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Wilsdruffer Tageblatt : 20.09.1934
- Erscheinungsdatum
- 1934-09-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193409207
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19340920
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19340920
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1934
-
Monat
1934-09
- Tag 1934-09-20
-
Monat
1934-09
-
Jahr
1934
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 20.09.1934
- Autor
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Skizze von Felix Riemkasten. war er Men Woßowileysteiy Set Kämpfer für den Nationalsozialismus der rat; werde Mitglied der ASV. zer- mt!" daß es ihm fortan an nichts mehr fehlen würde und daß di« Tage des leisen, schmeichelnden Glücks nun kämen. Es braucht« kein Glück zu sein, das wie ein großes Gebraust laut durch alle bisher noch leeren, schmerzlich spürbaren Räume des Her zens jagte, daraus hoffte er selber nicht mehr, so alt wie ei nun war, sünfunddrerßig, und seit sechs Jahren verheiratet, nach einigem Wandern, das in Schlangenwindungen zwischen Felsblöcken und um die Ränder von Dolomiten- trichtern führte, blieb der Mann stehen und sagte, als müsse er einen zwingenden Gedanken zu Ende bringen, denselben, den er vorhin angesponnen hatte: „Alle Reiche gehen hier ver- loren. Sie müssen alle hier verloren gehen." Ich wunderte mich nicht weiter darüber, daß der Mann so sprach; erst nachher, im Hellen Licht der Offiziersmesse in Bilek fiel mir das Erstaunliche dieser und seiner späteren Aeußerungen grell ins Gehirn. Nur die Frage, die ich tat, schont mir darauf hinzuweisen, daß unter der Schwelle meines Bewußtseins sich vielleicht doch diese Verwunderung regte. „Woher bist Du?" fragte >ch. „Ich bin von hier", antwortete ec. „Und Du bist einer den. Sogar das listige, gutmütige Lächeln kehrte wieder. „Nein", sagte er, „ich danke Ihnen, ich will aber kein Buch brauchen. Naturschilderungen lese ich auf der Laudstraße näher und besser, über Menschen rege ich mich nicht auf, und die Wissenschaften..." Ach, er lächelte so schön, so schlau, so fröhlich. „Na", sagte er, „Ich danke Ihnen jedenfalls. Haben Sie vielen Dank, Herr!" Und wie er gekommen war, so ging er wieder. Die Zi garren hatte er nicht sehen wollen, nur das bißchen Wasser hatte er ausgetrunken. Der Hausherr lies ihm durch das schmale Gärtchen nach, war ganz ausgeregt und schrie: „Wer sind Sie eigentlich?" Der alte Mann war schon tm Gehen, den Sack auf dem Rücken, den Karton in der Land. „Das 'möchte ich Ihnen nicht sagen", rief er beinahe kichernd zurück. Und dann rief er mit einer ganz anderen, wahrhaft aufgeregten, besorgten Stimme: „Sehen Sie sich vor, Sie bleiben hängen im Stacheldraht!" Er guckte so lange, bis er sicher sein konnte, daß mit dem schönen, neuen Anzug kein Unglück geschehen sein konnte. Dann tippelte er weiter, nicht rasch, aber mit einem Schritt, der ihn Wohl niemals würde ermüden lassen und der unendlich weit trägt. Ein Landstreicher, ein Ruheloser, aber einer, der nicht unglücklich war, wenigstens nicht aus diesem Grunde. Er hatte sem Schicksal. Und der Herr hatte sein Haus und seine Frau, zu der er nun zurückaina. Sie sah ihn vorwurfsvoll und ängstlich an, denn er hatte sie unter diesen schrecklichen Umständen allein