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Donnerstag, 28. September 1905. Beilage zu Nr. 115 An unsere Leser! Am 1. Oktober tritt das „Wilsdruffer Wochen blatt" in das 4. Quartal seines 64. Jahrganges ein. Wir laden zu recht zahlreichem Abonnement ein mit dem Versprechen, auch in Zukunft darauf bedacht zu sein, dak das „Wochenblatt für Wilsdruff und Umg." seine Aufgaben als Lokalblatt allenthalben erfüllt. Der Inhalt des „Wilsdruffer Wochenblatt" ist stets streng dem Interesse seines Lesekreises angepaßt: aller überflüssige Ballast wird durch peinliche Sichtung des Stoffes vermieden, alle wichtigen Vorgänge auf dem Erdenrund werden in übersichtlicher Anordnung des Stoffes nach Maßgabe ihres Interesses für die Leser registriert. Vor Allem wenden wir der Ausgestaltung des lokalen Teiles alle Sorgfalt zu; die Ereignisse in Stadt und Land werden gewissenhaft registriert, Berichterstatter in den verschiedenen Orten des Bezirks unterstützen uns hierbei durch ihre Mitarbeit. Es erübrigt sich, hier einzeln anzuführen, was das „Wilsdruffer Wochenblatt" bietet; unsere Leser wissen, wie wir unsere Aufgaben als Lokalblatt auffassen, und Interessenten, die noch nicht zu unserm Leserkreis zählen, erhalten gern Probeuummern. An unsere Leser richten wir die höfliche Bitte, in Freundeskreisen Abonnenten für das „Wilsdruffer Wochen, blatt" zu werben bezw. uns Adressen aufzugeben, an welche wir Probenummern senden können. Man bestellt das „Wilsdruffer Wochenblatt" in Wilsdruff bei der Geschäftsstelle und Ausgabe, stellen (Bruno Gerlach, Ernst Adam, Bertha verw. Major, Bruno Klemm), in nachfolgenden Orten beiden Ausgabestellen, die das Blatt noch am Abend des Erscheinens den Lesern zustellen, und zwar in Birkenhain-Limbach: bei Herrn Gemeindediener Zöunchen, Limbach, Blankenstein: bei Herrn ArbeiterZeller, Blankenstein, Grumbach: bei Frau verw. Köhler, Grumbach, Helbigsdorf: bei Herrn Kaufmann Nestler, Helbigs. dorf, Herzogswalde: bei Herrn Julius Böhme, Herzogs- walde, Kaufbach: bei Herrn Gemeindedirner Mätzig, Kaufbach, Keffelsdorf: bei Herrn Hermann Becker, Kesselsdorf (im Hause des Herrn Bäckermeister Gilbricht), Klipphausen-Sachsdors: bei Herrn Zigarrenmachcr Schindler, Klipphausen, Mohorn: bei Herrn Ernst Kandler, Mohorn, Röhrsdorf: bet Herrn Wirtschaftsbesitzer Reißig, Röhrsdorf, Sora, Lampersdorf und Lotzen: bei Herrn Wirt schaftsbesitzer Rentzsch, Lotzen, in den übrigen Orten bei den Postboten und Postanstalten. Hochachtungsvoll Verlag und Redaktion des Wilsdruffer Wochenblattes. Asnig Alexanders Nachlaß unter dem Hammer. Die Tragödie, die sich vor mehr als zwei Jahren im Konak in Belgrad abspielte, erfährt gegenwärtig in Wien ein beinahe heiteres Nachspiel, in das sich nur gerade so viel Schauerliches mischt, wie für moderne, sensationsbe dürftige Menschen angenehm ist. Königin Natalie als Erbin des ermordeten Königs Alexander hat nicht einmal den Wunsch gefühlt, den Nachlaß des Sohnes, der ihr zufiel, in Augenschein zu nehmen; denn an allem klebt das Andenken der Abenteurerin Draga. ... Am liebsten hätte sie die ganze Einrichtung dem neuen König überlassen, und dieser wäre auch geneigt gewesen, sich auf solche Weise billig in den Besitz einer einigermaßen königlich zu nennen den Haushaltung zu setzen. Aber Natalie verlangte bare Bezahlung, und die kann Peter nicht leisten — auf die angeborenen Raten ließ sich die kluge Witwe Milans aber nicht ein. So war Belgrad nicht der richtige Markt, um den Nachlaß loszuschlagen, und die Königin verfiel auf das nicht allzu entfernte Wien. So