Sicherheit des Konklaves garantire und dem Kardinalskollegium Truppen zur Disposition stelle, wenn dasselbe deren bedürfe. Wien, 8. Februar. Heute sind Berichte aus Constantinopel eingetroffen, welche ein großes Zerwürfniß in der Regierung melden. Die Panique vor dem Einmarsch der Russen dauert fort. — Nach richten aus Petersburg besagen, Rußland werde vielleicht Dresden als Conferenzort Vorschlägen. Sind die Russen in Constantinopel einmarschirt? Die Eng länder versichern's mit großer Entrüstung und wollen die Nachricht über Indien bezogen haben, weil die Telegraphendrähte zwischen Con stantinopel, Adrianopel und anderen civilisirten Gegenden von den Russen wohlweislich zerstört worden seien. Die Engländer schlagen fürchterlichen Lärm auf und vielleicht auch die bekannten 6 Mill. Pf. St. aus dem Parlament heraus. Es waren auch andere Leute allarmirt; denn es ist nicht zu leugnen, die Russen haben neuerdings ein anderes System angenommen. Im Jahre 1854 kam der Diplomat Menschikoff nach Constantinopel mit nägelbeschlagenen Wasserstiefeln, während jetzt die russischen Soldaten wie auf Socken zu schleichen scheinen. Man (wer?) telegraphirle daher nach Petersburg und er hielt die Antwort: „Der Einzug ist nicht erfolgt, die englischen Nachrichten sind Dichtung." — Daß er nicht erfolgen werde, davon sagt die Depesche nichts und wir werden's wohl noch erleben, ohne sonderlich überrascht zu sein. Deutschlands loyale und uninteressirte Politik wird auf der Cosercnz keinen leichten Stand haben; nicht nur, daß die alte Klage wieder erschallt, „die Federn der Diplomaten wollen verderben, was das Schwert des Krieges errungen", sondern es wird auch anderer seits behauptet, in Oesterreich sei man sehr verstimmt gegen Rußland und wolle sich, ehe man in die Conferenz eintritt, ein Faustpfand nehmen. Es wird dabei sogar von der Besetzung Serbiens gesprochen. Man will wissen, Oesterreich sei auch von England verlassen, dieses unterhandle mit Rußland und beide hielten es für das Beste, sich auf friedlichem Wege zu verständigen und sich gegenseitig möglichst icl zuzngcstehen — auf Kosten der Türkei. Der Einmarsch der. Raffen in die türkische Hauptstadt ist also ' nicht erfolgt, wohl aber die Besetzung der VertheidigungSlinien von ' Konstantinopel, welche als eine der Waffenstillstandsbedingungen an- ; gesehen werden muß. Diese Bedingung war bisher der Welt unbe- ' kannt; um so mehr war man im Londoner Unterhause überrascht ! und in eine Aufregung versetzt, welche durch das Dementi von dem I erfolgten Einmarsch der Russen in Konstantinopel nicht mehr gedämpft ' werden konnte. Ueber den Abschluß der FriedenZbasen in Adrianopel bringt der j „Petersburger Regierungsbote" folgende anlhenlijche Mittheilung: l Nachdem die vorläufigen Basen für den Abschluß eines Waffenftill- ! standes, auf Grund dessen die Feindseligkeiten eingestellt wurden, von ! den türkischen Bevollmächtigten im Hauptquartier angenommen und unterzeichnet worden sind, befinden wir uns in der Lage, deren Wort laut milzutheilen. Wir erinnern daran, daß diese Basen lediglich zum Zwecke haben, dasjenige Terrain abzugrenzen, auf welchem der definitive Friede, sei es unter den Kriegführenden in Bezug auf die jenigen Fragen, die diese allein betreffen, sei es mit Rücksicht auf die Theilnahme der Großmächte in Betreff derjenigen Fragen, welche die europäischen Interessen berühren, verhandelt werden kann. Die Prä liminar« Friedensbedingungen, die durch den Großfürst-Oberkomman- direnden den türkischen Delegirten zugestellt wurden, sind folgende: 1. Bulgarien wird in denjenigen Grenzen, die sich aus der Majorität der bulgarischen Bevölkerung ergeben und in keinem Falle enger sein dürfen, als diejenigen, welche die Konstantinopeler Konferenz bezeichnet hat, zu einem autonomen Tribulär-Fürstcnthum erhoben, mit einer nationalen christlichen Regierung und einer aus Eingeborenen besteh enden Miliz. Die türkische Armee darf (von einigen Punkten abge sehen, welche im gemeinsamen Einvcrständniß noch näher zu bestimmen sind) in Bulgarien sich nicht aufhaltcn. 2. Die Unabhängigkeit Mon tenegros muß anerkannt werden. Montenegro wird ein Gebietszu wachs gesichert werden, der dem Umfange desjenigen gleichkommt, welchen das Schicksal der Waffen in die Hände Montenegros gebracht hat, die definitive Grenze wird später fcstgestelll werden. 