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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.11.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-11-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190811281
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19081128
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19081128
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-11
- Tag 1908-11-28
-
Monat
1908-11
-
Jahr
1908
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KipMtrTMblÄ Handelszettung Amtsblatt des Rates und -es Nolizeiamtes -er Lta-t Leipzig. und Umgebung stnanzielle «arantta ith^nmm»«». «a^en.Lilnah»«: 8, tch sämtlichen giltale» u. allen Snnonren- SgPadttt»«» de« I» und Slutlaade«. »mm Ausland äOH, stuE. N neigen 7S^s, Aeklainen DSV nU. Inserat»«, »etzärden t« «ntlichen Teil do^. Beilagegedithr S p. Taufend «xkl. Pot!- gebühr. Geschäft»« »zeigeu an b«or»ugiei Stell« l» Preis« erhöht. Rabatt nach Tart Hau»t.»tN«k« lvrr lku i I«r< LuuLer, Herzogl. Bahr. Hofbuch Handlung, Lützowfkrahe Ui. (Telephon VI, Str. 400S). Haupt-Killale Dresden: Seestrah« 4,1 (Telephon 4821>. Nr. 328. Sonnabend 28. November 1908. Da» wichtigste. * Die SozialdemokratenDresdens planen für Dienstag ¬ abend große Protest Versammlungen gegen die Wahlrechts reform. * Der Arbeitskammergesetzentwurf ist dem Reichstage zugegangen. sS. Dischs. R.) * Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" teilt mit, daß die Lon doner Seekriegsrechtskonfercnz am 4. Dezember be ginnt. Gleichzeitig gibt sie die Namen der Mitglieder der deutschen Delegierten zur Konferenz bekannt. * Der Deutsche Volksverein für Südtirol faßte, wie aus Bozen gemeldet wird, eine gcharnischteErklärung gegen die Ausschreitungen der italienischen Studenten in Wien und verlangt, daß die i t a l i e n i s ch e U n i v e r s i t ä t, falls die Regierung eine solche errichten wolle, nicht nach Tirol verlegt werde. * Zur Mordaffäre Steinheil wird aus Paris gemeldet: FrauSteinhcil ist unter dem Verdacht der Täterschaft der Er mordung ihres Gatten vom Untersuchungsrichter verhaftet und dem Fraucngefängnis zugeführt worden. Der Sohn ihrer Köchin, Alexander Wolf, wurde in Freiheit gesetzt. Die Tochter der Frau Steinheil hat ihre Mutter auf den Knien beschworen, aIles zu sagen. sS. d. bes. Art.) * Aus Athen wird gemeldet: Nach aus Paris und London hier eingetroffenen Meldungen steht einSchrittFrankreichs und Englands in der Kretaangelegenheit zugunsten Griechenlands unmittelbar bevor. Auf dein Wege zum parlamentarischen Regime. Es scheint manchmal im Deutschen Reiche, als ob Einzelheiten der Reichsverfassung in Vergessenheit geraten wollten, wenigstens machen von Zeit zu Zeit offiziöse Kundgebungen die Runde durch die Presse, die dies« Annahme rechtfertigen. So las man kürzlich in der „Köln. Ztg." eine offiziöse Meldung, wonach es der Reichskanzler und die Mitglieder des Bundesrats für „nicht angebracht" hielten, der bevorstehenden Ver fassungsdebatte im Reichstage bciznwobnen. Diese Nachricht ließ auf ein Verbalten schließen, das nicht gerade ein Uebcrmaß au Achtung vor dem Parlament bekundet hätte. Das mußte um so mehr befremden, als sich im Bundesrat eine sehr ernste Auffassung der allgemeinen Lage kund gegeben hatte. Es heißt sogar, der Vertreter Bayerns habe das Wort gesprochen: „Wir lassen uns das Reich nicht ruinieren!" Wenn also überhaupt nur die Möglichkeit, die allerfernste Möglichkeit estier vielleicht