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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 01.12.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-12-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190812013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19081201
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19081201
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-12
- Tag 1908-12-01
-
Monat
1908-12
-
Jahr
1908
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Nr. 332. MMerTagMalt Haudelszeituug Amtsökatt des Nates «nd des NoNzeiamtes der LtadL Leipzig. / ' Dienstag 1. Dezember 1908. S««ig«.ß Haupt«»»»» MerN«! I»rl L»»ck«r, Baqr. H«stuL- h«»dI»L Atz-wftra-, 1Ü. <»«l«obon VI. »r. 4»X»X ««Wt.MIil, Dvettnu «««»ratze 4,1 (Telephon 4WI). SSLLW. r-LLLLL »rpedtttoixn d«« I», «id Lutlaade«. 1V2. Jahrgang. Da, wichtigst«. *W» erst« Tage der Schlaßberat»»« über die fach si sck t Wahlrechtsreform i» der Zweite» Kammer kom eS m keiner rechte» Klärung der Anschauungen. Staat-Minister Gr.-k Hvheuthal HM immer »och am ursprüngliche» Entwurf der ff", gierung fest und hat seine Meinung über den Eventualvorschlag ni?,! bestimmt fomnukert. Die konservative Partei steht jedenfalls nicht geschlossen hinter diesem Eventualvorschlag. lSiehe d. des. Art. und Sächs. Landtag.) * Da- Met»i»ger Staatsministerium ordnete die Einführung vou staairbürgerlichem Unterricht an de« höheren Schulen deS Lande- an. * Der ehemalige Eektion-chef, Mitglied deS österreichischen Herrenhäuser, Prof. v.J»ama-Sternegg, ist nach einer Meldung an- Innsbruck gestern gestorben. sS. Feuill.1 * I« Prag ist e» im Laufe de- gestrigen Tage- wiederholt ztz schwere« Er,«fs«» gekpmme». Gegen ade»d fa»de» blutige A»sa«me»st-He »wische» der Polizei ,»d der famltisierten Meng» statt. Gi»em 1-jührige» tschechischen Barsche» wnrde dch Schädel gespülte». Die Zahl der verletzte» koaate aoch »icht fes- gestellt werde». sGiehe Letzte De-.) * Nach Meldungen au- RomistderPapst nicht unbedenklich at Influenza erkrankt. * Dem „Matin" wird auS London gemeldet, daß Rußland und Italien einen Geheimvertrag über die Balkanfrage geschlosst» haben. sS. d. bei. Art.) Die Krönung de- Kaiser» von China soll, London s Meldungen zufolge, am 2. Dezember stattfinden. Japs rrnd Yankee». I» dem Hale-Jnterview, welches kürzlich teilweise in einem ameri konischen Blatte veröffentlicht wurde, ließ der Interviewer den deutsche, Kaiser seine Ansicht von der künftigen Gestaltung der internationale, Beziehungen dahin entwickeln, daß sich in einigen Jahren eine Kon stellation ergeben werde, bei welcher England sich mit Japan auf dei einen Seite dem Deutschen Reiche «nd Amerika auf der anderen Ser gegenüber finden werd«. Dieses Interview wurde zwar mit Heftigke dementiert, indessen leben leider nicht nur Ausländer, sondern auc! Deutsche — Deutsche, die sich in überaus angesehener sozialer Stellan? befinden — welche dieselben Gedankengänge in längerer Darstellun? aus deS Kaiser- Munde vernommen haben. Man sollte jetzt, nach st vielen üblen Erfahrungen, mit Dementi» vorsichtig sein, weil sonst dies- Dementi- wieder ihrerseits dementiert werden könnten, und zwar so, daß eine letzte Ausflucht nicht mehr übrig bleibt. Nun hat ein Ereip niS, dessen Bedeutung kaum überschätzt werden kann, die Antwort ars die politischen Konjekturen deS Kaisers erteilt. Japan und Amerifi sind