ist denn der ganze Konak Milans, Alexanders und Dragas ins Wiener Versatz- und Versteigerungsamt, in das überaus populäre „Dorotheum", versetzt worden. Die in großartigen Dimensionen angelegten Säle des Amtes wurden genau so eingerichtet, wie es die Fest- und Wohnräume des Konaks waren. Oberkommissär Heiter, der in Belgrad die Verpackung überwachte, ließ Photo- graphien anfertigen, und nach diesen fand in Wien die Aufstellung statt, mit der sich wochenlang ein Wiener Maler von Ruf befaßte. Die Ausstellung hat bereits be- gönnen und lockt täglich ein überaus zahlreiches Publikum ins Dorotheum. Sie umfaßt die vollständige Einrichtung von sechzehn Zimmern, das Glas, Porzellan und Silber der königlichen Haushaltung; nur die Wäsche fehlt und das, was im ersten Durcheinander nach dem Mord ge- stöhlen wurde. Doch haben die Diebe vielfach kein Glück gehabt, denn während z. B. der große Silberschrank seine 71,000 Gramm wiegenden 700 Stück Bestecke jeder Art beinahe vollzählig aufweist und zum Ausrufspreis von 7720 Kronen (6500 Mark) angesetzt werden konnte, haben die Holzkassetten und Koffer mit Christofle-Bestecken bedenk liche Lücken, die sie stark entwerten. In einer Kassette, die 148 Gabeln enthält, befinden sich nur 80 Messer, man kann sich die Enttäuschung vorstellen, welche die Beute lustigen erlebten, als sie die Qualität des geraubten Gutes erkannten. Obgleich nun in der Vorrede zum künstlerisch ausge- statteten Katalog, den das Dorotheum herausgibt, wieder- holt feierlich versichert wird, es gelange kein einziger Gegen stand zur Auktion, der sich in jenem Raume befand, in dem sich die Königstragödie abgespielt, es sei die ganze Einrichtung verbrannt und der alte Konak dem Erdboden gleich gemacht worden, so wollen doch die Stimmen nicht verstummen, welche behaupten, es sei so manches ausge- stellt, das sich im unmittelbaren Gebrauch Alexanders und Dragas befand. Weit entfernt davon, das Interesse von den Gegenständen abzulenken, erhöht es dieser Umstand, und ein großes Mahagouie-Doppelbett wird mit behag- üchem Gruseln Tag für Tag umstanden, weil man nicht glauben will, es sei das Bett der Königin Natalie, sondern sich einbildet, es sei das Ehebett Alexanders und Dragas gewesen. Das große Schaustück der Ausstellung ist die arabische Zimmereinrichtung, deren Wandverkleidung und bunte Glas fenster König Milan erstand, als er Persien bereiste und diese Uebcrreste einer seltenen alten Kunst in einem alten Kramladen vorfand, den er samt Inhalt kaufte. Erbaute den Raum dann mit großer Liebe aus und füllte ihn mit Hunderten von seltenen orientalischen Sachen an, unter denen sich sehr schöne Teppiche befinden, die wohl viele Kauflustige anlocken werden. Die orientalischen Gegen stände sind überhaupt diebegehrenswertesten; davon dürfte Milan trotz seiner westlichen Kultur, noch am ehesten etwas verstanden haben. Beim Porzellan europäischer Manu- faktur scheint die Königsfamilie keinen großen Unterschied zwischen echt und modern, zwischen schön und abscheulich gemacht zu haben. Dies gilt auch von der kleinen Bilder galerie, in der nur ein von Stuck selbst nach seinem Bild „Die Sünde" gezeichnetes Pastell großen Wert hat. Zwei Kohlenzeichnungen von Pausinger, eine Ophelia von Gabriel Max und eine lebensgroße Ninetta von Blaas sind noch mit hohen Preisen angesetzt. Alle anderen „Kunstwerke" bewegen sich in der Preislage zwischen 10 und 100 Kronen. Unter den zahllosen Vasen, die auf allen Tischen, Kommoden und Etageren herumstehen, erregen das Interesse des Publikums zwei aus der Berliner