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Well !m 8 ilÄ. Die Tür flog knallend ins Schloß. — Auf dem Treppenflur unter seiner Woh. nung blieb Dr. Hans Henning stehen und las di« Aufschrift des Türschildes. Wirklich und wahrhaftig: „Prof. Dr. Werder." — Zum Henker alle Professoren mit sanges wütigen Töchtern. Und tausendmal zum Henker alle Zufälle, die Verhältnisse, denen man glücklich entronnen zu sein glaubte, wie der herbeifllhren. — Wutbebend trat Dr. Henning wieder in sein Zimmer. Da lag nun der schöne Leit artikel mit der begonnenen schwungvollen Pe riode. O, der Jammer! Alle Gedanken waren wie fortgeblasen. — Nur erst hinaus, fort ins Freie, damit er wieder ruhig würde. Und heut abend würde er zu Professor Dr. Werder gehen und ihn bitten, seine Tochter zu veranlassen, nicht wie der zu singen, bis er fort sei. Sonst kam er doch noch ins Irrenhaus. Das war ja nicht zum aushalten. Zwei Stunden lang lief er durch den Tiergarten, beruhigt« sich allmählich und be schloß endlich, nun zurückzukehren, um den vorgenommenen Besuch bei Professor Werder zu machen. Vorher wollte er aber in einer Konditorei am Potsdamer Platz eine Tasse Kaffe« trinken. Di« würde seiner Seele das Gleichgewicht ganz wiedergeben. Das Lokal war überfüllt. — Nach langem Suchen entdeckte er schließ lich in einer Ecke einen Tisch, an dem eine junge Dame saß, die mit augenscheinlichem Wohlbehagen und vieler Andacht einen Wind beutel verzehrte. Er bat sie, Platz nehmen zu dürfen und stellte sich vor. Die junge Dam« errötete leicht und gab mit einem graziösen Neigen ihre Erlaubnis. Bis der Kaffee kam, verging eine ganze Zeit, und Dr. Henning griff nach einem Jour nal und begann zu lesen. Ueber das Blatt weg aber schweifte sein Blick immer wieder zu seinem holden Gegenüber. Das war ja ein ganz allerliebstes, reizendes Geschöpf! Und gar nicht lange dauerte es, da hatte er mit ihr ein Gespräch angrknüpft. Zuerst natürlich, wie das gewöhnlich im mer so ist, vom Wetter. Dann vom Theater und Konzert und von Literatur. Letzteres brachte ihn ganz naturgemäß auf seinen Beruf. Und als er bei der jungen Dam« ein feines, entgegenkommendes Ver ständnis für die Arbeit der Manner von der Feder erkannte, war es wiederum ganz natür lich, daß er ihr sein Leid klagte, wie man ihm so übel und böse mitspielt« und seine schrift stellerische Tätigkeit auf solche unangenehme Weise störte. „Sehen Sie, gnädiges Fräulein," begann er, „rS ist nicht so leicht, etwas gutes fertig zu bekommen. Manchmal sind die Gedanken zähflüssig wie Teer. Hat man dann aber einmal seine gute Stund« und steht die Muse hilfbereit und fördernd hinter dem Schreib sessel, so wird man gestört." „Das ist allerdings bedauerlich, Herr Dok tor," sagte sein holdes Gegenüber. „Nicht wahr, das meinen Sie auch? Und nun stellen Sie sich vor, wie ich zu leiden habe und denken Sie sich in die Störung, die mir widerfährt, hinein. Es geht alles vorzüglich. Satz reiht sich an Satz. Man glüht vor Freude und jubelt über das Gelingen. Welt verloren denkt man an nichts, als nur an die Arbeit, ist ganz vertieft in den G«dank«ngang, in den Satzbau. Da fällt es plötzlich einer verrückten alten Schachtel ein, das Klavier zu malträtieren und ein Lied zu jammern. Man wütet, man ist empört über die Störung. Einmal erträgt man so etwas. Mer wenn's alle Tage so geht, wenn man keine ruhige Stunde mehr hat und „Sie sagen,'es wäre die Liebe" und „Behüt Dich Gott" und sonst weiß noch was mit einer Konsequenz gesungen hört, die besser bei andern Sachen und zu andern Gelegenheiten am Platze wäre, ja, dann möchte man aus der Haut fahren und verwünscht die Stunde, in der man ein Jour nalist wurde." Er machte eine Pause, trank seinen Kaffee aus und sah dann zu der jungen Dame hin über, die verlegen mit ihrem Teelöffel spielte. — „Aber nun werde ich einmal dazwischen fahren," begann er dann wieder. „Denn denken Sie sich, gnädiges Fräulein, ich Pries mich glücklich, meinem Plagegeist entronnen zu sein, hatte ein« andre Wohnung bezogen und schwelgte in dem wonnigen Gefühl end licher Erlösung. Da, o Graus, das Unglücks wurm ist mir mit ihrem „Sie sagen, es wäre die Liebe" nachgezogen und beglückt mich nun Kochstraße 18 ebenso, wie vorher Wilhelm straße 39. — Ist das nicht zum — — Aber wollen Sie schon gehen, gnädiges Fräulein?" unterbrach er sich in seinem Her zenserguß, als er sah, daß die Dame ziemlich ostentativ aufstand und nach ihrem Schirm griff. „Ja, ich muß heim," sagte sie kühl und verbeugt« sich. Und dann lächelte sie ironisch. „Andre Leute werden auch