über ihre Stellung im Stillen Ozean z« einer Verständigung g- langt. DaS ist eine Ueberraschung, wie sie erstaunlicher nicht gedockt werden konnte. Man kann wohl sagen, daß wir in einer Zeit der inte> nationalen Ueberraschungen leben. Diplomaten und Politiker Ware darin einig, daß die Abrechnung zwischen Amerika und Japan zwa aafgeschoben, aber nicht aufgehoben werden könne. Man pflegte zi sagen, e» sei nur eine Frage der Zeit, wann dies Ereignis eintretei werd«. Japan rüstete fieberhaft und man konnte nur glauben, daß dies Rüstung den Vereinigten Staaten gelte. Die Beziehungen zwischen de beiden Ländern waren mehr als einmal überaus kritisch, die Volk stimmung war mehr als einmal a»ßerordentlich gereizt. Eine scheinba ganz unbedeutende Frage, wie die Einschulung eine- japanischen Knabe,/ dessen unaussprechlichen Namen wir unseren Lesern nicht zumute! wollen, in eine kalifornische Volksschule bedrohte daS Verhältnis des beiden Länder so stark, daß die japanische und die amerikanische Regie ruug der größte« Vorsicht bedurften, um nicht Oel ins Feuer zu gießen Die Rassenabneigung der Amerikaner gegen die Gelben, die durch wirst, schaftlicheS Unterbieten dem amerikanischen Arbeiter seine Lebens Haltung verschlechtern, nahm immer zu, die japanische Regierung mgLe sich entschließe«, di« Aulieinvanderung z» verhindern «nd da- stäke Selbstgefühl der Japaner empfand wieder diese Nachgiebigkeit sbr schwer. Asßerdem »achte« beide Völker darauf Anspruch, die Herrschet über da- Stille Meer z« gewinnen. Bon Japan ist der Ruf auSgegM- gen: „Ostasien den Ostafiaten!*, «nd a»f der anderen Seite hat Prei- de» Roosevelt «och i» Jahre 1908 erklärt, daß die künftige Herrschst über da- Stille Meer der Nordamerikanische» Union gebühre. A»si- kanische Schriftsteller, deren Werke sich der weitesten verbreit««- ft- frene«, proflamierte» die Doktrin, daß da» Stille Meer im Lavfe re- zwanzigsten Jahrhundert- dem «ordamerikanischen Einfluß untervoren werhen müsse. Man glaubte allgemein, daß die Riesenfahrt der amerka- nische» Flotte eine Demonstration gegen Japan darstelle, »nd hier »d da ta»chte sogar die Befürchtung a»f, daß e- bereit» anläßlich di/ft Demonstratio» »» eine» Kriege kommen werd«. Gegen diese Ann»ne sprach nun freilich die prekäre finanziell« Lage, i« die da- ReichKcr ausgehenden Sonne durch seine Großmacht-Politik gelaugt war, indNen dachte doch »jemand daran, daß die beide« Mächte eine Verständiges) erziele» würde». Man betrachtete da» verhältni» zwischen Japan Amerika «her al» eine Art von Waffenstillstand vor de« Krieg«. E» m«ß al» ei» bede»tender Erfolg der Rooseveltsche» Aeraanß«. fehe» werde», daß jetzt dieser Vertrag veröffentlicht werd«» kaw, »er jede»fall» einer Hoff»»»-, wie sie der Deutsch« Kaiser gehegt habe« soll, für absehbar« Zeit ei» E»d« bereitet. Wir haben »n» mit Hadi» so gründlich überworfen, daß kein verständiger di« Hoffnung H«M km», dl« Spure« unserer Mißgriffe i» eine« Jahrzehnt «»»»«tilge». Mia wird sich in Japan noch lauge de- Bilde» erinner», da» die Lut-sch-U trug: „Lölker Europa», wahret evre heiligsten Güter!" »nd da- dag» bestinurt war, de« westeuropäischen -»lturkrei- gegen die gelbe Gefahr »» alarmieren. A»ch dafür wird gesorgt werde», daß die Aeußerungen de» Hule-JnterdiewS in da- japanische Boll dringe«. Nicht ««sonst ist die englische Presse i» Ostasten allmächtig. Japan» Macht ist durch dies