Volltext Seite (XML)
358 3376 (incl. Stadt Leipzig mit 1658), R.-Bez. Zwickau 2597, N.-Bez. Bautzen 527, zusammen 6736. „ Dem Dr. I. wird aus Zschopau vom 2. Nov. berichtet: Das hiesige Hilfskomitee für die Brandcalamitosen hier ist nunmehr, nach dem die gespendeten Klcidungs- und Wäschstückcn und Lebensmittel jedesmal sofort nach Eingang verthcilt worden sind, zur Vcrthcilung der eingegangenen Hilfsgelder verschritten, wobei den Calamitofen unter Hinzurechnung des Wertstes der denselben bereits verabfolgten Effecten und Lebensmittel 20 Procent der angemcldeten und festge stellten Schäden gewährt werden konnte, welches Resultat nur mit Dank gegen die edlen Geber anzuerkennen ist, umsomehr, als das Sammelwerk noch nicht geschlossen ist, wie daraus zu ersehen ist, daß immer noch Gelder wie Effecten eingehen. Der König von Preußen hat angeordnet, daß am 10. Novem ber, Luthers Geburtstag, ein allgemeiner Bettag in den evangelischen Kirchen gehalten werde. Der Erlaß des Königs weist darauf hin, daß die großen Bewegungen im religiösen Leben der Gegenwart, die zu ernsten Entscheidungen drängen, zurErflchung göttlichen Bei standes mahnen. Der Elb-Spree-Kanal. Der Centralverein für Hebung der deutschen Fluß- und Canalschifffahrt hat beschlossen, in der durch seine Statuten gebotenen Weise für die Ausführung eines Canals zwischen Berlin und Dresden wirksam einzutreten. Wie bekannt soll die betreffende Wasserstraße die Elbe unterhalb Meißen bei dein Dorfe Zadel verlassen, bis Nünchritz der Elbe parallel laufen, dann in den zu erweiternden Grödeler Canal einmünden und von da möglichst gerader Richtung bis Königs-Wusterhausen in die Spree geführt werden. Die neue wichtige Kreisordnung in Preußen dreht sich im mer im Kreis. So wie sie vorliegt, wollen sie die Liberalen nicht annehmen und so wie die Liberalen sie umändern, nimmt sie der Minister Eulenburg nicht an. Deshalb nennt man sie Kreis-Ord nung. Die Erdbeben kommen bedenklich näher und haben sogar die Mainlinle überschritten. In Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Mainz, fast in ganz Nassau, Rheinhessen, der Proninz Starkenburg und drüber hinaus haben sich am 31. October Nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr Erdstöße eingestellt; sie wiederholten sich am 1. Novem ber Morgens 4 Uhr und Abends nach 11 Uhr. Die Bewegung war wellenförmig von Südwesten nach Osten, die Stöße nahmen an Zahl, Dauer und Stärke zu und dauerten 2—10 Sekunden. Die Zeit der Stöße war in den verschiedenen Städten verschieden. Die Luft erfüllte ein dumpfes Getöse, die Häuser zitterten, Gerätschaften fielen von Möbeln und Wänden, Manchem fiel im eigentlichen Sinne die Feder aus der Hand. In Großgcrau will man 10 Stöße ge zählt haben. Die Häuser wankten heftig, die Schornsteine fielen ein, die Spritzen wurden aufgefahrcn und viele Einwohner flüchteten er schrocken nach Darmstadt und Mainz. Nach dem Frankfurter Jour nal hat man 9 selbstständige^Erdbeben beobachtet. Es war eine un heimliche Erinnerung an den 1. November 1755, an dem Lissabon durch Erdbeben in Trümmer fiel. Die Stöße, die im September in rheinischen Städten verspürt wurden, waren nur Vorläufer und viel leichter. Auch in Schweinfurt und Umgegend spürte man leich tes Schwanken der Erde, die Polizei will sogar ein dumpfes An schlägen der Glocken wahrgcnommen haben. In einem Hause in Frankfurt fielen die Stöcke und Regenschirme im Kleiderschranke um, der Hausherr dachte an Diebe, schoß mit dem Revolver in den Schrank und erschoß ein paar Röcke, Hosen und Westen. Die Erdstöße haben