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Beilage zu Nr. 119. Sonnabend, 7. Oktober 1905 Preisrätsel. Als der Christian ging zur Schule, Tai er redlich seine Pflicht, Doch so viel er auch sich mühte, Just der Erste war er nicht; Und sein Können, wie am Schlüsse Es der Schuldirektor nennt, Lautet, lvie das Ratselwort sich Präsenneret, wenn getrennt. Da der Christan älter worden, Nahm er Spat' und Hack' zur Hand Und bebaute, wie der Vater, . Fleißig das ererbte Land; Hier, da zeigt er sich als Erster, Immer iveiter kam er fort, Und sein Stolz ans dieses Können, War das ganze Rätjelwort. Für die richtige Lösung des Preisrätsels setzen wir eine Bücher-Prämie aus, und zwar wird unter den- jenigen richtigen Lösungen gelost, die bis Mittwoch mittag i« der „Redaktion des Wilsdruffer Wochenblattes" mit der Aufschrift: „Preisrätsellösung" eingegangen sind. Um Unzuträglichkeiten hei der Auswahl der Ge winne zu vermeiden, muß die Lösung außer dem Namen und Wohnort auch die Altersangabe des Einsenders ent halten. Vermischtes. * Ei» englisches Loblied ans die deutsche Technik. Die Stimmen mehren sich bei den Engländern, die bei der Besprechung der wirtschaftlichen Rivalität zwischen dem eigenen und dem deutschen Volke nicht dem Aerger und der Mißgunst Raum geben, sondern durch sorgfältige Beobachtung der deutschen Methoden den Grund der deutschen Erfolge erkennen wollen, um für sich selbst die Nutzanwendung daraus zu ziehen. So veröffentlicht der Schriftsteller I. L. Bashford, der viele Jahre als Korrespondent der „Times" in Berlin lebte, im Oktober heft der „Fortnightly Review" einen bemerkenswerten Artikel über die „technische Ausbildung in Deutschland", in dem er der deutschen technischen Erziehung ein wahres Loblied singt. Die Deutschen, so führt er aus, machen beständig Fortschritte, während die Engländer sich mit vagen Experimenten begnügten und im übrigen in demselben Schlendrian verharrten. Rudyard Kipling stünde mit seiner Spötterei über das „Made in Germany" durchaus nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Nicht in der Produktion billiger und schlechter Waren hätte die deutsche Industrie jetzt den Vorrang, sondern gerade in der Herstellung der besten und teuersten Artikel. Der Fortschritt der deutschen Industrie in den letzten zwanzig Jahren wäre besonders in den Zweigen auffällig, in denen die geschickte Ver wertung wissentschaftlicher Kenntnisse erforderlich ist, so z. B. in der Elektrizitätsanlage, im Lokomotivenbau, in der Maschinenbaukunst überhaupt, wie auch in der Her stellung der schönsten und kostbarsten optischen Werkzeuge und Laboratoriumsinstrumente. Im Schiffbau wären die Engländer nur mit dem billigen Frachtschiff voraus, aber der größte und schönste Dampfer wäre kürzlich auch wiederum in Deutschland vom Stapel gelassen worden. Früher kamen deutsche Ingenieure nach England, jetzt steht man nur noch selten den jungen deutschen Studenten in einer englischen Werkstatt. Wie ist nun dieses Uebergewicht der deutschen Industrie über die englische zu erklären? Bash ford findet mit vielen anderen Autoritäten, wie Professor Armstrong und Professor Meldola, die sich über diefen Punkt geäußert haben, die Antwort darauf in der über- legenen Ausbildung, die deutsche Studenten empfangen. * Ein entthronte Königin. Aus Paris wird berichtet: Ranavalo, die entthronte Königin der Mada gassen, die die Franzosen aus ihrer Heimat entführt und nach Algerien verbannt haben, kommt wieder nach Paris. Die französische Regierung hat der armen Königin auf vieles Bitten die Erlaubnis dazu erteilt, nachdem sie ihr diese zunächst lange verweigert hatte — man kann nicht verstehen aus welchem Grunde oder aus welcher Befürcht ung. Auch jetzt noch wird die Königin nicht in Parts selbst bleiben