einmal denkbaren Gefährdung des Reiches durch den neuen Kur« angedeutet werden konnte, dann, sollte man meinen, hätten die Vertreter der verbündeten Regierungen das Bedürfnis selbst empfinden müssen, mit den VollSboten darüber zu beraten, wie solchen Eventualitäten wirksam vorgebeugt werden könne. Es batte fast den Anschein, als solle sich der Reichstag totreven, und als wollten sich die maßgebenden Faktoren des BundeSrateS totschweigen. Aber dieser zweifellos geplant gewesene und von den Offiziösen wohl etwas zu vorzeitig ausgeplauderte Versuch, den Reichstag in dieser wichtigen Frage auSzuschalten, hatte sofort so starken Widerspruch geweckt, daß der ersten eine zweite offiziöse Note folgte. Wie wir fa nun einmal durch lange Uebung ge-, wöhnt sind, wurde in dieser zweiten Kundgebung der In halt der ersten modifiziert. Die demokratische „Franks. Ztg." hatte ihre Spalten zur Aufnahme der korrigierten Meinung des Kanzlers geöffnet und teilt nun mit, am Tage der Bersafsungsdebatte werde Fürst Bülow oder einer seiner Vertreter zu erkennen geben, „daß die Frage der Ministerverantwortlichkeit eine mehr politische, staats rechtliche Angelegenheit sei, über die man sachlich beraten könne unv die den Bundesrat vor eine sehr ernste Entschließung stelle^ sobald sich ergebe, daß die Mehrheit des Reichstags sich auf bestimmte Vor schläge einige." In dieser offiziös stilisierten Auslassung wird also einmal eine Er klärung des Kanzlers in Aussicht gestellt, und dann dem Reichstag das Recht, Borschäge zu machen, ausdrücklich zurrkannt. Von beiden Tat sachen ist eigentlich selbstverständlich die zweite. Im Artikel 23 der ReichSverfafsung ist dem Reichstage ausdrücklich das Recht verliehen, „Gesetze vorzuschlagen". Dieser Artikel scheint aber manchem Politiker aus dem Gedächtnis entschwunden zu sein, denn sonst hätte nicht ein so lautes Geschrei über derartige Absichten, wie sie eben dieser Artikel gestattet, erhoben werden können. Der Reichstag befindet sich also in seinem guten Recht, Vorschläge zur Verfassungsänderung zu machen, wenn ihn dies nötig dünkt, und der BuudeSrat hat die Pflicht, diese Vorschläge anzuhören, wenn er nicht den ihm gleichberechtigten Faktor, den Reichstag, beleidigen will. Wenn es aber Leute gibt, die dem Reichstag den Willen zur Initiative übel- nehme«, so können wir sie daran erinnern, daß gerade Bismarck der Initiative des Reichstag- mehrmals da» Wort geredet hat: „Ich bin in keiner Weise ei« Gegner der Reichstags- und parlamentarische» Initia tive überhaupt; im Gegenteil, ich freue mich, so oft in ernster und ehr licher Absicht von ihr Gebrauch gemacht wird, weil sie ja dazu beiträgt, de« Stoff viel gründlicher z« klären und die öffentliche Meinung durch die Diskussion vor Eingriff der Regierung unbefangen zu belehren." Und ein andere« Mal spielt Bismarck gar da» Initiativrecht des Reichs ¬ tags gegen unfruchtbare parlamentarische Kritik aus. Aber noch aus einem anderen Grunde läßt sich das Vorgehen des Reichstags befürworten. Nach der Verfassung ist- allein der Kanzler im Reiche verantwortlich, aber der gesunde Menschenverstand wird es nimmer begreifen wollen, daß dem Reichstag nicht auch auch eine Art Mitverantwortlichkeit zukommt. Das Volk macht den Reichstag für Sünden der Tat und der Unterlassung nicht minder haft bar als die Regierung. Erst die jüngsten Debatten über die Reichs- sinanzresorm haben wieder neue Belege dafür geliefert, daß die Regie rung Mißerfolge