Porzellanfabrik stammende, die Kaiser Wilhelm seinerzeit König Milan zum Geschenk gemacht hat. Die Vasen zeigen mit minuziöser Detail arbeit hergcstcllte Porträte des Kaisers und der Kaiserin und sind mit dem Ausrufspreis von 200 Kronen (170 Mark) angcsetzt. Viel größer sind die Sevresvasen, die König Milan von verschiedenen Präsidenten der französischen Republik zum Geschenk erhielt. Die des Präsidenten Car not ist einen Meter hoch und mit zwei Bildern des be rühmten Marinemalers Garnerey geschmückt: der Reise Kolumbus und der Entdeckung Amerikas. Sie wird mit 1500 Kronen (1275 Mark) ausgerufeu. Als Kunstwerk allererster Güte wird ein Seidenteppich gepriesen, den der Sultan dem König Milan zum Geschenk gemacht und den die eingewirkte Legende schmückt: „In der Privatfabrik des Sultans zu Hörsks hergestellt." lieber den Teppich, der 210 cm lang und 145 cm breit ist, wird verbreitet, daß die Herstellungskosten 25,000 Frank betrugen. Angesetzt ist er mit 2000 Frank: es sind aber zahlreiche Teppiche in der Sammlung, die bei nied rigem Preis viel schöner sind. Die Auktion des Nachlasses beginnt am 10. Oktober und wird voraussichtlich eine Woche dauern. Mit dem Erlös, der wohl über 100000 Kronen betragen wird, sollen in erster Linie die noch unbezahlten Rechnungen der Könige Milan und Alexander sowie der Königin Draga beglichen werden, und den Rest will Königin Natalie für wohltätige Zwecke verwenden. Aurze Chronik. Ein Gendarm von Zigeunern erschossen. Der Gendarm Frank aus Geseke wurde bei Lichtenau im Kampfe mit Zigeunern durch eine Revolverkugel so schwer verletzt, daß er seinen Wunden erlegen ist. Die Bande ist entkommen. «i Goldsucher. Roman von Edela Rüst. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Küssen Sie mir nicht dafür die Hände — wenn es mir gelingt, löse ich nur eine große Schuld ein; denn ich werde nie vergessen, wieviel ich Ihnen danke!" „Danken Sie mir nicht, es war auch nicht Güte, was wich trieb, Sie zu fördern, aber von heute ab wird es Güte sein, nichts als Güte, die mir selbst die heilendste Medizin werden soll." „Und nun gleich angefangen — die schwere, klebende Tolle aus der Stirn —, so, sehen Sie, die Hamletlocke tut es auch und macht das ganze Gesicht offener und schöner. Nein, nein, lassen Sie es bitte so, Sie werden sich selbst bald daran gewöhnen. Und nun laß jeden heut oder morgen den braunblauen, nußgroßen Flecken entdecken und sich ein bißchen verwundern. Ich schwöre Ihnen, er wundert sich bald aus und sieht ihn unter der leichten Locke kaum er ist ja so glücklich bis in die Haar- wurzeln gekrochen, daß eigentlich nur noch ein Schattenrest auf der Stirn hängen geblieben ist! Es ist ja so lächer lich: als ich davon hörte, schauderte ich, wenn ich sie sah, und jetzt, seit ich sie sehe und weiß, sehe ich cs schon fast mcht mehr! Und damit wird die Qual von Ihnen weichen; denn Ihre ganze Qual ist nur das Geheimnis gewesen, das böse Gwissen vor den anderen. Versprechen Sie mir, an meine Kur zu glauben und mich auf keinen Fall als Kurpfuscher vor die Schulmediziner zu schleppen." Und nun lachten sie und planten scherzend an der nächsten Zukunft. Eva lachte wirklich aus freiem Herzen. Swansen lachte, um ihr das Spiel nicht zu verderben. In seinem Inneren weinte er die blutigsten Tränen seines Lebens; denn er wußte, heute formte sich alles das, was Evg bisher an Liebe, Haß und Grauen für ihn in ver wirrendem Gemisch empfunden, alles dies Durcheinander formte sich in dieser Stunde zu einer tiefen, unzerstör- baren Freundschaft um. Er aber hatte nach ihrer