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Veranda stand, beeilte sich, selbst den Schlag zu öffnen, prallte aber unwillkürlich zurück, als seine Blicke in das Innere des Wagens fielen. Einem rosigen blondhaarigen Mädchen gegenüber saß, in Decken sorgfältig eingehüllt, ein Geschöpf, welches der Hotelier sicher für den unbarmherzigen Schnitter, genannt Tod, gehalten hätte, wäre ihm dasselbe mit der Sense in der Hand zwischen Tag und Dunkel ent gegengetreten. Gewiß, dieser Mann, welcher so kraftlos in der Ecke des Wagens saß, war ein Sterbender. Die Betrachtungen Scheldon's wurden durch einen dritten Insassen des Wagens in eine andere Bahn gelenkt. Ein alter aber recht jovial aussehender Herr stieg zuerst aus dem Wagen, erkundigte sich nach dem Besitzer des Hotels und als Scheldon sich als solchen zu erkennen gab, legte der Fremde vertraulich seinen Arm in den des sprachlos dastehenden Wirthes, führte ihn etwas seitab vom Wagen und sagte: „Mein Name ist James Brown; ich bin der Leibarzt des todtkranken Bergwerksbesitzers Morris aus Canada, welcher mit seinem zwölf jährigen Töchterchen Rosa den Sommer über die milde Luft von Saratoga eiuzuathmen gedenkt. — Im Vertrauen gesagt, Mr. Schel don," fuhr der Doktor fort und dämpfte seine Stimme zum Flüster ton herab, „mein Patient wird sterben". „Es gehört wenig Scharfblick dazu, um das vorauszusehen", warf der Wirth ein. „Sie haben Recht", fuhr der Doktor fort. „Allein Sterbende klammern sich an einen Strohhalm der Hoffnung. Ein berühmter Arzt redete Herrn Morris ein, wenn etwas ihn retten könnte, so sei es die milde Luft von Saratoga, und so mußten wir diese vergebliche Reise autreten. Ihr Hotel wurde uns als das beste des Ortes em pfohlen und somit wende ich mich an Sie, Mr. Scheldon, mit der Bitte: geben Sie meinem Patienten einige comfortable Zimmer im entlegensten Theile Ihres Hotels. Für die Wartung des Kranken haben Sie nicht die mindeste Sorge zu tragen, diese übernehme ich mit Hülse des kleinen Töchterchens. Morris ist enorm reich und zahlt jeden Preis, den Sie für Ihre Zimmer verlangen". Scheldon hatte wenig hierauf zu erwidern. Er war Hotelier in einem Badeort, den in der Regel nur Kranke besuchen, er durfte also einen Sterbenden nicht von seiner Thüre weisen. Rasch gab er dem Oberkellner einige Befehle und trat mit dem Doktor an den Wa gen znrück. Der Kranke öffnete matt die tiefliegenden Augenlider und sagte mit kaum vernehmlicher Stimme: „Diese entsetzliche Reise hat mich vollends gebrochen. Mr. Scheldon, Alles, was ich von Ihnen verlange, ist eine stille, abgelegene Wohnung, wo ich ruhig sterben ' kann". Der Wirth erfüllte die Bitte schon um seiner Gäste willen. Man brachte den Sterbenden in den abgelegensten Theil des Hotels, dessen Räume übrigens an Komfort nichts zu wünschen übrig ließen. Das blonde Kind schien sich recht wohl in den behaglichen Zimmern zu fühlen; trällernd legte sie Hut und Mantel ab, und trat dann an 1vas Bett des Leidenden, um ihm mit der Routine einer Kranken pflegerin Medizin einzuflößen. Doktor Brown nahm seinen Wohnsitz nicht im Hotel, sondern bezog in einem naheliegenden Dorfe sein Quartier, fand sich jedoch regelmäßig jeden Morgen im Hotel ein, speiste dort und blieb, je nachdem der Zustand des Patienten es verlangte, bis spät in die Nacht hinein im Hotel. Durch den Doktor ließ der sterbende Morris auch gleich am ersten Tage auf eine Woche Miethe und Pension vorausbezahlcn. Scheldon fand dies etwas verfrüht, denn ihm war es unwahrscheinlich, daß das Skelett, wie Morris von den Kellnern im Hotel genannt wurde, noch eine Woche zu leben habe. Seltsamer Weise vergingen drei Tage, ohne daß der Doktor, welcher an der Tafel durch schnurrige Anekdoten und Bonmots stets die ganze Tischgesellschaft erheiterte, den Tod seines Patienten gemeldet hätte. — „Die Luft von Saratoga scheint doch einen kleinen Effect zu äußern," bemerkte er gegen Scheldon. „Sie kann zwar die Auflösung des Kranken nicht vollständig hemmen, allein sie verzögert dieselbe doch". Am vierten Tage bat der Doktor den Wirth nach aufgehobenem Diner, er möge die Güte haben, sich in das Krankenzimmer des Ster benden zu bemühen, derselbe habe ihm eine vertrauliche Mittheilung zu machen. Einigermaßen befremdet, begab sich