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Montag, 7. Dezember 1S08. Leipziger Tageblatt. Nr. S38. 10L Jahrg. M Angeklagt. Kriminalroman von Heinrich Kornfeld. X. Diesem neuen Ereignis waren die Nerven Eva von Kainbergs nicht gewachsen. Die junge Dame verfiel in ein hitziges Fieber und rang Wochen hindurch mit dem Tode. Endlich siegte ihre Jugendlrast. Nach sechswöchigem Krankenlager erhob sic sich, schwach und elend, in ihrem ganzen Nervensystem schwer erschüttert. Aber sie war doch grrcttet, und die Zeit mutzte das übrige tun. Nur allmählich erholte sie sich, und erst Milte Februar war sie so weit, saß der Baron den Rat des Arztes befolgen und mit der Rekonvales zentin nach dem Süden abreisen konnte. Mit stiller Betrübnis sah der bekümmerte Batcr, wie ivenig während der ersten Wochen die paradiesische Umgebung von Abbazia aus Eva wirkte. Ihre Augen glitten müde, gleichgültig über die Wunder der süd lichen Vegetation hinweg, und das lebhafte Treiben der interessanten, internationalen Gesellschaft, die sich auf diesem entzückenden Flecken Erde zusammengefunden hatte, schien ihr wenig Interesse abzugewinnen. In sich gekehrt und träumerisch schritt sie dahin, gleichviel, ob sie sich auf der Promenade mit dem reizvollen Blick auf das Adriatische Meer oder in einem der Säle des Hotels befand. Ihr Geist schien immer noch in der Heimat zu weilen und sich unablässig mit Fragen zu beschäftigen, die offenbar mit der neuen Szenerie ihrer derzeitigen Umgebung nichts zu tun hatten. Ein paarmal hatte cs dem alten Herrn scheinen wollen, als wenn Eva etwas auf dem Herzen habe, irgendein Anliegen, dem sic sich scheue, Ausdruck zu geben. Sie hatte ihn so sonderbar forschend und mit einem unschlüssigen Ausdruck in ihrem Gesicht angesehen, dabei war ihr das Blut sichtbar ins Gesicht geschossen, und ihre Lippen hatten sich stumm bewegt, als kämpfe sic gegen Worte, die aus ihrem Innern heraus- drängten. Aber wenn er dann weich, ermunternd fragte: „Hast du was, Kind? Willst du mich etwas fragen?" — dann schüttelte sie stumm mit dem Kopf und wandte ihr Gesicht ab. Und nun eines Nachmittags, nach dem Diner, als sie in ihrem Hotel zimmer allein beieinander satzen, schien sie plötzlich ihre Zurückhaltung und Scheu überwunden zu haben. Während sic ihre flirrenden Augen mit einem unsicheren, noch immer etwas scheuen Ausdruck auf ihn heftete, Uetz sie die leise Frage hören: „Glaubst du es, Papa, glaubst du, datz sie es wirklich getan haben?" Tie Erregung hatte ihr die blassen Wangen gerötet. Er sah sie er staunt, im ersten Augenblick ganz verständnislos an. „Was denn? Von wem sprichst du denn, Kind?" Sie senkte den Blick vor dem seinen. „Von — von Frau Crusius und Herrn von Warneck, Papa." Der alte Herr sprang peinlich berührt auf. „Aber, liebes Kind, latz doch das hätzlichc Thema jetzt! Du sollst dich doch hier erholen, auf andere Gedanken kommen. Wir wollen doch hier alles Unerquickliche vergessen. Wir wollen doch hier nichts tun, als unserer Gesundheit leben nnd der Zerstreuung, und wollen uns der herr lichen Gottcsnatur freuen." Sic seufzte leise. „Ja, wenn man das könnte, Papa! Aber ich mus; immer daran denken. Wie lieb Frau Crusius gerade in der letzten Zeit gegen mich war! Und —" die Glut auf ihren Wangen wurde noch um eine Nuance dunkler — „glaubst du, Papa, datz Herr von Warneck imstande gewesen ist, etwas so — so Furchtbares zu tun?" «gestunden Die Stimme des Barons klang lebhaft und warm. „Aus eigner Natur, auS seinem eignen freien Entschlutz heraus ganz sicherlich nicht. Dagegen traue ich der Amtsrätin alles zu. Mir war sie immer höchst unsympathisch, manchmal geradezu unheimlich." „Und du glaubst, datz sic soviel Gewalt über ihn gehabt haben