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Man schreibt aus Warschau, 4. August: Sämmtliche dis ponible Truppen deS Warschauer Armeebezirkes sind an die Donau dirigirt worden. Die großen Eisenbahnlinien, welche nach dem Süden führen, haben den Auftrag erhallen, aus ihren wichtigsten Stationen Baracken zu errichten, um die Truppen während des Transportes zu beherbergen und zu bcwirlhen. Die auf dem Dreikaiserbunde basirenden freundschaftlichen Beziehungen zu den benachbarten Mächten, sowie Lie vollständige Ruhe des Landes gestatten es der russischen Regierung, die polnischen Provinzen militärisch zu entblößen und alle verwend baren Kräfte aaf den Kriegsschauplatz zu werfen. Die momentane Lage der Dinge in Bulgarien ist geeignet, die Militärs zu beun- rnhigen, welche ziemlich strenge die Unvorsichtigkeit beurtheilen, mit der man sich in das Innere von Bulgarien vorgewagt hat, um mehr blendende als wirkliche Erfolge zu erringen. Rein politische Er wägungen scheinen die gesunden Lehren der Vorsicht und die Regeln der militärischen Kunst überwogen zu haben und die Leitung des Donaufeldzugcs erinnert einigermaßen an das geheime Walten der radikalen russischen Elemente, welche, nachdem sie alle Hebel in Be wegung setzten, um den Ausbruch des Krieges zu beschleunigen, jetzt nun sich allzu ungeduldig erweisen, um ihre Aussichten und Hoff nungen verwirklicht zu sehen, ohne die Konsequenzen ihres Treibens für den Staat zu berechnen. Selbstverständlich sind die russischen militärischen Kreise trotz momentaner Mißerfolge über den schließlichen günstigen Ausgang des Krieges nicht im geringsten Zweifel. Hat Abdul Kerim Pascha mit feinem geheimen Plan dennoch Recht gehabt? Als die Russen über die Donau gingen und ihre ersten Truppen den Balkan überschriltten, sagte Abdul Kerim: Laßt sie ihr« Kräfte verzetteln; von meiner strategischen Stellung bürge ich für den Sieg. Fast scheint es, als sollten die Ereignisse dem alten, vor ein Kriegsgericht gestellten Soldaten Recht geben. Abdul Kerim weigerte sich stets, die Truppen Osman Paschas (die jetzt eine so wichtige Rolle spielen) zu schwächen, und nicht mit Unrecht, denn die 50,000 Mann, welche in Widdin formirt und von dem besten Gene ral, wecher aus dem Feldzüge gegen Serbien hcrvorging, befehligt werden, bedrohen nun die Ruffen mit dem Untergang. Dreimal haben die Türken die russischen Angriffe auf Plewna zurückgeschlagen und bedrohen nun nach der nah bevorstehenden Vereinigung mit Su- leimau Pascha die einzige russische Verbindungslinie. Kaiser Alexander legte größes Gewicht auf die Eroberung der Festung Nustschuk und übertrug die Belagerung dem Großfürst Thronfolger, er gab ihm 2 Armeccorps, zu welchen man die besten Truppen aus anderen Corps auswählte, um den Erfolg zn sichern. Jetzt ist auch diese Belagerung äußerst gefährdet und alle Truppen müssen gegen die vorrückenden Türken aufgeboten werden. Aus Bukarest, 3. August wird dem Wiener Tageblatt telegra- phirt: Ich trage noch folgende Details über die Schlacht bei Plewna nach. Das neunte russische Corps ist vollständig deroutirt und so wohl dieses wie auch die beiden Corps, welche als Verstärkung ge kommen waren, verloren an Todten und Verwundeten eine in der modernen Kriegeschichte ünerhörle Prvcentzahl. Es war eine Metzelei sondergleichen. Fliehende Cavallerie veranlaßte auf der ganzen Rück- zugSlinie der Ruffen eine