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Schneestürme, denen an zwei Tagen rund 1 Million Rinder und Hun derttausende von Schafen unterlegen sind. Die innere Lage Frankreichs gestaltet sich durch das unent schlossene und zaghafte Vorgehen der Regierung in Ausführung der Märzdekrete immer ernster, so daß bedenkliche Conflicte kaum noch zu vermeiden sind. Die Hetzereien der katholischen Presse und der fanatische Eifer der Führer derselben gewinnen durch dieses ruckweise Vorgehen thatsächlich an Einfluß, und zwar besonders an den Orten, wo die Bevölkerung noch nicht recht in das republikanische Regiment eingellbt ist. Auf der einen Seite überhäuft der katholische Adel und die katholische Bürgerschaft die armen Beamten mit Beleidigungen und Kränkungen, während sie andererseits von den Radikalen wieder verhöhnt werden; die radikale Presse spottet sogar über den Minister des Innern, daß er sein Wort nicht halten könne und das folgsame Werkzeug des Herrn Gambetta sei. Dieser Mangel an Ansehen erklärt es, daß viele Polizeibeamte ihren Abschied nehmen und die richterlichen Beamten ihnen Nachfolgen. Manche Präfekten dürften denselben Weg gehen; so hat sich z. B. zu Vannes der Präfekt de Montluc in eine Prügelscene eingelassen mit drei frommen Damen dieser Stadt, deren eine ihren Sonnenschirm auf seinem Rücken entzweigeschlagen hat. Wenn nun dieser Fall allein dastände, so wäre es nur komisch, aber auch in anderen Städten sind Präfekten und Unterpräfecten beschimpft und ausgepfiffen worden, wenn sie öffentlich erschienen. Während in den Pariser Klöstern Barrikaden errichtet werden nnd Proviant aufgehänft wird, um bei der drohenden Auflösung der geistlichen Genossenschaften der Staatsgewalt einen energischen Wider stand entgegenzusetzcn, regen sich im Süden und insbesondere im Westen des Landes, in der alten Vendse, die mit den Klerikalen ver bündeten Legitimisten, gleichsam als ob die „weiße" Revolution schon in allernächster Zeit zum Ausbruch kommen sollte. „General" Charette hat bei dem legitimistifchen Banket in La Roche-sur-Ion, welchem auch die übrigen Chefs der royalistischen Partei beiwohnten, offen die Fahne des Bürgerkriegs entrollt. Zugleich veröffentlicht die „Union" eine Art Manifest, m welchem ganz unverhüht zum Aufstand aufgefordert wird. „Die verbrecherische Bande", heißt es in diesem Pronuncia- miento unter Anderem, „welche die Gewalt an sich gerissen, soll er fahren, daß die Gerechtigkeit sich nicht austreiben läßt, und daß die Sühne vorbereitet wird. Wir sind erst am Vorabend der Krisis, die durch den religiösen Krieg hervorgerufen wurde; aber schon erhitzen sich die Gemüther, die Gewissen gerathen in Entrüstung, und die Arme erheben sich . . . Das ist die Androhung des Bürgerkrieges! schreien die Banditen, welche uns regieren; sie irren; es wird nur die einfache Ausführung eines Beschlusses des öffentlichen Gewissens gegen eine Truppe von Bösewichtern fein, die versuchen werden, zn fluchten, die sich aber nicht schlagen werden." Es würde der Regierung sicherlich als unverzeihliche Schwäche gedeutet werden, falls sie nicht unverzüg lich gegen derartige Ausschreitungen vorginge. Ein Korrespondent des Berl. Tgbl. schreibt aus Rom: Am 14. d. M. telegraphirte ich, daß Papst Leo XIII. erkrankt fei. Hier stellte man die Richtigkeit der darauf umlaufenden Gerüchte in Abrede. Trotzdem waren sie wahr. Die klerikalen Blätter schwiegen ganz da rüber, ebenso wie über den traurigen Zustand, in welchem der Papst W-Ze-Äv-L- -«URL HWL!