neue/Bündni- ganz außerordentlich verstärkt worden, »nd e» wird nun klar daß die englische Politik Rußland, mit dem sie doch angeblich in ein»» „verbündeten «nd befreundete»" Verhältnis steht, von Ostasien ganz abzudrängen sucht. Denn niemand wird annehme», daß diese- nme Bündnis über de« Kopf de» König- Eduard hinweg geschlossen ist. Der Kalkül ist auch schließlich nicht so sehr schwer z« durchschaue». Je «ehr Rußland sich davon überzeugt, daß seine Chancen in Ostasien un künftig stad, «ui fo mehr wird e» seine Macht in der Richtung der kürkei au-zude-ue« suche». Wenn e- hier wirklich zu einem Kriege zwischen Rußland und Oesterreich kommt, fo wird wohl Rußland eine neue Schwächung erfahren, die seinem englischen Freund« trotz aller Freundschaft nur gelegen sein kann. Denn man wolle sich doch nicht darüber täusche», daß die Revolution in demselben Augenblick wieder einsetzen würde, m welchem die Regimenter, deren Anwesenheit jetzt die offen« Rebellion unterdrückt, an die Grenzen gerufen werden müßte». Aber auch, wenn eS nicht zu einem Kriege kommt, ist e» für England wünschenswert, daß Rußland eiue» Gegendrvck gegen Oesterreich a«S- Lbt, well England dann immer seine Bermittlerdieuste anbieteu kann und dagegen nur die Forderung stellen wird, daß Oesterreich sich von dem isolierten Deutschland zurückziehe. Hier liegt ja Ziel und Kern der Politik de- König- Eduard. Gelingt e- ihm, Oesterreich von Deutschland ab-udränge», so hat er da» vollends, wa- er al- sein Lebens werk anfieht. Unter diesem Gesichtspunkt muß auch da- neue amerikanisch-japanische Abkommen betrachtet werden. Aber ganz abge sehen von den Rückwirkungen, die eS ans die europäische Konstellation haben kann, ist «S auch insofern für uus nicht unwichtig, als wir ja im Stille« Meer Besitzungen erworben und HandelSverbindungeu ange- knüpft haben, deren Entwickelung für nnS von Wichtigkeit ist. * DaS über dir englische Politik am besten informierte europäische Blatt, der Pariser „Matin", teilt heute mit, daß da- Zustandekommen des japanisch-amerikanischen Abkommen» auf britischen Einfluß zurück- «führe» sei. Unser ^.-Korrespondent berichtet unS darüber folgender- * Pari», 80. November. sPriva.telegramm.) Der „Matin" be richtet z» dem Abkomme» zwischen Japa» »ad de» Ber einigte» Staaten, daß die Vertreter beider Regierungen die Mächte offiziell von dem Abschluß iu Kenntnis gesetzt haben. Der französische Botschafter wurbe bereits vor 8 Tagen al- erster von der Union-Regierung benachrichtigt. Man glaubt, daß da- Abkommen auf de» Einfluß Englands zu- rückznführe» fei. Vev wahlvechtröebatt* erster Tag. (Stimmuug-bild.) Ei« stimmungsvoller Novembertag. Draußen dichter Nebel, im Hause Klage und Groll. Alle« grau iu grau. Die Erwartung eines großen Kampfe« hatte die Tribünen mit Neugierigen dicht gefüllt, die eiue erstaunenswerte Ausdauer entwickelte». Die einleitenden Berichte (Abg. Kühlmorgen für die Mehrheit. Abg. Hettner für die Minderheit der Wahlrechtsdeputation) waren streng sachlicher Natur. Aber tiefe Verstimmung sprach aus der vom Grafen Hohenthal verlesenen Erklärung der Regierung. Die Regierung klagt über die stresse, über die Parteien, über die Verhältnisse und noch vieles andere. Und immer wieder versicherte Graf Hohenthal, mit ihrem erste« Wahlgesetzentwurf hab« die Regierung ein wirklich volkstümliches Wahlrecht, das dem ReichStagSwablrecht nahe kommen solle, schaffen