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Zweites Blatt. -MM Vricheinl wöcbentlich 2 Mal (Dienstag und Freiteg.s Bbonncnientspreis vierteljährlich I Mark. Eine einzelne Nummer kostet 10 Ps. Inseratenannahme Montags u. Donnerstags bis Mittag 12 Uhr. Erschein wöchentlich 2 Mal (Dienstag und Freitag. Abonnementspre s vierteljährlich 1 M äk. Eine einzelne Nummer kostet 10 Pf. Inseratenannahme Montags u. Donnerstags bis Mittag 12 Uhr. Nossen, Siebeulehn und die Umgegenden. Amtsblatt für die König!. Amtshanptmcmnschaft zu Meißen, das König!. Amtsgericht nnd den Stadtrath zu Wilsdruff. Vierzigster Jahrgang. Nr. U)2 Freitag, den 17. Dezember Adclstolz nnd Bürgerthum. Culturgeschichtliche Erzählung von E. Heinrichs. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Nun, Mohrenelement!" rief Meister Tavpen finster, nehmt's einem alten Manne nicht für ungut, Herr v. Wüllen, aber wenn ich gemußt, daß ein Jeder hier Zutritt bekommen würde, meiner Treu! ich wäre nicht hierhcrgegangcn." „So verlangt Ihr ebenfalls eine hohe Mauer, wie in der „Neuen Schenke", lieber Meister?" versetzte Philipp ernst. „Das just nicht, Herr Assessor! nein, bei Leibe nicht, — aber nur der Bürgersmann soll das Recht haben, hier im fröhlichen Kreise sich zu vereinigen. Der Kukuk mag mich holen, wenn lch's ertrage, daß mir auf Tritt und Schritt, wohin ich mich wende, ein armseliges und weinerliches Gesicht, dem der Hunger aus den hohlen Wangen predigt, entgegcntrilt. Und damit Punctum." „Das Gesicht soll Euch hier niemals wieder entgegentreten, Meister!" erhob sich mit tief geröthetem Antlitz der arme Schulmeister. ,.Könnt nur meinetwegen ruhig hier im Club bleiben, meine Gegenwart soll Euch nimmer wieder kränken." Tvdtenstille war nach den Worten des Schulmeisters eingetreten; die Mehrzahl der Anwesenden halte den stillen, gelehrten jungen Mann lieb und achtete ihn doppelt seiner kindlichen Liebe und Aufopferung halber, mit der er die Mutter pflegte. Man wußte allgemein, weshalb der alte Schmledemeister ihm so grollte, und drohende Blicke, besonders von den jüngeren Männern, hefteten sich auf Meister Tappen. Conrad Ziehn wollte sich entfernen, und selbst der unerschrockene Schneidermeister schien momentan die Sprache verloren zu haben, da legte Philipp ruhig und mit Nachdruck die Hand auf des Schulmeisters Schultern und zwang ihn sanft, seinen Platz wieder einzunehmen. „Herr Conrad Ziehn," sprach er dann mit fester Stimme, „un möglich kann jener ehrenwerthe Meister dort Euch mit seinen Reden gemeint haben, Ihr habt Ench sicherlich geirrt, denn so viel mir be kannt, seid Ihr die Zierde der Lateinischen Schule und ein Segen sür unsere Stadl. Nicht war, Herr Conrad Ziehn, Ihr habt eigentlich Theologie studirt?" Em leises Neigen war die Antwort des gekränkten Mannes. „Ja, freilich," hohnlachte Meister Tappen, der seine Wuth zu verbergen strebte, „wenn der Meister Bakel im ehrwürdigen Chorrock des Priesters und mit dem Heilgen Gvtteswort nnterm Arm vor mich Hintretell könnte, ich glaube wahrhaftig selbst, daß ich ihm mein einzig Töchterchen geben würde. Uno damit Punctum!" Der Schulmeister wurde bei diesem herzlosen Spott leichenblaß, und eine Thräne drängte sich gewaltsam aus seinem Auge. „Punctum also, mein lieber Meister!" rief der Assessor lächelnd, „Ihr habt Euer letztes Wort gesprochen nnd wir Alle, die wir hier beisammen sind, haben's gehört, als rechtsgültige Zeugen. Auch denke ich, Herr Conrad Ziehn könne