^ nehmer an der Audienz, können aber unmöglich ein Gcheimmg so sehr man es auch im Vatikan gewünscht und anempsohlen hat. Von Leuten, welche dabei gegenwärtig waren, habe ich erfahren, daß der Papst so leidend ist, daß er gar nicht gehen kann. Er mußte in der Sänfte in den Saal getragen werden und vier Männer mußten ihn langsam die Stufen des Thrones hinaufbrinaen. Nach den Erkundigungen, welche ich in Folge dieser Miltheilung über die Art der Krankheit Leo's eingezogen habe, ist dieselbe durchaus nicht unbedenklich. Es handelt sich um eine Fistel an einer Stelle des Körpers, wo die über kurz oder lang nothwendige Operation eine lebensgefährliche werden kann. London, 30. Oktober. Ein seltener Unglücksfall ereignete sich gestern Nacht an der Norfolker Küste. Das Rettungsboot, welches zur Rettung eines sinkenden Schiffes ausfuhr, fchug um, wo- bei elf Mann das Leben verloren. Neuestes. (Spezialtelegramm des Deutschen Montags-Blatt.) Wien, 31. Oktober. Die hvchoffiziöse „Montagsrevue" sig- nalisirt den Rücktritt Gladstones und dieUebernahme der Pre mierschaft seitens Lord Hartingtons. — Des Weiteren erklärt die .„Montagsrevue", Bismarck dürfte bereits seine Entlassung einge reicht haben; jedenfalls sei derselbe aber dazu fest entschlossen. Als Ursache verlautet die Jntrigne einer den intimeren Hofkreisen angehörenden Persönlichkeit und die Meinungsverschiedenheit, welche an leitender Stelle bezüglich der Besetzung des Postens des Staatssekretärs des Aeußeren vorliege. Furchtbare Vergeltung. Der deutsche Contreadmiral außer Dienst, Reinhold Werner, erzählt in feinem jüngst erschienenen Buche: „Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben." (Berlin 1880. A. Hofmann u. Comp.) eine in ihrer Furchtbarkeit spannende Episode aus dem See leben, die wir nachstehend mittheilen. Die Episode hat zum Mittel punkt ein menschliches Scheusal, das glücklicherweise zu den Seltenheiten gehört. Es war dies der Commandant einer französischen Kriegsbrigg, mit der er im Jahre 1836 auf zwei Jahre nach der Antillenstation ging, eine jener niedrigen Seelen, deren Gemeinheit und Niedertracht sich in ihrem wahren Lichte erst zeigt, wenn sie glauben, die Macht in Händen zu haben. So lange er Subalternoffizier war, schmeichelte er Jedem, von dem er irgendwie Vortheile erhoffte, und namentlich den Vorgesetzten. Borwürfe nahm er von ihnen wie eine Gunst ent gegen, Grobheiten und Ungerechtigkeiten mit sanftem Lächeln. Er suchte sich einen hohen Beschützer auf, dessen verdammte Seele er spielte, er übersprang Kameraden, weil er kriegen konnte, erhielt Decorationen als Pflaster für hingenommene Beleidigungen und endlich das Com- mando der Brigg als Belohnung für Speichelleckerei. Sein Ziel war erreicht, er streifte die Maske ab, warf seinen bespuckten Rock hinter sich und zeigte sein wahres Gesicht, das nicht erröthen konnte, weil es keine Scham mehr kannte. Seine Kameraden von gestern, heute seine Untergebenen, wurden seine Opfer. Sie hatten seine Natur erkannt, es bis dahin unter ihrer Würde gehalten, ihm die Hand zu reichen, an Bord ihn unter Ouarantaine gestellt und seinen Namen nur mit einem verächtlichen Achselzucken genannt. Er hatte Alles gefühlt, aber mit lächelndem Munde auf seine Zeit gewartet; jetzt endlich war sie gekommen und fortan wurde Rache