sich in Frankfurt und Darmstadt am 3. November Morgens 3 U. 48 Min. wiederholt. Stärker waren die Stöße am 2. Nov. Abends 9Vs Uhr; in Frankfurt zitterten die Häuser und die Thüren sprangen auf, in Wiesbaden wankten mas sive Häuser, als ob sie einstürzen wollten und die Leute wurden von den Stühlen auf und gegen einander geschleudert. Nach diesem starken Stoße trat Sturm ein und tobte die Nacht hindurch. Als Herd der Erdstöße wird Großgerau angenommen: allda waren die Stöße an: stärksten und zahlreichsten, von da verbreiteten sie sich strahlenförmig über den Mittelrhein. Gespürt wurden die Stöße südlich bis Heilbronn und Stuttgart, nördlich bis Frohnhausen bei Cassel. Großes Aufsehen unter den Katholiken macht ein Schriftchen des gelehrten katholischen Professor I. Frohschammer in München. Das Buch heißt: „Zur Würdigung der Unfehlbarkeit des Papstes und der Kirche." Am Schluffe desselben spricht sich der Verfasser so aus: „Es schien uns an der Zeit, darzuthun, wie es um die Unfehlbarkeit der katholischen, längst schon vielmehr päpstlichen Kirche selbst steht, da es von der größten Wichtigkeit ist, daß die ge bildete katholische Welt sich klar werde über den wahren Werth der demnächst erfolgenden dogmatischen Erklärung der Unfehlbarkeit des Papstes von Seite der in Rom versammelten Bischöfe d. h. des all gemeinen Concils, also der hierarchischen Kirche selbst. Da diese selbst nicht unfehlbar ist, fo kann auch ihre Erklärung der Unfehl barkeit des Papstes nicht für unfehlbar gelten und keinerlei Ver pflichtung zum Glauben daran mit sich bringen. Die versammelten Bischöfe werden durch diese Erklärung nichts weiter leisten, als dieß, daß sie, indem ste den so sehr fehlbaren Papst für unfehlbar erklä ren, damit wieder einmal recht klar und entschieden beweisen und lautes Zcugniß dahin ablegen, daß sie selbst, auch wenn sie zu ei nem allgemeinen Concil versammelt sind, nichts weniger als unfehl bar seien. Daraus ergibt stch daun überdieß, daß auch das Uebrige, was etwa dieses dem päpstlichen Absolutismus gefügsame Concil als Kirche beschließen und entscheiden möge gegen die Rechte der Völker und Staaten, gegen die Wissenschaft und Cultur der neueren Zeit, keineswegs als unbedingt richtiges, sicheres Gesetz gelten könne und daß das römische Geistesjoch, das man den Völkern wieder in ver stärktem Maaße auferlegen will, durch allenfallsigen Concilbeschluß durchaus nicht als ein christliches oder göttlich berechtigtes erwiesen sei." So spricht ein hochverehrter katholischer Gelehrter, ein Professor der Universität München. Frau Isabel wird mit ihrem Marfori noch vor dem Concile nach Rom übersiedeln. Dem heil. Vater zu Ehren wird sie die goldene Rose tragen und ihn so auf die zarteste Weise von der Welt daran erinnern, daß er nicht unfehlbar ist; denn es war doch wohl ein Fehler, ihr diese Rose zu schenken. Sie gehört ja nicht einmal zu den büßenden Magdalenen. Am 22. October fand in Wien früh während des Gottesdien stes im Landesgerichte ein Attentat auf den celeberirenden Geistlichen statt. Ein Sträfling, der erst wegen Diebstahls zu einer 10monatli- chen Kerkerstrafe verurtheilt worden war, steckte heimlich vor dem Kirchengänge mehrere Steine zu sich, die er, während der Geistliche am Altäre stand und ihm so den Rücken kehrte, auf denselben schleu derte. Der Geistliche blieb glücklicher Weise unverletzt. Der Atten täter wurde sogleich festgenommen. In Wien ist ein Haus, genannt: zu den zwölf Aposteln. Un längst starb in diesem Hause eine Kammerjungfer, die im Todtenre- aister mit den