der Hotelier mit dem Arzte in das abgelegene Krankenzimmer in der zweiten Etage und trat an das Bett des armen Morris, dessen Zustand sich noch ver schlimmert zn haben schien, denn Gesicht, Hals und Arme waren ab solut fleischlos. „Bitte, nehmen Sie einen Stuhl", hauchte Morris. — „Es betrübt mich tief, mein lieber Herr Scheldon, Ihnen eine unangenehme Mit theilung machen zu müssen und hielte lieber damit hinter dem Berge, wenn cs nicht in Ihrem Interesse läge, durch meine Warnung vor schlimmeren Folgen gesichert zu sein". Gespannt lauschte der Wirth der folgenden Eröffnung. „Auf eine mir räthselhafte Weise sind aus Rosa's Zimmer, woselbst sich meine Schatoulle befand, 4000 Dollars verschwunden. Glauben Sie ja nicht, bester Herr Scheldon, daß ich die entfernteste Absicht hege, Sie für den Verlust verantwortlich zu machen", fuhr der Ster bende fort, als Scheldon erschrocken in die Höhe fuhr. „Meine Ver mögensverhältnisse sind, Gott sei Dank, derart, daß mich cm zehnfacher Verlust kaum schmerzen würde. Ich thcile Ihnen dies mir mit, damit Sie auf der Hut sein und sich dem Verbrecher gegenüber vor den Folgen schützen können". „Haben Sie gegen irgend Jemanden im Hotel einen Verdacht?" fragte Scheldon besorgt. „Gegen Niemand. Wie sollte ich auch? Fast nie betritt ein Aufwürter unsere Zimmer anders, als in Gegenwart meines Kindes und des Doktors; trotzdem ist der Diebstahl geschehen. Sehen Sie sich also vor". — Ein krampfhafter Husten setzte den Miltheilungen des erschöpften Mannes ein Ziel. Scheldon dankte herzlich für die Warnung und verließ grübelnd die abgelegenen Gemächer. — „Wer konnte den Diebstahl verübt haben?" fragte er sich. Alle Mitglieder seines Dienstpersonals hatte er bisher als ehrlich befunden. Sollte irgend ein Gauner das Hotel bezogen haben? — Scheldon dankte in seinem Herzen nochmals dem Skelett für seine Warnu-ng und beschloß auf seiner Hut zu sein. In der folgenden Nacht schon wurde einem reichen Viehhändler aus Albauy seine Brieftasche mit 2b,OM Dollars in Werthpapieren entwendet, welche dieser vorsichtshalber unter sein Kopfkissen gelegt hatte. Dieser Herr war weniger zartfühlend, als der reiche Morris und schug einen Höllenlärm. Scheldon ordnete sofort eine strenge Durchsuchung des Hotels an — allein vergebens! Weder Brieftasche, noch eine Spur des Geldes waren aufzufinden. Zwei Tage später kehrte ein reicher Bankier aus Newyork mit KirÄennachrichten ans Wilsdruff. Am Sonntage Judica Vormittags predigt ?. vn. Wain- Nachmittags 1 Uhr Prüsung der diesjährigen Confirmano seiner Familie im Hotel ein, nm die Saison in Saratoga zu verbuk Am Tage, welcher dessen Ankunft folgte, entdeckte derselbe den^ seiner mitgebrachten Baarschaft, die aus 9000 Dollars bestand., Bei diesem dritten Schlage verlor Scheldon fast den Kopf. Haus fing an unheimlich zu Werder. Kam das Gerücht dieser W Diebstähle einem Newyorker Reportor zu Ohren so war es unst Ehre und Reputation geschehen. Eine neue, viel sorgfältigere N suchung fand statt, zu welcher sich die Anwesenden Gäste frei» erboten, sogar der sterbende Morris >— allein auch diese blieb ? tatlos. Wirth, Oberkellner und Aufwärtcr erschöpften sich in st wachen und trotzdem wurden einem Oelspeculanten, welcher Vf Tage später einkehrte, sofort 20,000 Dollars aus dem Koffer ent^s Jetzt glaubte Scheldon, welcher Methodist war, seine Majestät der Satan habe die bevölkerten Staaten seines Reiche»' lassen und sei inkognito in seinem Hotel abgestiegen, um Hitzs Staub der Unterwelt in den Quellen von Saratoga abzun^' Sein Haus war in die Hand des Bösen gefallen und da kein El, zur Hand war, um den unsichtbaren Gast auszutreiben, so bck er, das Hotel um jeden Preis zu verkaufen. „Verschleudern Sie Ihr Besitzthum nicht eher, als bis m ein letztes Mittel versucht habe", sagte der Oberkellner Willians „Thun Sie, was Sie wollen, William", antwortete der g? Scheldon. „Mein Wissen und Verstand sind vor einem hohen angclangt". , Am Tage nach dieser Unterredung stieg ein elegant gD jnnger Mann im Hotel ab und renommirte bei Tisch, daß er inu Wmter als Börsenmakler 45,OM Dollars verdient habe, die ? in Saratoga zu verjubeln gedenke. — Dieser Fremde war Bruder und handelte genau nach dessen Instruction. Die Nacht kam und William hatte im