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Abend noch ging ihr Gutsherr dorthin und begrüßte seine Leute in einer Ecke der großen Gaststube. Während er mit ihnen eine ge schäftliche Zusammenkunft für den folgenden Morgen verabredete, fand sich ein Polizeibeamter ein und befragte den Handji (Gastwirlh) darüber, wie viele Fremde bei ihm an diesem Tage angekommen seien. Der Handji nannte 20. Welcher Nalionalität sie augchörtcn. Es seien 7 Griechen, 5 Juden, 8 Bulgaren darunter. Wo die Bulgaren wären. Der Handji zeigt sie. In dem Augenblick entfernt sich der Gutsherr. Sobald er den Saal verlassen, fordert der Polizeibeamte die Bulgaren auf, mit ihm vor's Kriegsgericht zu gehen. Sie be theuern ihre friedlichen Absichten, bitten, am nächsten Morgen mit ihrem Gutsherrn vor dem Gericht erscheinen zu dürfen; die Polizei beamte besteht auf seinem Willen. Der Handji, obzwar ein Türke, verbürgt sich für seine, ihm seit Jahren bekannten Gäste; seine Ein rede wird nicht beachtet; der Agent droht, bewaffnete Macht zu rufen. Da endlich entschließen sich die Geängstigten, ihm zu folgen. Am anderen Morgen geht der Gutsbesitzer zur verabredeten Stunde nach dem Han und ist erstaunt, seine Verwalter nicht dort zu finden. Der Wirth, befragt, erzählt den Vorfall des letzten Abends, und wird von dem Herrn scharf getadelt, daß er seine Gäste nicht energischer ge schützt. „Geht jetzt wenigstens vor die Kommission des Kriegsgerichts und rellamirt die armen Gefangenen!" verlangte der Grieche. Der Handji entfernt sich; nach wenigen Minuten schon kehrt er zurück, bleich vor Entsetzen; er hat nicht bis zum Gerichtslokal zu gehen brauchen, denn unterwegs erblickte er seine acht Gäste, am Abend auf- geknüvst, als Leichen. London, 22. October. Heute hat in einer Kohlengrube in High - Blantyre bei Glasgow eine Explosion stattgefunden. Mau fürchtet, daß von den in der Grube befindlichen 400 Arbeitern viele ums Leben gekommen sind. — Weiteren Nachrichten zufolge beträgt die Zahl der in der Kohlengrube High-Blantyre ums Leben ge kommenen Grubenarbeiter 232, nur ein einziger wurde gerettet. OerllicheS und Sächsisches. Dresden. In der Litte um Abkürzung der Landestrauer und Abänderung der geschloffenen Zeiten gipfelt eine Petition, welche der Allgemeine Musikerverein der Sländeversammlung einzureichen ge denkt. Ebenso Hal der städtische Verein zu Leipzig beschlossen, an den Landtag das Ersuchen zu richten, das Mandat vom 16. April 1821 in mehrere Uebereinstimmung mit den Verhältnissen und An schauungen der Jetztzeit zu bringe», zu diesem Behufe zunächst die Bestimmungen der Landestrauer gesetzlich festzustellen und auf alle Fälle dahin zu modificiren, daß die unter 4. ungeordnete Einstellung der Musik und der öffentlichen Lustbarkeiten nur auf den Fall des Ablebens des Königs — und zwar auch für diesen Fall nur auf 1 Tag — den Begräbnißtag — zu beschränken sei. Seitens des Ministeriums des Innern ist die Anordnung ge troffen worden, daß in Polizeistrassachen, in denen etwa ein Bürgermeister einer mittleren oder kleineren Stadt, oder ein Gemeinde- Vorstand und Gutsvorsteher selbst der Gesetzesübertreter sein sollte, der Schuldige lediglich der betreffenden Amlshauptmauuschaft zum Erlaß einer vorläufigen Strafverfügung zu unterstellen ist. Freiberg. Nach einer Mitlheilung des Direktoriums desland- wirthschaftlichen Krcisvcrcins zu Dresden wird am 29. October die Eröffnung der landwirthschaftlichen Winterschule hierselbst in der Aula der Realschule jtaltfinden. Ueber das Vermögen des Spar- und Vorsckußvereins zu Grünhain, eingetragene Genossenschaft, ist am 10. Octobcr o. der Concursproceß eröffnet worden. Auerbach. Der Inspektor vom unteren Bahnhof, Wilhelm Gustav Rottmann, ist wegen eines Kasseudefektes, der sich auf mehr als 16,000 Mk. belaufen soll, verhaftet nach Zwickau abgeführt worden. Der Verhaftete will über den Verbleib des Geldes keinerlei Auskunft geben können. Im