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2 Tagesgeschichte. Wilsdruff, den 24. März 1873. Nach Unterbrechung eines vollen Jahres sind Ivir nun wieder im Besitz eines Stadtmusikdirectors; werden unsere Wünsche und Hoffnungen, die wir in Herrn Dircctor Kießig setzen, erfüllt werden? Dieses war unser Tagesgespräch schon seit längerer Zeit. Am vori gen Donnerstag hörten wir nun sein I. Extraconzert, die Ausführ ung desselben war im Einzelnen gut, auch wurden die Clarincttsolis vom Sohn des Hrn. Kießig recht brav vorgetragen, was das nicht gar zu zahlreiche, gewählte Publikum durch reichen Beifall bekundete. Ein besonderes Verdienst Hal sich Hr. Director Kießig in der Ge winnung des K. S. Kammermusikus Hrn. Baumgärtel und dessen hoffnungsvollen Söhnen erworben; hatten wir erst Gelegenheit, auf der Oboe die Söhne im ausgezeichneten Zusammenspiel, Reinheit und Geschmack zu bewundern, so riß des Vaters Blasen zu einem enthu siastischem Beifallssturm hin, golden perlten die Töne aus dem In strumente hervor, die an und für sich einfache Schweizeridee wurde mit einer Noblesse vorgelragen, wie wir nie besser hörten. Wie konnte es auch anders sein! wir hörten einen der größten Obocvirtuosen der Jetztzeit. Nur stolz kann Wilsdruff auf solche Künstler sein, und doch sah man Viele, die nicht da waren. Noch klingen diese Zaubertöne in unserer Erinnerung und schon steht für Donnerstag den 27. März wieder ein seltener Kunstgenuß uns bevor, wo wir eine Zoiros Musicals vom K. S. Musikdirigent und Posaunenvirtuos Herrn August Böhme auf der Restauration zu hören bekommen. Uebcr Hrn. Böhme noch voll des Lobes zu sein, hieße doch wohl Wasser in die Elbe tragen; wer, wie Herr Böhme, vor Kaiser und Königen, in den größten Städten Deutschlands, Hollands und Eng lands mit größtem Beifall conzertirt hat, bedarf wohl der weiteren Reclame nicht. Wir machen auf das umstehende gewählte Programm noch besonders aufmerksam und verfehlen nicht, auch diese Soiree dem geehrten Publikum angelegentlichst zu empfehlen. Der „Voigtl. Anzeiger" meldet das Verschwinden des Cassirers bei dem Vorschußverein in Plauen mit einem Kassendcficit von nahezu 24,000 Thlr.; der Flüchtling heißt Moritz Junghänel. (Sohn des verstorbenen Or. Junghähnel aus Wilsdruff.) Da über die Feier von Mariä Empfängniß vielfache Zweifel im Publikum umlaufen, so wollen wir hierdurch nachstehende Verord nung des kgl. Cultusministeriums vom 13. Juni 1872 in Erinnerung bringen. Dieselbe lautet: Die in Lvangskicis beauftragten Staats minister haben unter Zustimmung der evangelisch-lutherischen Landes- synodc beschlossen, rücksichllich der Feier des Festes Mariä Verkündig ung Folgendes anzuordnen: 1. das Fest Mariä Verkündigung kommt vom Jahre 1872 ab als besonderes Fest in Wegfall. 2. Das ge dachte Fest wird vom genannten Jahre ab, wenn es auf einen Sonn tag fällt, an dem vorhergehenden Sonntage, wenn cs aber in die Osterwoche fällt, an dem zunächst folgenden Sonntage dergestalt mit gefeiert, daß in der Predigt der mehrfachen Feier des Tages gedacht wird. 3. Wo durch milde Stiftungen oder Vermächtnisse auf den Tag Mariä Verkündigung Stiftungspredigten, Spenden u. s. w. ge ordnet sind, da hat es ungeachtet der Verlegung des gedachten Festes auch ferner bei der Anordnung des Stifters zu bewenden. Chemnitz. Der schändliche Mordansall des Fabrikschmied Geiler auf seine eigene Familie hat nunmehr auch ein zweites Menschenleben gefordert. Wie man uns mitlheilt, ist am 3. früh 4 Uhr die Mutter des Geiler ihren schweren Wunden