die Triebfeder aller seiner Hand lungen. Die Brigg hatte 2 Jahre auf der Station in Westindien gelegen, und diese ganze Zeit war für seine Besatzung nur ein hartes Gefäng- niß, eine ununterbrochene geistige und körperliche Quälerei gewesen. Der Kapitän wohnte am Lande, aber übte von dort feine Gewalt über die Untergebenen aus; er hatte an Bord seine Spione, die ihm Alles hinterbrachten. Fast täglich erschienen Befehle, welche die här teste Tyrannei übten, aber besorgt werden n utzten, weil s e die dienst lichen Schranken inne hielten, und so wurden hundert Menschen durch einen unsichtbaren Verfolger allmählich zur Verzweiflung getrieben. Die Brigg war IV2 Meilen vom Ufer verankert, Niemand erhielt Urlaub und nur Einzelne kamen ans Land, wenn der Dienst es durch aus erforderte. Tödtlicher Haß gegen die Peiniger erwuchs in den Herzen der Offiziere und Mannschaften; er wurde nicht ausgesprochen, oder desto glühender flammte er in der verschlossenen Brust und drohte sie zu sprengen. Endlich erschien der Tag der Heimkehr und der Kapitän kommt mit heiterer Miene an Bord. Seine Mission ist beendet; ein höherer Grad erwartet ihn bei feiner Rückkehr. Auf den bleichen und abge zehrten Gesichtern der Mannschaft zeigt sich jedoch kein Freudenstrahl, obwohl es heimwärts geht; Unheil verheißender Ernst lagert auf ihren Zügen und finstere Wuth zieht ihr Herz krampfhaft zusammen, als sie lautlos um das Gangspill marschiren, um den Anker zu lichten. Der Käpitän liest eine unbestimmte Drohung in ihren Mienen, und es wird ihm unheimlich zu Mnthe. Er sucht mit den Offizieren ein Gespräch anzuknüpfen, doch vergebens; sie befolgen nur stumm die er- halrenen Befehle, sonst weichen sie ihm scheu aus, wie dem bösen Feinde. Im Bahama-Kanal steigt eine Böe auf, eine von jenen, die der Schrecken der Seefahrer sind und den Orkan in ihrem Schooße tragen. Der Offizier ver Wache benachrichtigt den Kapitän von der nahenden Ge fahr; dieser kommt an Deck und ertheilt den Befehl, Segel zu kürzen. Der Offizier läßt „Alle Mann" aufpfeifen und wiederholt das erhaltene Commando, doch die Ausführung unterbleibt. Stumm und drohend steht die Mannschaft auf dem Vorderdeck; der Bootsmann wirst seine Signalpfeife über Bord, reißt sich die Abzeichen von der Jacke und stellt sich schweigend an das Bugspriet. Die Bande der Disciplin find gesprengt und der Gehorsam gekündigt, während der Sturm heu lend über das Wasser daherfährt. „Gei ans, Marssegel," ruft der erschreckte Kapitän, indem Leichenblässe sein Gesicht überzieht; er fühlt, datz die Nemesis naht. „Wir werden die Segel nicht forinehmcn," erwidern hundert Stimmen zugleich. „Holen Sie ihre Waffen!" wen det sich der Kapitän zu den Offizieren, „das ist Meuterei!" Der Angstschweiß perlt dem Feigling von der Stirn. Die Angeredetell ziehen sich nach dem Hinterdeck zurück, nur der Wachhabende bleibt au> der Commanovbank; sein glanzloses Auge blickt dem Sturme ent gegen, der chelfenö und brausend hereinbricht und das Schiff durch die Wellen peitscht, die von allen Seiten es zu verschlingen drohen. Ei' mge wen.ge Nicht;eeleute und Matrosen begeben sich zum Kapitän auf das HUtteroeck. „Was sollen wir machen," sprechen sie mit schlottern den Knieen zu ihm, „wir werden untergeheu!" „Nieder mit den Spi- onen!" rusi Vie Mannschaft, „wir wollen sterben." Der Kapitän Mst bleich und zitternd; er nn"»:-' Lazier der Wache das >LP—" HBO nuch auf