Publikum bezeichnet man Spielverluste als die Veranlassung zu der Defraudation. * Interessant dürfte für manchen Uhrenliebhaber die Bemerkung sein, daß vom 24. Octobcr bis 12. November a. c. die Wand- oder Taschenuhren nicht nach der Sonnenuhr oder Mittagslinie gestellt weiden können, weil nach der sogenannten Mittlern Zeil noch 16 Minuten an der richtigen Welchzeit schien. Der rothe Zwerg. Nach mündlichen Milthcilungcn von E. Heinrichs. (Fortsetzung.) Nachdruck verboten. Otto trommelte in fieberhafter Aufregung einen Marsch auf dem Tische und schaute starr mit bitlerm Lächeln vor sich hin. „Wollen Sie mir nicht zürnen, mein lieber junger Freund, wenn ich offen und frei mit Ihnen über die Vergangenheit rede," fuhr ich nach einer kleinen Pause- fort. Er zuckle wie aus einem Traume empor und starrte mich an. Ich wiederholte meine Frage. „Was zürnen," rief er, mir die Hand reichend, „ich kann jede Art von Wahrheit, mag sie noch so bitter sein, ertragen und brauche überhaupt den Blick in die Vergangenheit nicht zu fürchten. „Gut, so soll der Freund zum Freunde reden. Ist es wahr, daß Thomsen Sie damals, bevor das Unglück eintraf, zu allen möglichen Lastern und Ausschweifungen vcrleitele, daß Sie Schulden und Ver pflichtungen delikatester Natur nach Ihrer Flucht hinterließen. Staunen und Entrüstung mallen sich auf Ottos Gesicht, er war sehr bleich geworden und biß sich die Lippen blutig. „Also das hat die Verleumdung gewagt?" klang es endlich dumpf zwischen seinen Zähnen hervor, „soweit dürfte die Bosheit gehen, ohne vom Blitz der Wahrheit zerschmettert zu werden? Und mein Valer glaubte solches von dem leiblichen Sohne." „Konnte er daran zweifeln, als von allen Seiten die Beweise aus ihn einstürmten? Seien Sie wenigstens hier nicht ungerecht gegen Ihren Vater. Sie sehen, wie tief die Verschwörung gegen Sie und Thomsen geht, mit welchem schlaue» Feinde wir es zu thun haben. Ich muß gestehen, daß mir in diesem Punkte ein wahrer Fels vom Herzen fällt. „So wollen Sie mein Verbündeter sein, Freund?" fragte Otto rasch, „wollen mir ehrlich beistehen, den Verräther zu entlarven?" „Mit diesem Vorsatze kam ich ja hierher!" versetzte ich mit einer gewissen Genuglhuung, „ich wollte den unglücklichen Thomsen aufsuchen, um mich vorerst selber zu überzeugen, wie weit ärztliche Hülfe hier vielleicht noch von Nutzen sein könnte. Wollen Sie mich zu ihm begleiten?" „Ich war in der Zeit meines Hierseins kürzlich bei ihm, doch glaube ich schwerlich an eine Heilung. Ucbrigens will ich's bei der Mutter durchsetzen, ihn in eine Irrenanstalt zu bringen, obgleich sie sich noch energisch dagegen sträubt." „Wissen Sic vielleicht wo Ihre Schwester sich befindet?" fragte ich nacbdenkcnd. „Bei N., wie mir der Pastor hier im Dorfe sagte." „Auch sie ist unheilbar?" „Es heißt so." Er stützte den Kopf und blickte in trübem Sinnen vor sich nieder. „So muß Thomsen ebenfalls in jene Anstalt," rief ich lebhaft, „sie müssen sich Wiedersehen, wer weiß, ob der gegenseitige Anblick nicht eine heilsame Reaktion hervorruft. Aber kommen Sie, mein junger Freund, hier sind wir nicht sicher vor neugierigen Ohren. Be gleiten Sie mich zu dem Wahnsinnigen, ich möchte ihn gar zu gern einmal sehen." Otto nickte und erhob sich. Wir sprachen kein Wort mehr, zu mal der neugierige Wirth in diesem Augenblick den Kopf zur Thür hereinstecktc und uns mit einem Blick maßlosen Staunens verfolgte, als wir mit einander das Haus verließen. 