gelassen. Wenn der Mann nun umgekehrt wäre, und wenn er ihr nun etwas getan hätte? Der Mann da. „O Himmel", sagte sie zankend und neryös, „und solche Leute läßt Du bis ins HauS! Aber das sieht Dir ähnlich, das sieht Dir wahrhastig ähnlich.' , . Eine serbische Vision von Als der Abend kam, ging ich noch ein wenig aus Bile! fort, gegen den Vardar zu. Drüben in Mazedonien heißt eir großer Fluß so, hier ist es ein Berg, der ein uraltes Bauwev trägt. Keiner weiß, wer die Grundmauern gelegt hat, Server saßen dann später darauf und später Türken und zuletzt öster reichische Gendarmen als Grenzwächter gegen die Montenegri ner. Jetzt hat man die alten Wände gesprengt; feindlich« Streifuni sollen manchmal drinnen übernachten und auf di« Straße Hinunterschauen, die da von der Kobila glava nack Bilek führt. Die Flanken des Berges aber sind von unzähligen Felsen gräbern durchlöchert und von Grabsteinen eines verschollener Geschlechtes übersät. Hier herum hatten die Bogumilen eir großes und mächtiges Reich, und vielleicht lag hier irgendwi eine ihrer Städte. Es ha^ sich aber nichts von ihr erholter als vielleicht das Bruchstück eines Turmes auf dem Varda» oben und dieses Gewimmel von Gräbern, die Totenstadt ach den Flanken des Berges. Alles übrige Bauwerk ist von bluti gen Kriegen oder unter dem Hammer der Zeit zerbrochen, unl manchmal meine ich, die Gegend sei so wüst und öde, weil di« Trümmer der Bogumilenstädte über alle Aecker gestreut sind Ich wich aus einen schmalen Steig von der Straße al ins Felsengewirr und brunchte nicht lange nach den Gräberr zu suchen. Ich war mitten unter ihnen. Bei Christen, Jude» und Türken haben die Grabsteine bestimmte Formen, aber be« den Bogumilen scheint kein Gesetz für sie bestanden zu haben Willkür der Hinterbliebenen schuf mannigfaltigste Stein- gestalten: Sarkophage, Urnen, Steinplatten, aufrecht un! waagerecht, dann aber grub man auch Löcher in den Felsen.., In zunehmender Dämmerung trug ich meine Gedanken zwischen den Gräbern herum. Welches Geschlecht, diese Bogu milen? Eine Rasse? Eine Sekte? Ein Reich? Die Geschicht« wußte nicht viel über sie, und ich wußte noch weniger. Eir ernster und stiller Mensch, ein Oberleutnant in Bilek, Haiti mir einiges erzählt: Ihre Religion wäre gar keine Religion gewesen, sondern eine Art Sittenlehre, aus den besten Sätzen des Christentums und des Mohammedanismus bestehend. Uni Spuren dieser Lehre fänden sich noch immer hier im Land wo die Einwohner keine Moslemin wären und auch kein« Christen im äußeren Verstände, da sie keine Kirchen hätten und auch keine Priester brauchten. Die Bauern wären schlicht redlich, gastfreundlich und sittenrein, und niemandem werd« größeres Unrecht zugefügt als ihnen, wenn man sie in Europc schlechtweg als Ha.nmeldiebe verschrie. So dachte ich darüber nach, wie Städte zugrunde gehen können und Völker, wie doch ein Gedanke sie alle überlebt uni daß uns unsere Feinde gewiß gerne dieses Bogumilenschicksa! bereitet hätten, um dann vielleicht erst den deutschen Gedanken als den Gedanken der Menschheit zu erkennen. Darüber war es recht dunkel geworden, ich kam ins Stolpern, sah mich ein wenig verwirrt zwischen den Gräbern um und bemerkte jetzt erst unweit von mir den seltsamsten aller Bogumilenstein« dieses wüsten Friedhofes. Er sah wie ein Kreuz aus und