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190 lichen Tabellenwcrks, welches den größten Theil der jüngst erschiene nen Doppelnuminer 10 und 11 der Zeitschrift des sächsischen statisti schen Bureaus ausfüllt, und woraus unter anderen hervorgeht, Laß in 10 Jahren höchster Bevölkerungszunahme (von 1855—1865) in Sachsen 279,833 Personen mehr geboren worden, als gestorben sind. Auf die 9 Jahre 1855—1864 entfallen von diesem Zuwachs 253,987 Personen; durch die Zählungen hingegen wurde für dieselbe Zeit ein solcher von 298,016 Personen constatirt. Das Mehr von 44,029 Köpfen ist demnach auf die Einwanderung zu rechnen. Das am Dienstag in der Umgegend vo» Berlin stattgehabtc schwere Gewitter hat seine stärkste Entladung zwischen Lichtenrade und Groß- und Kleinbecren gefunden und hat dabei mehrfache Nn- glücksfälle nach sich gezogen. In Lichtenrade traf ein Blitzstrasl einen Bauer gerade in dem Augenblicke, als derselbe, vom Charlottenbur ger Pferdemarkt heimkehrcnd, mit seinen Pferden in das hcimathliche Gehöft einrciten wollte. Der Mann und das von ihm gerittene Pferd wurden von dem Schlage sofort gctödtet, drei an der Leine geführte Pferde stürzten betäubt zu Boden, erholten sich jedoch bald wieder. Ein entsetzliches Unglück ereignete sich am Dienstag Abend zwi schen 6 und 7 Uhr im Kalbo'schen Etablissement (Berliner Prater) und gab dem dort alljährlich vom Berliner Schuhmachergewerk ge feierten Feste dies Mal eine äußerst traurige Wendung. Einer der Gymnastiker war eben im Begriff, mit seinem fünfzehnjährigen Ele ven die gewohnten schwierigen Evolutionen auf dem hohen Thurm- scil auszuführen. Er nahm seinen Anlauf, um über den ihm ent gegenkommenden Knaben hinwegzuspringen, als plötzlich das scharf gespannte Drahtseil auseinanderriß und beide Künstler zugleich aus der schwindelnden Höhe herab mitten unter das vor Entsetzen starre Publikum stürzten. Der Knabe siel auf 3 Stühle, die soeben von einer Familie verlassen worden waren, brach das Genick und fand sofort seinen Tod. Der andere Verunglückte, der auf den Erdboden gefallen war, hat nach dem Urtheil der schnell herbeigcrufenen Aerzte, die seinen Transport zum katholischen Krankenhause verordneten, so schwere, äußere und innere Verletzungen davon getragen, daß sein Tod stündlich zu erwarten steht. Im Fallen rissen die Unglücklichen von einigen Bäumen, durch deren Kronen sie herabfielen, einige starke Zweige nieder, die eben so wie die schweren Balancirstangen unter die Zuschauermenge fielen, wunderbarerweise aber ohne irgend Je manden zu beschädigen. — Ueber die Ursache des Unglücks verlautet, daß die verunglückten Künstler des am Dienstag herrschenden Stur mes halber das Seil viel starker als sonst angespannt und dadurch dessen Zerreißung im Augenblicke der Belastung herbeigcführt hatten. Dem Fürsten von Hohenlohe, dem Ministerpräsidenten in Bayern, ist cs trotz der 76 Ultramontanen in dem Landtage nicht schwarz vor den Augen geworden, er setzt seinen Weg unbeirrt fort und wird von dem König bestärkt. Zum Vicepräsidenten des Zoll- Parlaments in Berlin gewählt, dankte er und sagte: „Auf dem Weg, den ich für den richtigen halte, werde ich unbeirrt fortschreiten und aushalten in dem Bestreben für Verständigung, Versöhnung und Ein tracht der deutschen Stämme mit allen Kräften zu wirken." In Hamburg ist vor 3 Jahren der Taufzwang aufgehoben und seitdem sind 17,493 Kinder gelaust worden, 7535 Kinder aber ungctauft geblieben. Paris zeigt jeden Tag ein anderes Gesicht. Vor 14 Tagen wählten die Pariser lauter Republikaner und Socialisten in die Kammer, jetzt bei den Nachwahlen haben sie nur bekannte Männer der gemäßigten Opposition gewählt: Thiers, Ferry, Jules, Favre und Garnier Pages. Der verhaßteste unter ihnen ist Napoleon der kleine Thiers, uud auch wir Deutsche