könnte —?" Ter alte Herr bewegte langsam, nachdenklich sein Haupt. „Ja, mein liebes Kind, die Macht, die so ein willensstarkes Weib über einen betörten jungen Mann besitzt, ist wunderbar, manchmal geradezu dämonisch. Er wehrt sich, er kämpft dagegen an und unterliegt schließlich doch." Tas junge Mädchen atmete schwer; die Glut auf ihrem Gesicht Ivar wieder der gewöhnlichen Blässe gewichen. Sic blickte eine Weile ange legentlich auf den Fußboden, als errege dort etwas ihre besondere Auf merksamkeit. Endlich brachte sie zaghaft, mit ringender Brust, wie unter einer besonderen Kraflanstrcngung über die Lippen: „Glaubst du, Papa, daß sie auch noch in der letzten Zeit vor dem plötzlichen Ende des Amts rats diese Macht über Herrn von Warneck besessen hat?" Ter Baron blickte verwundert zu seiner Tochter hinüber und machte wieder mit unwilliger Miene eine Geste, die der Fortsetzung des Ge sprächs Einhalt zu gebieten schien. Dennoch gab er, wenn auch zögernd, Antwort: „Allerdings, der Ansicht bin ich ganz entschieden. Das war deutlich bei der ersten Vernehmung der beiden zu sehen. Damals fiel mir das alles nicht auf. Jetzt aber erinnere ich mich sehr wohl, wie ge quält alle seine Aussagen kamen, wie zögernd und unsicher und manchmal den ihren geradezu widersprechend. Und wie sie dann immer sofort ein griff, wie sic ihn mit ihren Blicken und ihrem bestimmten, energischen Wesen ganz zu beherrschen schien, und ihn zwang, uachzugeben und ihren Anschauungen sich anzubequemen. Sicherlich ist sie es auch gewesen, die ihn veranlaßt hatte, die falsche Anzeige zu erstatten und die Sache so dorzustellen, als ob der Amtsrat durch eigene Unvorsichtigkeit ums Leben gekommen wäre. Wenn ich alles recht bedenke, so sehe ich klar, datz er ganz in ihrem Bann stand. Und wenn man alle Momente erwägt, sein widerspruchsvolles Verhalten, sein ganz und gar niedergedrücktes Wesen, dann kann man trotz aller Sympathie, die der bedauernswerte junge Mann einem ursprünglich cinflößte, den Verdacht des Staatsanwalts nicht so ohne weiteres von der Hand weisen, dann hält man schließlich auch das Schlimmste für möglich. Es wäre ja nicht das erste Mal, datz sich ein betörter Mann von einem dämonischen, zügellosen Weibe hätte ins Verderben bringen lassen." „Papa!" Es lag so viel Schmerz, so viel Verzweiflung in dem Schrei, den das junge Mädchen ausstieß, das; der alte Herr erschrocken, entsetzt zu seiner Tochter hinübersah. Sie hatte ihre Ellbogen auf dem Tischchen, an dem sie saß, aufgestützt und das Gesicht in ihren beiden Händen verhüllt. Aechzende Laute drangen zwischen den Fingern hindurch. Ta flammte plötzlich ein Blitz des Erkenntnisses in der Seele des Barons auf. ' „Eva! Ungliickskind!" rief er und eilte zu ihr hin und umspannte ihre Handgelenke mit seinen Händen und zog ihr die ihrigen vom Gesicht. Und als cs ihm gelungen war, ihr Antlitz zu enthüllen, schaute er ihr mit einem langen, tiefernsten Blick in die Augen. „Eva", wiederholte er mit dringlicher, warnender Stimme, und eine fast feierliche Stimmung leuchtete aus seinen vibrierenden Zügen. „Du bist cs mir, deiner Familie und dir selber schuldig, dich ganz in deinen Gedanken und Empfindungen von diesen beiden Menschen los zulösen, gleichviel, ob sie nun die ganze Schuld oder nur Teil derselben trifft. Du darfst kein Quentchen eines wärmeren Gefühls mehr an einen von ihnen verschwenden, hörst du, Eva! Vergiß nicht, was du deiner Mädchenehre und der Familienehrc schuldest." Neber das bleiche Antlitz des jungen Mädchens mit dem rührend leidenden Zug lies ein ergreifendes Zucken, dann griff cs mir einer im pulsiven Bewegung nach der Hand des Vaters und drückte die kalten, zitternden Lippen daraus. Von diesem Tage an ging