können, sondern ohne Aufenthalt durchfahren und nach Saint-Germain begeben, wo ihr eine Villa zur Verfügung gestellt ist, nicht von der Regierung, sondern von einer ihr bekannten Dame. Sie darf aber von Zeit zu Zeit „inkognito" nach Paris kommen, um Einkäufe zu besorgen und Museen zu besuchen. So wird ihre große Sehnsucht nach dem Glanz und der Pracht der französischen Hauptstadt wenigstens etwas befriedigt werden. Sie hat es sich dereinst wohl nicht träumen lassen, daß sie noch ihr Leben als Verbannte und in ihrer Bewegungsfreiheit stark beschränkt beenden würde. Sie mag oft traurige Vergleiche anstcllen, wenn sie ihre heutige Lage ansieht, und an die Zeit zurückdenkt, da sie selbst Hof hielt und in einem goldgewirkten Kleide erschien, von Sklaven auf einem Throne getragen, und all die vornehmen Mada- gassen, ja auch die europäischen Diplomaten, sich tief vor ihr beugten und ihre Hofleute stolz waren, wenn ihre Königin sie würdigte, sie aus ihrem Bade ein wenig mit Wasser zu bespritzen. Zu der Reise, die Ranavalo jetzt mit gütiger Erlaubnis des französischen Kolonialministers nach Frankreich unternommen hat, hat sie Vorbereitungen getroffen, als gelte es an das andere Ende der Welt zu gehen. Jetzt endlich wird ihre Sehnsucht erfüllt, und sie wird aus der Lethargie, in die sie die Monotonie ihres Lebens in Algerien versenkt zu haben schien, zu ihrer alten Lebenslust erwachen. Man sagt sogar, sie wolle wieder — heiraten. Ihr erster Gatte ist bekanntlich in Algerien gestorben. * Ein Doppelleben führte lange Zeit eine junge , Frau, bis ihm die Berliner Kriminalpolizei wenigstens > für Berlin ein Ende machte. Die Sechsundzwanzigjährige war früher Stewardeß (Aufwärterin) auf Ozeandampfern und viel gereist. In Amerika lernte sie einen Mann kennen, der sie heiratete, aber bald wieder sitzen ließ. Jetzt kehrte sie aufs Schiff zurück und kam nach Norwegen. Dort;, verwandelte sie sich, um besser durch das Leben zu kommen, in einen Mann und arbeitete in einer Schreibmaschinen- fabrik zur größten Zufriedenheit, bis die Sehnsucht nach ihrer Mutter, die in Berlin lebt, sie nach der deutschen Reichshauptstadt trieb. Hier lebte sie seit Februar d. I. § wieder als Frau. Die letzten drei Wochen hatte sie eine „ Schlafstelle in der Kastanienallee. Dort ließ sie sich das q Haar abschneiden, verkaufte es und schaffte sich Männer- kleider an, wurde wieder ein Mann und wußte die Maske x in allen Teilen sehr täuschend zu gestalten. Auf den Namen ihres Mannes gemeldet, war sie acht Tage in einer Fabrik p beschäftigt, ging dann zu einem Malermeister und stieg , kühn auf die höchsten Gerüste. Die Täuschung hätte wohl „ noch lange vorgehalten, wenn nicht die Wirtsleute in der Kastanienalle gewesen wären. Denen hatte die abenteuer- x. lustige junge Frau zur Erklärung ihres seltsamen Ge- , bahrens allerhand vorgcflunkert. So hatte sie auch erzählt, , sie habe bei einem Regiment einjährig gedient und sei x, fahnenflüchtig geworden. Deshalb trage sie zuweilen als h Mann noch Frauenkleiduug, wenn sie glaube, daß ihr ,, Gefahr drohe. Die guten Leute versprachen natürlich strengste Verschwiegenheit, um so bald als möglich guten , Freunden und Bekannten von ihrem geheimnisvollen Mieter , zu erzählen. Nun erfuhr auch die Polizei davon und ,, Beamte holten den fleißigen Maler in der Pappelallee , vom Gerüst herab zum Verhör. Hierbei fand denn nun das Doppelleben eine harmlose Aufklärung, aber zugleich , auch sein Ende. Beim Verlassen des Polizeipräsidiums aber stopfte sie sich eine Pfeife, zündete sie an und zog mächtig qualmend von dannen. * Mit Zyankali hat sich am Montage in Berlin der in dem Hause Oranienstraße 163 wohnende 69 Jahre alte Lylograph Theobald von Bore us (oder Borno) ver- - giftet. In einem hinterlassenen Briefe sagt