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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 03.12.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-12-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190812034
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19081203
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19081203
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-12
- Tag 1908-12-03
-
Monat
1908-12
-
Jahr
1908
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Be-ug-.Prei» te Lelpzig und durch m«s«« Lrt-er und Spedilem, m« Hau« -Tracht! Vch § mon-tl., ».7V viertelt«»»!. vei unter» Ailialan u. Nnnahmeftellen adaehdlt: Ich munatl., ch-Ach «ch vlerteltährl. Durch die Poft: »»«halb Druitchlanw und der deutsch«» Kolonien vierteljLhrl. «TS uT, «onatl. LIV utk L»«1chl Postdeltellgcld. Kerner i» Bel,len, Dtnemark, d«n Donaustaat«», Italien, Lureribura, Riedrrlaud«, itor- weaen, Oesterreich - Ungarn, Nustlaxd, Kchwede», Schweig u. Spanien. In all«» übrigen Staaten »»r direkt durch bi» «esch«t»ftelle de« vlatte« erhLIllich. Da» Leidiger Dagedlatt erscheint wkchent- lich ' »tal und zwar morgen«. klbouuameudchlmiah»«! >»g»st»«platz 8, bet unsere« Dräger», Filialen, Lvedtteurrn u»b Lllnahmestelle», sewi« Pafttmter» uud Brtestrtger». Dl» einzelne Siunnner kostet tv «strdaNto» und «eschastlstellei Johannitgast« 8. Fernsprecher r «SSL «SM, «SV«. MpMrTagMaü Handelszeitung Nmlsvkatt des Rates und des Rolizeiamtes -er Stadt Leipzig. L«zeigen-'prei» lstr Inseraie au« Leipzig >ino umgebnn, di« Sgespalten« Prtitzeil« Li -g. linnn^tiie «NMge» «ella-nen I von »»«wärt« itl) dirNamen l.Li vom Au«land Mch, finani. «n,eigen 75^,. biekiamen l.L>> Inserate».Behörden >m amllichenDeilM^e Beilagegebükr ö p. Dauiend exkl. Poii- gedühr. Geichäiteun^igen an bevorzugte, Stelle im Prelle erhöht. Rabatt nach Lar, Fefterrrilte Sultrtge können nicht zurück- gezogen werden. Für da« Urscheinen a i bestimmten Lagen und Plätzen wird Irin» Garantie übernommen Snzeigen-Annahme: Auqustutplatz 8, bei iämtlichen Filialen u. aUrn Annoncen- azpeditionen de» In- und Aullande» Haucht. Filiale lverlt», <arl Duncker, Herzog!. Banr. Holbuch- hanblung, Lützowftraste >0. (Telephon VI, Nr. «M-. Hanpl-Fillale Dresden: Leestraße 4,1 (Telephon 4621). Nr. 334. Donnerstag 3. Dezember 1908. 102. Jahrgang. Das wichtigste. *J« der Zweite« sächsische« Kammer erfolgte Mittwoch nach äußerst lebhafter, zum Teil stürmischer Debatte die A n n a h m c deö gesamten Eventualgesetzentwurfes in namentlicher Ab stimmung mit 40 gegen 37 Stimmen. Die sozialdemokratischen und freisinnigen Anträge auf Einführung des allgemeinen, gleichen, ge- Heime» und direkten Wahlrechts bezw. Wiedereinführung des Wahlrechts von 1808 wurden gegen 5 Stimmen abgelehut, und die zum Wahlgesetz vorliegenden Petitionen ließ man auf sich beruhen. lS. d. des. Art. und Sachs. Landtag.) * Im Reichstag hat am Mittwoch die Debatte über die Ver - fassuugsauträge begonnen. Es ist nicht zn der angedrohten Präsidialkrisis gekommen. Staatssekretär v. Veth mann- Holl weg verlas eine Erklärung des Bundesrats, die immerhin aus einiges Entgegenkommen schließen läßt. sS. Leitartikel n. Deutscher Reichstag.) * lieber Prag ist gestern d aS Ttandrccht ver hängt worden. Die Krawalle dauern fort. (S. d. des. Aet.) * In der italienischen Deputiertenkammer wurden vorgestern dreibundfeiudliche Erklärungen abgegeben. sS. Ausl.s ' Türkischen Blättern zufolge ist die Eröffnung des t ü r k i - schen P a r l a m e n t s für den 14. d. M. festgesetzt worden. Am die Verfassung. Die Dinge sind häufig genug stärker als die Menschen, auch die politischen Dinge. Die