Volltext Seite (XML)
oder lang auch noch eine türkische Regierung vorhanden sein werde, mit welcher ein definitiver Friede geschlossen werden kann, und welche die Ausführung eines solchen zu verbürgen vermag. Im andern Falle würde die Besetzung von Constantinopel und das Erscheinen der europäischen Flotten im Bosporus unvermeidlich sein. Es wird immer wahrscheinlicher, daß die Friedenspräliminarien vor einigen Tagen noch nicht unterzeichnet waren, wie mehrfach ge meldet wurde. Die vollständige Schweigsamkeit des militärischen Telegraphen im russischen Hauptquartier konnte wohl dahin gedeutet werden, daß die Unterzeichnung irgend eines Friedensinstruments be reits erfolgt sei, aber gegen eine solche Annahme spricht die fort gesetzte Thätigkeit der Rumänen gegen Widdin, der Serben gegen das nur drei Tagemärsche von Prisen entfernte Defilö von Kalschanik und endlich die Fortsetzung der montenegrinischen Operationen gegen Skutari, Podgoritza und die am Nordende des Skutarisee's gelegenen Jnselforts von Grmoschur und Lcssendra, welch' letztere sich schon ergeben und den Rückzug Ali Seib Paschas nach Skutari zur Folge gehabt haben. Wie bekanntlich der „P. C." gemeldet ward, bringt man in Constantinopel die Verzögerung, welche die Unterzeichnung der Friedenspräliminarien erfährt, mit dem Widerstande in Verbindung, welchen die türkischen Bevollmächtigten der russischen Forderung nach einer temporären Besetzung Konstantinopels entgegensetzen. Nach einem Telegramm des „Rassischen Invaliden" aus Adriauopel vom 26. d. ist dort die Ruhe vollständig wiedcrhergestellt. Die Bevölkerung ist beruhigt, das öffentliche Leben hat wieder den gewöhnlichen Verlauf angenommen, die Bilden und Magazine sind wieder geöffnet, der Handel ist belebt. Oertliche und sächsische Angelegenheiten. Dresden. Es wird nach dem „Dr. Anz." beabsichtigt, in Neu stadt-Dresden ein Centralbahuhvfsgebüude für den Personenverkehr auf der Leipzig-Dresdner und sächsisch-schlesischen Bahn zu errichten, während eine Hauptstation für Güter bei den Trachauer Bergen her- gestellt werden wird. Von dieser Station aus würde ein direktes Gleis nach der schlesischen Bahn gelegt werden, so daß die Militär- ctablissements in der „Albertstadt" in unmittelbare Verbindung mit der Leipzig-Dresdner und der sächsisch-schlesischen Bahn kommen würden. Zur Zeit führt bekanntlich vom schlesischen Bahnhof ein todter Strang nach der an der Hinteren Seite des Provianthofes gelegenen Feld- bäckerci und Dampfmühle, um das Abladen des Getreides und das Einladen des für auswärtige Garnisonen bestimmten Brodes leichter aus bez. in die betr. Eisenbahnwagen zu bewirken. Das neue Dresdner Hoftheater ist selbstverständlich gegen Feuersgefahr versichert worden, und zwar zu verschiedenen Antheilen bei einer größeren Anzahl deutscher Feuerversicherungsanstalten, sowie bei einer in Sachsen konzessionirten englischen Gesellschaft. Die Ge- sammtversicherungssumme stellt sich auf 4,516,000 Mark. Freiberg. ' Wie der hies. „Anz." aus guter Quelle erfährt, ist das kürzlich vom hiesigen königlichen Bezirksgericht gegen den Agenten Heinrich Süß gesprochene Üitheil vom königl. Oberappellations- gericht in allen Punkten betätigt worden und hat sich derselbe seiner Einlieferung in die 'Strafanstalt Zwickau in den nächsten Tagen zu gewärtigen. Als Curiosum theilen die „Dr. Nachr." Folgendes mit: In seiner sog. Festrede beim Stiftungsfeste des Arbetter-Bildungsvereins in Dresden sprach sich der Agitator Most natürlich auch überaus mißbilligend über Vaterlandsliebe und dergl. aus. Kaunr hatte er das Podium verlassen, so iutonirten die Vereinssänger: „Wie schön bist Du, mein Vaterland. Nossen. Am 25. Januar brannte in dem benachbarten Dorfe Niedereula das dem Gutsbesitzer Richter gehörige, unmittelbar hinter dem Gasthof gelegene Gehöfte, das sogenannte Schenkgut, nieder. Der Vollmeier und seine Crben. Erzählung von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Lieber Himmel, Hauptmann, was will man beginnen ohne eigenes Vermögen, und auf die schmale