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Wochenblatt für Wilsdruff Tharandt Reffen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 83. Ireitag, den 3. Accemker 1868. Tag esgeschich te. Es coursiren wahrscheinlich wieder Geldfalsificate, denn die Dresd ner Polizei hat eine Person in Haft genommen, bei welcher falsche Fünfgroschenstücke mit der Jahreszahl 1869 und nachgemachte preu ßische Thaler mit der Jahreszahl 1814 vorgefunden wurden. Im Geschäftsverkehr möge man daher vorsichtig sein. Viel Aufsehen macht in Dresden seit einigen Tagen das Ver schwinden eines 19jährigen Kreuzschülers, welcher jetzt immer noch vermißt wird. Die betrübten Eltern veröffentlichen eine hierauf be zügliche Aufforderung. Am 28. v. M. hat sich in Dresden ein Obersignalist vom 2. Grcnadierregiment im Garnisonshospitale zwei Stock hoch herunter- gestürzt. Sein Tod ist zwar nicht auf der Stelle erfolgt, doch fürch tet man von den Verletzungen, die sich der Mann durch den Sturz zugcfügt, das Schlimmste. Da der Verunglückte wegen Geistesstörung daselbst detinirt war, so hat er früh in der Dämmerung einen wahr scheinlich unbewachten Augenblick zu seinem unglücklichen Vorhaben benutzt. Die landwirthschaftliche Akademie in Tharandt wird aufge hoben und mit der Universität Leipzig verbunden. Aus Meißen, 26. November meldet das dortige „Tageblatt": Obwohl der Wasserstand der Elbe nun bis auf 12 Zoll unter Null zurückgegangcn, so ist derselbe doch noch vollkommen genügend, um der sehr belebten Schifffahrt nach allen Seiten zu dienen. Kähne mit Braun- und Steinkohlen und Flöße in allen Größen sind in un gewöhnlicher Zahl in den letzten Wochen thalwärts gefahren und die Kettendampfer rasseln täglich stromauf und stromab, oft mit 8—10 Kähnen im Schlepptau, und zwar doppelt nebeneinander und ganz kurz angehangen, da die Ketiendampfer, weil ohne Räder, keinen Wellenschlag verursachen. Das Nahen dieser Kettendampfer verkün digt sich schon von Weitem durch das eigenthümliche Geräusch, wel ches das Aus- und Abrollen der Kette hervorbringt. Von den strom auf fahrenden leeren Fahrzeugen werden diese Dampfer des schnelle ren Fortkommens halber stark benutzt. Der Kohlenverbrauch der selben soll gegen den der gewöhnlichen Dampfer ein höchst geringer sein. In der Versammlung des Chemnitzer Arbeiter-Vereines am Abend des 29. Nov. wurde nach Abwickelung einiger geschäftlicher Angelegenheiten, vom Vorsitzenden die Petition verlesen, welche in Gemeinschaft mit dem dasigen Fortschrittsverein an die zweite Kam mer unseres jetzigen Landtags, zum Behufe der Nichtbewilligung ei ner Summe von 500,000 Thlr. aus Staatsmitteln zum Zwecke des Neubaues eines Hoftheaters in Dresden gerichtet werden soll. Nach dem die Petition allgemeine Billigung gefunden hatte, wurde sie zur Unterzeichnung im Lokale ausgelcgt und war bald mit zahlreichen Unterschriften bedeckt. In voriger Woche fand in Leipzig der Uebertritt einer Chri stin zum Judenthum behufs der Verheirathung statt. Die darauf folgende Trauung wurde von einem in Leipzig lebenden jüdischen Schriftsteller vollzogen. Jöhstadt, 29. Nov. Heute früh wurde ein 16jährigcs Mäd chen, welches gestern in Königswalde gebettelt und vergangene Nacht hier in einem Haufen Zimmerspüue, die hinter einem Schuppen lager ten, Obdach gesucht, erstarrt aufgefunden. Das Mädchen, ganz dürftig gekleidet, soll aus Böhmen sein und hatte weder Geld noch Legitimation bei sich. Der Oberkirchenrath in Berlin, der kein Mann, sondern ein Collegium ist, war in großer Gefahr. Der Abgeordnete Virchow nannte ihn ein illegitimes Kind des Absolutismus und der Clerisci, und sein College v. Hoeerbeck wollte ihn sogar aushungcrn, d. h. vom Etat streichen. Zum Glück siel der Antrag durch, der Ober- kirchrnrath hätte es sonst wirklich vom Altar nehmen müssen, nur zu leben. Erschrocken aber sind die Herren doch. Das Denkmal in Celle in Hannover liegt noch am Boden und auch das Recht nach der Ansicht der Abgeordneten. Die Verhand lungen über die zweite Interpellation haben eine tiefe Kluft zwischen den Rechtsanschauungen und dein Rechtsgefühl der Abgeordneten und des Volkes und der Minister