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Australien und die deutsche Industrie. Der Reichskommissar für die australischen Ausstellungen, Geh. Rath Reuleaux, hat am 22. Februar im Centralverein für Handels geographie zu Berlin über australische Verhältnisse im Allgemei nen und die Ausstellung in Sidney insbesondere einen zweistündigen Vortrag gehalten, dem die zahlreiche Versammlung mit gespanntem Interesse folgte, und der wegen der praktischen Hinweise auf unsere Handelsbeziehungen zu Australien und die damit zusammenhängende Industrie aus dem Munde eines Maunes von so treffendem auf gründ liche Erfahrungen gestützten Urtheile von höchster Bedeutsamkeit ist. Wir theilen daher das Wichtigste daraus unsern Lesern mit. Die deutsche Betheiligung an der Ausstellung in Sidney, durch mehr als 600 Industrie-Aussteller und gegen 100 Kunstwerke vertreten, hatte nach Reuleaux's Ansicht vorherrschend die Form eines Versuches, konnte sich aber neben derjenigen anderer Nationen sehr wohl sehen lassen. Hieran knüpft Reuleaux die zwei Fragen: 1) Haben wir richtig ge handelt, in Sidney auszustellen und richtig ausgestellt? 2) Was haben wir in Melbourne zu thun? Daß wir recht gethan haben, auszustellen, bejaht R., denn durch solche Ausstellungen lerne man ein Land unge wöhnlich schnell kennen, das habe die Ausstellung in Philadelphia be wiesen, das werde die in Sidney ebenso thun. Wie jene ein ganz anderes Bild von Amerika gegeben, so werde diese die vielen irrigen Vorstellungen von Australien berichtigen. Australien biete der Kultur große Schwierigkeiten, weil seine geologische Construction eine sekundäre sei, während die tertiäre der alten Kulturländer gänzlich fehle, und dem entspräche auch die Flora und Fauna des Landes; das Klima sei etwa dasjenige Unteritaliens und der Eismaschine stehe eine große Zukunft bevor. Die Einwohnerzahl betrage 2Vr Millionen, deren Hauptbeschäftigung Schafzucht (die Zahl der Schafe beträgt 60 Mill. Stück) sei; Ackerbau und Weiuzucht ruhe fast nur in deutschen Händen; die Industrie könne nicht kultivirt werden, da Ackerbau und Viehzucht die Bewohner vollständig in Anspruch nehme. Manufakturen müßten also eingeführt werden und hier sei die Stelle, wo wir eingreifen müßten. Der Redner nimmt nun die einzelnen Industriezweige, in denen Deutschland ausgestellt hat, und deren Aussicht auf erfolgreichen Absatz durch. Er kommt zu dem Schluß, daß unsere Industrie dauern den und ruhigen Gewinn, der aus ehrlicher Arbeit hervorgehe, suchen und ihr Ziel sein müsse, nicht direkt an das Publikum zu verkaufen, sondern mit Jmporthäusern große Abschlüsse zu machen. Auf Grund der gemachten Erfahrungen, erklärt nun Reuleaux, dürfen wir es nicht mehr bei der versuchsweisen Ausstellung belassen, sondern müssen da nach trachten, die Erzeugnisse unserer Industrie einzuführen, wir müssen daher in Melbourne stärker und energischer ausstellen als in Sidney. Bisher belaufen sich die Anmeldungen für Melbourne auf 750, also nicht übermäßig mehr als für Sidney, aber die Intensität der Aussteller sei viel größer und er glaube deshalb, daß in Mel bourne die deutsche Ausstellung viel vollkommener ausfallen werde als in Sidney. ! Getrennte Herzen. Erzählung von E. Heinrichs. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Der Direktor strich sich den Bart und versetzte nach einer Weile: „Es muß dahm kommen, unsere Waare geht nicht, wir müssen ver schleudern, um das Lager frei zu bekommen. Schwatzt dieser kluge Konsul mir heute den Kops warm von neuen Einrichtungen und Ver besserungen, müßten dem Fortschritt auf gewerblichem Gebiete mehr Rechnung tragen, wir blieben zurück, daher der schlechte Stand des Geschäfts. Mag sein, ich habe kein Geld dazu, und der Verwaltungs- rath ist mit mir zufrieden bis auf zwei Stimmen, die mir nicht scha den. Doch das ließe sich alles überwinden, wenn nicht andere Ge- witter gegen mich im Anzuge wären. Unsere Arbeiter bereiten einen Strike vor." Herr Wucherpfennig konnte ein leises Erschrecken nicht unter drücken. „Mit einigen Ausnahmen von älteren Familienvätern und Frauen sind die Schurken alle einig," fuhr der Direktor finster fort, „so wie ich vou Willrich vernommen, soll die Geschichte morgen, als am Sonnabend schon in Scene gehen, sie verlangen eine bedeutende Lohn erhöhung, drei Pfennig Aufschlag