hatte doch auch plumpe Menschengestalt. Das obere Ende des Längsbalkens war rund wie ein Kopf, und von ihm sank der Stein wie zwei abfallende Schultern zu den Armen der Querbalken. Es schien mir, als ob er der Länge und der Quere nach mit rätselhaften Schrift zeichen bedeckt sei; und als ich mich niederbeugte, um sie zu betrachten, sagte jemand dicht hinter mir, ja fast an meinem Nacken: „Guten Abend, Herr!" Ich muß gestehen, daß ich zusammenfuhr und es mich einen Schritt zur Seite riß. Meine Hand war im Nu in der Rocktasche, wo meine Steyrer-Pistole stak. Der Mann blieb aber ganz ruhig stehen, regungslos, als wäre er nur ein Grab stein, der zu sprechen angcfangen hätte. „Du suchst die Alten, Herr", fuhr er sort. „Sie sind weg. Es ist von ihnen nichts übrig als diese Steine. Das ganze Reich ging verloren." Ich sah jetzt, daß ein alter Bauer vor mir stand. Er true die übliche Tracht, hatte ein Gewehr über dem Rücken hängen; die Umwicklung der Beine und der ärmellose Rock leuchteten weiß aus der Finsternis hervor. Er überragte mich um einen Kopf und es war mir unbehaglich zumute, so in der Dunkel heit einem fremden Mann gegenüberstehen zu müssen, einem Wilden von der Grenze Montenegros, vor dem ich mir so klein vorkam. „Komm weiter", sagte er, „ich bringe Dich zur Straße." Und er ging mir voran, während ich bei mir bedachte, daß es doch ganz gewiß angezeigt wäre, mich durch einen Sprung in die Finsternis in Sicherheit zu bringen. Aber ich wußte mit eineinmal gar, nicht mehr, wo die Straße war. Der Herr stand in der Gartentür seines neu erbauter Hauses und war unzufrieden. Am meisten war er darüber unzufrieden, daß er unzufrieden war. Das hätte nicht sein dürfen. In der ganzen Zeit, während das Haus gebaut wurde, voll frohester, kindlich gutgläubiger Zuversicht gewesen, ihm fortan au nichts mehr fehlen würde und daß di« Karl Hans Strobl. von den Schwabas, die heute mit dem Wagen ohne Pferde ge kommen sind. Ich stand an der Straße und habe Euch gesehen." „Bist Du vom Schutzkorps?" fragte ich weiter. Er antwortete nicht, aber es -chien mir, daß er den Kops wendete und aus seiner Höhe auf mich herabsah. Ich stolperte wortlos hinter ihm drein, bis er wieder stehen blieb und be gann: „Heute sind nichts als Steine hier, unbehauene und be hauene. Und weißt Du, wodurch dieses Reich zerfiel? — Durö Zügellosigkeit. Das ist der Fluch, der auf Land und Volk liegt Es ist das Blut, das uns um alles betrogen hat und betrügt Im Blut liegt es, in jedem von uns ist dieser wilde, hitzig Strom, der alles sprengt. Weißt Du, wodurch dieses Reih zerfallen ist? Der Alte nahm dem Sohn das Weib. Der letzt« König Ler Bogumilen dem Sohn die Geliebte. Da floh diese; aus dem Land, zu den Türken, nahm den Glauben Mohans medL an und übe^og das Land, das nun das seines Feinde! war, mit Krieg. Brach die Burgen, zerstörte die Städte uni machte eine Wüste aus der Heimat." Wir standen an einem Sarkophag, der quer über unseren! Weg lag. Der Dschuh nahm das Gewehr ab und setzte es hav auf den Boden. „Ich weiß viele solcher Geschichten. Sie Ware, bemüht, sich zu zügeln, aber das Blut ließ es nicht zu. Unjei Blut ist nicht wie Eures, das ruhig rinnt und sich Zeit läßt; zu bauen, zu schreiben, zu denken, die Welt zu erobern. Wii denken nicht an die Welt, wir denken nur an den Feind, des