haben keine Freude über ihn, denn er gehört zu den gallischen Hähnen, die immer nach dem Rhein schreien. Die Börse begrüßte die Wahlen mit einem Steigen der Papiere, auf den Boulevards gings so lebhaft zu, daß an 200 Per sonen verhaftet werden mußten. In den Provinzen sind nachträglich 25 Oppositionsmänner gewählt worden und 19 Anhänger der Regie rung. Die Regierung soll 50 Mill. Francs ausgegeben haben, um „gesunden Wahlen" ein wenig nachzuhelfen. In den Vereinigten Staaten ist eine außerordentlich reiche Weizenerndte zu erwarten. Herächt und gerichtet. Eine Lors- und Lrimiiialgcschichte non Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Auf Niemand im Dorfe schienen diese finsteren Ereignisse einen sonderbareren Eindruck hervorgebracht zu haben, als auf das Hirten mädchen, die Rosa. Sie sprang ofe wie toll in der Stube herum und rief jubelirend, „ich weiß was, ich weiß was!" Aber wenn ihr Mitgesinde sie fragte, dann kicherte sie vor sich hin und verzog ihr Gesicht zu einem hämischen Grinsen. Rosa war als ein kleines früh- reifeL Geschöpf, das mit aller Beweglichkeit auch die Bosheit eines Affen verband. Sie hatte, da ihre Eltern früh gestorben, sich fort während unter fremden Leuten herumtreiben müssen; sie war ge schlagen und gestoßen worden, aber Niemand hatte an ihr ein freund- Uches Wort verschwendet und dieses Aufwachsen im vollen Schatten der Lieblosigkeit mußte ihr ganzes Wesen verkrüppeln und Gist und Galle in ihr Herz träufeln. Von der Natur mit ungewöhnlichem Verstände begabt, richtete sich all' ihr Denken darauf, die Mißhand lungen ihrer Umgebungen durch boshafte Streiche zurückzuzahlen. Sw erkannte rasch die Schwächen und Fehler des neuen Mitgesindes und äffte sie zur großen Belustigung der Uebrigen augenblicklich nach; rächte sich der Ankömmling durch ein paar derbe Schläge, dann war der Spaß um so größer und Niemand erhob die Hand zu Nose's Schutze. Aber sie war auch unermüdlich im Ausspüren der Geheim nisse Anderer, keine noch so verborgene Liebschaft, kein noch so heim licher Unterschleif blieb von ihr unentdeckt und schadenfroh wurde das Geheimniß preisgegeben. Sie hetzte Alles gegen einander ans, ihr koboldartiges Treiben machte es, daß man sie nirgends lange duldete und von ^Dienst zu Dienst trieb. Nur bei ihrem letzten Dienstherrn, dem Bauer Konrad, hatte sie schon ein Jahr ausgehalten, denn dieser hielt mit eiserner Strenge auf Ordnung. Alle gehorchten ihn: aufs Wort, auch Rosa hatte eine große Furcht vor dem ruhigen, ernsten Manne und hütete sich wenigstens, daß ihre boshaften Eulenspiegelstreiche nicht zu seinen Ohren kamen. Selbst ihre dämonische Natur schien sich in letzter Zeit etwas verloren zu haben und dies war ihrem früheren Dienstgenossen Georg zu zu schreiben. Er war der Einzige der sie nicht verspottete, ja mit ihr freundlich sprach und sie gegen die Unbilden der Anderen in Schutz nahm. Das arme, überall getretene und geschlagene Mädchen ver galt ihm seine Freundlichkeit durch die große Anhänglichkeit; sie war unermüdlich, ihm kleine Dienste zu leisten und lauschte ihm seine Wünsche an den Augen ab. Leider sollte ihr Glück nicht lange dauern; bald hatte sie mit ihrem unheimlichen Spürsinn das so ver borgen gehaltene Liebesverhältniß Georgs und Mariannens entdeckt, und jetzt war es mit ihrer Ruhe dahin. In dem, durch harte Ar beiten zwar körperlich zurückgebliebenen, durch ihre eigentümlichen Schicksale aber weit über ihr 16jähriges Alter geistig entwickelte Mädchen begannen sich alle Qualen der Eifersucht und mit ihnen wieder ihr böser Dämon zu regen. Ihrem boshaften Geplauder verdankte Georg seine Entlassung und damit glaubte sie Alles gcthan zu haben, den jungen Burschen wieder für sich zu gewinnen; vollends glücklich war sie, als Mariannens Verlobung zu Stande kam. Als Rose