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herein Städtchen und die werkthätige Liebe, der heiligste Patriotismus hat sich nicht schöner in den Befreiungskriegen gezeigt, als heute in diesem heiligen Kriege, den frevelnde Raublust eines frivolen Nach barvolkes über Deutschland heraufbeschworen. O, daß es Deutsche geben kann, die dem eigenen Vaterlande den Untergang wünschen in engherziger Verblendung der Selbstsucht, oder aber in utopischen Träumen einer Menschenverbrüderung, die ein ewiges und natürliches Hinderniß finden muß in den verschiedenen Rassen, zwischen welchen die Natur schon die Scheidewand gezogen. Wenn Frankreich gesiegt hätte in diesem Kriege, den fein Hochmuth und Eigendünkel schon lange herbeigesehnt, wenn feine wilden Horden unsere gesegneten Fluren mit Mord, Brand und Plünderung heimgesucht hätten, wie oft schon m früheren Zeiten, dann würden die Radikalen, die Socialdemokraten, die Republikaner in Frankreich ebenfalls gejubelt haben über die Glorie der großen Nation und die allgemeine Völkerverbrüderung unter die Vormundschaft und Tyrannei französischer Frivolität gezwungen haben. In Freiheitsphrafen und Gleichheitsfchwiudel, welche zu der wirklichen Wohlfahrt und Aufbesserung der niederen Volksklassen sich wie Hohn und Spott verhalten, haben die Franzosen allerdings fast das Ungeheuerlichste geleistet; wo dieses Phrasenthum sich in Thaten verwandeln sollte, scheiterte Alles an der Unstetigkeit, den Parteiumtrieben, an der Herrschaft der Leidenschaft, dem Leichtsinn und dem Mangel an Ausdauer und wirklichem Bildungstrieb, wodurch die romanische Rasse auf allen Territorien der Weltbühne, wo wir sie finden, sich auszeichnet. Der Romanismus ist im Sinken, die Zeit nicht mehr fern, wo das romanische Element im Völkerleben dem Germanismus Raum geben muß, bis auch dieser dereinst abgenutzt sein und der Herrschaft einer neuen, lebensfähigeren Völkergruppe Platz machen wird. Sie werden diese Behauptungen nicht ungereimt finden, wenn Sie den Gang der Weltgeschichte, von der fernsten Vergangenheit an, aufmerksam verfolgen." Johannes schritt nachdenkend neben dem Sprechenden her, bis er plötzlich in der Nähe des väterlichen Gartens stehen blieb und mit gedrückter Stimmung sprach: „Bevor wir", sagte Johannes, „durch die Pforte treten, Herr Bürgermeister! lassen Sie mich es Ihnen gestehen, daß Ihre Worte auf einen fruchtbaren Boden gefallen sind und dort nicht nutzlos ver dorren werden." „Das hoffe ich zu Gott, mein lieber Heldberg!" versetzte der Bürgermeister, ihm erfreut die Hand drückend, „und führen Sie auch nur einen braven Arbeiter auf den rechten Weg zurück, dann darf Ihr Wirken fchon ein gesegnetes genannt werden. O, ich kann Ihnen nicht sagen, wie freudig der Gedanke mich bewegt, Sie fust an dem heuti gen Ehrentage geläutert an Gesinnung und Gefühl das väterliche Haus betreten zu sehen." Johannes schwieg; er fühlte sich wunderbar bewegt, wie noch nie in seinem Leben. Die Achtung des würdigen Bürgermeisters that ihm unaussprechlich wohl, es war ihm, als sei urplötzlich ein Alp, welcher ihn jahrelang beengt, von seiner Brust gewichen. Wie er jetzt langsam durch den bekannten Garten schritt, über ihm der klare Sternen himmel, in ihm ein stiller Frieden, wie er ihn niemals empfunden, da ckauchte das Bild der Kindheit wie in einem Zauberspiegcl vor ihm auf, er fah das treue Antlitz der Mutter, sah sich mit dem Bruder als Knaben in diesem Garten umherspringen im fröhlichen Spiel und die Erinnerung überwältigte das Herz des Jünglings mit ihrer Seligkeit. Johannes stand einige Minuten, unbeweglich vor sich hinstarrend in den bekannten Raum, als befinde er sich unter dem Eindruck einer Vision. Der Bürgermeister war still zur Seite getreten; drinnen im Hause, das so still, so friedlich im Abenddunkel vor ihnen lag, ertönten in diesem Augenblick einige leise Accorde auf dem Piano, welche nach und nach in einen frommen, tröstlich und versöhnend ins Herz dringenden Choral übergingen. Johannes brach in Thränen aus, horchte noch einige Augenblicke dem süßen Spiel und stieg dann hastig die Treppe hinauf, welche ins Haus führte. Hier blieb er wieder stehen, als kämpfte er noch mit dem letzten