er, daß ein amerikanisches Duett, das schon 20 Jahre zurückliege, ihn dazu veranlaßt habe. Nach den von ihm hinterlassenen Papieren war von Boreus in Amerika. Dort kam ihm, so erzählt er, in einer Gesellschaft ein Mädchen entgegen- gesprungen, als ob es ihn umarmen wollte. In der Meinung, daß sie geisteskrank sei, habe er die Ungestüme zurückgcstoßen. Schweigend habe das Mädchen die Gesell schaft verlassen. Am nächsten Tage sei es als Leiche aus dem Wasser gezogen worden. Ein Angehöriger der Toten habe ihn nun zum amerikanischen Duell gefordert. Er habe die schwarze Kugel gezogen und sich damit für den Hieberäramen. Aus den Erinnerungen eines Polizeioffiziers. „Nein, nein! Herr Leutnant! Sie können es wirklich glauben. Von uns Eltern läßt sich das Mädchen das nich mehr ausreden. Sie hat sich die Geschichte mit dem jungen Menschen nun einmal in den Kopf gesetzt, und da is nichts nich mehr zu wollen. Aber, wenn Sie vielleicht so jut sind wollten, und sich unse Hete mals aufs Bureau bestellen UN ihr 'n Kopp orndlich zurechtsetzen — das hilft bestimmt. Vor de Pollezei hat se denn doch Mann- scheiten!" . . . Alle Vorstellungen darüber, daß ich zu derartigen väterlichen Ermahnungen weder berechtigt noch die richtige Instanz, noch überhaupt geneigt sei, vermochten nicht die einfache Frau zu überzeugen. Sie blieb bei ihrer naiven Bitte, ging dann zur ukims rutio der Frauen — zu Tränen — über und ließ sich schließlich nur durch die von mir im Nebenamt als Mensch gegebene Zusage beruhigen, in ihrem, der Mutter, Sinne und Beisein mein Möglichstes versuchen zu wollen; natürlich ohne jede Verbindlichkeit für — Erfolg. Und so erschien denn die gute Frau auch richtig am nächstfolgenden Sonntagvormittag in Begleitung deS blonden Starrköpfchens, einer bildhübschen, kleinen Berliner Range von höchstens 16 Lenzen, zur Vornahme der eigenartigen Moralpredigt. Ich sagte, was ein preußischer Leutnant, der verheiratet und „auS dem Schneider heraus ist", in sotaneu Fällen zu sagen pflegt. Ein Sechziger konnte nicht zu Herzen gehender und ehrsamer das zum Ausdruck bringen, worauf es hier ankam. Wider Erwarten hörte die Kleine denn auch andächtig zu. Es entging mir zwar nicht, daß meine anfänglich mit scheuer Neugier be trachtete werte Persönlichkeit mit dem Erblicken des Trau ringes an meiner Rechten für sie jedes weitere Interesse und damit einen großen Teil ihres Prestiges verloren hatte. . . Sichtlich geläutert verließ die schöne Hedwig - mit »ankbarem Augenaufschlag die gramdurch^urchte Mutter >en Sitzungssaal. Mit dem angenehmen Gefühl, ein unges Menschenleben — vielleicht — gerettet oder doch vor eelischen Schaden bewahrt zu haben zündete ich mir eine gute Mittelzigarre an und trat, innerlich doch ein klein wenig stolz auf das getane Werk der Nächstenliebe, auf den Balkon hinaus, um „mit vergnügten Sinnen auf das beherrschte Samos" hinzublicken. Aber, o Graus! Mutter und Tochter, die ich soeben noch hatte friedlich von dannen gehen sehen, waren miteinander schon ander nächsten Straßenecke derartig „in die Wolle" geraten, daß es der Engelszungen meiner behelmten Myrmidonen be durfte, beide zu entwirren. Mit der „Angst vor der Po lizei" schien es also nicht weit her zu sein, und es war vor auszusehen, daß, wie in den meisten derartigen Fällen — alle Liebesmühe umsonst sein, alles beim alten bleiben würde. Wer beschreibt aber mein Erstaunen, als ich wenige Tage später gelegentlich des von mir versehenen „Zirkusdienstes", in einer der Nebenlogen Schön-Hedwig mit ihrer Mama in trautester Unterhaltung mit dem ver haßten Streitobjekt von ehegestern erblickte. Als sei nicht das geringste vorgefallen, erfreuten sich alle drei bei Lachs brötchen und reichlichem Getränk an den tollen Späßen zweier Clowns. Schon bis hierher