blosgelegt. Der Kriegsminister sprach als Soldat und suchte zu begütigen, der Justizminister erklärte aber zu großem Erstaunen, das Recht sei nicht geschädigt, und der Mini ster des Innern wagte einen Vergleich, den er andern Tages gern /-rückaekauft hätte, und meinte, jede gute Behörde müsse ihr Haus recht wahren. Alle drei schienen zu glauben, daß mit 100 Thaler Strafe alles abgemacht sei, wenn die 'Offiziere dazu verurthcilt wür den. Es kam Manchem vor, als weiche die Justiz einen Schritt vor dem Militär zurück, und mancher bestieg heimlich die Höhe von Sanssouci, um zu sehen, ob die Windmühle noch stehe. Die Abge- qcordncten Miquel, Windthorst, Graf Schwerin und Bethusy-Huc, Lasker, Schulze-Delitzsch u. A. hielten mit ihrer Ansicht, daß Recht und Politik zu Schaden gekommen seien, sehr wenig zurück. (Das Celler Gericht schlägt vor, dem Denkmal unentgeldlich einen andern Platz einzuräumen.) In Rudolstadt ist der regierende Fürst Albert am 26. Nov. gestorben. Er war 1798 geboren und seinem Bruder Friedrich Günther im Jahre 1867 in der Negierung gefolgt. Sein Nachfol ger, Fürst Georg, geboren 1838, hat der preußischen Armee längere Zeit angehört und in dem 4. Kürassirregiment den Feldzug von 1866 mitgcmacht. Ledru Rollin, der arte Republikaner von 1848, der in Lon don in der Verbannung wohnt, will von Rochefort dem Laternen mann und seinen Anhängern nichts wissen. „Ich will die Freiheit, schreibt er, aber nicht um jeden Preis; ich will sie im weißen, aber nicht im Purpurrothen Gewände; diese Farbe überlasse ich den Kai sern, und ich sehe voraus, daß man mit Männern, wie Rochefort, gradwegs in den Bürgerkrieg hinein rennt. Zugegeben, daß 1793 das Blut eine Nothwendigkeit war, cs heute zu vergießen, wäre ab scheulich und unnütz." Den zum Concil in Nom versammelten Bischöfen hängt der Himmel nicht voller Geigen, sondern voller rot her Hüte. Der Papst wird viele Cardinalshüte austheilen, aber erst xost ksstuin, d. h. nach dem Concil. Das Concil ist die Kletterstange, dem un verdrossensten Kletterer winkt der rothe Hut. Getremrt und wiederveremigt. Eine Erzählung aus dem Leben. Von I. Fr ächz. (Fortsetzung.) Der Erfolg wurde schon sichtbar. Fräulein Johnson wurde immer aufmerksamer; sie hatte das Erröthen Wellmanns gesehen, sie mußte selbst erröthen. Welche Braut würde nicht aufmerksam zuhö ren, wenn ihr Bräutigam, sei es auch nur scherzweise, in Beziehung zu einer andern jungen Dame gebracht wird? Herr Heinold wendete sich hierauf specicll an Hedwig. „Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Fräulein Johnson, ich ver anlaßte meinen Bräutigam, seine jetzige Wohnung mit einer andern zu vertauschen; denn die kleine niedliche Marie Hagen scheint mir eine gefährliche Nachbarin zu sein. Das sagte er lachend, scheinbar harmlos und ohne Absicht; es sollte Scherz sein. Der Stachel dieser Rede drang Wellmann tiefer und tiefer ins Herz. Er mußte sich Gewalt anthun, um ruhig zu erscheinen. Da meldete der Bediente, daß der Wagen bereit stehe. Der allgemeine Ausbruch störte die Unterhaltung. Heinold, der ganz besonders heiterer Laune zu sein schien, sagte noch im Fort gehen : „Ich verspreche mir einen ganz unterhaltenden Abend, wenn auch nicht vom Concert allein, so doch . . . ." „Haben Sie noch etwas Besonderes vor. Gewiß wollen Sie uns eine kleine Uebcrraschung bereiten!" unterbrach ihn einer der anwesenden Herren. „Noch darf ich nichts verrathen. Abwarten!" antwortete Heinold mit geheimnißvoller Miene. Obgleich Niemand dieser Rede besondere Bedeutung beilegte, so schöpfte Wellmann doch Verdacht. Er kannte Heinolds Character hinlänglich und fürchtete für Marien; er fürchtete für sich. Erdachte plötzlich an den Marien geliehenen Schmuck; er dachte daran, daß, als er ihn gekauft hatte, Heinold zufällig dazu gekommen war. Wenn Heinold den Schmuck wieder erkennt? Wenn er diese Thatsachc zu M'inem Nachtheil ausbeutet? Diese Fragen stellte sich Wellmann und wurde nur noch verstimmter. Hedwig Johnson war einige Schritte zurückgeblieben, dies be merkend, erwartete sie Doctor Wellmann. Beide hatten das Bedürf- niß, sei cs auch nur auf einen Augenblick, allein zu sein.