solche Panik, daß sich nur Augenzeugen einen Begriff davon machen können. Die Verwundeten flohen mit. weil sich das Gerücht verbreitete, daß die Türken keinen Pardon mehr geben. In NikopoliS war die Panik ebenfalls eine sehr große und flohen die rumänischen BesatzungSlruppen über die Donau, ohne daß eS dem Einschreiten des Generals Manu gelungen wäre, etwas dagegen auszurichten. Heute sollen übrigens die Positionen in Ni kopolis bereits wieder besetzt sein. Die Verwirrung in der russischen Heeresleitung hat den größten Grad erreicht. Zwischen Großfürst Nicolaus und Nepocojtschitzki (dem GencralstabSchef) bestehen ernste Zerwürfnisse und die Operationen werden am meisten durch die Un einigkeit im Lager gehemmt. Zur Gräuelfrage schreibt die „Germania": Diese gegen seitigen Anschuldigungen sind nur allzu beredte Belege dafür, daß Leide kriegführende Theile Barbaren sind. Die Türken wurden allerdings von jeher und von Allen als solche angesehen, nicht so aber die Ruffen, wie schon daraus hcvorgehl, daß deren Versicherungen, nur für „Chriftenthuw und Humanität" in den Krieg ziehen zu wollen, von einem Theile Europas Glauben geschenkt wurde. Jetzt sehe man sich diese östlichen „Culturkämpser" an! Haben sie in dem Glaubens- treuen Podlachien — an den eigenen Mitbürgern — ihren Blutdurst und ihre Habgier ungestraft stillen können, warum sollten sie im Feindeslande ihren wilden Leidenschaften Schranken auserlegen? Manche der türkischen — wie auch unzweifelhaft der russischen — Berichte über die Grausamkeit des Feindes mögen übertrieben sein, aber schon die Logik der Thatsachen und der Charactcr der Russen sind ein ausreichender Beweis dafür, daß die Wirthschaft der russi schen Truppen im Feindcslande eine dem „Christenthum" und der „Humanität" geradezu hohnsprechende ist. fAuch die Türken sind grausam, aber die Negierung hat doch schon oft ihre Absicht an den Lag gelegt, die Wildheit und Erbitterung ihrer irregulären Truppen zu dämpfen, indem sie z. B. von der Entwickelung der Fahne des Propheten Abstand nahm und durch den neuen Scheik-ul-Jslam die Muhamedaner aufsordern ließ, mit ihren christlichen Mitbürgern in Frieden zu leben. Ja sie ging noch weiter und hat am Sonnabend an die Vorstände der christlichen Gemeinden in der Türkei die Auf forderung gerichtet, eine auS Christen bestehende Miliz zu organisiren, welche in Gemeinschaft mit der Gensdarmerie für die Aufrechter haltung der öffentlichen Sicherheit Sorge tragen soll. Die Kämpfer „für Christenthum und Humanität" könnten sich an den Türken ein Beispiel nehmen! (?) Wie aus Constantinopel vom 7. August telegraphirt wird, hat Suleiman Pascha den Befehl erhalten, den Uebergang über den Bal kan zu erzwingen und das Centrum der Armee zu bilden. Ein an deres Telegramm aus Konstantinopel meldet kurz: „Südlich vom Balkan steht kein Russe mehr, auch halten sie den Schipka-Paß nicht bewacht. Die Türken haben Hainkiöi besetzt." — Die vollständige Räumung des türkischen Territoriums südlich des Balkans durch die Russen ist also eine Thatsache. Obwohl die Russen durch die Kämpfe ori ESki-Saghra und Jeni-Saghra von Suleiman Pascha thatfächlich über den Balkan zurückgcworfen wurden, so mögen doch weniger diese partiellen Schlappen selbst als vielmehr die Schlacht bei Plewna und die prekäre Lage der russischen Armee in Nordbulgarien über haupt den Rückzug der südlich des Balkans