Mittwochsihung des Reichstages ist ein Beweis dafür. Die durch parteiliche Richtung und Gewöhnung, durch traditio nelle Rücksichtnahme auf höhere Wünsche in Selbstbescheidung geübten Politiker des Reichsparlaments hatten alles so schön geordnet geglaubt und auf den Abschluß der Affäre mit der berühmten November-Jntcr- pellanon gerechnet. Mer es kam anders, weil cs anders kommen mußte, weil ein innerer Zwang vorlag, sich nicht mit dem Ausdruck von Gefühlen und Ansichten und Meinungen zu begnügen, sondern etwa? Reales zu schaffen, Dämme gegen mögliche neue Springfluten zu er richten. Man darf dies mit Genugtuung feststellen, darf auch daran er innern, daß diejenigen recht behalten haben, die in einem Uebergang zur Tagesordnung keine rationelle Erledigung der Angelegenheit erblicken konnten, es sei denn, die Tagesordnung beiße- Garantien. Daß auch unser Leipziger Abgeordneter, Tr. Innck, sich diese Auf lassung zu eigen gemacht hat und ihr im Romen seiner Partei in der Form moderierten, in der Sache aber unz>wcidentigen Ausdruck gegeben hat, will uns besonders erfreulich erscheinen. Tenn cs wäre wirklich nicht ratsam gewesen, den Freisinn bei seinem Borgehen im Stiche zu lassen. Abgesehen von allen anderen inneren Gründen, mußte schon kluge Rücksicht aus die Wähler zu dieem Schritt zwingen. Bestimmte politische Kreise, die sonst sich im Richtdulden von Schwarzsehern üben, hatten diesmal die Szene durch die schwärzesten Soffitcn verdüstert. Schreckliches wurde den Dreisten und dem bangen Bolle gekündet: Ministerkrise, Präsidentenkrise, Bundesratskrise, Block krise, daß das armeTeutscheReich nur so in den Fugen krachte. Und siehe da, der Bundesrat, hinter dessen Bielköpfigkcit sich des Reiches geschmeidiger Kanzler steckte, ließ mit sich reden; brüskierte das Parlament nicht, wie angedroht, sondern stellte in Conrloisic Herrn v. Bethmann-Hollwcg als seinen Vertreter vor, zwar ohne Vollmachten, aber mit dem Geheiß, zu hören. Man kann das immerhin als einen Ausweg aus der neu- artigen Situation betrachten. Auch die Präsidentenkrise war, wenigstens am ersten Tage der Debatte, eine akademische Sorge, die freilich nur, so scheint cs, durch die persönliche Mäßigung der Redner gebannt wurde. Man vermied es, die Person des Kaisers in die Debatte zu ziehen, und begnügte sich mit dem altbewährten Mittel der Anspielungen, die dafür an das Be- arisssvermögen der Hörer recht leichte Anforderungen stellten. Ob man für alle Zukunft mit dieser Rückkehr in alte reichsparlamentarische Ge- pslogenheiten auskommen wird, hängt nicht allein vom Reichstag ab. Wenn es möglich ist, um so bester. Wenn nicht, muß das Ventil der freien Rede jederzeit wenigstens in einem deutschen Hause zu öffnen sein. Daher ist es vielleicht besser, man läßt vorläufig die grundsätzliche Regelung der Frage in der Schwebe. Man darf nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlungen an nehmen, daß die Beratung der Details an die erweiterte Geschäftsord- nnngskommifsion überwiesen, und daß damit die vorläufige Erledigung der ganzen Verfassungsresormaktion ohne Eklat sich vollziehen wird. Inzwischen kann die Idee der Parlamcntarisierung des Regimes, des snstematischen Ausbaus der Verfassung in allen 'Teilen des deutschen Volkes weiterwirken, und der Reichstag hat Muße, die dringende Mah- nung zu beherzigen, sich selbst in die neue Bedeutung eines wahrhaft konstitutionellen Faktors hineinzuleben und aus dieser erhöhten De- deutung heraus in der ganzen Nation das Gefühl der Selbstverständ lichkeit zu erzeugen, das jeden Widerspruch gegen sicheres Eingreifen in die Negierungsmaschinerie ansfchließt. Wenn das auch noch die Folge