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Beilage zu Ao. 36 des Wochenblattes für Mtsdruß etc. Ein Daheim für Arbeiterinnen. Unsere allverchrte Königin Carola, welche sich eine menschen freundliche Thätigkeit zur schönsten Lebensaufgabe gemacht hat und ihr gerecht zu werden niemals müde wird, hat kürzlich folgenden Aufruf erlassen, der in recht weite Kreise dringen möge: Vielfach zu machen gewesene betrübende Wahrnehmungen haben gelehrt, daß junge unerfahrene Mädchen, welche sich aus der Provinz nach dem einen oder dem anderen Hauptorte des Landes wenden, um daselbst als Fabrikarbeiterinnen oder . Näherinnen ihr Fortkommen zu suchen, in Ermangelung eines für sie im Voraus ermittelten Familien- ober sonstigen geeigneten Wohnungs - Unterkommens nur zu leicht auf falsche Wege gerathen und aut diesen ihrem Verderben entgegen gehen, insbesondere wenn sie, ohne wohlmeinende Berathung einer ihnen bisher fremden Welt preisgegeben, von gewissenslosen Persönlichkeiten nmgarnt und in Verhältnisse gebracht werden, in welchen sie entweder alsbald sittlich, srühcr oder später auch wohl leiblich zu Grunde gehen oder aus denen sie sich doch nur erst, nachdem sie mehr oder weniger an Leib und Seele vergistet worden, wieder loszulvsen vermögen. Die Erkenntniß dieser vorzugsweise in großen Städten der unerfahrenen weib- > laben Jugend drohenden Gefahr und der Wunsch, dazu beizutrage,i, daß derselben vorgebcugt werde, hat seiner Zeit in Leipzig und dann auch in Dresden wohlmei nende Frauen zu einer Vereinigung zusammentreten lassen, welche unter Mithilfe gleichgesinnter Männer sowie unter der Bezeichnung „Daheim für Arbeiterinnen" den Zweck verfolgt, jungen Mädchen, namentlich solchen, welche von auswärts kommen, um als Fabrikarbeiterinnen oder Näherinnen Er werb zu suchen, ein Heim zu bieten, worin sie billige Woh nung und Kost, auch für ihre freie Zeit häuslichen Anhalt an eine Hausmutter finden. Tic unter gedachter Bezeichnung eingerichteten Unterkunstsanstalten befinden sich in Dresden: Altstadt, Marstraße No. 2 fim Hintergebäude); in Leipzig: Braustraße No. 7, II. äst denselben wird den Mädchen Schlafstelle bei Nacht, Aufenthalt in freien .Überstunden und angemessene Beköstigung — soweit nicht diese bei den Arbeitgebern p dargeboten ist — gegen sehr mäßige Vergütung gewährt. Die Mädchen finden m der der Anstalt vorgesetzten Hausmutter eine mütterliche Freundin und Bcratherin, außerdem aber, wenn nöthig, bei den Vorstandsdamen bereitwillige Unterstützung durchwach und That. -ondem Ich nun diesen im Vorstehenden vor Augen geführten Vereinsanstaltcn , M Hinblick aus ihre sittliche Bedeutung Mein Interesse und Meine Protection mit Milden zu Theil werben lasse, finde Ich Mich zu der Anschauung hingeleitet, daß mc Frauenvercine vorzugsweise in der Lage sich befinden, zugleich aber auch be- ruscn sein dürsten, die Benutzung der durch jene Anstalten dargebotenen Vortheile zu fördern. Ich setze nämlich voraus, daß die Mitglieder der Frauenvereine theils Überhaupt vermöge ihrer Berührung mit den betreffenden Einwohnerkreisen, theils m-öbewnsere bei der Verwillizung von Unterstützungen für Confirmanden Gelegenheit baeen werden, von denjenigen Familien, deren Töchter einen selbstständigen Erwerb durch Arbeit in einer der großen Städte des Landes suchen, sollen, sowie von den m dieser Richtung beabsichtigten Schritten Kenntnis; zu erlangen. , 2st diese Voraussetzung, wie Ich meine, zutreffend, fo richte Ich hiermit an die Mznlsausjchussc, beziehungsweise an die Herren Bezirksvorstände der obererzgcbirg- Mn u»d voigtländischen Frauenvereine und durch Liese an die Letzteren selbst die ' in allen den Fällen, in welchen ihnen die Absicht junger Mädchen des Vereins- u ^u-' Dresden oder Leipzig Arbeit in der Eigenschaft von Fabrikmädchen "der Näherinnen suchen zu wollen, bekannt wird, diese und deren Angehörige nicht nur auf das Bestehen der obengedachten Unterkunstsanstalten, sondern auch aus bereu Bedeutung für das Wohl der Mädchen recht eindringlich aufmerksam machen zu wollen. Handelt es sich hierbei auch nicht UNI eine Thätigkeit der Fraucnvereine IM Unmittelbaren Anschluß an die Best immmungcn des Gesammtstatuts vom 3. Jan. i öegt doch ohne Zweifel den Zielen des