pro Elle, ein netter Faustschlag in's Gesicht der Aktionäre." Herr Wucherpfennig sah einige Minuten schweigend vor sich hin, dann nickte er lächelnd, rieb sich die weißen Hände und sagte: „Nur immer zu, Herr Sohn! wenn die Arbeiter feiern, reift unser Weizen. Nur nicht nachgeben, das Gesindel kommt von selber wieder an die Krippe, wenn's das Letzte zum Leihhaus getragen hat und der Hunger Einkehr hält. Die Unterstützung von außen her kennen wir, das hält nicht lange vor —also vor allen.Dingen zähe sein." „Die Arbeiter hassen mich, ich weiß es; ich bin ihr Herr, weiter nichts, das Liebäugeln mit dieser Klasse ist mir zuwider, ich mag nichts damit zu schaffen haben. Ihre Rebellion wird meinem Ansehen schaden, eine neue Handhabe für meine Hauptfeinde hergeben, doch sollen sie in mir ihren Meister finden — ich gebe nicht nach." „Recht so, Herr Sohn! wir haben ein doppeltes Interesse dabei, solchem frechen Ansinnen und Gebahren entgegenzutreten; was sollte daraus werden, wenn diese siegten; ein allgemeiner Strike aller Ar beiter wäre die natürliche Folge davon, und hätten sie es einmal durch gesetzt, dann wäre dieser Sturmfluth kein Damm mehr entgegenzu setzen, darum muß die Losung dieses Kapitals ein für allemal heißen: „Nicht nachgebenl" Drittes Kapitel. Konsul Wohlfahrt. In dem vornehmsten Stadtviertel, wo sich prächtige Promenaden mit zierlich und sorgsam gepflegten Anlagen durchschnitten, und das fürstliche Theater mit seinem stolzen Säulenbau sich erhob, bewohnte der Konsul Wohlfahrt die zweite Etage eines großen eleganten Hauses. Es wurde dem steinreichen Manne vielfach und selbst von befreun deter Seite sehr verdacht, in seinen Verhältnissen, die ihm einen Palast mit fürstlicher Einrichtung so leicht gestattete, in solcher bedrängten, fast kleinlichen Art zu wohnen; — die Selbstsucht des gewöhnlichen Reichthums oder die der Sorge, — sie bleibt sich immer gleich, in welcher Gestalt sie auftritt, und sie verstand diese großartig angelegte Natur nicht, die den Ueberfluß haßte, sich selber mannigfache Opfer in dieser Weise auferlegte und nur eine gewisse Behaglichkeit liebte, einzig aus dem Grunde, um stets die Mittel zu besitzen, der Menschheit zu nützen. Ihm war der Reichthum nur das Mittel zu diesem großen Zwecke, und hielt er es deshalb für ein Verbrechen, dem Ueberflusse zu fröhuen, im Genüsse sich zu wälzeu, so lange das Elend seinen Weheruf ertönen ließ, so lange menschliche Geschöpfe hungerten und verlassener waren, als das Thier. Er führte seinen Namen in der That und Wahrheit, da ihm die Wohlfahrt Anderer unablässig am Herzen lag; er war ein Menschen freund in des Wortes schönster und erhabenster Bedeutung, — aber auch ein deutscher Patriot, der große Summen opferte für den Ruhm und die Ehre des deutschen Namens. Es war der innere Beruf dieses Mannes, uneigennützig und prunk los Wohlthaten zu säen, ohne Dank zu erwarten, da das Wort der Schrift, daß die Linke nicht erfahren soll, was die Rechte thut, bei dem Konsul sich realisirte. Und daß er in seiner edlen Gemahlin eine sympathische Gehülfin dabei besaß, war ein Glück, bei welchem die Hülssbedürstigen ihre beste Rechnung fanden. Wohl spielte deshalb auch der bedeutende Verlust, den er bei der Aktienspinnerei und Weberei voraussichtlich, wenn in der Oberleitung derselben nicht Wandel geschafft wurde, erleiden mußte, eine unterge ordnete Rolle in seinem Eiser, die Schurkerei zu entlarven und dem Etablissement einen größeren Aufschwung zu geben; aber es war nicht jenes Interesse, welches Wucherpfennig ihm unterschob, sondern einzig der ihn stets bei Allem was er anternahm, leitende Gedanke, die klei neren Aktionäre vor Verlust zu schützen und den vielen Arbeitern das Brot zu erhalten. In diesem Augenblick schritt er aufgeregt in seinem Arbeitskabinet, das auf's Einfachste möblirt war, auf und nieder. Die hohe schlanke Gestalt mit den feinen aristokratischen Händen und Füßen, das scharf geschnittene Gesicht mit dem grauen Vollbart und den Hellen mild blickenden Augen, worin Geist und Seelenadel sich spiegelten, bildeten ein harmonisches Ganze, eine männlich schöne, stolze Erscheinung. Er schien augenblicklich sehr aufgeregt zu sein, sein Helles Auge blitzte unwillig und um den Mund hatte sich ein Zug inneren Ver drusses gelegt. „Sie wollen mir also platterdings den Wunsch nicht