von der Verhaftung Georgs hörte, war sie anfangs niederge schlagen, bald aber gewann ihre koboldartige Natur den Sieg und sie zeigte sich lustiger als je. Unter allen Grimmassen ließ die Rose ost verstehen, daß sie jetzt dem Bauer seine Ohrfeige heimzahlen könne. „Du Nickel," meinte dann die Großmagd einmal erbittert, „ich werde es dem Bauer sagen, damit er Dich zum Hause hinausprügclt." „O, ich kann allein gehen," entgegnete Rose und schnitt ein Gesicht, und ehe noch die Großmagd zu einem strafenden Streich ausholen konnte, war der Kobold in dem Alkoven des Bauers verschwunden. „Was der Bauer für Augen machen wird," bemerkte die zweite Magd. „Gebt Acht! sie wird wie ein Reisigbündel hcrausfliegen!" rief die noch vor Aerger kirschrothe Großmagd. Der Bauer saß am Fenster und rasirte sich zum morgigen Sonn tag. Er sah in seinem kleinen Spiegel das Eintreten des Mädchens, wendete sich deshalb beim Geräusch der geöffneten Thüre nicht erst um, sondern erwartete ruhig die Anrede des wunderlichen Gastes. Rosa hatte, so lange sie den: Bauer diente, noch nie dies Zimmcr- chen betreten, noch nie den Bauer aus freien Stücken angeredet, dennoch trat sie keck näher und begann: „Herr Konrad, ich hab' Ih nen was zu sagen." Der Bauer wendete sich auch jetzt noch nicht um, er behielt ruhig sein Rasirmesscr in der Hand und schabte eine Seite des Bartes herunter, dann drehte er sich halb um und fragte: „Nun?" — Rose hatte kann: das zur Hälfte noch mit Schaum be deckte, zur Hälfte glatt rasirte Gesicht erblickt, als sie in ein lautes Gelächter ausbrach und wie immer ihre tollen, lustigen Sprünge machte. Dies brachte den Bauer doch aus seiner gewohnten Ruhe, er stand auf und strcck:e den nervigen Arm aus, um das freche Ge schöpf zu ergreifen und zu züchtigen, aber Rose entschlüpfte ihm wie ein Aal aus den Händen und die vergeblichen Anstrengungen des Bauers, sic zu fangen, steigerten nur ihre wilde Lustigkeit und unter lautem Gelächter rief sie immer: „Warten Sie nur, :ch hab' Ihnen was zu sagen." Der Bauer, immer wüthender gemacht, ergriff'den kleinen Spiegel und schleuderte ihn nach dem Kopfe des Mädchens, daß ec in Stücke zersprang. Die Kleine, obwohl wenig verletzt, fing augenblicklich jämmerlich zu weinen an und schluchzte wie ein ge schlagenes Kind hervor: „Nun sag, ich es allen Leuten!" „Was willst Du sagen?" rief der Bauer entrüstet. „Hinaus mit Dir!" „O, Ihr sollt mich schon bitten, hier zu bleiben," entgegnete Rose, „wenn ich sage, was ich weiß, dann reißt Ihr euch die andere Hälfte Eures Bartes aus!" und sie verfiel wieder in ihr wildes, ko boldartiges Lachen. »Ich jage Dich noch heut' aus meinem Dienst," rief der Bauer von neuem und suchte wiederholt deS Mädchens habhaft zu werden. Rose schlüpfte wieder unter seinen Händen hinweg und von der steigenden Aufregung des Bauers zu immer größerer Lustigkeit auf gestachelt, wiederholte sie in kindischer Weise fortwährend: „Ich weiß was, Georg ist unschuldig!" „Was geht mich der Lumpcnkerl an," brummte der Bauer. „Ja, Georg ist unschuldig," rief noch einmal Rose, „er kann nicht den Müller erschlagen haben, denn er war ganz wo anders." „Marschir hinaus, wenn Du weiter nichts weißt!" entgegnete der Bauer heftig. Rosens ohnehin unregelmäßige Züge verzogen sich zum häßlichen Grinsen, sie zog sich nach der Thür zurück und schon die Klinke in der Hand, rief sie: „Er steckte bei Mariannen, ha, ha, einen Abend vor der Hochzeit," und mit diesen Worten wollte sie entschlüpfen, aber ihres Herrn eiserne Hand hatte sie schon erfaßt, mit einem Ruck war sie wieder mitten im Zimmer und errief: „Was sagst Du Kanaille?" Rose schien sich an dem Zorne ihres Brodherrn zu weiden und ohne Furcht entgegnete sie: „Es ist doch wahr, ich hab' sie belauscht, und er blieb bis Mitternacht!" (Fortsetzung folgt.)