Volltext Seite (XML)
Erlaubnis recht viele Eltern Gebrauch machen, da gerade hierdurch der Wert der ärztlichen Untersuchung noch wesent lich erhöbt wird. Die Wilsdruffer Jahrmärkte find mit der Wirkung vom Jahre 1907 ab bekanntlich aus den Sonntag und Montag vor den bisherigen Terminen verlegt werden. Früher hielt man die Markte am Gründonnerstag, zu Pfingsten und zu Kirchmeß ab. 1845 fand das erstemal auch Weibnachtsmarkt statt. Am 15. Mai 1837 mußte der Jahrmarkt wegen regnerischer und stürmischer Witterung ausfallen. Die Genehmigung zur späteren Abhaltung des Marktes wurde von der Regierung versagt. Darauf ist der früher am Donnerstag nach Pfingsten abgehaltene Jahrmarkt auf den Donnerstag nach dem Dresdner Woll- markt verlegt worden. Von 1851 an verband man mit den zu Ostern und Pfingsten stattfindenden Märkten auch Viehmärkte. Die zwei Märkte wurden jedoch bereits 1855 wegen allzu geringer Beteiligung wieder aufgehoben. Den mit dem gewöhnlichen Wochenmarkte verbundenen Schweine markt führte man 1849 ein. Im November jenes Jahres wurde der bis dahin Sonnabends abgehaltene Wochen markt auf Freitag verlegt. Jetzt ist der Wochenmarkt ganz verschwunden — zum Bedauern so mancher Hausfrau. — Im Verfolg der von uns gegebenen Anregung hat die Leitung des Devrient'schen Lutherfestsptels in Dresden, Herr Pfarrer Lic. Kühn, den Beginn der Vorstellung am Mittwoch, den 18. Oktober, auf Abends 6 Uhr festgesetzt. Die Besucher aus dem Bereich der Linie Potschappel-Wilsdruff erreichen also nach der Vor stellung — sie dauert bis gegen 10 Uhr — noch bequem den letzten Abendzug, was bei den anderen Vorstellungen bekanntlich nicht möglich ist. Redakteur Friedrich ist gern bereit, Bestellungen auf Eintrittskarten und Festbücher aus Stadt und Land schon jetzt entgegenzunehmen. Der un geheure Andrang — für die nächsten Vorstellungen find die Karten fast vergriffen — läßt eine baldige An- Meldung des Kartenbedarfs notwendig erscheinen. — Das Herzogswalder Drama beschäftigte gestern die 6. Slraikammer des kgl. Landgerichts Dresden. Der Angeklagte, der am 3. Nov. 1886 in Bräunsdorf bei Freiberg als Sohn eines Webers geborene Karl Otto Seltmann ist beschuldigt: 1) der vorsätzlichen Körper- Verletzung, begangen an der Dienstmagd Anna Marie Schröder (Verbrechen nach § 223 R.-St.-G -B); 2) der verursachten Nötigung, ebenfalls an der Schröder begangen (Verbrechen nach 8 240 in Verbindung mit § 43 R.-St.- G.-B.); 3) der vorsätzlichen schweren Körperverletzung, be gangen an der Helene Neumeyer und dem Privatus Neu meyer und zwar bezüglich des Letzteren in einer das Leben gefährdenden Behandlung (Verbrechen nach 88 223, 223» R.-St.-G.-B.) und 4) der fahrlässigen Tötung, begangen an der Helene Neumeyer (Verbrechen nach 8 222 R -St.» G.-B). Der Angeklagte ist, wie die persönliche Ver nehmung ergibt, wegen Körperverletzung mit 5 Tagen Haft, wegen Sittlichkeilsvergehen mit 6 Wochen bez. 9 Monaten Gefängnis vorbestraft. Er bekennt sich im All- gemeinen der ihm jetzt zur Last gelegten Straftaten schuldig. Seltmann erklärt bei seiner Vernehmung: Ich trat am 18. Juli d. Js. auf dem Erbgericht zu Herzogswalde als Stallschweizer an; vorher war ich in gleicher Stellung auf dem Rittergut Häßlich. Die Gegend an derTännichl- mühle Herzogswalde kannte ich, da ich einige Tage vorher mit einem anderen Stallschweizer auf der Brücke in der Nähe des Tatortes gesessen hatte. Am 6. August fand im Erbgerichtsgasthof Herzogswalde ein Vergnügen des Mundharmonika. Klubs statt. Dort war die Dienstmagd Schröder, die mit mir an der Tafel teilnahm und die meine Geliebte werden sollte, anwesend. Sie wollte jedoch nichts von mir wissen. Meine Begleitung in ihre Dienst