Rest von falscher Scham. Er schien den Bürgermeister gänzlich vergessen zu haben. Dieser wollte sein Gefühl schonen und setzte sich still auf eine Bank im Gar ten, um erst später hineinzugehen, wenn sich der unerläßliche Sturm der Empfindung unter den Familienangehörigen gelegt haben würde. Leise, ohne anzuklopfen, öffnete Johannes die Stubenthür und trat mit einer an ihm sonst ganz unbekannten Schüchternheit ein. Der Vater saß in seinem großen Lehnstuhle, das Haupt znrückge- beugt, mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen. Der Jäger be fand sich nicht in dem Zimmer; Pauline saß ani Piano und schien die düstere Stimmung des Greises durch die frommen Klänge ver scheuchen zu wollen. Niemand hatte den Eintritt des reuigen Sohnes bemerkt, der stumm an der Thüre stand, und wehmuthsvoll das Antlitz des Vaters betrachtete. Plötzlich schlug dieser die Augen auf und sah weniger überrascht als befremdet zu ihm hin. Mit einiger Anstrengung richtete er sich auf und fragte kurz: „Was führt Dich so spät hierher? Willst Du den Vater verhöhnen, daß er so schwach gewesen, an Deine Besserung oder auch nur an die Erfüllung seiner Bitte zu glauben?" Erschreckt wandte Pauline sich um und erhob sich rasch, um in einer Anwandlung von Furcht zu dem Greise zu treten und schützend den Arm um seine Schulter zu legen. „Ich habe dieses Mißtrauen verdient," sprach Johannes, der im nächsten Augenblick vor dem erstaunten Vater kniete; „vergieb mir, Vater, was ich in unseliger Verblendung an Dir gesündigt, stoße den Reuigen nicht zurück, der gekommen ist, um Vesöhnung und Glück in dieses Haus zurückzugeben, Dir Deine beiden Söhne wiederzugeben!" Der alte Mann starrte ihn sprachlos an und sah sich dann, wie Hilfe suchend, nach Paulinen um, die ebenfalls ihren Sinnen nicht traute bei dieser Scene. Er mochte den Sohn wohl einem plötzlichen Wahnsinn verfallen wähnen. Johannes schien dergleichen zu ahnen, ein wehmüthiges Lächeln überflog sein bleiches Gesicht. „Du wirst mich für wahnsinnig halten, Vater!" fuhr er rasch fort, „ich darf Dir deshalb nicht zürnen. Ist mir doch Alles noch wie ein Traum, aus dem ich zu einer besseren Wirklichkeit erwachs werde. Erlaubst Du, daß ich Dir erzähle, was eine so plötzliche Um wandlung in mir bewerkstelligt hat?" Redaktion Druck und Verlag v. „Ja, ja, erzähle nur," nickte der Alte, „doch stehe auf, ich das Knieen vor Menschen nicht leiden." Johannes erhob sich und setzte sich ihm gegenüber auf einen M sein Blick traf Pauline, die den alten Mann noch immer angM umschluugen hielt und alle seine Bewegungen beobachtete. Eineleik Röthe überflog sein Antlitz und zögernd fragte er: „Ist dein wundete Jäger von Wörth hier nicht im Hause?" „Er wird schon zur Ruhe gegangen sein," erwiderte der Vaters Pauline beugte den Kopf tiefer herab, nm die jähe Gluth zu bergen, welche jener Name auf ihr Gesicht hervorgerufen. Johannes bemerkte es und erbleichte noch mehr, er untcrdr^ einen Seufzer und begann jetzt mit leiser Stimme die Vorgänge dich Abends wahrheitsgetreu und ohne sich selbst dabei im Mindesten " schonen, zu erzählen. Es war die letzte, die schwerste Sühne, dii" sich auferlegt, und mit großer Selbstverleugnung zu Ende führte. Der alte Heldbcrg hatte immer aufmerksamer, immer aufge«E zugehört. Diese logische Erzählung von Thatsachen trug nicht das präge des Wahnsinns, sie mußte Wahrheit, Wirklichkeit sein. Als Johannes die Geständnisse Lassen's erzählte und hinzufD' daß der Jäger von Wörth der so unschuldig gebrandmarkte LeE sei, da erhob sich der alte Mann mit jugendlicher Kraft, wähof Pauline einen Schrei ausstieß, der wie ein Jubelton aus tiefem Hech erklang und ein erschütterndes Echo in der Brust des Erzählers „Mein Sohn! mein Sohn!" rief der Vater mit lauter Sti"^ „o komm, daß ich Dich an mein Herz drücke." Drüben ging die Thüre ans, welche zu der Kammer des führte — Leonhard erschien auf der Schwelle, er hatte zum erstens vor dem Alten und dem Mädchen die Binde von feinen Schläfe» a! gelegt. ... „Du bist es, mein Sohn!" rief ihm der alte Heldberg mit bck der Stimme, die wie verhaltenes Schluchzen klang, entgegen, „ich Herz trog sich nicht, als Dein Anblick mir das Bild des Verlor^ zurückrief. Komm an die Vaterbrust, Deine Unschuld ist erM' Gott hat den wahren Verbrecher heute bestraft!" Mit einem Ausruf höchster, seligster Freude eilte Lconhmd inch geöffneten Arme des Vaters, über dessen eingefallene Wangen Thra"' des Glücks rollten. „So habe ich die beiden Söhne an diesem Tage des Siegesch der Ehre wicdergesunden!" sprach der Greis dann mit einem klärten Lächeln. „Deine Hand, Bruder!" rief Johannes, zu dem Jäger geiE „wir wollen einig fein fortan in brüderlicher Liebe und einig >" Liebe zum deutschen Vaterland." „So ist's recht," nickte der Vater, sie beide küssend; „Gott Demuth gepriesen, der meinen Lebensabend mit solchen Blüthe»^ Glücks und der reinsten Freude geschmückt." Pauline aber hatte sich leise ans Clavier geschlichen und!^ jetzt mit Heller Stimme: „Wenn's Ange noch so bitter weint, Der liebe Gott hat's treu gemeint." ,Za, der liebe Gott hat's treu gemeint," sprach der Bürgerns der geräuschlos die Thüre geöffnet hatte und mit feuchtem Blick ' die Gruppe schaute. Der alte Lieutenant löste sich sanft aus den Armen seiner und streckte dem würdigen Manne die Hände entgegen. „Sie gehören mit in diesen Bund, Herr Bürgermeister," rieich „ich täusche mich sicherlich nicht, wenn ich Ihnen den größten A'E dieser glücklichen Stunde zuschreibe." Der Bürgermeister drückte ihm lächelnd die Hände. „Den größten Antheil dieser Stunde hat sicherlich die Gercck^ keit des Himmels, mein alter, wackerer Freund!" erwiderte er ich ernst; „sie hat meinen guten Willen unterstützt und zugleich ihren Nichtenden Blitzstrahl auf des Verbrechers Haupt herabgesandt." „Ja, ja, so ist's," nickte der Alte, „Ehre sei Gott in der Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen." „Und um diesen Frieden zurückführen zu helfen, werde auch " wieder hinausziehen zu den deutschen Brüdern," rief Leonhard. „Hm", meinte der Vater, „Dein Zustand erfordert noch hin Schonung. Du hast das Deinige redlich gethan und Dic.^ eiserne Kreuz wohl verdient, mein Sohn! Mit Stolz sehe ich b dieses Ehrenzeichen, die Sehnsucht meiner Jugend auf Deiner Ml f „Darf ich es auf Deine Heldenbrust heften, mein thcurer Butch „O, nicht doch, mein Sohn!" lächelte der Greis, „muß cs nicht doppelt veglücken, dieses Kreuz auf Deiner Brust zu fche», nen Namen durch den Hcldensohn geehrt zu wissen und —" Er warf einen Blick auf Johannes, der traurig zu Boden ftch,^ setzte rasch hinzu: „Und dann mußt Dn auch jedenfalls die Deines Bruders erst mitfciern, nicht wahr Paulinchen, Du wirft ° Johannes jetzt Deine Hand nicht versagen?" vj Letzterer blickte rasch und erschreckt auf, er fah, wie Leollh^. und Paulinen's Augen sich suchten und fanden, sah die Todtei«^ welche ihre Wangen bedeckte und feine Ahnung wurde zur Gewisi' Ein Zug wie hehre Entsagung überflog sein bleiches Gesichts „Nein, Vater!" sprach er mit fester Stimme, „kein Mission ch unsere Eintracht stören, kein Zwang die wiederverbundenen Hersi" trüben. Auch ich bin stolz auf den deutschen Helden, den ich Bf' > nennen darf, auch mich ehrt dieses Kreuz auf seiner Brust und hfl sei es von mir, ihn um den schönsten Lohn seiner Wunden, seinesi ^ opfernden Tapferkeit und Hingebung für das Vaterland zu Sollte der Scharfblick des alten Lieutenants," fügte er fast schach hinzu, „es nicht bemerkt haben, daß der Jäger von Wörth nicht französische Trophäen, sondern auch ein deutsches MüdchenherZ kühn im Sturm erobert hat?" . Der Alte machte ein reckt erstauntes Gesicht, als Johanns diesen Worten die Hände der Liebenden ergriff und die Beiden locke zu ihm führte. iS „Ei, ei", lachte er fröhlich und gerührt zugleich, „das nen» Soldatenglück; na, Ihr braucht kein Wort hinzuzufügen, Kindsi'^ die ganze Herzensgefchichte deutlich genug in Euren Augen. segne Euren Bund, wie ich es thue, wenn der Friede zurückkehch^ das deutsche Reich erstanden ist in alter Macht und Herrlichkeit, wollen wir eine Hochzeit feiern, wie die Welt an Glück noch gesehen. Leonhard hat den äußeren Feind besiegt, Johann^ Feind in der eigenen Brust — welcher Sieg ist schöner?" . „Glücklicher Vater!" sprach der Bürgermeister bewegt, Zeit, wo so viele Väter ihre Söhne verloren, hat er die si" wiedergefunden." » H. A. Berger in Wilsdruff.