Pension angewiesen? Wenn der Vollmeier um meine Emma würbe, ich wüßte wirklich nicht, ob ich die Sache so kurzweg von der Hand wiese. Unsere Töchter sind hübsche Mädel, aber immerhin keine solche Schönheiten, um auf reiche und vornehme Bewerber spekuliren zu können. Ein armer Lieutenant oder meinetwegen auch eiu Hauptmann ist nichts, ein Forstmann ohne Geld auch kein großes Glück, müssen knapp anbeißen, hab' Alles selbst durchgemacht. Da lob ich mir den Landmann, und dreißig bis vierzig Tausend Thälerchen Baarvermögen; wahrhaftig eine brillante Partie, Hauptmann!" Dieser hatte sich wieder still neben dem Forstmeister niederge lassen, schaute ihn mißtrauisch von der Seite an und hüllte sich, wie ein Jupiter, iu eine gewaltige Wolke. „Wäre mir auch immer noch lieber, als ein Fabrikant mit de mokratischen Grundsätzen und leerem Geldbeutel, der seine Fabrik in die Lust baut." „Das sag ich auch," lachte der Forstmeister, „obgleich ein solider Fabrikant mit dem nöthigcn Capital auch nicht zu verachten ist, bringt in solcher doch mehr Interessen aus dem Boden, als der Landmann." „Ja, Gelb und die Früchte des Schwindels, aber kein Brod; — haben indessen Recht, Forstmeister — meine Alma soll einen Land mann haben, nur muß er nicht älter sein als der Schwiegerpapa, das thut nicht gut, und was den Busse anbetrifft, so mag er anderswo anklopfen, bei mir wird dem alten Harpax nicht aufgethan." Bei diesen Worten erhob er sich, um nach den Kindern zu sehen, wie er vorschützte; der Forstmeister humpelte mit seinem Stelzfuß etwas besorgt nach, da er von dem Turnen der jungen Männer eine Ahnung haben mochte. Er schwatzte deßhalb auch recht laut hinter drein, um die Betreffenden zu warnen, und hatte die Freude die beiden jungen Damen ganz harmlos Arm in Arm ans die Väter zukommen zu sehen, während von den Turnern nichts mehr zu er blicken war. Der schlaue Forstmeister hatte seinen Zweck erreicht, indem er einen Scherz des Barons als Waffe angewendet hatte, um den Haupt mann von seiner Vorliebe für Säbel und Flinten auf den Pflug hinüberzulcnkcn. „Die Sache von dem alten Busse bleibt unter uns," flüsterte er ihm bedeutsam ins Ohr. „Na, ich werde doch nicht," lautete die Antwort des Haupt mannes. Der 15. September brach an, mit ihm der Geburtstag des Voll meiers Busse, ein erngnißvvller Tag besonders für die Erben, die, Jeder für sich, an diesem Tage des Onkels Zuneigung, seine besondere Gunst zu erringen trachteten. Leberecht, der Schuster, hatte heimlich ein Paar prächtige Schuhe angefertigt, an welchen er, da er sich noch immer ausschließlich dem Diensten Busses widmete unb darüber sein Geschäft ganz und gar ver nachlässigte, nur während der Nacht hatte arbeiten können. Sein Jakob sollte zwei Verse, das erste dichterische Erzeugniß des neuen Hans Sachs, declamiren, was der glückliche Vater natürlich als den Glanzpunkt des Tages betrachtete. Sein unermüdlicher Eifer im Dienst des Onkels hatte ihm auch des Oesteren schon großes Lob eingetragen, weshalb der brave Le berecht gewiß gegründete Ursache zu der Annahme haben mochte, ganz absonderlich im Testamente bedacht zu sein. Auch hatte er bereits die Ueberzeugunq von dem Vorhandensein eines Testaments gewonnen, indem der Onkel Tags zuvor in seinen Sonntagsrock nach der zwei Stunden entfernten Stadt gefahren war, und zwar, wie er selbst be deutsam bemerkte, zu dem Notar; was aber konnte er dort anders wollen, als ein Testament machen? Der Morgen des 15. Septbr. brach so recht sonnig leuchtend an. Johann Busse war, nach seiner Gewohnheit, früh aufgestanden, hatte seine Pfeife angezündet und heimlich das Haus verlassen, da er schon so Allerlei gemerkt, und dem „Trödel", wie er es nannte, aus dem Wege gehen wollte. Wie er nun so dahiuschritt, das graue Haupt schon recht gebückt, schaute er hinüber uach Blachfeld, wo er die meiste Zeit seines Lebens zugebracht hatte. Wunderliche Gedanken kamen über ihn, es war ihm leibhaftig, als wandelte der alte Kühne an seiner Seite, und neben diesem der Wühelm, dessen Erbfrist heute