letzteren eine Einflußnahme und Mitwirkung, wie die von Mw gewünschte ist, sehr nahe. Der Zager von Wörth. Erzählung von E. Heinrichs. Nachdruck verboten. (Fortsetzung und Schluß.) Endlich hatte Johannes sich einigermaßen wieder gefaßt; — als die Hände von dem todtenbleicheu Antlitz sinken ließ, glänzte eine Thräne in seinem Auge. 1 „Ich danke Ihnen, Herr Bürgermeister!" sprach er leise, „Sie haben eine Radikalkur mit mir vorgcuommen, aus welcher ich geheilt hcrvorgehen werde. Mit Entsetzen ölicke ich in den Abgrund, an dessen Rande ich sorglos wandelte, — o, könnte ich diese Zeit aus meinem ^-ben streichen, ihre Erinnerung wird mich nicht lvslassen und jede ; künftige Freude mir verbittern! Doch das Eine verspreche ich Ihnen ein Mann, der noch nie sein gegebenes Wort gebrochen, daß ich "üch lossagen werde von der Gemeinschaft mit solchem Lerbrecher, -och will umkehren auf der gefährlichen Bahn . . . nie dachte ich daran, wein Vaterland an die Fremden hinterlistig zu verrathen . . Der Bürgermeister ergriff die dargebvtene Hand des Reuigen und drückte sie voll Wärme. „Gesegnet sei mir dieser Tag," versetzte er gerührt, „gesegnet diese Stunde, welche Vieles sühnen und Freude und Glück in ein tief ü"ümmertes Vaterherz zurücksühren wird." „O!" fuhr der Bürgermeister fort, „daß Gott Erbarmen haben und dem verwundeten Verbrecher so viel Zeit noch schenken möchte, um zn bereuen und gut zu machen, was er nicht allein an der mensch- uchen Gesellschaft und an Ihnen, fondern auch noch vor allen Dingen j ün vihrem armen Bruder eivst verbrochen hat." Johannes blickte ihn erstarrt nnd verwirrt an; dann überflog ein Euerer Zug sein Gesicht und seine Augen blitzten grollend, als er erwiderte; „Sie erinnern mich sehr zur Unzeit an die Schmach, welche uuf unseren Ramen lastet; wie aber der unselige Lassen mit dem Ver- vrcchen meines Bruders in Verbindung gebracht werden könnte, ist räthselhllft." . ,,Es wird Ihnen nicht mehr räthselhaft sein, wenn Sie erfahren, Mcr Lassen der Verführer Ihres Bruders, der mit ihm vor zwölf pulsten entflohene Matrose Pitt ist." "Woher wissen Sie das so genau, Herr Bürgermeister?" , i'Die Quelle, aus der ich geschöpft, ist für heute noch mein Geheimniß." "So will ich es Ihnen sagen," rief Johannes finster, „der Jäger von Worth, der mit dem eisernen Kreuz auf der Brust hier in der Stadt herumstolzirt, und dieses Ehrenzeichen schündet, hat Ihnen das Märchen aufgebunden, um sich selber rernzuwaschen von dem Verbrechen, das nur er selbst und kein anderer begangen haben kann. Als er sich entdeckt sah, ging er zu Ihnen — hat er denn nicht gesagt, wer er denn eigentlich sei, dieser Held mit dem eisernen Kreuz?" „Freilich hat er mir Alles gesagt," nickte der Bürgermeister, „und so sehr ich von der Schuld des eigentlichen Verbrechers überzeugt bin, ebenso so sehr bin ich's von der Unschuld Ihres Bruders, dessen Brust das eiserne Kreuz fo ehrenvoll schmückt. Kommen Sie, mein lieber Heldberg! Wir Beide wollen den Mann besuchen, der so unheilvoll in das Glück Ihrer Familie eingegriffen, vielleicht treffen wir ihn noch am Leben, um an fein Gewissen zu appelliren und ihn noch schließlich, bevor er vor seinen ewigen Richter tritt, zu einer guten That bewegen zu können." „Ja, ja, gehen wir zu ihm, Herr Bürgermeister!" versetzte Jo hannes hastig, „denn ich wünsche sehr — wenn dies möglich ist, den ehrlichen Ramen des Vaters von einem häßlichen Fleck gereinigt zu sehen." Sie machten sich auf den Weg nach dem Spital. Man sagte ihnen dort, daß der auf den Tod verwundete Lassen nach einem Priester verlangt habe, und daß sich dieser gerade bei dem Sterbenden befinde. Johannes war in fieberhafter Aufregung, während der Bürger meister still lächelnd an's Fenster trat, um der noch immer durch die erleuchteten Straßen wogenden Menge zuzusehen und dem Gesänge der patriotischen Lieder zu horchen, die in diesem Augenblick einen wunderbar erhebenden und ergreifenden Eindruck auf ihn machten. Unwillkürlich richtete er den Blick nach oben, um ein stilles Gebet zu dem uncrsorschlichen Lenker der Wellen zu senden, dessen ewiges Walten dieser Tag im Leben der Völker wie der Einzelnen auf's Neue so erschütternd enthüllte. Eine geraume Zeit verging den beiden Wartenden, während