erfüllen, Doctor?" fragte er fast hastig einen nachlässig in einem Sessel aus- gestrccklen Mann, dessen Antlitz das Gepräge des höchsten Phlegma's trug. Er hatte ein Lorgnon in die Augen geklemmt und strich den starken ungepflegten Bart mit wohlgefälliger Miene, wobei er den Dampf seiner Cigarre in großen Wolken von sich blies, und so dem Schlote einer Dampfmaschine nicht unähnlich war. Dieser Mann war der Doctor und Senator Schönfeld, ein Optimist von reinstem Wasser, der die Welt stets durch die rosig gefärbte Brille seines wohlsituirten Daseins anschaute, die ganze sittliche Welt mit all' ihren Tugenden für ein Privilegium der guten Gesellschaft hielt und eine starke Polizei für das beste Schutzmittel gegen die Laster des Volkes. „Mein Himmel, liebster Konsul!" rief er mit eineu unterdrückten Gähnen, ereifern Sie sich nur um Gottes Willen nicht um eine solche Lappalie; Sie wissen, wie schwach Ihre Constitution ist und wie streng der Arzt Ihnen jede Aufregung verboten hat, und nun kommen Sie in der letzten Zeit gar nicht mehr aus der Aufregung heraus." „Davon ist augenblicklich keine Rede, Herr Doctor!" versetzte der Konsul nicht ohne Bitterkeit, „doch daß Sie die Existenz eines armen Mannes für Lappalie erklären können, thut mir leid, ja fordert meinen ganzen Unwillen heraus." „Ich kann aber in der That Nichtsein der Sache thun, und wäre der Mann ein Sebastian Bach auf der Orgel." „Sieh', kennen Sie den Mann auch?" lächelte der Konsul mit feiner Ironie, „nun ich sage Ihnen, Doctor, mein alter Musiklchrer ist ein Bach auf dem Instrumente, und eine Schaude ist's, daß der Manu in der Dunkelheit einer sorgenvollen Existenz fortkämpfen muß, ohne daß ihm ein würdiges Amt und damit Brot gegeben wird. Sie müssen doch einsehen, daß ein solcher Mann kein Almosen annehmen kann und ein Anderes ist mir nicht möglich." „Warum kann er das nicht?" gab der Doctor gleichmüthig zurück; „aber Armmh und thörichter Stolz oder Hochmuth sind stets mit einander gepaart, das ist ein alter Satz. Und nun gar diese Kunstler und Poeten, wer könnte damit auskommen, wo ihr Stolz sich um eine Linie nur beugen müßte? Ach liebster Konsul! gehen Sie mir mit dieser Menschensorte, deren zartbesaitete Seelen keine andere Hand berühren darf, ohne daß sie über Ungerechtigkeit, Rohheit, —° und dergleichen ein Lamento erheben. Wenn ein Mensch hungert, so kann er auch ein Almosen annehmen, so gut wie jeder andere Bettler." Der Konsul stemmte die Hand auf den Tisch und schaute ihn einige Augenblicke ruhig an, dann schüttelte er den Kopf und sagte: „Sie sind ein unverbesserlicher Praktiker, Doktor! — welcher die Seelen und Geister, mindestens in der Region der Armuth, über einen Leisten schlägt. Unter Ihrer Hand würde allerdings auch mein Musiker wie ein Rohr zerbrechen, ich möchte Sie nicht zu meinem Almosenier er nennen. Doch das bei Seite, ich kann mir in der That nicht denken, daß Ihr Einfluß bei'm Magistrat so äußerst gering sein sollte, um es nicht einmal durchsetzen zu können, ja, nicht einmal den Versuch zu wagen, meinem Schützling die vacante Organistenstelle am hiesige» Dom zu verschaffen, zumal der Magistrat das Recht hat, diese Stelle zu vergeben und mein alter Steindorf alle erforderlichen Eigenschaften dazu besitzt." Eine leichte Röthe überlief das graue Gesicht des Doctors, der Konsul hatte ihn an seiner schwächsten Stelle gepackt, das war die Eitelkeit; diesen Fehler besaß er in einem so hohen Grade, daß er an Laster grenzte. „Nun gnt, ich will mein Möglichstes versuchen, um Ihnen meine Bereitwilligung zu zeigen," rief cr, sich rascher als gewöhnlich erhe bend; „Sie haben sich nun einmal zum Anwalt aller Armen und Elenden selber ernannt und das Verdienst, so zähe und unermüdlich wie ein Bettler von Profession darin zu sein. Schieben Sie mir aber nicht die Schuld zu, wenn Ihr alter Bettelmusikant die Stelle nicht erhält. —" Er ergriff Hut und Stock, um sich, etwas unmuthig, zu entfernen. „Apropos", wandte er sich bei der Thüre um, „wie steht's draußen in der Fabrik? — Haben Sie etwas Näheres über den Strike der Arbeiter gehört?" „Nichts weiter, als daß die Arbeit völlig eingestellt, die Fabrik geschlossen ist. Es sind ungefähr hundert Unglückliche dadurch brotlos geworden, die sich gar nicht daran betheiligt haben; für diese müßte ebenfalls gesorgt werden,"