Wiederkehr der Ordnung, wenn er cvminandirl^ aber die Antwort der Mannschaft ist nur höhnisches Lachen, das sich mit dem Grollen des Sturmes mischt. Laun vcr;chwmdet auf eine Minute Alles iu dampfendem Gischt; die Brigg scheint unterzugehen; sie legt sich auf die Seite und die See bricht darüber fort. „Kappt die Masten, um Gottes Willen!" tönt es heiser aus der Brust des Kapitäns hervor. Seine Spione wollen hinunter und Beile holen, doch die Mannschaft treibt sie von den Luken zurück. „Wir wollen sterben und er soll mit uns untergeheu," ruft es wieder vorn, und die Offiziere bewahren ein düsteres Schweigen. Da kracht es, die Bemastung geht über Bord; die Brigg richtet sich wieder aus, aber setzt rammen die Masten gegen die Bordwände und drohen Löcher zu brechen. „Ich verspreche Euch allen Begnadigung, ich schwöre es auf meine Ehre!" bittet der Kapitän in höchster Angst. „Aber kappt die Taue!" „Deine Ehre? Ha, wer glaubt daran?" höhnen die Matrosen. Der Kapitän steht, wüthet und droht; die Mannschaft schweigt im Gefühle befriedigter Rache; aber es genügt ihr nicht mehr, aus Haß gegen einen verabscheuten Vorgesetzten Schiff und Leben zu verlieren. Sie will mehr, sie lechzt nach' Blut und dringt in drohen der Haltung zum Hinterdeck. „Du mußt sterben, Hyäne!" zischt es in fein Ohr, „sterben mit uns, aber Du zuerst und mit Dir Deine Spione." „Zu Hilfe, meine Herren Offiziere, zu Hülfe; ich gelobe Ihnen meine Fürsprache, Beförderung, Orden" — die Angst erstickt seine Stimme — aber die Offiziere verhalten sich schweigend wie bis her; nur der erste Offizier begiebt sich in das Zwischendeck hinunter. Der Kapitän glaubt, er wolle Waffen holen; ein schwacher Hoffnungs schimmer leuchtet auf dem verzerrten Gesicht, doch vergebens harrt er der Rückkehr. Die Sturzseen überfluthen inzwischen das Deck, der Ocean heult und das Schiff erzittert unter den heftigen Stößen der gebrochenen Masten gegen Bug und Seite. Mit diesen Schrecken mischt sich der Angstschrei von Menschen; es sind die Spione des Kapitäns. Die Mannschaft hat sich ihrer bemächtigt, ihnen die Kleider vom Leibe gerissen und peitscht sie erbarmungslos. Blutgieriger Wahnsinn leuch tet aus den Augen der Matrosen, die Offiziere schauen gleichgültig der furchtbaren Vergeltung zu; der Kapitän bricht in die Knie und fleht uin Gnade. In diesem Augenblick öffnet der erste Offizier die Thür zur Pulverkammer; ein Blitz und Donner wie von hundert Gewittern und das Schiff fliegt zerschellt in die Lüfte — Opfer und Henker werden von den Wellen verschlungen. Die Böe ist vorüber, der Sturm schweigt, die aufgeregten Wogen glätten sich und die Sonne sendet wieder friedlich ihre leuchtenden Strahlen zum blauen Ocean hernieder. Eine Stunde später passirt ein amerikanisches Schiff die Stelle, wo das Grausige sich vollzogen. Auf einer gebrochenen Spiere treibt der einzig Ueberlebende der erschütternden Katastrophe; es ist ein Schiffs junge, halbtodt und mit schweren Brandwunden bedeckt. Er erzählte den Zusammenhang, aber am anderen Tage war auch er seinen Leiden erlegen. Vermischtes. * Unter den üblichen Feierlichkeiten fand dieser Tage im Kloster Marienthal die Einkleidung dreier Jungfrauen statt. Es waren dies Marie Kindermann aus Georgswalde, Olga Fünf stück aus Tharandt, sowie Franziska Dittrich, welche zum Theil angenehme Lebensstellungen zurücklassen. Ihre Klosternamen lauten Lucia, Martha und Ludmilla.