ablief. „Dummes Zeug," murmelteer, schnellerausschreitend. Da stand er Plötzlich bei einer Biegung des Weges vor dem Baron und dem Hauptmann, die so früh schon auf die Jagd wollten. „Guten Morgen Buffe," rief Ersterer, „gut, daß ich Euch treffe, da kann ich ja gleich zum Geburtstag gratuliren." Er schüttelte ihm die Hand, und auch der Hauptmann fügte seinen Glückwunsch hinzu. Der Vollmeier dankte schmunzelnd und meinte, das müsse ihm für diesen Tag recht viel Glück bringen. „Das hoffe ich auch, Busse," sprach der Baron neckend, „Eure zärtlichen Verwandten werden gewiß viele Uebelraschungen für Euch parat haben, oder seid Ihr schon überrascht worden?" „Noch nicht," versetzte Buffe, „verlange auch nicht danach, hoffen ja doch nur darauf, daß ich's doppelt wieder bezahle; na, soll mir auch nicht darauf ankommeu," setzte er hochmüthig hinzu. „Was meinen Sie, Herr Hauptmann," wandte sich der Baron gut gelaunt zu Spaldingj „sieht der Vollmeier heute Morgen nicht geradeaus, als ginge er auf Freiersfüßen? Wahrhaftig, Busse. Ihr solltet den hungerigen Erbschleichern, die nur auf Euren Tod lauern und denselben kaum erwarten können, einen rechten Possen spielen und Euch noch schließlich eine Frau nehmen." „Das fehlte mir," brummte Busse, „obgleich ichs meiner Sipp schaft wohl gönnen möchte." „Richt wahr, seid noch immer ein respektabler Mann, der reichste Hofbesitzer in der Runde! Ich stehe dafür, Busse, daß selbst der Herr Hauptmann hier Euch seine Tochter nicht weigern wurde." „Oho, das wäre doch die Frage," rief Spalding entrüstet. „O, fürchten Sie nichts, Herr Hauptmann!" fiel Busse spitzig ein, „ich bedanke mich denn doch für eine Dame, die heimlich mit jungen Herreu promenirt." „Wie? Was? Ist der Kerl toll geworden?" schrie der Hauptmann. „Nein, bin bei vollem Verstände," lachte der Vollmeier hämisch, „hab's noch gestern mit meinen Augen gesehen, wie das Fräulein Spalding mit dem jungen Herrn Rcinkmg, den amerikanischen Tech niker, der hier mit noch einem andern Schwindelmeier Lustfabriken anlegen will, spazieren ging; ja, ja. Arm in Arm, Herr Hauptmann, und geküßt wurde auch,' Prosit, dachte ich, aber für mich ist das doch nichts, hä, hä, hä!" Der alte Spalding stand einen Augenblick wie erstarrt, dann aber riß er die Flinte von der Schulter und hätte sicherlich ein Un glück angerichtet, wäre sie ihm nicht im selben Augenblick von dem Baron entrissen worden. „Diesen Schimpf mir!" tobte der Hauptmann und blickte dann plötzlich starr in die Ferne, als sehe er ein Gespenst. „Sieh', da kommt der jnnge Herr wie gerufen," sprach Busse hämisch, „nun mag er sich selbst verantworten." Wirklich kam Rudolf Reinking rasch dahergeschrittcn; er stutzte freilich ein wenig, als et die Herren erblickte, doch kam er unbefangen näher und zog freundlich grüßend den Hut. „Halt!" donnerte ihm der Hauptmann entgegen, „stillgestanden junger Herr! Qrdre parirt!" „Was beliebt, Herr Hauptmanu?" fragte Rudolf, der diesen militärischen Anruf für einen Scherz hielt. „Antwort will ich auf eine Frage! — Haben Sie sich erkühnt, hinter meinem Rücken meine Tochter zu Zusammenkünften zu ver leiten, ihren guten Ruf zu vernichten?" Rudolf erblaßte, doch faßte er sich rasch und entgegnete: „Er lauben Sie Herr Hauptmann, Ihnen die Antwort auf diese Frage, welche meine Ehre sowohl, wie die Ihrige betrifft, unter vier Augen zu geben." „Nichts da!" donnerte der Hauptmann mit heiserer Stimme, „die Kinder auf deu Gaffen wissens ja doch schon, und der Herr Busse hier hats gestern mit eigenen Augen gesehen." „Ihnen also habe ich diese Scene zu verdanken?" wandte sich Rudolf zu dem Vollmeier, „dafür werden Sie Ihrem Schicksale nicht entgehen. „Das ist eine lebensgefährliche Drohung," rief Busse, „und sieht dem Lassalleaner ähnlich." „O, unbesorgt," spottete der Hauptmann in seiner Wuth, „der junge Herr fürchtet sich vor einer Waffe, er zittert vor einer unge ladenen Flinte." „Meinen Sie, Herr Hauptmann?" sprach Rudolf lächelnd. „Erlauben Sie mir Ihre Flmte, Herr Baron!" wandte er sich höf lich bittend an diesen,