mitunter gestört. Adieu, Herr Doktor." Hinaus war sie. — „Kratzbürste!" murmelte Hans Henning. „Was fällt der Kleinen mit einemmale ein? War erst so ganz Feuer und Flamme für meine Leiden und nun so sonderbar? Schade, daß ich nicht ihren Namen erfahren habe! Sie gefällt mir. — Ein ganz allerliebstes Mädel!" Er zahlte bald und ging auch. Während er seiner Wohnung zustrebte, überlegt« er, was er dem Nrofeffor alles sagen würde. Zunächst natürlich in aller Höflich keit. Und wenn dann der gute Mann boshaft werden sollte, — nun, dann war ihm nicht bang«. — Dr. Hans Henning war nicht um sonst wegen seiner boshaften Kritiken und Re zensionen gefürchtet. — „Der Herr Professor lassen bitten," ladet« ihn das saubere Mädchen Werders zum Näher treten ein. Er schritt über die Schwelle eines erleuchteten Gemachs und — wär« am liebsten in die Erde gesunken, denn da saß ja, über eine Handarbeit gebeugt, die junge, hübsche Dame, mit der er vor einer halben Stunde in der Konditorei geplaudert hatte. Sie sah ihn sehr streng und kühl an und meinte, der Papa würde gleich kommen. Also Professor Werders Tochter und höchstwahrscheinlich doch auch die Klavier spielerin und Sängerin, die er „verrückte, alte Schachtel" und „Plagegeist" und „Unglücks- Wurm" genannt hatte. — Tat sich denn die Erde noch nicht auf, um ihn zu verschlingen? Er war tatsächlich ein bedauernswertes Ge schöpf erster Güte. „Mein gnädiges Fräulein," stotterte er endlich, „Sie sehen mich untröstlich und be schämt, daß ich Ihnen im Cafä so allerhand erzählte, was ich jetzt gern ungeschehen machen möchte. Wie konnte ich aber auch ahnen ..." „Daß die „verrückte, alte Schachtel" die Geschichte Ihrer Leiden gleich selbst erfuhr," unterbrach sie ihn. „Ja, mein Herr Doktor, man sollte die Leut« kennen, mit denen man in einem Hause wohnt, damit man vorsichti ger ist." „Leider machte ich erst heut Ihre werte Bekanntschaft und Sie werden nimmer glau ben, daß ich Ihnen das alles gesagt hätte, wenn ich wußte, daß Sie die liebliche, talent volle, stimmbegabte Sängerin seien." „Aber hören Sie mal, Herr Doktor, das wäre auch ein bißchen stark ungalant ge wesen," lachte das junge Mädchen. „Aber sehen Sie mal, wie schnell Sie umsatteln. Erst: „Klavier malträtieren" und „Lied jam mern" und nun „lieblich", „talentvoll" und „stimmbegabt"? Herr Doktor, das glauben Sie ja alles selber nicht." „O, doch!" beteuerte Dr. Hans Henning. Sie sah schnell versöhnt zu ihm hinüber und drohte nur lächelnd mit dem Finger. Der gleich darauf eintretende Professor er wies sich als jovialer alter Herr. Bald war er mit Hans Henning in ein angeregtes Ge spräch vertieft, in dem mit keiner Silbe von dem eigentlichen Zweck des Besuchs die Rede war. Dr. Hans Henning stieg erst sehr spät zu seiner Wohnung hinauf und — kam dann sehr oft wieder. Denn der lieblichen Else Werders Augen hatten es ihm angetan. Und als sie ihm nach langem Quälen end lich einmal sang: „Sie sagen, es wäre die Liebe," da machte es ihn nicht mehr verrückt, sondern er trat leise zu ihr heran und fragte: „Ist es die Liebe?" — Und sie sah ihm glücklich in die Augen und nickte. — Noch an demselben Abend feierten vier fröhliche Menschen eine Verlobung. — Unter Lachen und Scherzen kamen bei dieser Feier auch die nächtlichen Ruhestörungen des glück lichen Bräutigams zur Sprache. „Ihr werdet mich für einen recht unsoliden Menschen gehalten haben," sagte er, „aber ich wollte mich mit meinem Gepolter nur für die Störungen rächen, die ich ertragen mußte und habe den Höllenlärm absichtlich vollführt." — Später hat sich Dr. Hans Henning recht oft an dem schönen Gesang seiner kleinen Frau erfreut. Aber wenn er Leitartikel schrieb, sang sie nie. — Uach der Kosenztit. Nur keine Trauer im Gemüie! Ist auch die Rosenzeit verträumt, Der weiße Kelch der Lilienblüte Von süßen Düften überschäumt. Und sind auch stumm die Nachtigallen Im grünen Walde allzumal. Noch himmelan die Lerchen wallen Mit Jauchzen rings im Sonnenstrahl. Auch sind die Rosen nicht vergangen; Sie blüh'n ja noch an andrem Ort! — Auf holder Schönen frischen Wangen, Auf roten Lippen blüh'n sie fort. Und welkt die letzte Blum' im Kranze, Dann lebt des Lenzes sel'ge Lust, Dann singt und klingt der Lenz, der ganze, Noch in der frohen Menschenbrust. Drum keine Trauer im Gemüte! — Ist auch die Rosenzeit verträumt, Der weiße Kelch der Lilienblüte Von süßen Düften überschäumt! Hinweg mit allen düstern Träumen! Noch lacht der Sonne gold'ner Schein! Die dollen Becher, laßt sie schäumen! — Frisch auf, Gesellen, schenkt mir ein. EmU Rittnihaur.