vorgeschobenen Truppen deS 8. Corps und der Division Gurko entschieden haben. Der von -den Russensreunden als geniale That bezeichnete Zug Gurkos hat ein schmähliches Ende genommen. Nördlich des Balkans hat sich die Lage wenig verändert. Die geschlagenen russischen Generale sammeln und organisiren ihre Truppen, um sie für die künftigen Kämpfe vor- zubereiten. Wie es scheint, werden die neueingetroffcnen und intacten Divisionen rasch gegen Süden, das ist gegen die Linie Selvi-Tirnowa, vorgeschoben. Das russische Hauptquartier will offenbar seine über den Balkan retirirenden Corps aufnehmen; andererseits wäreKes aber auch nicht unmöglich, daß von Selvi aus ein Angriff auf Lovatsch versucht würde, um Osman Pascha durch Bedrohung seiner Nückzugs- linie aus Plewna zu delogircn. Eine solche Operation (meint die N. Fr. Pr.) wäre übrigens ganz und gar dazu geeignet, die Kata strophe der Russen zu vollenden. Daß russische Armee-Commando müßte, nachdem die Türken in unverzeihlicher Nachlässigkeit den Mo ment, von Plewna auf Sistowa vorzudringen, versäumt haben, sein Augenmerk darauf richten, möglichst viel Zeit zu gewinnen, um das Eintreffen von Verstärkungen abzuwarten. Zu diesem Zwecke wäre die Anlage einer Reihe von verschanzten Positionen und die Erbauung einiger Brücken über die Donau viel vortheilhafter, als neue Offensiv- Operationen. Andererseits tritt an die türkische Heeresleitung die ge bieterische Pflicht mit jedem Tage näher heran, den Feldzug früher zur Entscheidung zu bringen, bevor noch die durch die letzte Modi- lisirung möglich gewordenen Verstärkungen, welche mindestens 70-bis 80,000 Mann mit 320 Geschützen betragen, nach Bulgarien debouchiren. Allerdings werden vier bis sechs Wochen vergehen, bis diese Heeres macht an der Donau stehen kann, doch darf man nicht unberücksichtigt lassen, daß die Russen sowohl in Rumänien als auch längs der Küste des Schwarzen Meeres über Truppen verfügen, die sie angesichts der Unthätigkeit der türkischen Flotte weit rascher nach Bulgarien ziehen und sie in ihren gegenwärtigen Stellungen durch Truppen au^ dem Innern des Landes, die sich auf dem Fricdensfuß befinden, er setzen können. Eine bedeutsame Kundgebung hat vor einigen Tagen in der Stadl Southampton (England) stattgefunden. Ein dort gehaltenes Meeting nahm drei, einen theilweisen Tadel der Orientpolitik des Kabinels in sich schließende Resolutionen an. Die erste derselben prolcstirl gegen eine etwaige Besetzung Gallipolis, Kretas und Aegyptens durch englischen Truppe, ohne vorgängige Zustimmung der andern Mächte. In der zweiten wird die Frcigcbung der Dardanellen und des Bosporus für den internationalen Verkehr gefordert. Die drille endlich verlangl administralive Unabhängigkeil für die euro päischen Provinzen der Türkei. OertlicheS und Süchsischeö. Dresden. Unser allverehrles Königshaus ist verflossenen Sonn tag, zum Geburtslage Ihrer Majestät der Königin Carola, von einem schmerzlichen Trauerfalle betroffen worden; kaum waren die Klänge der Morgen - Reveille verhallt, als man mittelst Maucran- schläge der Einwohnerschaft die betrübende Mittheilung von dem Nachts vorher in der II. Stunde auf dem Sommerresidenzschlöß Pillnitz rrfolgten Ableben Höchstdero Vaters des Prinzen von Wasa machte. Der zur Zeit besuchsweise am hiesigen Hose weilende Prinz war bereits schon seit einigen Wochen erkrankt, der Verlaus der Krankheit