stelle, die Tännichtmühle, lehnte sie ab mit der Begründung, das litten ihre Eltern nicht. Ich verließ den Saal allein. Auf der Straße überholte ich mehrere Mädchen; einem derselben nahm ich von hinten den Schirm weg Es war jedoch nicht, wie ich annahm, die Schröder, sondern die Zeugin Fichtner. Ich fragte nach der Schröder, erhielt aber zur Antwort: „Marie ist schon voraus." Es kann sein, daß ich gesagt habe: „Na, die kriegt aber ihre Dresche!" Ich ging nach dem Kvrbad zu weiter, fand aber die Schröder nicht, und ging wieder zurück. Erst als ich das zweite Mal an die Mühle zurückkam, traf ich die Schröder. Ich drückte sie heftig, sodaß sie um Hilfe schrie. Ich hielt ihr den Mund zu und sagte: „Brüll' nicht so, sonst hau' ich Dir die Fr ... . voll." Ich stieß sie von mir sort, Geschrien hat sie dann nicht mehr. Als die Schröder um Hilfe schrie, sah ich Jemand mit der Laterne kommen. Da bin ich fortgelaufen über die Brücke nach dem Kurbad; an der Brücke glitt ich in die Triebisch hinab. Dort hielt ich mich eine Weile auf; während dessen brachten Herr Neumeyer und seine Tochter die Schröder nach dem Kur bad. Dann kehrten die beiden zurück. Wie ich sie kommen sah, bin ich aus dem Versteck heraus. Als sie bei mir vorübergingen, habe ich plötzlich mit dem Stock auf sie eingeschlagen. Warum, das kann ich selbst nicht sagen. Ich bestreite, daß ich mich dafür rächen wollte, daß mich die Beiden von dem Mädchen Vertrieben hatten. Ich habe eben losgeschlagen, wie oft und warum weiß ich nicht. Zu gleicher Zeit habe ich blindlings gestoßen. Ich drängte durch diese Stöße die beiden Leute nach der Triebisch zu, ohne mich darum zu kümmern, was mit den Leuten ge schah. Schließlich hörte ich etwas ins Wasser fallen; zu gleicher Zeit hörte ich Rufe: „Lene, Lene!" Dann bin ich sortgegangen. Die Absicht, das Mädchen zu töten, hatte ich nicht. Ich war nach dem Genuß von Biec und Wein angetrunken. Damit ist die Vernehmung des An- geklagten beendet. — Die 17 Jahre alte Zeugin Marie Anna Schröder erkürte: Seltmann fragte mich wieder- holt, ob er mich nach Hause begleiten dürfe. Ich habe es abgelehnt unter Hinweis auf das Verbot meiner Eltern. Als ich auf die Brücke kam, stand Seltmann vor mir. Nach dem ich um Hilfe geschrien hatte, stieß er mich in den Graben, da rief ich Herrn Neumeyer, den ich vorher ge troffen hatte. Als ich mich aus dem Graben heraus ¬ gearbeitet hatte, kam Herr Neumeyer zurück. Er brachte mich mit seiner Tochter ins Kurbad. — Der Vater der unglücklichen Helene Neumeyer, der 55 Jahre alte Privatus Neumeyer aus Mohorn, sagt aus: Als ich nachts gegen '/zl Uhr vom Spiel nach Hause kam, erfuhr ich, daß meine Tochter mit Genehmigung meiner Frau zum Vergnügen nach Herzogswalde gegangen war. Ich machte mich mit einer Laterne auf, um meine Tochter abzuholen. Als ich an dem neuen Haus beim Kurbad war, kam Jemand gerannt und fragte mich, wo das Kurbad sei; ich nahm an, daß der Betreffende dort Schutz gegen den Regen suchen wollte, und wies ihn ins Kurbad. Ich ging ein Stück weiter und stieß auf meine Tochter in Gesellschaft anderer Mädchen. Ich kehrte um, und als wir wieder an dem neuen Haus waren, hörte ich Hilferufe. Gleichzeitig schrie eins der Mädchen: „Ach Gott, jetzt hat er sie!" Den Zusammenhang der Dinge kannte ich nicht. Da die Hilfe rufe verstummten, gingen wir weiter. Da erscholl erneutes Geschrei und ich ging zurück. Da sah ich, wie ein Mensch ausriß und zwar nach dem Bade zu. Das Mädchen (die Schröder) kauerte vor der Brücke im Graben. Ich ging noch weiter zurück, um den Kerl zu verscheuchen, fand ihn aber nicht. Da rief das Mädchen: „Machen Sie flink, ehe der Kerl wieder kommt!" Ich brachte das Mädchen ins Kurbad. Als