3. Die Un abhängigkeit Rumäniens und Serbiens soll anerkannt werden, ersterem würde eine genügende Tcrritorialentschädigung, letzterem eine Grenz- rectificativn zugesicherl werden. 4. Bosnien und die Herzegowina werden mit einer autonomen Administration ausgestattet, und zwar unter ausreichenden Garantien; analoge Reformen sollen in den an deren christlichen Provinzen der europäischen Türkei eingeführt werden. S. Die Pforte entschädigt Rußland für die Kriegskosten wie für sonstige Verluste, die es sich hat auferlegen müssen;'der Modus hier für, sei es nun durch Baarzahlung oder durch territoriale oder durch andere Entschädigung, wird später geregelt werden. Der Sultan wird sich mit dem Kaiser von Rußland verständigen, um die Rechte und Interessen Rußlands in den Meerengen des Bosporus und der Dardanellen zu schützen. Die Zahl der türkischen Kriegsgefangenen in Rußland beträgt nach offiziellen Angaben 120,000 Mann, die in KarS, Sofia u. s. w. Vorgefundenen Kranken und Verwundeten nicht mitgerechnel. Die Zahl der genommenen Geschütze beträgt etwa 1000, die der gefangenen Paschas 30. Ueber eine russische Niederlage eigener Art berichten überein stimmend mehre aus Rumänien heimgckehrte Fuhrleute der „Krönst. Ztg.": Auf der Straß« zwischen Plojeschti und Bukarest geriethen sechs Fuhrleute, welche ausschließlich Champagner und Grohcr Käse von Kronstadt nach Bukarest zu verfrachten hatten, in eine unwegsame Straße. Die Wagen blieben stecken und froren schließlich ein, so daß den Leuten nichts Anderes übrig blieb, als mit ihren Pferden Unter kunft in einer mehre Meilen weit entfernten Station zu suchen. Unterdessen kam ei» Trupp Russen daher und befriedigte seine Neu gierde bezüglich des Inhalts der Champagncrkörbe und der Käse schachteln so lange, bis sie ein totales Plewna erlitten. Sechs Mann sind im Schnee liegen geblieben und erfroren; was mit dcrUcbrigen geschehen, ist unsern Gewährsmännern nicht bekannt. Thatsache ist es jedoch, daß von der gejammten Fracht, deren Werth mit 8000 Napoleond'ors angegeben war, nichts mehr vorhanden ist. ' Vermischtes. Am Sonntag vor 8Tagen starb in Löbau das Söhnchen eines Arbeiters auf der Plebanei, wenigstens hielten es die Eltern für todt, wuschen es, legten eS angekleidet auf einen Kasten und begaben sich dann zur Ruhe. Nach Mitternacht hört eine mit den Arbeilsleuten in demselben Zimmer wohnende Frau ein starkes Röcheln und Schluchzen. Sie steht auf, und was gewahrt sie? Das todt geglaubte Kind war wieder lebendig geworden. Das vermeintliche Wunder erschreckte die mittlerweile aufgeweckten Eltern so, daß sie im Hemde auf die Straße liefen. Durch die Kälte in die Stube zurückgetrieben, überzeugten sie sich endlich von dem Leben ihres Kindes, das sich jetzt ganz munter befindet. Von dem Paderborner Schwurgericht wurde dieser Tage ein Schneidermeister, der seinen Tod sowie sein Begräbniß singirt hatte, um die von ihm versicherte Summe von 1500 M. zu erhaschen, mit 3 Jahren Gefängnis; beglückt. Seine Frau die bei dem Betrug ge holfen und u. A. den Sarg mit Steinen gefüllt hatte, erhielt ein Jahr zudiclirt. In Koburg hat sich kürzlich ein eigenthümlicher Fall einer Blut vergiftung zugetragen. Eine Frau hatte sich nämlich am Schienebein verletzt. Sie zog rolhwollene Strümpfe an, welche mit der offenen Wunde in unmittelbare Berührung kamen. Bald fing die Wunde an sehr schlimm zu werden. Es stellte sich eine durch den mit Anilin gefärbten Strumpf hcrbeigeführte Blutvergiftung heraus, in deren Folge die Frau nach etwa 10 Tagen gestorben ist. Ein Fall der zur Vorsickt mahnt. In Biederitz, Neg.-Bez. Magdeburg hat sich kürzlich ein sehr bedauerliches Ereigniß zugetragen. Die H.'schen Ehelcuic hallen an enum Vormutage ihre beiden Knaben, 11 und 5 Jahre alt, allein in der Wohnung zurückgelassen und waren ihren Beschäfngungen nachgegangcn. Als Re Mutter um 10 Uhr zurrückkehrle, fand sie den älteren Knaben, an einem Stricke erhängt, todt vor. Die.Kinder hatten als Zeitvertreib, wie der jüngere Knabe aussagt, „Aufhängen" gespielt. Unglücklicherweise ist der Stuhl, auf den der ältere Knabe gestiegen war, umgefallen und so ans dem Scherz leider bitterer Ernst.geworden.