hätte, daß der gräßlichen Zersplitterung in Fraktiönchen ein Ende ge macht und funktionsfähige große Parteien über all« persönlichen Eifer süchteleien hinweg erzeugt würden, so werden die düsteren Tage dieses Herbstes den versöhnlichsten Abschluß gefunden haben. Wir schließen hier folgende» StimmsrnArbild von der Mittwochsihung des Reichstags an: Berlin, 2. Dezember. sPrivattel.) Wieder ein kritischer Tag, ein Tag mit der DÄalichkeit von Zu kommenstößen und folgenschweren Entscheidungen. Dieder ein trüber Himmel über der Erde nnd ein« drückend« Spannung auf don Ge mütern. Wieden drängen sich lange vor Beginn der Sitzung die Menschen Kopf an Kopf auf den Tribünen, die bis au die Saaldecke ge füllt sind, uud wieder sieht man die Abgeordneten, die es sonst nicht immer gar so eilig haben, im Sitzungssaale zu erscheinen, schon vor l Ilhr aus- nnd eingehen, in Gruppen sich besprechen oder nachdenk lich auf ihrem Platze weilen. Mit einem Male füllt sich der Saal gänzlich. Die Nachricht kursiert, daß Bethmann-Hollweg vorgesahren ist. Sogleich darauf erscheint er mit einem dichten Gefolge von Kom missaren und Bundesratsinitgliedern. Lebhast begrüßt er seinen Kollegen Staatssekretär Nieberding, nimmt dann neben ibm Platz und nimmt ein Manuskript aus der Tasche, das er vor sich breite». Präsident Graf Stolberg schwingt dreimal die Glocke nnd eröffnet die Sitzung. Staatssekretär v. Bethmann-Hollweg Kat das Wort. Tas ist den meisten eine Ueberraschung. Ein Bild innerer Er- regung ist plötzlich geschaffen: Dicht hat sich die ganze Menge der Ab geordneten nach rechts geschoben nnd harrt in lautloser Erwartung. Mit einer Stimme, aus der Erregung klingt, beginnt v. Bcih- m a n n - H o l l w e g zu sprechen. Die Regierung scheint zu Beginn den Versuch machen zu wollen, das heraufziehende Gewitter zu zerteilen. Ihre Erklärung ist maßvoll, aber bestimmt. Wir wollen weiter sehen, wenn Ihr feste Beschlüsse gefaßt habt. Daß die Regierung heute über haupt erscheint, geschickt, um die künftige Arbeit durch einen ver'öhn- lichen Eindruck im hohen Hause zu erleichtern. Ein mäßiges Bravo lohnt diese '-kstwsichtsmaßregel. Und nun beginnt Abg- M ü l l^r-M e i n i n g e n sFrs. Vpt.s die Begründung der freisinnigen Anträge. Es ist ihm anfangs nicht mög lich, volle Aufmerksamkeit zu erzielen. Noch übt die Erklärung der verbündeten Regierungen ihre Wirkung. Ungeniert und aufgeregt wird sie überall durchgegangen. Als das Sprechen auf der Rechten immer noch nicht verstummen will, muß der Präsident zur Glocke greifen, Kat aber nicht viel Erfolg. Müller-Meiningen, der sich naturgemäß über die empfindlich» Störung ärgert, wendet sich und ruft dem Präsidenten wütend zu: die Bundesratsempore störe. Er verlange Ruhe, „lieber- lassen Sie mir die Herstellnng der Ordnung", entgegnet ihm Graf Stolberg gereizt, wie er denn überhaupt heute mit einem gewissen Grimm geladen zu sein scheint. Das Zentrum lacht. Ist das bereits das Lachen des Tertius Gaudens? klebrigen? verläßt jetzt die Rechte, da sie sich nicht unterhalten darf, zum großen Teil den Saal, und Müller-Meiningen spricht ungestört zu Ende, von stürmischem Beifall seiner Partei'rennde belohnt. Seine Worte waren wirkungsvoll, weil sachlich. Er hatte verstanden, auch das Interesse der Bundesstaaten an der Regelung der Verantlvvrtlichkeit in die Wagschale zu werfen, und hierfür die bekannte Erklärnng de? Grasen .Hohenthal in der sächsischen Kammer verwertet. Abg. Spahn sZtr.l. der nach Müller-Meiningen das Wort Kat, redet leise. Die Stimme des alten Zentrumskämpen hat ihre Kraft ver loren, und doch füllt sich der Saal wieder dicht, wenn man auch aus den Hinteren Bänken der