berechtigte immer zu den besten Hoffnungen, bis in den letzten Tagen eine bedenkliche Wendung eintrat, die das Schlimmste befürchten ließ. Der felig Entschlafene erreichte ein Alter von über 77 Jahren. Es war dies der letzte männliche Sprosse der älterer» Linie des berühmten Fürstengcschlcchts Wasa, das nahezu 3 Jahr hunderte den Thron Schwedens einnahm und dem auch der große Held deS 30jährigcn Krieges, König Gustav Adolph, entstammte. Die irdische Hülle des Verblichenen wurde von Pillnitz nach Olden burg überführt, um sodann auf dem Erbbegräbnisse des fürstlichen Geschlechtes Holstein - Gottorp in Eutin bcigesetzt zu werden. An läßlich des Ablebens Sr. Kgl. Hoheit des Prinzen Gustav von Wasa trafen im Laufe deS Sonntags vom Kaiser Wilhelm, Kaiser Franz Josef von Oesterreich und mehreren deutschen Fürsten Beileidstele gramme an den König Albert und die Königin Carola ein. — Am hiesigen Hofe wird eine 3monatliche Trauer angelegt. Die kgl. Hof- lheaier bleiben bis auf Weiteres geschlossen. Meißen. Bei einem am Sonnabend hier aufgegriffenen fremden Bettler, der seit dem 20. Januar d. I. nicht gearbeitet hatte, fand man 39 Pfennige in den Taschen, im Hosenbund aber sorgsältig ein» ' genäht 100 Mark in Gold und 8 Mark in Silber. Oschatz. Bei Gelegenheit eines Concerts im hiesigen Raths» zwingergarten flog in einer Pause plötzlich ein großer 2'/» Pfd. schwerer Stein in den Garten, dem bald zwei andere, kleinere, nach- folgten. Eine junge an einem Tisch sitzende Dame hatte kurz vor An kunft des ersten Steines ihren Platz gewechselt, sonst wäre sie un fehlbar von demselben getödtet worden. Wie mächtig der Wurf war, beweist die Thatsache, daß der Stein im Fallen die Ecke des Tisches abschlug. Man hat zwar schon Nachforschungen angestcllt, doch ist über den Thäter noch nichts bekannt, obgleich der Pächter des Gartens 20 M. Belohnung für Entdeckung desselben ausgesetzt hat. Lermischtr». Zehdenick, 5. August. Nach vollendeter Feststellung sind bei dem durch den Orkan verursachten Einsturz der Gebäude dieser Stadt bis jetzt sechs Menschenleben zu beklagen, 12 Verwundete liegen noch schwer und hoffnungslos darnieder; außer diesen-haben noch Viele, wenn auch nicht lebensgefährliche, so doch äußerst schmerzhafte Kontusionen erlitten. Von den Gebäuden sind vollständig zerstört: 21 Scheunen, von denen kein Stück aus dein anderen geblieben ist: : 45 andere sind in einen solchen Zustand versetzt, daß sie den Einsturz drohen. Die meisten Wohnhäuser sind iin Innern derartig zerstört, daß sie bei dem leider noch immer anhaltenden Regen kein sicheres Unterkommen gewähren; einige sind total zerstört. Abgebrochen wurden . 14 Windmühlen, von denen die Svlitter und große Balken 15 Mi nuten weit fortgeschleudert wurden. Der Schaden, den die Stadt Zehdenik erlitten hat, ist auf 300,000 Thaler abgeschätzt. Spremberg. Kürzlich wurde hier aus einem Stücke Blauholz, welches bekanntlich auf langem Wege aus Südamerika hierher ge langt, von Arbeitern aus einer Längenfurche eine noch lebende Schlange herausgezogen. Dieselbe wurde von einem Sachverständigen als eine der giftigsten Schlangensorten Südamerikas erkannt; sie ist ca. 50 — 60 Centimeler lang, ihr Kopf gleicht dem einer Schildkröte, nur et was platter, die Farbe ist vom Kopfe aus bräunlich und geht nach dem Schwänze zu ins Grünliche über, gezeichnet ist sie mit schöne" tigerartigrn großen Flecken.