ich sie fragte: „Sind Sie drinn?" antwortete sie: ja. Daß meine Tochter mir nachge- kommen war, wußte ich nicht. Als ich sie sah, sagte ich: „Na, komm Lenchen!" Wir waren kaum 7 oder 8 Schritte gegangen, da stieß meine Tochter einen markerschütternden Schrei aus: „O, Papa, Papa!" Gleichzeitig hörte ich ein Geräusch, als wenn ein Schirm zugeklappt würde. Wie ich mich herumdrehte, erhielt ich einen furchtbaren Schlag auf die Hand. Die Laterne entfiel mir und es war finster. Ich griff nach rechts, um meine Tochter zu fassen. Weiter weiß ich von den Vorgängen nichts. Als ich wieder zur Besinnung kam, lag ich im Wasser und hatte die Empfindung, als müsse ich ersticken. Ich merkte erst nach und nach, daß ich im Wasser lag; ich sah auch nichts, wußte nicht, wo ich war und hörte es nur rauschen. Während ich im Wasser zu mir kam und ein Nestchen er griff, hörte ich es vier oder fünf mal schluchzen oder schlucken. Ich nehme an, daß diese Töne von meiner Tochter ausgestoßen wurden, die wahrscheinlich in seichtem Wasser gelegen hat und ertrunken ist. Ich suchte und rief vergebens nach meiner Tochter. Ich ging in gebückter Stellung — das Wasser reichte mir bis an den Leib — 2 Schritte vorwärts, da kam'ich an eine Mauer. Es war der Brückenbogen und nun wußte ich, daß ich an der Tricbisch war. Unterhalb der Brücke arbeitete ich mich heraus auf die Wiese. Ich schlug Lärm im Kurbad und suchte mit Herrn Mühlenbesitzer Kosock bis hinunter ans Wehr vergebens nach meiner Tochter. Von den Ver letzungen, die mir der Angeklagte durch die Stockhiebe bei gebracht batte, habe ich in jener Nacht nichts gemerkt. Der Arzt stellte am anderen Tage mehrere bedeutende Kopfwunden fest, das eine Handgelenk ist angebrochen, die Flechsen sind noch jetzt gedehnt, das linke Knie war mit Blut unterlaufen. Der Angeklagte Seltmann erklärte auf Vorhalt wiederholt, daß er mit Willen die Beiden nicht in die Tricbisch gestoßen habe. Die 16 Jahre alte Zeugin Olga Fichtner, die am 8. August zu Besuch in Mohorn war und der der Angeklagte den Schirm wegnahm, gibt von dem Vorgang dieselbe Schilderung wie der Angeklagte; vor allem bestätigt sie, daß Seltmann die Drohung gegen die Schröder ausgestoßen hat. — Der Zeuge Dienstknecht Martin Oswin Starke aus Mohorn erklärt, Seltmann habe ihm mit Bezug auf die Schröder auf dem Saal gesagt: „Na, Wenns der nicht ansteht (sie nach Hause zu begleiten), kriegt sie rechte Schellen!" Seltmann war nicht betrunken. Ich ging mit Neumeyers nach Mohorn zu; als die Hilferufe erschollen, sagte ich: „Gehen Sie nicht hin, Herr Neumeyer, die Schweizer sind schlechte Kerle!" — Der 39 Jahre alte Arbeiter Richard Eduard Paul Pfaff, der in dem Vergnügen bediente, bezeugt, daß Seltmann vor der Tafel ein Glas Bier und bei der Tafel mit der Schröder eine Flasche Rotwein getrunken hat. Im Uebrigen könne er nur wenig mit anderen getrunken haben. Nach der Tafel rief Seltmann wiederholt Streitigkeiten hervor, die der Zeuge zu schlichten bestrebt war. Seltmann balgte sich mit anderen Schweizern herum und wollte einen der selben mit einem Bierglas auf den Kopf schlagen. Pfaff nahm ihm das Glas weg. Einen alten ruhigen Mann, namens Haupt, habe Seltmann wohl 4 mal ohne Ursache auf den Kopf geschlagen und ihn wohl auch geohrfeigt. Seltmann benahm sich als ganz roher Mensch; er war vollständig nüchtern. — Der Zeuge Stallschweizer Hampel, 21 Jahr alt, war mit Seltmann auf dem Erbgertcht Herzogswalde bedienstet. Er war einige Tage vor der Tat mit Seltmann an der kritischen Stelle. Hampel er- klärt, Seltmann habe die Gegend ganz genau gekannt. Sellmann sei gegen ^3 Uhr nach Hause gekommen. Auf die entsprechende Frage Hampels habe Seltmann erklärt, er