wollen. Eia schwacheSBravo begleitete am Schluffe die Aufforderung deS Redner«, sich dieses Gesetzentwurfs in letzter Stunde amunebmen. Auch der Abg. Opitz klagte über schlechte Behandlung uad Mangel an Wohlwollen. Er betrauerte da« verlorene Kompromiß, für da bereit« eiue Mebrheit von 67 Stimmen vorhanden gewesen sei. Plötz lich eine Entgleisung! Herr Opitz meint, die Regierung bade dei ihrem Eventualvorschlag mit Grund unterschieden zwi schen staat«freundlichen und staatsfeindlichen Elementen. E« fei also nur folgerichtig, wenn die staat«freundlichen Elemente gleich ohne weitere Differenzierung mit 4 Stimmen begibt. Schlimmere« konnte in der Tat zugunsten der Eoeutualvorlage nicht gesagt werden, «nd Graf Hohenthal beeilte sich auch, di« Regicrung gegen diele Emp fehlung z« verwahren. Im Namen der Natioualliberaleu begründete Abg. Dr. Vogel die Ablehnung der beiden Entwürfe der Regierung. Er wie« sehr wirk sam den a» die Adresse der Nationallideraleu gerichteten Borwurf de« Minister« zrrrück, vaß die uatiooalliberale Partei sofort nach Erscheine» de« ersten Entwurfs und ohne dessen eingehend« Prüfung ihre Ansicht kundgegebe» und ihr« eigene« Forderungen aufgestellt habe. Mit Recht machte er de» Minister darauf aufmerksam, daß die national liberale Partei schon längst, bevor Graf Hohenthal Minister gewest» sei, mit ihren Fordern»«» ausgetreten war und darum wohlerwogene Gründe für ihre Stellung hatte. Besonder« scharf uuv unter lebhafter Zustimmung der Linken keuuzeichuet« Abg. Dr. Bogel di« Abstrafung der staatsfeindlichen Elemente durch ei» Wahlgesetz al« die denkbar verkehrteste Politik. Soll da« der Sinn einer Wahlrechtsreform sei»? I» a»«sührl,cher Weise kritisierte Abg. Dr. Bogel sodau» die ehemals Heiulsch« Wahlkrei«ei»teilu»g »nd kam auch dieser gegenüber, wie bei de» beide« Regierung«entwiftfeu, z» einer glatte» Ablehnung. Abg. Günther legt« in reichlich langer Reve die bekannte« frei sinnige» Fordern»«», die auf da« gleich« Wahlrecht hinzielea, dar. Die Ankündigung der Wiederkehr ve« roten Königreich«, fall« kei» solche« Gesetz komme, «achte Stimmung auf den Tribünen, und der Präsident drohte mit deren Räumung. Ei» sehr aufmerksame« Ha«S fa»d Vizepräsident Dr. Schill (Natl.), al« er sehr ruhig, aber auch sehr deutlich die eigentümliche Lag« dar legte 4i»d den Mangel a» Konstant«» auf Seiten der Regierung ge bühre»» kennzeichnete. I» » Jahre« hab« er fo merkwürdige Ver schieb»»«» nicht erlebt. Eine» A»«weg an« dem Wirrwarr sicht er ,» der Möglichkeit, daß dst Erst« Kammer de» »rfprü»gl»che» Entwutf verändert und ihm ein« «»nehmbare Form gibt. Dor Abg. E»k« (Konj.) sprach bereu« vor halb geleertem Haas«. Er hatte viel für die Kommuealoerbaudswahlrn übrig, aber auch der Eventualvorschlag schien ihm in gewissem Ginne brauchbar zu sein, noch lieber sei e« ihm, wen» die Erste Kammer einen gescheidten Gedanken hätte. Der Abg. Dürr (Freikons.) erklärte sich gegen beide Regierung«- entwürfe und kündigte an, er werde sich bei der Abstimmung - der Minderheit anschließen. Vom Abg. Zimmermann wird die Stellungnahme des Abg. Enke bedauert, was wir allerdings recht begreiflich finde«, denn eigentlich mußte doch der Abg. Enke al« Reformer eine ganz andere Stellung in Wahlrecht-fragen einnehmen, al- da- tat- sächlich der Fall ist. Zimmermann redet daun viel drum und drüber, bi« er sich schließlich gegen beide Entwürfe