Zimmer des vorgst Suitiers Posten gefaßt. Während der Letztere in einem Nebelst' wie ein Murmelthier schlief, wachte der Erstere im großen ist schrank des Hauptzimmers und horchte, den Revolver in der k auf jeden Laut, der aus dem Hotel kam. — Mitternacht war und das Hotel wurde still, wie eine verlassene Kirche. Die P'' schlug Eins — Niemand kam. Schon sanken dem Wachsame? auch in der vergangenen Nacht wenig geschlafen hatte, die Angs da wurden Schreite vernehmlich. William lauschte gespannt 'M wieder zurück. — Die Schritte kamen aus der Gegend, in st Morris' Zimmer lag. Die kleine Rosa holte Medizin, welche ist Eisschrank aufbewahrt werden mußte. Wahrscheinlich hatte M Zustand des Kranken verschlimmert. — Schon wollte William ?! Erfolg seines Operationsplanes verzweifeln, da kam Rosa zur^ legte lauschend den Kopf gegen die Thür des Zimmers, d«M sie rasch weiter. Dem Oberkellner klopfte hörbar das Herz. Was hatte st bedeuten? Warum horchte das Kind an der Zimmerthür? s hatte er wieder im Schranke Wache bezogen, da öffnete sich gerast wie durch ein Wunder, die Thür des Gemachs und herein sch? ein Schatten. — Doch nein! Jetzt öffnete sich eine kleine Blend? und das Licht derselben fiel — William mußte alle Fassungst mennehmen, um nicht laut aufzuschreien — auf die Todtenmast Skeletts. — Absolut geräuschlos schritt der unheimliche Gast ist Cylinderburcau zu, in welchem er wahrscheinlich das Geld venst suchte unter einem Bündel Nachschlüsseln den passenden aus und ? auf. Zitternd vor Aufregung sprang der muthige William w dem Schranke und rief: „Halt!" . Beim ersten Geräusch wandte sich das Skelett blitzschnst die Blendlaterne fiel, daun ersolgte ein Schlag und der in? Revolver in Williams Faust flog zur Erde. Der Entwaffnete ? jedoch trotz der Dunkelheit kühn vor, erhaschte den Dieb, rn? ihm und stürzte zur Erde. Im Nu fühlte William, welcher bst Hülfe schrie, seinen Hals umklammert und wie mit eisernen st gewürgt. Dieser Sterbende entwickelte solche Riesenkräfte, Minute später der herbeieilende Bruder und die aufgestelltenst den muthigen Oberkellner erdrosselt gefunden hätten. So gest noch, ihn aus den Händen des Skeletts zu erretten und dieses ge^ in Sicherheit zu bringen. Das erste, was William und Frau Scheldon jetzt thateist daß sie die kleine Rosa in's Verhör nahmen. Durch freust. Zureden gewonnen, gestand das Kind, was sich jetzt leicht est läßt, daß Morris nicht ihr Vater, sondern ein Gauner sei, weist als Waise aufgegriffen und dann durch Drohungen und Schst diesem Spionagendienst gezwungen habe. Die Todtenmaske, der Elende schon von der Natur mitbekommen hatte, wußte eh allerlei Essenzen und dunkle Schminken noch effectvoller zu Dem falschen Doktor fielen bei dieser Diebeskomödie zwei Fu?? zu; erst die Gäste beim Diner auszuforschcn, und dann das gst Geld am folgenden Tage in Sicherheit zu bringen, deshalb nur» der schlaue Gauner außer dem Hause. Am andern Morgen wunderte sich der joviale Herr nickst ? als ihn bei seiner Ankunst aus der Treppe des Hotels zwei Ko»? begrüßten und ihm die blanken Handeisen anlegten. Man dM? sein Luou rotiro auf dem Lande und fand in stiller Vereinig»»^ allein sämmtliche im Hotel gestohlene Baarschaften, sondern noch, tausend Dollars Ueberschuß, welche die braven Herren von estst folgreichen Expedition in die Bäder bei St. Paul als Spooh? auf die hohe Kante gelegt hatten. In dem Befinden des Morris brachte die gesunde Luft von Saratoga eine äußern > thuende Revolution hervor, denn noch heute arbeitet derselbe v geschlossenen Hallen von Sing - Sing, an der Seite seines ist' Leibarztes in der Karre und erfreut sich einer wahrhaft robust sundheit. Die kleine anmuthige Rosa adoptirten die Scheldons, deren M § kinderlose war. William avancirle nach seiner glücklich vollst l That zum Associv, und wie ich vor zwei Jahren im Herald er sich mit der blonden Spitzbübin Rosa verheiratket, Wilsdruff. Wir siud in den Stand gesetzt, der hiesige»^? gemeinde die Mittheilung zu machen, daß zum bevorstehende?^: feste in unserer Stadtkirche zum ersten Male die neue -Z Bekleidung ausliegen wird. Sie ist ans rothseidncm DM» Ä Goldstickerei gefertigt und soll sich prachtvoll ausnchmen; st stelluugskosten derselben belaufen sich auf etwas über 400 Mstst/