durch seine Gegenwart den „Neuen Bürgmclub" nur ehren; oder wer meint das Gegentheil, der trete vor und lege seinen Werth daneben in die Wagschale." „Bravo, so ist's recht!" rief eine klangvolle Stimme, und ehrer bietig machte Alles Platz, denn der hochgeehrte Herr Josias Burchard schritt langsam und freundlich grüßend daher. Mit einem Blick auf den Schmiedemeister und den todtenbleichen Schulmeister schien der alte Herr die Situation begriffen zu haben. „Grüß' Euch Gott Alle beisamen in Frieden!" Hub er an, indem er Meister Tappen freundlich mit der Hand grüßte und den Schul meister auf die Schulter klopfte. „Wir haben, denke ich, wohl Ursache, uns zu freuen nach der frohen Nachricht, welche uns heute Morgen im Gotleshause geworden. Und ich hoffe, daß unsere fröhliche Ber einigung nicht allein dem Trnnke und Spiel geweiht sei, sondern anch ein ernstes und belehrendes Wort guten nnd fruchtbaren Boden finde. Da denke ich denn so, meine lieben Mitbürger! möge Jeder, dem die Rcdegabe verliehen, das Seine dazu beilragen, nnd gewiß werden sich Viele finden, die einen geraden Verstand besitzen nnd Erfahrung durch ihr reifes Alter oder Kenntnisse aus der Fremde milgebracht habe». Denn der verständige Mensch soll niemals eigensinnig und hartnäckig am Alten hängen, wenn ihm etwas Neues und Gutes geboten wird. Sehr freute es mich deshalb, lieben Freunde, den gelehrten Schul meister von der Lanteinischen Schule in unserer Mitte zu sehen, er wird uns sein reiches Wissen nimmer vorenthalten wollen. Aber auch Meister Ernst Blome wird seine Zunge fein fleißig üben müssen, um mit Ehren in unserm Club zu bestehen. Denn nur durch solch' ernstes Streben können wir dem „Nenen Bürgerclub" rechte Weihe geben." „Bravo!" rief der Assessor mit leuchtenden Augen, und ein don nerndes „Hoch" erscholl wie das Brausen einer neuen Zeit durch die hohen Bäume der Eilcnriede. „Und wenn wir dereinst sehen, daß unsere Vereinigung segnende Früchte trägt," fuhr Herr Josias lächelnd fort, „dann denke ich, wir lassen unsere Frauen und Töchter auch zuweilen daran Theil nehmen, um auch in ihrem Herzen den Sinn sür das Neue und Schöne zu Wecken, denn wie kann eine Mutter ihre Kinder verständig erziehen, wenn sie nicht weiß, was ihnen für die Zukunft dient und nützt?" Lauter Beifallsruf ertönte ringsum, besonders von den jüngeren Männern, während sich die Alten stumm und staunend anblickten und und es nicht zu fassen vermochten, daß der würdige Herr Josias so Ungeheures auSiprechen und in Aussicht stellen mochte. Doch wagten sie es vor lauter Respect nicht, Widerspruch zu erheben; nur bei Meister Tappen schien der Becher überzuschäumen, fein Glas heftig niederstoßend, erhob er sich ungestüm, stülpte den kleinen Dreimaster auf und rief polternd und zornenlbraant: „Wer die alte gute Sitte liebt und ehrt, der verlasse mit mir diese Versammlung, wo alte Männer zu Kindern werden und unbärtige Knaben sich zu ihren Meistern auf werfen. Potz Velten! und dann noch die Weiber dazu, hier, wo wir rauchen, trinken und Kegel schiebt», mit ihrem Strickstrumpf. Mohren- element! das wäre mir die rechte Deutsche Art, welche Zuckt und Sitte im Hause stets aufrecht hielt! Ihr Herren, Punclum!" Er schwenkte die Pfeife, welche ihm ausgegangen war, mit grim migen Geberden und schritt eilig dem Heimwege zu. Herr Josias schüttelte den Kopf und blickte den Assessor ernst und bedeutungsvoll an. Er hatte es ihm vorhergcsagt, da die Idee, Welche in des