entscheidet. Etwa« lebhafter wird- in der Kammer, al- sich plötzlich nach diesem Redner Herr Opitz in gereiztem Tone gegen die unqualifizierte« Angriffe de- Abg. Dr. Bogel wandte. Er beruft sich noch einmal auf seine angeblich von ihm auch praktisch betätigte Erkenntui-, daß auch die Sozialdemokratie ihre gehörig« Vertretung im Parlamente finden würde. Sonderbar, höchst sonderbar! Eifrig wird ihm da- aber auf der Rechten bestätigt, dkun wandte sich der gleichmäßige Fluß der Rede de« Abg. Opitz gegr» Abg. Dr. Schill, dessen Aeußerungen ihm miß fallen haben. Bon den Abgeordnete», die noch sprachen, hat man nur wenig bessere« noch gehört. Man erfährt, daß der Abg. Behren« (kous.) für den ersten Regierungsentwurf stimmen will, deren gesunder Kern e» ihm angetan hat. Er versichert seine gute Meinung immer und immer wieder, aber viel wichtiger ist, daß auch dieser konservative Abgeordnete den Eventualvorschlag der Regierung ablehut. Ander- denkt der Abg. Ulrich (kons.); er sieht im Eventaalentwurf da- Ei de- Kolumbus. Die Anwendung diese- berühmten und für Parlamentarier scheinbar unentbehrlichen Bilde- blieb also Herrn Ulrich Vorbehalten. Aber er schmückt eS auch noch au-i Da« Ei ist zwar nicht mehr ganz schön, aber da« Ei steht! Erst um 8 Uhr wird dem Redefluß Einhalt geboten. Von einem greifbare» Ergebnis diese« ersten Schlachtage« kann eigentlich nicht geredet werden; bescheiden darf man höchsten« von einer Klärung der Anschauung, der Fronten sprechen. Aber da« eine »st sicher: Die Verhandlungen haben offenbar bestätigt, daß auf konservativer Seite von einem geschlossenen Eintreten für de» Eveatualeatwurf der Regierung keine Rede sei» kam», und daß offenbar der letzte vou dieser Seite ein gebrachte Verbesserung-Vorschlag bestimmt ist, die Zerrissenheit der konservativen Partei etwas za verdecken. Wie verlautet, soll dieser An trag tatsächlich eine Bedingung gewesen sein, die notwendig war, um die diffeutierenden Geister innerhalb der konservativen Partei bei der Fahne zu hallen. Ver Schatten Felix Fanre». sBon unserem Pariser ^.-Korrespondenten.) Paris, 29. November. Der Tod FLlix Faures beschäftigt m der Steinheil- Affäre mehr die öffentliche Meinung wie die Ermordung des Malers und feiner Schwiegermutter. Es scheint unwiderleglich festzustehen, daß der Präsident in den Armen der Frau Steinheil den Schlaganfall bekam, dem er kurze Zeit darauf erlag. Aber ebenso bestimmt äußern sich die Zeugen über die wahre Todesursache: Arterienverkalkung und zunehmende Herzschwäche. Dem „M a t i n" erklärte SenatorDupuy, damals Minister- pr äsident: ^fch konnte konstatieren, daß Jaure an einer Herzkrank heit litt, am selbe» Tage, an dem mir die Bildung meines Ministeriums gelang, im November 1907. Ich hatte den Präsidenten benachrichtigt, daß ich ihm nach fünf Uhr die Liste meiner Kollegen bringen werde; aber die Vorbesprechungen dauerten bis nach 6>H Uhr. Ich sand Herrn Faure wegen dieser Verspätung sehr erregt. Er faßte meine Hand und legte sie auf sein Herz, indem er sagte: „Sehen Sie, was die geringste Unruhe in mir hervorruft." Ich stellte fest, daß sein Herz mit wahr haft erschreckender Schnelligkeit und Stärke schlug. In den Tagen, die der Katastrovhe des 16. Februar vorausgingen, beobachtete ich ein sicht bares Unwohlsein des Präsidenten. Am Morgen seines letzten Lebens tages leitete er den Ministerrat, und wir alle bemerkten seine