und Mißgriffe auf das Parlament abzuwälzen sucht, und daS Volk heischt bei jeder Neuwahl Auskunft, um dann durch den Stimmzettel Anerkennung oder Tadel für die Haltung des Reichstags auszudrücken. Gerade im gegenwärtigen Augenblick muß also der Reichstag zeigen, ob er sich der Größe seiner Aufgabe und der Stärke seiner Bedeutung im Verfassnngsleben bewußt ist, und deshalb liegt ein zielbewußtes Handeln in seinem eignen Interesse. Es wird aber vom Kanzler auch eine eigne Erklärung angekündigt. Auch da-, meinen wir, ist selbstverständlich. Man hat in diesen Tagen heißer Erörterung offenbar viel zu wenig eine Erklärung des sächsischen Ministers Grafen Hohenthal in der Zweiten Kammer beachtet, nach der eine Kundgebung von bundcSrätlicher Seite geradezu unerläßlich scheint. Graf Hohenthal, der der Sitzung des BundesratsauSschusses für auswärtige Angelegenheiten als Vertreter Sachsens beigewohnt batte, warnte zunächst vor einer Verfassungs änderung ab irato, fuhr dann aber fort: „Es ist möglich, daß wir zu einer Veränderung kommen werden, und die sächsische Regie- rung wird, — das kann ich versichern — wenn von den zuständigen Stellen bezügliche Vorschläge unterbreitet werten, gern bereit sein, in die Prüfung dieser Vorschläge einzutreten. Ich meine aber, daß die sächsische Regierung jetzt nicht in der Lage ist, eine derartige Initiative zu ergreifen." Diese Worte gestatteten den sicheren Schluß, daß im BundeSrat die Möglichkeit einer Verfassungsänderung erwogen worden ist, und daß sich dabei eine Geneigtheit, eine solche Aenderung vorzu nehmen, herausgrstellt hat; daran wird keine nachträgliche Interpretation rütteln oder herumdenteln können. Nicht also über die Absicht einer Verfassungsänderung, sonrcrn lediglich über deren Umfang und über den Zeitpunkt der Dnichführung dürften zwischen Bundesrat und Reichstag Meinungsverschiedenheiten bestehen. Es entfällt daher nicht nur jeder rechtliche Vorwand für den BundeSrat, sondern auch jeder sachliche Grund, dem SchwerinStage im Wallotbau feruzubleiben und seine doch einmal schon Halbwegs bekannten Ansichten zu verheimlichen. O Die „Nationallib. Corr." schreibt: Die nationatliberale Reichstagsfraktion hat am Mittwochabend in mehrstündiger Sitzung über die Anträge auf Ausbau der Reichskanzler verantwortlichkeit und Einführung verantwortlicher Reichsminister beraten und ist zu einstimmigen Beschlüssen gekommen. Den Stand punkt der Fraktion wird der Abgeordnete Iunck im Plenum vertreten. Ein Berliner Blatt erzählt: Fürst Bülow und seine Leute hätten für ihre Bemühungen, die Bedeutung der kommenden Debatte abzuschwächen, in den Nationalliberalen Helfershelfer gesunden. Diese Angabe entbehrt jeder tatsächlichen Grundlage. Sagen wir'« nochmals und so präzis wie irgend möglich: Zwischen den Nationalliberalen und Fürst Bülow unv seinen Leuten haben keinerlei Unterhaltungen irgendwelcher Art unv weder schriftliche noch mündliche Abmachungen stattgesunden. Ohnebin wäre uns uner- kindlich, welches Interesse gerade die nationalliberale Fraktion an einer Abschwächung der Versassungsvebatte haben sollte. 