eine große Veränderung in dem Verhalten Evas vor sich. Man sah ihrem ganzen Wesen an, daß sie sich ernstlich, mit ihrer ganzen Willenskraft bemühte, das, was bisher lähmend auf ihr gelegen, von sich abzuschütteln, jeden Gedanken an das Vergangene, selbst an die Heimat von sich zu verbannen und ganz der schönen Gegenwart zu leben. Sie zeigte auf einmal Interesse für alles, was sic umgab. Fast den ganzen Tag Ivar sie mit ihrem freudig überraschten Vater unterwegs. Sie unternahmen Ausflüge mit dem Dampfer nach Fiume, sic machten weite Strandpromenaden nach dem schönen Volosca nnd nach den male- risch gelegenen kleinen Haseuortcn Jka nnd Lovrana. Ja, sie gab ihre Zurückhaltung gegen den Verkehr mit anderen Kurgästen aus, machte Be kanntschaften und besuchte Konzerte und Ncunions. Bei einer solchen Gelegenheit wurden sie mit einem jungen Landsmann bekannt, mit dem sie rasch in lebhafte Beziehungen traten. Es stellte sich schon während des ersten Gespräches heraus, datz die Familie des Herr» von Grollwitz dem Baron nicht unbekannt war; ein Onkel des jungen ManncS war langjähriger Regimentskamerad des Barons gewesen. Bernd von Grott- witz hatte zwei Jahre als Offizier in Südwcstafrika bei der Schutzlruppc gedient; vor kurzem hatte er seinen Abschied aus dem aktiven Heeres dienst genommen, um sich ganz der Verwaltung seines Gutes zu widmen. Zuvor aber wollte er in der lauen Lust der adriatischcn Küste seine durch die Strapazen des afrikanischen Feldzuges angegriffene Gesundheit wieder kräftigen. Baron von Kamberg begrüßte cs mit großer Freude, daß der junge Mann von der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft an sich ihm und Eva mit Vorliebe anschlotz, denn der ehemalige Offizier besaß ein lebhaftes und fröhliches Naturell. Dazu kam, daß er viel Originelles aus seinen afrikanischen Erfahrungen zu erzählen wußte, und datz Eva gerade für diese Mitteilungen ein großes Interesse bekundete.' Hin und wieder freilich schienen bei Eva noch Rückfälle in ihre frühere Melancholie vorzukommen, dann saß sie in sich gekehrt, und mit verschleierten Augen starrte sic grüblerisch vor sich hin. Aber diese Perioden stiller Versunkenheit wurden seltener und seltener, und jedes mal wurden sie von einem um so helleren Ausslackcrn jugendlicher Lebens lust abgclöst. Tann schien sich das junge Mädchen gar nicht genug tun zu können in Zerstreuungen aller Art, dann kam ein förmliches Fieber über sie, eine krampfhafte Begierde nach Ablenkung, nach geräuschvollem Treiben, nach den Reizungen gesellschaftlicher Vergnügungen. Dann jagte förmlich eine Unterhaltung die andere. Aus Strandpromcnadcn folgten Bvotsahrtcn, auf Bootfahrtcn Konzcrtbcsuchc und auf Konzert besuche die Teilnahme au Reunions, wobei sich Eva plötzlich zum Er staunen ihres Vaters als eine eifrige Tänzerin gebärdete, die in den Rhythmen eines Walzers ganz auszugehcn schien. Bernd von Grottwitz war bei alledem ihr unermüdlicher Gefährte, der auf alle ihre Anregungen und Wünsche mit Bereitwilligkeit cinging. nnd der keinen höheren Ehrgeiz zu kennen schien, als sich mit allen seinen Fähigkeiten und mit allen seinen Sinnen in den Dienst der schönen Landsmännin zu stellen. sFortse^nng folgt.) * * * lAuf Wunsch wird der Anfang dieses Romans neu hinzutretenhr» Kbonnrnten kostenlos nachgeliefert.I 0S12l> (»««eLLttv «tuck Irvniitltrd «Iure!» «ussxvIcLtv I*I«Ir»tv: äer Künsvknen - Innung. Keim Liickauf von M-Maren berüek8iobtixe mau nur kLLbmÄnni8cb gleitete TpvLisIgesvKA/te. Nur soleds können deiväbr kür svlilles, pelLNkvnlL bieten, äs, Mkrelanxe Tätigkeit in äer kelM-snebe äa,2ll xebört, kelrvverk beurteilen unä 8sebA6mä88 verarbeiten ru können. 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