Tribünen nicht viel versteht. Sein Grundgedanke ist der, daß man die Verfassung als solche nicht ändern solle, sondern nur in denjenigen Punkten ergänzen, ivo man glaube, daß es schon im Sinne ihrer Autoren gelegen habe. Während der ganzen Zeit, da Spabn redet, lehnt Abg. Ledebour sIoz.) neben ikm am Rednerpult und macht sich Notizen. Als Spahn endet, tritt er selbst an dessen Platz und be- ginnt seine mit Spannung erwartete Rede. Der äußeren Form nach Kat er an 'Spakn eine treffliche Folie gehabt. Hai"Spakn gleichmäßig fließend gesprochen, so sprunghaft erregt ist Ledebours Eifer. Und man muß ikm den Ruhm lassen, ein schlagfertiger Redner sowohl, als eist nicht übler Mime zu sein. Ein gewisser Ton, mit dem er seinen bösen Hohn ansdrückr, dient jedesmal, wenn er wiederkehrt, zur Erheiterung der Hörer, lleberhaupt ist seine Rede ein fortgesetzter Heitcrkeitserfolg. Mer cs ist keine befreiende Heiterkeit. ES ist, als lache man wider Willen über eine Satire, nnd dabei wird eigentlich das Kritische des Momentes ganz vergessen. Graf Stolberg hat zur Vorsicht Dr. Paa'che auf den Präsidenten stuhl gesetzt und sich in den sicheren Schoß seine, Partei zurückgezogen, wo er sorglos sitzt und selbst aus vollem Halse lacken darf. Dafür macht Paaschc ein etwas besorgtes Gesicht. Wird Ledebour jetzt den Kaiser angreifen? Nun, er sagt stark« Sachen, aber er gleitet so flink über sic hinweg, daß er nicht zu greifen ist. Nur als er ein Geschichtcheu an kündigt über das Thema: „Wie ist Bülow ins Amt gekommen?", wird er von Paasche unterbrochen. In dem Angenblick scheint es einen Sturm geben zu sollen, aber Ledebour einigt fick noch rechtzeitig mit Paaschc und erzählt nun seine Geschichte von einem Reichskanzler. Da verjagt ein unendliches Gelächter die Gewitterwolken, und die Klippe ist glücklich umschifft. Als Ledebour wach scharfen Hieben ans dre Rechte nnd einen fast bedrohlichen Avpell an Zentrum, National liberale und Freisinnige, sich zum guten Werke zu'ammenzntun, geendet bat, ersteigt Herr Stolberg wieder seinen Thron, und die Debatte fließt in ein wesentlich beruhigenderes Fahrwaster. Der Pole Graf Mtelzvnskv begründet den polnischen Antrag in kurzen Worten. Dann erklärt die nationalliberale Partei durch den Leipziger Abgeordneten Dr. Junck ihren Standpunkt. Sie ver- spriast, nach Kräften verhüten zu wollen, daß künftig ein parturiunt, inontr-4 über den heutigen Tag geschrieben werden könne. Tos Kaisertum aber werde sic gegen jede Beeinträchtigung, ob sie von oben oder unten komme, schützen! Mit den Aeußerungen Dr. Juncks erklärt sich der folgende Redner, Abg. v. Tirksen lRpt.s im allgemeinen einver- standen, doch gebt er natürlich weit über sie nach rechts hinaus, zumal mit seiner grundsätzlichen Erklärung: Vor einer parlamentarischen Negierung möge uns Gvtt in alle Zukunft behüten! Das rüst natür lich ein lebhaftes Oho! auf der Linken hervor, durch das sich aber Herr v. Dirksen, einer der bedeutendsten Schnellredner des Hauses, nicht be- irren läßt. Wie ein aufgezogener und loSgelastener Kreisel schnurrt er zn Ende. Tann vertagt das HauS die Weiterbcratunq auf morgen. Schlrrtzabstimiiirrng. Die Voraussetzung für alle Bemühungen um die unbedingt notwendige Reform de» sächsischen Wahlrecht» war die gemein same Arbeit aller am Wohle Sachsens interessierten Kreise. Die Schaffung eine» wirklich «inen Fortschritt bringenden Wahl gesetzes war nur denkbar, wenn diese sehr wichtige Voraussetzung überall und jederzeit di« peinlichste Berücksichtigung erfahren hätte. Aber das Land ist grausam enttäuscht worden. Wir haben die schier unglaubliche Tatsache zu verzeichnen, daß eine einzige Partei dem Lande