allernächsten. Mord und Liebe, Liebe und Mord, das ist unser« Geschichte. Immer wieder Liebe und Mord. Niemals Werder wir die großen Dinge des Lebens erreichen, weil wir uni unserem Nachbar an die Gurgel hängen müssen, um sie zu beißen. Unser Blut ist unser Fluch. Verflucht sei unser Blr... Es fuhr mich Plötzlich wie eine glühende Stahlnadel durch den Kopf. Etwas Neues, bisher noch Unbedachtes brach als Schmerz ein. In welcher Sprache sprach dieser Mensch? Ei war die Sprache dieser Berge, es war Serbisch, und ich Haru bisher nicht gewußt, daß ich Serbisch verstand. Und ich ver stand ihn, wie ich mich selber verstehe, wenn ich meine Ge danken sprechen lasse. Aber kaum daß ich diese Verwunderung wie einen schmerzhaften Schrecken gefühlt hatte,, wich sie auch schon wieder von mir und hinterließ nichts als eine Art dumpfer Betäubung, in der ich diesem Führer weiter folgte. Kam die Straße noch immer nicht? Wohin zog mich diese! Mensch wie gefesselt hinter sich her? Wir schienen in eine noch wildere und unheimlichere Landschaft geraten als die, in der ich mit ihm zusammengetroffen war. Wie riesenhafte Knochen lagen die Kalksteinblöcke in der Nacht, und alle waren mit einer aber etwas Aehnliches wie Glück würde kommen, davon war er überzeugt. Seit langem schon hatte ihn Ella gequält, er solle ein Haus bauen. Das eigene Haus. Wenn dann im Grünen alles so hübsch daherblubt und der Himmel blau ist, die Sonn« prahlt und strahlt und das ganze Haus einem gehört... also, er solle sehen, von da an würde alles anders werden. Von do an würde sie dann auch ruhiger, viel ruhiger. Es sind jo- nichts als die Nerven. Es ist gar kein Unglück, gar nichts Schlimmes. Nur die Nerven. Du sollst es sehen. Und dazu seine eigenen Träume. Es war ihm sonst alles ganz wohl geraten im Leben, er konnte nicht klagen. Kleine Bewölkungen gelegentlich, die aber vorübergingen, ohne großen Schaden angerichtet zu haben. Arbeit, die er leisten konnte. Und nur der kleine, leise Kummer um die dahinziehcnden Jahre. Wie eine reine, weiße Wolke unter blauestem Himmel dahinzieht, den Wald saum entlang, dann hinter dem Waldsaum hinweg in die Blässe und Nebelhaftigkeit der Ferne, um darin zu entschwin den, so schwinden die Jahre dayin, mit ihnen das Leben, und man versäumt an dem, was man hat, alles andere, was man zu dieser gleichen Zeit etwa anderwärts hätte haben können... Und nun steht das Haus da. Es hat lange nach Farbe gerochen, an die Freude ist man schon gewöhnt, Ella hat nach wie vor ihre Nerven, und diese Gegend hier herum, das ist also die künftige und wahrscheinlich auch gleich die ewige Gegend, in der man leben wird. So ein Haus ist wie der Panzer, den die Schildkröte zu schleppen hat, das arme Tier. Immerhin, es hat geregnet, die letzten großen Tropfen blitzen einzeln und langsam von der Dachrinne auf die Erde nieder, die Erde sieht wunderbar aus, und beinahe möchte man sich schämen, so viel Schönes zu erleben, das noch dazu so einfach ist. Nur ein Regen, aber der Regen ist ein Segen. In der Sonnenwärme dampft er fast sichtbar wieder empor, die Luft ist jetzt herrlich. Man könnte beschließen, an gar nichts zu denken, sondern nur so dazustehen, zu atmen und sich dabei vorzusagcn: Welch ein Glück, o, welch ein srom- mes, schönes Glück. Da kommt ein Mensch den Weg entlang