habe das Mädchen (die Schröder) nicht gesehen. Er habe sich im Dorf verlaufen und sei über deu Kirschberg in seine Dienststelle zurückgekchrt. Nach 3 Uhr seien die Schweizer geweckt worden, Seltmann habe aber so fest geschlafen, daß er nicht zu erwecken gewesen wäre. — Zeuge Gendarmerie. Brigadier Winkler-Wils druff erklärt, Seltmann habe ihm bei der Vernehmung nach der Tat keine Beweggründe angegeben; „ich habe es nicht gewollt" sei seine Antwort gewesen. — Zeuge Gendarm Ebert- Wilsdcusf hatte bereits am Vormittag nach der Tat festgestellt, daß einer der drei Schweizer im Erb- gericht als Täter in Frage kommen mußte. Keiner derselben wollte es jedoch gewesen sein. Seltmann machte sich jedoch dadurch verdächtig, daß er wiederholt die Gesichtsfarbe wechselte. Dann habe er auch gestanden. Beweggründe hat Seltmann auch diesem Zeugen nicht an gegeben. Neumeyer hätte ihn von dem Mädchen verjagt und dann habe er auf die Beiden eingeschlagen und sie gestoßen, bis sie in die Triebisch gefallen wären. Das Gericht erachtet den Tatbestand für hinreichend geklärt und sieht von der Vernehmung dreier n citerer Zeugen ab. Der ärztliche Sachverständige Obermedizinalrat Dr. Donau, der die Sektion des (bekanntlich 8 Tage nach der Tat in der Triebisch gefundenen) Leichnams der Helene Neumeyer leitete, bekundet, daß der Leichnam im Wesentlichen nur eine bedeutende Kopfverletzung aufgewiesen habe; sie sei aus einen Stockhieb zurückzuführen, habe aber nickt die Todesursache gebildet. Der Tod sei eingetreten durch Erstickung infolge Ertrinkens. Der Verdacht, daß Selt mann an der Helene Neumeyer ein Sittlichkeitsverbrechen begangen habe, sei durch die Sektion nicht bestätigt worden. — Der Vertreter der Kgl. Staatsanwaltschaft, Herr Staats anwalt Justizrat Petri, führt in seinem Plaidoyer unter Anderem aus, die Hauptzeugen der Tat seien im kritischen Moment ohne Besinnung gewesen (Neumeyer), bez. nicht mehr am Leben (Helene Neumeyer). Man sei lediglich auf den Angeklagten angewiesen, der nicht mehr zugibt, als ihm bewiesen werden konnte. Deshalb könnte die Anklage nur auf Todschlag, nicht aber auf Mord lauten. Immerhin bleibe genug übrig, um den Angeklagten durch eine schwere Strafe zu treffen. Es könne kein Zweifel darüber bestehen, daß es sich um einen Racheakt handle. Seltmann habe blindlings und voller Wut drauf losgeschlagen und ge stoßen, um sich an dem Mann zu rächen, der ihn von dem Mädchen verscheucht habe. Der öffentliche Ankläger nimmt an, daß Neumeyer und seine Tochter von Seltmann in die Triebisch gestoßen und daß die Tochter durch einen Schlag ihrer Besinnung beraubt worden sei. Freilich könne Seltmann die vorsätzliche Tödtung nicht nachgewiesen werden, wohl aber die fahrlässige. Seltmann habe gewußt, daß an der kritischen Stelle die Triebisch fließe. Er sei im kritischen Moment auch völlig zurechnungsfähig gewesen. Der Verdacht, daß Seltmann an der Schröder ein Sitt- lichkeitsverbrechen versucht habe, sei, da die Zeugin versage, nicht aufrecht zu erhalten gewesen. Es bliebe nur der Nötigungsversuch und Körperverletzung. Die Straff könnte keine milde sein und das Gericht möge auf eine Strafe erkennen, die an das Höchstmaß grenze. Der Angeklagte hatte zu seiner Verteidigung keinen Rechtsbeistand ange- nommen. Er beschränkte sich, nachdem der Staatsanwalt geendet, auf die wiederholte Versicherung, daß es nicht in seiner Absicht gelegen habe, Jemandes Tod herbeizuführen. Der Vorsitzende des Fünfrichterkollegiums, Herr Land gerichtsdirektor Dr. Gallenkamp, verkündete nach kurzer Beratung folgendes Urteil: Der Angeklagte Seltmann wird wegen Nötigung, gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Tödtung zu 5 Jahren 1 