sie, von den verschiedenartigsten Empfindungen bewegt, Stillschweigen be wahrten. Da kehrte der Priester von dem Sterbenden zurück. „Ich hörte von ihrer Anwesenheit, Herr Bürgermeister", sprach er zu diesem; „die Geständnisse, welche ich soeben aus dem Munde eines Sterbenden, der bald vor dem ewigen Richter stehen wird, gehört habe, zwingen mich im Interesse eines Dritten, Ihnen eine darauf bezügliche Mittheilung zu machen." „Sie betrifft den ältesten Sohn des Lieutenants Heldberg," er widerte der Bürgermeister mit dem Ton sicherer Ueberzeugung. Der Priester sah ihn überrascht an. „So wissen Sie bereits? „Erst seit heute konnte ich es ahnen, Herr Pastor; — Ich bitte Sie, die betreffenden Mittheilung in Gegenwart diefes Herrn, des Bruders jenes Unglücklichen, den der Sterbende um seinen ehrlichen Namen einst gebracht, zu machen." , Der Priester zögerte einen Augenblick. „Die späte Sühne jenes Menschen, den heute Gottes Gerechtig keit getroffen, kann nur durch ein öffentliches Zeugniß von Ihrer Seite vollständig werden," setzte der Bürgermeister rasch hinzu. „Sie haben vollkommen Recht", versetzte jetzt der Priester ernst; „so hören Sie denn und verkünden es in meinem Namen Allen, die es angeht: Der Sterbende hat sich Angesichts des Todes und in heil samer Gewissensangst vor den ewigen Strafen, die ihn jenseis erwarten, des Diebstahls und der Brandstiftung für schuldig bekannt, durch welche vor zwölf Jahren der Sohn des Lieutenants Feldberg, welcher einzig aus Abneigung gegen einen ihm aufgedrungenen Beruf aus der Heimath mit ihm entflohen, öffentlich als der Thäter gebrandmarkt worden ist, obgleich dieser ganz unschuldig daran gewesen und keine Ahnung des Verbrechens gehabt. Der Sterbende bekannte mir ferner daß er seit jener unseligen That seine innere Ruhe verloren habe, und, von einem Verbrechen znm andern taumelnd, immer tiefer und un- rctlbarer in den Abgrund des Lasters gesunken sei, bis ihm der Him mel auf furchtbare Weise an diesem Abend ein Halt zugerufen und zum ewigen Gerichte abgcfordert habe. — Ich habe ihm den Trost der Religion gespendet und ihn auf die Gnade Gottes verwiesen, welche dem reuigen Sünder niemals verschlossen ist." Der Priester schwieg und blickte dann auf Johannes, der tief er schüttert auf einen Stuhl gesunken war und das von Tchränen über strömte Antlitz mit beiden Händen bedeckt hatte; der Gedanke, den Verderber seines Bruders in fein Haus ausgenommen, ihm sein volles Vertrauen geschenkt und seinen finsteren Rathschlägcn ein nur allzu williges Ohr geliehen zu haben, machte einen zu überwältigenden und vernichtenden Eindruck auf ihn um nicht die letzte Spur von Hochmuth und Trotz aus seinem Herzen zu bannen. Der Priester schien zu ahnen, daß sich auch hier durch seine Ent hüllung ein heilsamer Proceß der Reue vollziehe; er reichte dem Bürger meister schweigend die Hand und entfernte sich geräuschlos. Johannes blickte auf. „Möge er im Frieden sterben", sprach er leise, „mich aberdrängt es Vater und Bruder zn sehen. Wollen Sie mich dorthin begleiten, Herr Bürgermeister?" —> dieser sagte mit Freuden zu und sie machten sich auf den Weg nach „Villa Heldberg." Aus den Straßen erloschen die Jllnminationslichter, doch der Jubel wollte noch immer kein Ende nehmen. Im „Lämmchen", wo man den Bürgermeister schmerzlich vermißte, erscholl lustige Ballmusik und Alt und Jung drehte sich lustig im Kreise. „Wie kann man tauzen?" sprach Johannes, als sie an dem Gast hofe vorüberfchritten, „füllte man nicht lieber weinen und klagen über das vergossene Blut, daß den Rheinstrom roth färben könnte!" „Glauben Sie, das unsere Bürger, welche sich dort des deutschen Ehrentages freuen, nicht ebenso viel Gefühl besitzen, wie Sie und die jenigen, welche Zeter schreien über diesen Krieg und seine Folgen?" versetzte der Bürgermeister mit ernstem Nachdruck. „Inmitten des Jubels, der wohl berechtigt und am Platze ist, trotz des vergossenen Blutes, in welchem unsere Söhne und Brüder die Schmach vergan gener Jahrhunderte abwaschen, werden die Fröhlichen nicht vergessen, die für uns ihre Wunden empfangen, und nicht der Wittwen und Musen, denen der Ernährer geraubt von Fcindeshand. Reich fließen Vie Gaben, wie im ganzen deutschen Vaterlaude, so auch hier in un-