gegangen. E! ist gar kein Mensch, es ist nur ein Trümmerstück von Mensch ein alter Mann mit völlig verschmutztem Bart, mit einem un gekämmten, wilden Rauschebart, mit Schnurrbart noch dazu und der Mann geht in entsetzlichen Kleidern, die er irgendwi zusammengelesen haben mag. Der Mann ist schon über di« Fünfzig. Nicht einmal heile Stiefel trägt dieser Mensch, et sind elende, nur mit Grauen und Furcht anzuschauende Leder fetzen, und am Knie sieht das nackte Bein durch die löcherig« Hose. Das Gesicht des Mannes ist kupferig verglüht und i« hundert Falten und Fältchen verschrumpelt, nur die Auger glitzern vergnügt aus dem Buschwald von Bart und Braue« und unter dem unsagbar verlebten großen Hut. Einen Papp- karton und einen schmierigen Leinwandsack trägt der alt« Bursche mit sich, und so tippelt er nun über die Landstraßen, tagcin, tagaus, und das muß man mitansehen. Der feine Herr ist sehr beschämt, er fühlt sich schmerzlich gestört und möchte gern ins Haus zurück, um nicht dagewesen zu sein. Es ist furchtbar, ein neues, eigenes, sehr geschmack voll gebautes Haus zu haben und dann so einen alten, ver lumpten, müden Mann daherkommen zu sehen. Der seine Herr dachte, der alte Mann werde hoffentlich die Glocke ziehen. Dann sollte das Mädchen ihm ein paar Groschen herausbringen, dazu auch Stiefel, vielleicht war auch eine ältere Jacke Wohl zu entbehren. Er zitterte ordent lich, als er sich ins Haus rettete. Der alte Mann brachte das ganze Haus in Unruhe. Ella schrie aus, als sie ihn gefehen hatte, das Dienstmädchen war nicht da, und nun mußte der Herr die Sache mit dem Land streicher Persönlich abmachen. Er hustete erst, dann räusperte er sich, und dann trat er' auf die Diele, wo der Alte wartend stand. Der Herr von Fünfunddreißig hatte gedacht, er würde nun die Pein zu erdulden haben, in ein klägliches, schlaues und demütiges Gesicht schauen zu müssen, aber der alte Kerl da in der Diele blickte eher voll Gutmütigkeit auf ihn hin und hatte dabei in den Augen einen so warmen, herzlich zutrau lichen Blick, daß der Herr ganz verlegen dastand. „Ich werde Ihnen sofort etwas geben", stotterte er voll furchtbarer Verlegenheit. „Ei, das wäre freundlich von Ihnen", sagte der Alte und zwinkerte fröhlich mit den guten, kleinen, in Falten sich be wegenden Aeuglein. Er stand ganz ruhig in der Diele, ganz ungezwungen und lächelte sogar. „Ein Glas Wasser wäre genug", sägte er, „aber wenn es zufällig auch Kaffee sein kann, wäre es natürlich viel hübscher." Und dann sah er sich in der Diele um, sehr ruhig und gemachsam, und urteilte: „Das ist hübsch hier. Alles noch sehr neu. Da freuen Sie sich wohl, ha?" Er lachte. Ohne Irrtum, er lachte wirklich freundlich, wirklich wohlwollend, und beinahe sah es aus, als lache er dem Hausherrn ein bißchen zu. Als der verwirrt und mit einigermaßen roten Ohren zur Küche ging, wo Ella er schrocken und voll Angst auf ihn wartete, hatte der alte Bursche durch einen Spalt der Tür auch in die Bibliothek des Haus herrn hineingesehen. Nun stand er wie versteinert da, war mir einemmale ein klappriges altes Männlein geworden und hörte nicht einmal, daß ihm Wasser gebracht wurde. Kaffee war nicht da. Aber Zigarren hatte der Hausherr bei sich, und er wollte soeben fragen, mit einer zarten, behutsamen Frage, ob vielleicht Stiefel... oder