war der Fall geradezu typisch für den bedauerlichen, immer wiederkehrenden Ent wickelungsgang der meisten derartigen „Verhältnisse" in der Großstadt, soweit sie sich sozusagen unter den Augen schwacher Eltern entspinnen und — weiter vegetieren: der jähr, echt weibliche, jeder Logik und Ueberlegung bare Wechsel in Anschauungen und Einschließungen im Gemüt derselben Mutier, die noch drei Tage vorher mein Ein- schreiten erbeten hatte— das in den Tag hinein lebende und denkende „junge Ding", das schon in unverhältnis mäßig jungen Jahren seinen „Platz an der Sonne" der Liebe beanspruchen zu müssen glaubt — der nicht an gestern, geschweige denn an morgen oder gar an übermorgen denkende junge Mrnn mit Portokasse, der die Feste und die Mäd chen feiert, wie sie fallen. . . Typen, wie gesagt, die mit geringfügigen Abweichungen immer von neuem dasselbe soziale KcankheitSbild des sogenannten „festenVerhältnisies" bieten, das schon so unsäglich viel Elend angertchtet, selten oder nie einen glücklichen Ausgang gezeigt hat. — Aber es kam noch anders — Ein Zufall, wie er unwahrscheinlicher kaum im Romane Vorkommen kann, brachte mich etwa drei Jahre später, trotz der Größe der Weltstadt, wieder in Berührung mit genau demselben Liebespaare, wenn auch in eine wesentlich traurigere. Beide lagen in ihrem Blute. Der Revolver hatte auch hier, wie so oft das letzte Wort gesprochen. Liebe, Leid, Trennung, Wiedersehen, neues Leid, Verzweiflung und — Verbrechen bezeichneten den Lebens- und Leidensweg dieser beiden, die einander besser niemals kennen gelernt hätten und doch immer aufs neue, wie unter einem magnetischen Banne, zueinander hinge- trieben wurden. Die Rollen beider hatten sich aber in dem Taumel von Leidenschaft und Daseinskampf allmäh lich vertauscht: Aus dem Leichtfuß war ein unheimlich entschlossener, um seine Liebe ringender Mann, aus dem liebenden, vertrauenden Mädchen eine kaltberechnende — Kurtisane geworden, die nur ein Sehnen kannte — schrankenlose Lebens- und Geldgier. Mit einer kleinen Variante das alte Lied: „Ve konnten zusammen nicht kommen — er hatte sie viel zu lieb!" Nach der letzten längeren Trennung hatte er die Geliebte im Strudel der Weltstadt als Kellnerin eines großen Lokals wiederzufindeu und zu einem Zusammen sein zu überreden gewußt. Es sollte das letzte sein. Mordversuch und Selbstmord aus Liebesgram lautete die lakonische Diagnose des Polizeiberichts. Der Revolver hatte zwar nur halbe Arbeit gemacht; der Mörder aus verschmähter Liebe hatte aber doch den aus einem hinter lassenen Briefe ersichtlichen Hauptzweck einer dauernden Enstellung des Gesichts der Geliebten erreicht. Auch der weitere Verlauf dieser Liebestragödie war sonach vollkommen typisch: so das Nichtvoneinanderlafsen- könneu und schließlich der brennende Wunsch, die Liebes- fähigkeit oder doch das Liebesglück des anderen Teils zu vernichten, sei es durch körperliche Verunstaltung, durch Gießen ätzender Flüssigkeiten, sei es durch üble Nachrede oder einen Skandal auf offener Straße. Und so ist denn heutzutage auch die Bitte von Heirats- kandidaten, Männlein wie Weibletn, die ihrer Sache nicht ganz sicher sind, um Gewähruung polizeilichen Schutzes bet , ihren Trauungen insbesondere in der Nähe der Kirchentür j „für alle Fälle, sicherheitshalber" in Revieren, in denen Kirchen liegen, durchaus nichts Seltenes. Manches von j dem bitteren Haß verschmähte: oder verratener Liebe durch- , wühlte Herz ist noch im letzen Augenblick lediglich durch die vorbeugende Abwesenheit einer ubkühlend wirkend c Pickelhaube von Unüberlegtheiten oder gar Schlimm « zurückgehalten worden. Oft kommt es aber, wie auch an anderen Orten zu furchtbaren Katastro' niemand verhindern kann, weil es niemals . wird, poch wachsamer zu sein — als Lieb --Heu —