Liebe geschrieen — in allen Tonarten, hohen und tiefen, in guten und bösen. In all ihrer Güte sprach sich ein so klares Ueber-der- Sache-stehen, ein Uuberührtscin der eigenen Psyche aus, wie es einer liebenden Frau in solch einem Augenblick wildfremd gewesen wäre. Und jetzt unter diesem lachenden Zwang sargte Swansen etwas ein, freilich — zum Begraben hat er noch nicht den Willen. * 2 Auf der Reise wurde er dann auch innerlich munterer und zu Evas Freude immer mehr der alte, der alle Welt und ganz im besonderen Fräulein Lucie von Wächter mit seinem frischen Zauber bestrickte. Das Mal, das die große Locke verschleierte, aber nicht mehr versteckte, schien von den wenigen bemerkt zu werden, trotzdem er jetzt in Hellem Uebecmut öfter und öfter mit einer wohleinstudierten Kopfwendung die Locke aus dem Gesicht warf. Er, der selbst immer nur den verhängnis vollen Reflex im Spiegel gesehen hatte, fing jetzt an, sich davon zu überzeugen, daß er nur nötig hatte, das Spiegel- Visavis zu meiden, aber nicht das nahe Gegenüber seiner Mitmenschen, um sein Kainszeichen als solches nicht mehr zu empfinden. Ec sprach zu weilen offen darüber und machte die Erfahrung, daß er den Damen dadurch nur interessanter wurde, ganz wie Eva es vorausgesetzt hatte. Er, mit allen Kniffen und Ränken der Eroberungskunst vertraut, hatte sich hierin ergeben, und, in stillem Grauen vor sich selbst, sein Abzeichen als die Tragödie seines Lebens mit sich herumzutragen. Warum hatte man ihm seine Kinderjahre nicht vergiftet, daß man unter großem Weh und Ach immer nur darauf bedacht war, diese „Abnormität" zu verstecken! Als acht jähriges Kind hatte seine Mutter ihn eines Morgens vor dem Spiegel dabei überrascht, als er mit Nägeln und Messern das Stirnauge ausstechen wollte, da die Jungen in dem Nest ihn „Drei-Aug" getauft hatten und ihn als „Barnum-Schaustück" bei jeder Gelegenheit en mass« ver prügelten. An der Wunde, die er sich unter heißen Kindertränen zugefügt, hatte er lange Jahre zu doktern gehabt, aber als sie endlich verheilt war, hieß es: jetzt ist es nicht mehr ganz so schlimm, Gott sei Dank! Ihm blieb es schlimm genug! Auch als die breite Haartolle endlich so trainiert war, daß sie mit einiger Nachhilfe wie angeklebt auf der Stirn lag und vor ihm selbst verdeckte, woran er nicht hundertmal am Tage er innert sein wollte. Jetzt, zuletzt, nach all den Jahren geheimer Furcht und Qual, sah er sich auch hier als Sieger. * * Im Sommer ging es mit derselben Vergnüglichkeit durch die Bäder, Lucie von Wächter immer als Dritte im Bunde. Im August wurde dann Evas Eltern zu Liebe in Wiesbaden feste Station gemacht. Dieses Mal war Tante Alexandra auch einer Kur bedürftig befunden, und Eva staunte über die Veränderung, die mit der alten Dame vorgegangen war. Alexandra von Coßnitz, die alle Familien. Ambitionen lange auf immer begraben hatte, bereitete sich nur nocb auf das Sterben vor. Sie hatte mit ihrem Gotte Frieden gemacht und strebte nur noch dem einen Ziele zu: in Schönheit zu sterben, da es ihr nicht ver gönnt gewesen war, in Schönheit zu leben. Sie war fromm und ging am Sonntag zweimal in die Kirche. Sie schüttelte ihr greises Haupt nicht mehr in Zorn und Entrüstung, sie widersprach ihrem Bruder nie mehr, trug lebende Blumen am toten Busen und hüllte sich nur noch in Feiertagsgewänder. Ein liebliches Lächeln umschwebte ihre blassen Lippen, ein verzückter Glanz stand in ihren matten Augen, als blickte sie unverwandt zum Kreuze ihres Erlösers empor und — der Hauptmann schwur darauf m T t" n, k in ir e- >r >e e it l n S