eine alte Jacke... „Schöne Bücher haben Sie da", sagte der alte Mann. Er fah immerfort auf die Bücher, die mit ihren bunt farbigen Rücken sonderbar verlockend in einem breiten Strahl morgendlicher Sonne ausleuchteten. „Wünschen Sie vielleicht ein Buch?" fragte der Haus herr überstürzt und gutwillig. „Das ist es ja", erwiderte der alte Mann und löste seine Blicke langsam und voll Unfrieden ab von den schönen, schim mernden Regalen, „das ist es ja. Ich dachte erst, jawohl, ein Buch möchte ich wieder lesen, aber ich will nicht, ich lese nicht." Er reckte seinen Körper mit deutlichen kleinen Rucken aukrccht und schien wieder gesund und braun und zäh zu »ver dünnen, leuchtenden Haut überzogen, mit einem Schimmer in Grün und Gelb, einem leisen, leicht zitternden Glimmen. Wie Skelette, auseinandergebrochene Rippen, zermalmte Schenkelknochen aus umgewühlter Friedhofserde krochen die Felsen aus schwarzem Boden. Dann war ein Loch da, ein dunkles Loch, auf dessen Grund man nicht hinabsehen konnte, eine Doline vielleicht... „Siebenhundert tote Frauen habe ich hier gesehen, sieben-« hundert Leichen von Frauen, im Kampf gefallen. Unsere Reicks können nicht bestehen, weil es unser Blut nicht duldet. Sie sind alle gefallen über die Gier einzelner. Und wieder sehe ich die Reiche stürzen über die Gier, die aus dem brausenden Blut ins Hirn gestiegen ist. Und unser Boden trinkt unersätt lich unser Blut, kann nicht genug bekommen, ist immer noch trocken... trocken..." Er stand mir gegenüber, einen Kopf höher als ich — oder war er noch gewachsen? Und auf einmal sagte etwas in mir knapp und klar: Es ist aus. Es ist aus. Was? Ich? Wie eine Lähmung war es in meinem Becken, eine bleierne Schwere, die meine Beine in den Boden drückte. Nur die Arme konnte ich noch bewegen, schob die rechte Hand langsam in die Rocktasche; aber die Pistole, die ich noch vorhin dort gespürt hatte, war fort. Es war nicht entsetzlich, es war nur peinlich durch seine Langsamkeit, was ich sah. Der Dschuh stand vor mir am Rande der Doline und ragte riesenhaft über ihren dunklen Trichter hinaus. Sein Kopf war unter einer langgestreckten Wolke, hinter ihr eine Spur von Mondschein, ein dünner, zer ronnener Schimmer. „Trocken ... trocken ...", sagte er. Ich sah, wie er sein Gewehr gegen mich anschlug. „Alle unsere Steine wollen Blut, unbehauene und be hauene", murmelte er, „immer noch Blut, alle wollen Hechts Blut... immer noch nicht genug..." Ich glaube, daß er geschossen hat. Ich weiß es nickt Die Grenzjäger sagen, sie hätten nichts gehört. Fast gleick -g mit dem Knall des Gewehres vernahm ich Stimmen, und un mittelbar darauf schwankte ein Licht vor meinen Füßen. Es war eine Laterne, die von einem Grenzjäger getragen wurde, und vier oder fünf Soldaten umringten mich... Ich sah an mir herab, fah die Weiße, feste Straße unter mir. Der Dschuh war nicht fortaelaufen, er stand am Straßen rand, im Dunkel drohend, noch immer mit dem Gewehr iw Anschlag. Ich konnte meine Hand wieder rühren, streckte sie aus, zeigte auf die Gestalt. Der Grenzjäger hob die Laterne. Ein Bogumilenstein stand da am Straßenrand, ein Grabstein, der Kreuzesform hatte und doch wieder plumpe Menschengestalt und der über und über mit rätselhaften Schriftzeichen bedeckt war.
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