Assessors Kopf entsprungen, selbst für ihn zu neu nnd weitgreifend war. Er hatte sich auch nur dazu bequemt, um Philipp von der Unmöglichkeit der Durchführung zu überzeuge»; doch schien dieser den Muti) nicht im Geringste» verloren zu habe», er zählte die Häupter der Jugend und hatte die große Mehrzahl für sich. Was kümmerte ihn das morsche Alter, welches zur Generation der Vergan genheit gehörte, die Zukunft war seiner Idee günstig, und das war ihm genug. „Niin, meine Freunde!" begann er ruhig, „wer von Euch dem alten Meister folgen will, der fürchte sich nicht, sonder» entferne sich frei aus unserm Kreise. Wir wollen der UeberMgung deS Einzelnen keinen Zwang anlegen, doch werdet Ihr Alle sicherlich nicht glauben, was der alte, zornige Man» auszuspreche» wagte, daß nämlich Herr Josias Burchard mit seinem Vorschläge die alte, gute Sitte verletzen wolle. Dolches werdet Ihr dem würdigen alten Herrn doch nimmer mehr zutrauen!" Die Alten schwiegen und blieben, und als Meister Tappen in einiger Entfernung vom „Neuen Haufe" sich triumphirend umschaute, da folgte ihm kein Einziger, und ingrimmig schwur er in der Stille, die Dore wie eine Gefangene zwischen den vier Mauern fortan zu halten, damit das Gift der heillosen Neuerung sie nicht an Seel' und Leib verderbe. Anf dem „Neuen Hause" aber herrschte jetzt ein fröhliches Treiben und der Assessor hatte mit dem schlaue» Meister Blome, sowie mit dem Schulmeister eine lange, gehcimnißvolle Zwiesprache, die zu Aller Zufriedenheit zu enden schien. Herr Josias fühlte sich endlich ganz behaglich in diesem Kreise, besonders als sein Sohn, der Doctor Earl, anlangte und von den Bürgern mit einem fröhlichen Willkommen empfangen wurde. Der lustige Doctor wußte erst de» rechte» Ton in die Gesellschaft zu bringen und den wahren Zweck damit zn verbinden. „Meine Freunde und lieben Mitbürger!" begann er zur stillen Freude des Vaters, „wir.sind hier so fröhlich beisamen nnd haben Alle, die wir hier stehen und sitzen, unser tägliches Brot, auch wohl etwas darüber. Nun aber giebt es gar Viele in unserer Vaterstadt, die solches entbehren und mit dem bösen Wolf, Hunger genannt, käm pfen müsse». Da wollen wir heute an die Armen denken und nach Kräften beistcueim, daß mindestens zwanzig Arme ein reichliches Sonn tagsmahl nnd einen Himten Roggen bekommen." „Das wollen wir," schrie Meister Blome, während Conrad Ziehn erbleichte, denn der Arme halte keinen Pfennig zn geben. Er litt Folterqual, selbst als der gntmüthige Schlie der ihm heimlich einen Gulde» in die Hand schob und dann Vorschlag, die Gaben bis zu des Königs Ankunft aufziijparen lind den Schulmeister fortan in dem „dienen Club" zum Armen-Säckelmeister zu erneimcu, was allgemeinen Beifall sand. Doctor Carl sammelte selbst die Gaben und der Meister Blome mußte iu Verbindung mit dem Schulmeister das Rechenexempel über die Vcrtheilung dazu liefern. „Lieber Himmel!" wird manche Hausfrau der Gegenwart bei der nachfolgenden Rechnung seufzen, „unsere Vorfahren hatten gut leben bei solchen Preisen. Wie würden sic anfschauen, wenn sie unsere heutigen Wochenmärkte besuchen könnten. O, die gute, alte Zeit!" Ja, freilich, der Groschen halte damals ciiicn hohen Werth, — aber Wohlstand und Armuth hielten sich ebenso sehr damals die Waage, als zu unserer Zeit. Im Uebrigm sind die Leidenschaften und Plagen 1 der Menschheit steh zu allen Zeiten gleich gewcsen. I Däs Ergebniß der Sammlung war ein recht gutes gewesen, cH--