Ermüdung und Nervosität. Als ich um acht Uhr abends benachrichtigt wurde, das Staatsoberhaupt befände sich im schlimmsten Zustand, war ich mehr be- trübt al- überrascht. Um 8Z4 Uhr war ich im Elysß«. Der Präsident lag in seinem ^Arbeitszimmer, halb entkleidet ; die Aerzte Prof. Lanne- longue und Dr. Eheurlot versuchten durch Ziehen der Zunge die künst liche Atmung herbeizuführen. Ein peinliches Schauspiel! Ein Priester sprach atemlos die Sterbegebete. Der Präsident war sehr unruhig und machte mitunter konvulsive Bewegungen. Er erkannte mich nicht, wenn er schon von Zeit zu Zeit die Augen öffnete. Zwei- oder dreimal sah ich Fräulein Lucie Faure die Tür öffnen und die Aerzte ängstlichen Auges befragen. Um 8 Uhr 35 Min. machte Dr. Lannelongue ei» Zeichen, daß es vorbei wäre. Keiner der Aerzte ließ auch nur einen Augenblick vermuten, daß dieser Tod nicht natürlich gewesen wäre. Wenn sie ein Verbrechen vermutet hätten, wäre es ihre höchste Pflicht gewesen, mich zu benachrichtigen. Ob Frau Steinheil Herrn Jaure einen Besuch gemacht hatte, wußte ich nicht, ging mich nichts an. Was man auch immer gesagt hat, ich ließ den Präsidenten der Republik nicht aus spüren; erst später hat man es mir erzählt, aber ein Zeugnis kann ich dafür nicht ablegen. Felix Faure kannte seinen Zustand so gut, daß er sich schonte und in seinen Champagner bei Toasten Wasser schüttete. Hat er sich vor anderen Unklugheiten nicht zu hüten vermocht, die für lein Alter und bei seinem Leiden gefährlich werden konnten? Ich weiß eS nicht." — Dr Cheurlot bestätigte dem „Matin" im wesentlichen diesen Be richt. Das von fünf Aerzten unterzeichnete Dokument über den Tod lautete: „Die unterzeichneten Aerzte, die zum Präsidenten der Republik berufe» wurden, wohnten von Anfang an einer Reihe physischer Vor gänge bei, die im Verlauf einiger Stunden den Tod herbeiführten. Sie bezeugen einstimmig, im Verlauf dieser Vorgänge alle unbestreitbare» Symptome einer schnellen Gchirnhämorrhagie mit Lähmung des Gesichts und der Glieder auf der linken Seite erkannt zu haben." Von de- Anwesenheit der Frau Steinheil will dieser Arzt nichts aewußt habe- Der „Matin" sagt aber, daß diese Anwesenheit unbestreitbar wäre un. daß gegen ess Uhr abend- die ganze polnische und journalistische Welt ,n Pari- wußte, der Schlaganfall habe den Präsidenten während einer Audienz getroffen: Er hatte den Kardinal Richard und den Fürsten von Monaco empfangen und hierauf eine Dame. Ueber den Namen dieser Dame gingen die Meinungen auseinander; der der Frau Stein- heil wurde am seltensten ausgesprochen. AuS übertriebener Vorsicht wollte sie die.Aufmerksamkeit vou sich ablenken und erreichte das Gegen teil. Am Nachmittag de- 16. Februar hatte sie einem berühmten Por trätisten einen Besuch abgestattet «nd beim Weggehen gesagt: „Ich komme am ElysSe vorbei. Soll ich unserem großen Freund etwas auS- richten?" Der Maler, der da- Porträt Faure« malen sollte, aut- »ortete: „Nicht- als meinen Gruß." Am ander» Morgen erhielt er einen Rohrpvstbrief: „17. Februar, 8 Uhr morgen-. Lieber Meister und Freund! Ich erfahre die schreckliche Neuigkeit. Und denken Sie sich meinen Schmerz. Al- ich Sie gestern verließ, faßte mich ein plötz liche- Unwohlsein, so daß ich in Eile nach Haus« fahren mußte. Ich hab« also nicht den Trost, noch ein letztes Mal unseren armen Freund ge-
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