Worten aufgeführt wurde: Johanne Schönfeld, 28 Jahre alt, Kammerjungfer bei den 12 Aposteln. Petersburg, 30. October. In vergangener Nacht ist die über den Metafluß führende Brücke der Nicolaibahn durch Feuer zerstört worden. Die Brücke hatte 3 Mill. Rubel gekostet. Getrennt und wiedervereinigt. Eine Erzählung aus dem Leben. Bon I. Franz. (Fortsetzung.) Trotz seiner weichen Stimmung drängte sich dem Doctor Well mann unwillkührlich die Ueberzeugung auf, daß er das Mädchen noch nie so interessant gefunden habe, wie heute. Wie Marie jetzt vor ihm stand, war sie ihm noch nicht erschie nen. Ihr blaues Auge blickte so wehmuthsvoll und dabei so kind lich rein und unschuldig. Das augenehm gerundete, von üppigen blonden Locken umspielte, sonst so rosig ungehauchte Gesicht erhielt durch die heute auf demselben lagernde Bläffe einen ganz besonders anziehenden Ausdruck, der durch einen kleinen Schatten von Trau rigkeit nur noch interessanter wurde. Die anmuthig, zart gebaute, kaum die mittlere Größe erreichende Gestalt, ließ nichts vermissen, wodurch die äußere Erscheinung eines Mädchens in den Augen eines Mannes an Werth gewinnt. Marie nahm ihr Mäntelchen, welches ihr entfallen war und auf dem Stuhle lag und wollte sich entfernen. Da entdeckte Doctor Wellmann ein kleines, in feines, weißes Papier eingehülltes Päckchen, welches Marie vergebens zu verbergen strebte. Das Papier hatte einen Riß bekommen; aus der Oeffnung ragte eine im Lampenlichte blitzende Metallspitze hervor; gleich da neben befanden sich auf diesem Papier einige Blutstropfen. Wellmann ergriff das Päckchen. Marie erröthete aufs Neue. Sie wollte ihm das Papier nicht geben. Sie griff gleichzeitig darnach. „Sie haben mir meine Frage nach der Ursache ihrer Verwun dung .noch nicht beantwortet, Marie; jetzt wird mir diese Antwort ganz von selbst. Sie trugen dieses Papier im Arme; durch den un- vermutheten Zusammenstoß auf dem dunkeln Gange wurden die ein gehüllten Gegenstände stark gedrückt und die Spitze hier fuhr Ihnen in den Arin. Wellmann öffnete das Papier. „Ach, seht die kleine Eitelkeit! Ein Armband und ein Collier! Aber, Fräulein Marie, wozu diesen unächten Plunder? Bedürfen Sie derartigen armseligen Schmuckes, um Ihrer Person mehr Inte resse zu verleihen? „Herr Doctor, ich möchte von Ihnen nicht verkannt sein. Nicht freiwillig wählte ich diesen — Sie haben die richtige Bezeichnung gebraucht — armseligen Plunder; ich folgte nur der mir ertheilten Anordnung. Es sind uuüchte Schmuckgegcnstände aus der Theater garderobe. Wäre ich nicht gar so . . ." Thränen erstickten ihre Sttimme. Wellmann wußte, was sie sagen wollte. „Marie, schämen Sie sich nicht Ihrer Armuth; gerade Ihnen gereicht sie zur Ehre. Oder glauben Sie etwa, ich wüßte nicht die Geschichte mit dem reichen Kaufmann und Schiffsrhcder Heinold, der, stolz auf seinen Geldsack pochend, Ihnen neulich den kostbaren Schmuck zum Geschenk machen wollte?" „O, Herr Doctor, erwähnen Sie diese alte Geschichte nicht, sie bringt noch heute mein Blut in Wallung." Und die Erinnerung brachte wirklich Mariens Blut in Wallung; sie wurde roth bis an die Stirn. „Der alte Schmidt," so snhr Wellmann fort, „hat mir Alles erzählt. Mit wahrer Freude theilte er mir mit und er war ordent lich stolz darauf, daß Sie den Schmuck nicht angenommen, sondern mit Verachtung dem Zudringlichen zurückgegcben haben. Diese Handlung hat meine Achtung für Sie bedeutend er höht. Sie haben sich zwar einen Feind geschaffen, doch fürchten Sie nichts. Hätte wohl die Tugend einen Werth, wenn sie ohne An fechtung bliebe?"