Monat Ge fängnis kostenpflichtig verurteilt. Die Anklage wegen der Körperverletzung, begangen an der Schröder, konnte bei der Strafzumessung nicht in Betracht gezogen werden, da der hierzu erforderliche Strafantrag der Beteiligten bez. ihres Rechtsvertreters nicht in der richtigen Form gestellt worden war. Dagegen erkannte das Gericht Seltmann der übrigen ihm zur Last gelegten Verbrechen und Vergehen für schuldig. Strafverschärfend zog das Gericht in Betracht, daß Seltmann vermöge der Kenntnis der örtlichen Verhältnisse wissen mußte, daß er Neumeyer und seine Tochter in die Gefahr des Ertrinkens brachte. Insoweit erkannte das Gericht auf das zulässige Höchstmaß (5 Jahre Gefängnis), bezüglich der Körperver letzung auf 2 Monate Gefängnis. Hieraus war eine Gesamtstrafe von 5 Jahren 1 Monat zu bilden. Der bei der Tat gebrauchte Stock, der auf dem Gerichtstische lag, wird eingezogen. — Seltmann nahm das Urteil vollkommen ruhig entgegen. Auch während der ganzen Verhandlung war an ihm nicht die geringste innere Erregung zu beobackien. Seltmann ist offenbar, wie man gemeinhin zu sagen pflegt, „ein ausgetragener Junge", der vom ersten Augenblick der Vernehmung an wußte, wie weit er mit seinem Geständnis gehen durfte, um nicht Gefahr zu laufen, daß man ihm den Prozeß wegen Mordes machte. Gestern spielte er den Blöden, der sich selbst über seine Handlungsweise keine Rechenschaft geben konnte. Mit stumpfsinnigem Ausdruck sah er den Vater der unglücklichen Hclene Neumeyer an, dessen bewegliche Schilderungen über den Verlust seiner Tochter auch den Unbeteiligten im Innersten berühren mußten, um wieviel mehr noch jenen Menschen dort auf der Anklagebank, der, wenn alles gelang, zwei Menschenleben auf dem Gewissen hatte! Seltmann kennt — trotz seiner 19 Jahr;! — das Gefängnis schon längst. Er bezieht es jetzt zum vierten Male, und nach fünf Jahren vermehrt er aufs neue die Gefahren, die die Existenz solcher entmenschter Elemente für die Gesellschaft in sich birgt. Das Gefängnis wird ihn nicht bessern, ihn vor weiteren Straftaten nicht ab schrecken, so lange derjenige, der das Piügelrecht für sich in Anspruch nimmt, die Prügel nicht zurückerhält. Davor schützen ihn aber vorläufig die Herren Bebel und Genossen, die, als Dr. Oertel im Reichstage die Prügelstrafe iür Roheitsvergehen, für Sittlichkeitsverbrechen uyd Tierquälerei forderte, antworteten mit dem Rufe „Knutenörtel"! Wie würden Bebel und seine Getreuen über die Sache denken, wenn ihnen ein Wüstling die Tochter schändete oder raubtet! — Röhrsdors, 5. Okt. Infolge Lohndifferenzcn haben am hiesigen Schulneubau die Maurer die Arbeit niedergelegt. — Heute vormittag kam ein Sohn des Guts besitzer Kock hier dadurch zu Schaden, daß ihm ein volles Fuder Kartoffeln über beide Füße ging. — In einigen Ortschaften der Umgebung von Pot schappel hat sich bei katholischen Familien einUn- vekanntereingefunden, der religiöse Bilder und Schriften anbot, sich eine Anzahlung geben ließ und seitdem nichts wieder von sich hat hören lassen. Der Mensch ist ca. 5l> Jahre alt, trägt eine Wachstuchmappe bei sich und bezieht sich bei seinen „Geschäftsabschlüssen" auf die katholische Geistlichkeit. Wer die Bekanntschaft des Mannes macht, mache sofort Anzeige. — Unter Ausschluß der Ocffentlichkeit verhandelte das Schwurgericht Dresden gegen die zuletzt in der Lom matzscher Gegend bedienstete Magd Emilie Pauline Gängler aus Merschwitz wegen Kindeslötung. Sie hat ihr am 27. Jutr l9O5 geborenes Kind unmittelbar nach der Geburt m't Ueberlegung ums Leben gebracht. Sie wurde unter Zubilligung mildernder Umstände zu 3 Jahren Ge fängnis und 5 Jahren Ehrverlust verurteilt; ein Monat Gefängnis gilt als verbüßt.