3m Gegenteil: die Fraktion wird, wie wir zu wissen glauben, ihren Standpunkt reckt klar und deutlich zum Ausdruck bringen und bei der Gelegenheit bemüht sein, auch die Bedeutung mancher Schlagworte ins rechte Licht zu rücken. Das rMsztrauenrvotuin gegen -en Präsidenten -er Zweiten sächsischen Kammer. Von der nationalliberalen Fraktion wird folgende Erklärung ver breitet: Nachdem die nationalliberale Fraktion der II. sächsischen Stände kammer in Anbetracht des Ernstes der gegenwärtigen Lage und der fortwährenden Provokationen von konservativer Seite sich zu dem außer gewöhnlichen Schritte entschlossen hat, dem auch von ihr bei Beginn der Session mitgewählten Präsidenten Dr. Mehnert in öffentlicher Sitzung ein Mißtrauensvotum zu erteilen, halten wir es für angebracht, vor der breitesten Oeffentlichkeit die wichtigsten Gründe für dieses Ver fahren darzulegen. Die Erklärung der Fraktion betrifft: 1) Das Verhalten des Präsidenten im Fall Nühl- mann. — Wenn Herr Dr. Mehnert behauptet, in diesem Falle dem Verstorbenen und seiner Familie gegenüber die größte Rücksicht geübt zu haben, so kann er doch die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß er selbst erklärt hat, Dr. Rühlmann habe nicht unehrenhaft gehandelt. Trvtzdem hat er von dem in höchster seelischer Erregung befindlichen Manne ein Versprechen entgegengenommen, das nach außen hin den Eindruck erwecken mußte, Rühlmann habe etwas begangen, was ihn von der weiteren Mitarbeit im Landtag ausschließe. Rühlmann selbst konnte, wie sich aus der eigenen Schilderung des Präsidenten ergibt, die Tragweite seiner Handlung in dem Augenblicke nicht beurteilen, aber der Präsident, dessen Aufgabe es ist, die Würde und das Ansehen der Kammer zu wahren, mußte schon aus diesem Grunde den Verzicht des Abg. Dr. Rühlmann verhindern, dazu kamen die auch in erster Linie vom Präsidenten zu wahrenden Rücksichten auf die Wähler des 9. städtischen Wahlkreises, die dadurch für den Rest der Session und für die wichtigen Beratungen und Abstimmungen über die Wahlrechtsreform ihrer Vertretung in der Zweiten Kammer beraubt wurden. Als nach einiger Zeit Abg. Dr. Rühlmann von seinem Verzicht auf die fernere parlamentarische Tätigkeit entbunden zu werden wünschte, erklärte ihm der Präsident, darüber müßten erst die Fraktionen entscheiden. Dies war wenige Tage vor dem Ableben Dr. Rühlmann»! Ferner ist es be merkenswert, daß, obwohl sich alle Beteiligten zum Stillschweigen über die Angelegenheit verpflichtet hatten, die dem Präsidenten besonders nahestehenden „Dresdner Nachrichten" diese» Stillschweigen gebrochen Haven, worauf die partei-offiziöse konservative Korrespondenz gleichfalls im Sinne ihrer Partei zu der Angelegenheit Stellung nahm. Der Präsident, der aus alles, waS sich in Sachsen konservativ nennt, einen 182. Jahrgang. großen Einfluß besitzt, hätte das mit Leichtigkeit verhindern können, zu malervonderAbsichtderRedaktionder „Dresdner Nachrichten", sich über die Sache zu äußern, erwiese- »ermaßen Kenntnis hatte. 2) In dem Falle Schmidt-Langhammer, dessen Be urteilung durch die Fraktion genügend bekannt ist, ist dem Präsidenten keineswegs zum Vorwurf gemacht worden, daß er von seiner Polizei- gcwalt im Hause Gebrauch gemacht habe. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Der Präsident hat das nur den Dienern gegenüber getan. Sobald Abgeordnete in Frage kamen, rief er die Staatsanwalt schaft an, während doch die Verleihung der Polizeigewalt im Stände haufe an den Präsidenten nicht der Diener wegen erfolgt ist, sondern mit Rücksicht darauf, daß ein Einschreiten der Behörde gegen Mit glieder der Ständeversammlung möglichst vermieden werden soll. Der Präsident hat sich nun auf H 346 StGB, berufen, der denjenigen Be amten mit Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren bedroht, welcher in