ein Wahlrecht auf zwingt, da» ausschließlich für die Konservativen zugeschnitten ist. Sollten die Manager diese» Wahlrecht« wähnen, damit den von der Allgemeinheit gewollten Zweck erreicht zu haben, so würden sie mit dieser Ansicht gröblicher Täuschung anbeimgesallen sein, denn e» ist ganz undenkbar, daß nunmehr die beabsichtigte Wirkung, di« Beruhigung de« aufgeregten und verbitterten Volke», in die Erscheinung tritt. Der ganze Verlauf der Verhandlungen hat den Anschein erweckt, al» seien von der Kammermehrheit die Zustande de« „roten Königreichs" nicht nur vergessen, sondern sogar in ihrer Gefährlichkeit wesentlich unterschätzt worden, denn allen Hinweisen der Linken auf die Möglichkeit einer Wiederkehr dieser Zustände begegnet« man auf der Rechten mit allge meinem Gelackter» an» dem auch die satte Befriedigung derer heraus klang, die au» der schlimmen Vergangenheit Sachsens keine Lehren, Wohl aber persönliche Nutzanwendungen zu ziehen verstanden haben. Klar erwiesen ist jedenfalls das eine, daß die konservative Mehr heit der Zweiten Kammer von allem anderen eher als von politischem Weitblick erfüllt uud von wirklich siaatssörderntfn Tendenzen durchdrungen ist; ihre Haltung trägt vielmehr das Gepräge eines argen Parteiegoismus und ist nur geeignet, das Land in neue schwere Erschütterungen zu bringen. Wäre es ancers gewesen, dann hätte dieie von konservativer Seite betriebene Gewalt politik unmöglich angewandt werden können. Mit einem lläasickni Mehr von — drei ganzen Stimmen bat die Recht.' das neue Wahlgesetz durchgedrückt. Die Schlußahstimmuug ergab 40 Stimmen für und 37 gegen den Entwurf. Wäre die Kammer vollbesetzt gewesen, dann wäre dieser schmähliche Pyrrhussieg überhaupt nur mir zwei Stimmen Mehrheit errungen worden, denn von den fünf fehlenden Abgeordneten waren drei unbedingt Gegner des Evemual- entwurfs: der viel zu früh verstorbene Abg. Dr. Rühlmann (Nail.)unv ei: beiden leider erkrankten Abgg. Kretzschmar (Natl.) und Goldstein (Soz.). Wir hätten gewünscht, daß die unheimlich wirkendeEinseitigkeit ter Annahme noch viel klastischer zum Ausdruck gelommen wäre: die gesamte Opposilion hätte vor der Schlußabstimmung unter Protest den Saal verlassen müssen, aber illosorisch ist auch so die Wucht der Tatsache nicht abzu schwächen, daß an diesem Produkte nicht ein einziger liberaler Politiker auch nur den geringsten Anteil hat! Nun sind wir in der eigentümlichen Lage, die Hoffnung des Landes auf die Erfde Kammer gegründet zu sehen Wir hegen die zuversichtliche Erwartung, daß sie sichs sehr reiflich über legt, ob sie einem auf solch seltsame Weite und mit >o knapper Mehrheit zustande gekommenen Gesetz ihre Zustimmung gibt. An eine Erledigung der Vorlage vor Weihnachten ist nicht zu denken, denn eine so rasche Durchpeitschung des Entwurfs würde einmal der Bedeutung der gesetzgeberischen Aufgabe, ganz besonders aber d:r Würde ter Ersten Kammer widersprechen. Und wenn sie dann den ganzen Stoff in künftigen Tagen, und daS beißt: in der nächsten Landtagsseision erörtert hat, dann wird sie als unerläßlich: Vorbedingung für ihre Zustimmung stellen müssen, daß eine annehm bare, achtungheischende Mehrheit der Zweiten Kammer einen W ahl rechts ent Wurf vorschlägt. So ist also nachLage der Dinge sehr wahrscheinlich mit der Neuwahl eines Drittels der Zweiten Kammer noch unter dem alten Wahlgesetz zu rechnen, und au' die»« Möglichkeit muß sich der Liberalismus beizeiten und mit allem Nach druck einrichten, denn nun geht's umS Ganze Die wiener Festlichkeiten. Nnterm 2. Dezember wirb aus Wien zur Jubiläumsfeier weiter gemeldet: ! Den heutigen Tag füllten glänzende Festlichkeiten aus- Ter