4. Am Ende des Dorfes stand das Häuschen, welches die Witlwe Thomsen mit ihren beiden Kinder, einer siebzehnjährigen Tochter und dem wahnsinnigen Sohne bewohnte. Die Mutter, eine noch rüstige und resolute Frau, war fast täglich auf den Haulirhandcl aus, während die Tochter das Hauswesen be sorgte und den wahnsinnigen Bruder pflegte und überwachte. Ein trauriges Ami für das wirklich sehr schöne und auch gebildete Mädchen. Die Mutter war wie gewöhnlich dem nothwendigcn Lcbcns- bedarf nachgegangen; wir trafen die beiden Geschwister allein zu Hause. Die kleine Stube glänzte von Ordnung und Sauberkeit, Alles heimelte einem an. Ueber dem einfachen Clavier hing eine Geige, einst in glücklichen Tage» des unglücklichen Sohnes Lieblings- instrumenl. Anna, so hieß die Tochter, trat uns freundlich entgegen, sie ver neigte sich gegen mich, während sic dem Freunde des Bruders die Hand zum Gruße reichte. Mir entging es dabei nickt, welch' Helles Noth ihre Wangen überflog, und mit welch' eigenthümlickem Aus druck der junge Mann ihre Hand länger als gebräuchlich in der seinen hielt. „Wo ist Erich?" fragte Otto leise. „Im Garten, er sitzt in der kleinen Laube und starrt wie ge wöhnlich vor sich nieder." „Sie musiciren, mein liebes Fräulein?" fragte ich rasch. „Ein wenig zu meinem Vergnügen," versetzte sie crrölhcnv, „mein Bruder scheint cs zuweilen gern zu hören, während er ein ander Mal entsetzt davor zu fliehen scheint." „Spielt er noch die Geige?" forschte ich weiter. „Er hat sie seit seiner Krankheit nicht angerührt." „Hat Niemand sonst darauf gespielt? Sie vielleicht, Herr Carlsen?" „Ich bin in allem, was Musik heißt, ein wahrer Heide," lächelte dieser. „Lieble Ihr Bruder das Geigenspiel?" fragte ich das Mädchen. „O, leidenschaftlich," versetzte sie und ihr freundliches Auge trübte sich, „er hatte es sogar bis zu einer Virtuosität daraus gebracht." „Das ist wahr," bekräftigte Otto, „er verstand es, den, Dinge gar wunderbare Töne zu entlocken, und wenn er mit meiner Schwester ein Duett spielte, lauschte Alles, was Ohren hatte auf Hirschby." „Kennen Sie nicht irgend ein besonderes Lieblingsstück von ihm?" fragte ich, von einem Gedanken gepackt, eifrig weiter, „am liebsttN, was er mit Fräulein Carlsen gespielt." „Nun, da glaube ich, war ihm eine der Mozarl'schen Sonaten die liebste." „Haben Sie vielleicht daS Musikstück hier?" „Ei, so gili'S wohl am Ende gar ei» Experiment?" „Ein wenig," war meine Antwort, während ich mir schon die Geige herabgenommcn und die Saiten zu stimmen begann. Anna suchte eifrig in ihren Noten und hatte das Gesncbte auch bald gesunden — cs war die Sonate Favvrile's, O-ckar Nr. 12, von Mozart. „Wenn Sie nur mit meinem Spiel zufrieden sein können," meinte sie schüchtern, „ich habe diese Sonate seit 3 bis 4 Jahren nicht ge spielt, und war damals noch ein kleines Kind, mit Welchem der Bruder, welcher die Musik leidenschaftlich liebte, seine wahre Noth hatte. Fräulein Carlsen hingegen war eine Künstlerin aus dem Piano." „Es kommt hier weniger auf die Kunst des Vortrags, als viel mehr auf die Wirkung des Musikstückes selber an," versetzte ich lächelnd, „seien Sie deshalb ganz rnhig und unbefangen, liebes Fräulein! ich bin auch gerade kein Künstler ans der Geige. Nur eins noch, kann der Arme uns hören?" „Gr sitzt keine zehn Schritte von jenem Fenster. Soll ich dasselbe öffnen?" „Bitte, thun Sic das." Otto hatte das Fenster schon geöffnet; er konnte von hier aus den Wahnsinnigen sehen und die Wirkung genau beobachten. , Wir begannen unser Duo mit klopfenden Herzen. Als die Gngeu- striche voll und kräftig anschwollen und hinausdraugcn in die frsicke freie Gotteslust, wie Jubclgcsang, dem Höchsten dargebracht, da hob der Wahnsinnige mit einer blitzschnellen Bewegung das Haupt und horchte. Otto rapporlirte uns Alles. . Jetzt tönte es wie Liebesgeflüster von den Saiten und Tasten. Die Töne schienen den Unglücklichen zu berauschen, cs war offenbar, daß sie die schlummernde Empfindungskrast der Seele geweckt hatten. Das sonst so starre, unbewegliche Antlitz vibrirte in seltsamen Ver zerrungen und die Arme bewegten sich taktmäßig auf und nieder. „Mein Gott, mein Gott!" sprach Otto, „man könnte lachen über so viel Possierlichkeit, wenn die Geschichte nicht geradezu Herz- zerbrechend wäre." (Forts, folgt.) Kirchennachrichtcn aus Wilsdruff. Am 22. Trinitalis-Sonntag Vormittags predigt Herr r. vr. Wahl. Nachmittags Betstunde.