der Absicht, jemanden gesetzlichen Strafen rechtswidrig zu entziehen, die Verfolgung einer strafbaren Handlung unterläßt. Er konnte aber mit Leichtigkeit ermitteln, ob eine strafbare Handlung vorlag, denn er mußte sich sofort sagen, daß ein solches Schriftstück doch gar nicht in einer fremden Mappe vermutet werden konnte, daß cs also durch Zufall in fremde .Hände gelangt sein mußte. Ehe der Abg. Schmidt seinen Ver lust bemerkte, hatte Abg. Langhammer seine Kenntnis von dem Inhalt des Schriftstückes schon in einer Chemnitzer Versammlung kundgegeben. Es war also die Pflicht des Präsidenten, sich mit Abg. Langhammer in Verbindung zu sehen, bevor er die Angelegenheit der Staatsanwalt schaft übergab. Der Gedanke, daß sich Herr Dr. Mehnert sonst einer Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren ausgesetzt hätte, ist zu absurd, um überhaupt ernsthaft diskutiert zu werden. Außerdem mußte der Präsi dent wissen, daß ein Polizeibeamter sich zur Ermittelung von Material niemals des Verletzten bedienen darf, daß also Abg. Schmidt, den er mit der Befragung des Abg. Langhammer beauftragt hatte, der hierzu am allerwenigsten geeignete Mann war. Während dem Präsidenten, wenn er die Absicht hatte, einen Eklat zu vermeiden und damit die Würde und das Ansehen der Kammer zu wahren, hierzu ebenso einfache wie wirkungsvolle Mittel zur Verfügung standen, hat er gerade durch die in keiner Weise erforderliche Hinzuziehung der Staatsanwaltschaft dem Publikum Veranlassung gegeben, zu glauben, daß im Ständehaus straf- bare Handlungen begangen würden. Das Verhalten des Präsidenten in beiden Fällen zeigt daher, daß es ihm lediglich darauf ankam, die nationalliberale Fraktion zu dis kreditieren, selbst wenn dabei das Ansehen der gesamten Kammer Ge fahr lief. 3) Der schwerste Vorwurf des Mangels an Unparteilich, keit und Objektivität trifft den Präsidenten nicht deshalb, weil er nach wie vor der konservativen Partei angehört, sondern weil er bei allen Verhandlungen zwischen den Fraktionen, besonders in der Wahl- rechtSreform, als der eigentliche Leiter der Konservativen, meistens auch als ihr Wortführer, aufgetreten ist und dabei die Interessen der Partei vorangestellt hat. Anch bei den letzten interfraktionellen Verhandlungen hat immer nur er für die konservative Fraktion alle Erklärung abge geben. Dieseandauernb «Verkennung der Pflichten und Rechte eines Präsidenten der Kammer konnte die nativ- nalliberale Partei nicht länger dulden, weil sie sie mit der Würde und der Unparteilichkeit nicht vereinbaren kann, die man von dem Präsi denten erwartet. Sie war deshalb zu ihrem Bedauern gezwungen, .Herrn Dr. Mehnert zu erklären, daß das Vertrauen, welches sic ibm zu Beginn der Session entgegenbrachte, erschüttert ist. Fran Steinherl. Paris, 26. November. Vielleicht ist in diesem Augenblick das Rätsel bereits gelöst, mit dem der Aslminalroman Stcinheil einen vorläufigen Abschluß gefunden hatte. Vielleicht ist es wabr, daß der Pferdewärter Alexander Wolf der Mörder des Malers Steinheil und von besten Schwiegermutter ist. Xuri s«orn lnink«! Der Pferdeknecht und Sohn einer Köchin hat Gelegenheit, Ein- blick in ein Haus zu erhalten, das auf Wohlstand gegründet ist und worin die Leute vergnügt und angenehm leben, ohne offensichtlich arbeiten zu müssen. Die Erzählungen seiner Mutter ergänzen seine eigenen Wahr- nehmungen. Der verfluchte Hunger nach Gold erfaßt ihn, betäubt ihn, löscht alles aus, was eine, wenn auch