Kaiser, dem auf der Fahrt zur Hofburg begeisterte Ovationen be reitet wurden, wobntc mit den Mitgliedern Kes Kaiicrkauses dem Hock amte in der Pfarrkirche der Hofburg bei. Daran schloß sich die Huldi gung der kaiserlichen Familie in der Hofburg. Erzherzog Franz Ferdinand richtete ein: Ansprache an den Kaistr, auf die diestr dankend erwiderte. Sodann nahm der Kaiser die Glückwünsche des Hofstaates unter Führung des Ministers des K. K. Hauses und des Äeußern, Frhr. v. Aehrentbal, entgegen. Im Stesansdom oer - avstaltete der Hofstaat einen Festgotlesdienst, welchem außerdem bei wohnten der hohe Adel, die gemeinsamen Minister für Oesterreich unk' Ungarn, die österreichischen Minister, der ungarische Minister de-S Innern Andrassy als Vertreter der ungarischen Regierung, die Generalität uud die Spitzen der Zivilbehörden. Auch das Militär beging den heutigen Tag durch Festgoltesdienst, zu dem die Gar nison mit klingendem Spiele ausrückte. Vom Arsenal wurden 24 Kano- nenschüsse abgcfeuert. Für die gesamte Schuljugend finden ebenfalls Gottesdienst und Kaiscrfeicrn statt. Die Unfälle. Zu den Unfällen, die sich während der Illumination am ersten aage im Gedränge aus den Straßen Wiens ereigneten, wird aus der Feststadt unterm 2. Dezember weiter berichtet: Wie nunmehr fcstgestellt ist, sind während und nach der gestrigen Illumination im ganzen vier Personen an Herzschlag ge storbcn. Eine von diesen hatte außerdem Verletzungen er litten. In 104 Fällen wurden Rippenbrnckc sestge- st e l l t, von denen zwei sch w crerNatnr sind. Zwei Personen wurden ins Krankenhaus gebracht. Dar Standrecht über z-rag! In Prag inszenierte der tschechische Pöbel wahrend der letzten zw i Tage, wie wir auSsüdrlich mitteitten. regelrechte Straßenscklachten. Zu unke chreiblichen Missetaten hat der Deutschenhaß die slawische Bevötkc- rung Prags getrieben. Die geradezu bestialischen Ausbrüche der tschechi schen Krawallbelden haben augenblicklich einen Höhepunkt erreicht, daß die österreichische Regierung aus ihrer inopportunen Reserve heraustreten mußte. Vorgestern zauderte eine Ministerkonserenz in Wien noch, gegen die Prager Krawallhelden energisch vorzugehen, während die dcni'ch: Bevölkerung auf dein Kriegsschauplätze entsetzliche Stunden witdesier Panik über sich ergehen lasten mußte. Man wollte cS am arünen Tisch noch bei „ernsten Maßnahmen" bewenden lassen und beharrte bei leeren Drohungen, während der Kaiser einen Tag vor seinem Jubiläumsfest deutlich zu dein Grasen Tbun über die Prager Vor fälle sagte, daß unter solchen Umständen „endlich einmal hineingefahren werden müsse". Und auf diese kai'ersiche Aeußerung scheint auch eine plötzliche, überraschende Initiativ: der Regierung zurückzusühren zu se n: sie hat am gestrigen Mitt woch da» Standrecht über Prag verhängt! Dieser ministerielle Schritt dürste der deutschen Bevölkerung in der Skandalstadt endlich den notwendigen Schutz vor den tschechischen Banditen sichern. Unser I-.-Korrespondcnt in Prag berichtet unS über die Situation wie folgt: Prag. Z. Tezewber. lPri»attel.) Wie das hiesige ..boirc- fpondenjburean" erfährt, wurde üdrr Prag und über die tz»erichts- beztrke K ar»linenthal, Tmtchaw, Königliche Weinberge, Nnsle nnd Aizkow bezüglich de» verbrechens »esAufruhra das Standrecht »erhängt. Tie durch Wachen fartdauerndrn Tewonftraltanen und Exzeße, weiche durch die gewöhnlichen Macht mittel nicht unterdrückt »erdcn kannte«, haben die Anwendung jene» ungewöhnlichen Mittel» notwendig gewacht Gleichzeitig mit der Verhängung de» Standrecht- wurden durch Bekanntmachung der Polizeidirektion alle Ansammlungen auf den
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