mangelhafte Erziehung an Grund- sätzcn in ihm befestigt hat, kehrt förmlich alles um, versetzt ihn in einen Rausch. Die erste Empfindung ist die Gier. Wenn er das alles nur selber haben könnte! Wie glücklich könnte er sein, wenn er nicht die Pferde zu striegeln brauchte! Sich vielleicht selbst einen Pfcrdewärter halten könnte! Seine Phantasie vergrößert bie vielleicht bescheidenen Schätze, die er vor sich sicht. Die armen Leute überschätzen die reichen immer. Sie überschätzen auch jeden Geldbetrag, der nur um ein geringes größer ist, als jener, über den sie selbst verfügen. Nm die vier Pfennig, die ein Knabe bei sich trug, ist ein Begleiter an ihm schon zum Mörder geworden. Das ist fast alltäglich, und wiederholt haben schon namhafte Dichter einen solchen grausigen Vorgang geschildert. Vier Pfennig und ich gar nichts! Vier Pfennig bedeutet schon ein Stück Brot, ein Glas Branntwein und damit das Ende aller Not, des Hungers und der Ver zweiflung. Für wie lange? O, so weit denken die wenigsten Verbrecher, sic sind nur von der Zwangsvorstellung beherrscht, das, was sie vor sich scheu, besitzen zu müßen. Und wenn die Mahnung an das Nachher kommt — komme was kommen mag und koste es selbst das Leben! Ist aber die Gier noch nicht mächtig genug, zur Verübung der Tat zu führen, dann sucht sie Hilfe bei falschen Gründen, die so verführerisch sind, daß sie sogar von ganzen Volksichichten zu Grundsätzen erhoben worden sind. Dem Besitzer wird das Recht am Besitz abgesprochen, die herrschende Rechtsordnung wird verantwortlich gemacht und schließlich steigt ein Haß in der Seele des Besitzlosen auf, eine Wut und Raserei, in ber der Unschuldige als Verbrecher, der Verbrecher sich selbst als ein Rich ter und Rächer erscheint. Ist das wirklich die Geschichte des Pferde- Wärters Alexander Wolf? Man braucht ja das Motiv seiner Tal nur anzudeuten, und muß es vollkommen plausibel finden. Dies wäre eine einfache Lösung des kriminalistischen Rätsels und die einfachste Lösung pflegt immer die richtigste zu sein. Solche einfache Lösungen Pflegt man bei Schachaufgaben auf den ersten Blick zu finden, bis man bei näherer Prüfung gewahr wird, daß man in irgendeinem entfernten Felde einen Läufer oder einen Bauer übersehen hat, der die Sache doch etwas kompli zierter macht. Die Angeberin des Mörders hat ihre angeblich allein wahre Anzeige erst erstattet, nachdem sie zunächst ein geheimnisvolles Märchen von drei vermummten Männern — „in Kaftans" hatte irgendein journalistischer Kumpan Drumonts, des jüngsten Kandidaten für den Sih Sardous in der Akademie hinzugedichtet — erzählt und als dieses kernen Glauben fand, weil auch nicht die geringste Spur zu erforschen war, eine Perle in bie Brieftasche de» Kammerdiener» gesteckt batte, um ihn al» den Mörder zu verdLchtigen. Und warum versuchte sie dieses Verbrechen gegen einen unschuldigen? Weil Wolf ihr gedroht hatte, er werde sie der Urheber schaft der beiden Morde anklagen, falls sie ihn verriete. Wie, eine Frau, der man den Gatten, der man die Mutter hinaemorket, macht gar nicht den Versuch, den Mörder seiner Strafe zuzuführen? Braucht sie im Bewußtsein ihrer Schuldlosigkeit die Verdächtigung eine» solchen Men- schen zu fürchten? Und wird sie nickt seine Genossin, indem sie schweigt, noch mehr, indem sie einen Unschuldigen in die höchste Gefahr bringt? Ist e» auch glaublich, daß der Mörder nur halbe Arbeit machte und sich
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