im hiesigen Krankenhause erlegen. Von den drei Verletzten lebt jetzt nur noch das vierjährige Töchter chen. Die Berliner Opfer des 18. März 1848 ruhen in dem Fried richshain. Dorthin zogen am diesjährigen Jahrestage viele Leute und legten Kränze auf den Gräbern nieder, ohne gehindert zu wer den. Als aber Nachmittags starke Trupps von Männern mit rochen Bändern singend mnd lärmend anmarschirt kamen, gebot die Schutz mannschaft Schweigen. Die Menge antwortete mit Pfeifen und Steinwürfen. Da schritt die berittene Schutzmannschaft ein und räumte den Hain und die benachbarten Straßen mit blanker Waffe. Es gab viele Verwundete und einen Todten. In runden Zahlen gerechnet, hat Frankreich bis jetzt 990 Mill. Thaler an Deutschland gezahlt, wovon für Neichszwecke verausgabt oder im Jahre 1873 noch zu verausgaben sind SSO Millionen, blei ben also 700 Millionen. Davon sind wieder 500 Millionen „zur Theilung gestellt," was wohl heißen soll, daß sie unter die Kriegs- Verbündeten (Norddeutscher Bund, Bayern, Württemberg, Baden, Südhessen) theils schon wirklich vertheilt, theils schon zur Vertheilung angewiesen sind. Nestiren noch 200 Millionen, die ebenso wie die jenigen Summen, welche laut Reichsgesetzen noch zu verausgaben sind, in Wechseln, Lombard-Darlehen, Staatspapieren angelegt sind, zum Theil aber wohl in den Kellern liegen müssen, da die Aufzähl ung jener Papiere nicht der angegebenen Höhe der disponiblen Be stände entspricht. Vermuthlich schließen die Fässer die letzten franzö sischen Zahlungen ein, für die noch keine Anlagen gefunden. Von den erwähnten verfügbaren 200 Millionen sind übrigens noch 25 Millionen als ein für die Ausprägung von Neichsgoldmünzen vorüber gehend erforderliches Betriebskapital entnommen, namentlich zu dem Zwecke, jede vortheilhafte Gelegenheit zum Goldankauf sofort benutzen zu können. Was die Franzosen bis zum Septeinber noch zu zahlen haben zu dem, was wir jetzt schon übrig, und theils in Papieren angelegt oder in den Kellern haben, hinzuaddirt, macht circa 600 Mill. Thlr. Ueber diese können wir also noch verfügen. Die größere Hälfte der Milliarden ist fort: davon sind vertriebene Deutsche, be schädigte Rheder entschädigt, Kriegsleistungen vergütet, Generale do- tirt, ein Reichskriegsschatz gegründet, die Invaliden pensionirt, die Reichsschuld aus der Zeit vor dem Kriege (für Marinezwecke) getilgt, allerlei Betriebsfonds und eiserne Vorschüsse geschaffen, Reichseisen bahnen gebaut, ein Theil der Kriegskosteu gedeckt und 500 Millionen unter die Einzelstaaten zu partikularer Verwendung vcrtheilt. rb) Am Scheidewege. Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Um Wanda's feine Lippen zuckte ein schmerzliches Lächeln. Sie blickte lange vor sich hin, dann legte sie das Buch weg, über dessen Inhalt sie eben mit dem Hauslehrer gesprochen hatte und sagte in gedämpftem Tone: „Sie sind sein Freund und ich schätze Sie noch höher, daß Sie ihm so warm das Wort reden; aber Sie wissen nicht, wie seher mich dieser Mensch verfolgt. Seine beständige Eifer sucht hat mich schon zu tief verwundet, mich völlig müde gehetzt." Wohl ahnte Rudolph, wie sehr diese stolze Seele darunter lei den mochte, dennoch suchte er den Gemütszustand des Leibjägers zu entschuldigen und er entgegnete deshalb: „Die Eifersucht ist nicht immer ein Mißtrauen in den, welchen man liebt, sondern ein Mißtrauen gegen sich selbst. Ist denn die Bescheidenheit ein Fehler? Eifersüchtig sein, heißt weiter nichts, als bescheiden sein." Nein, nein!" rief sie beinahe heftig, „eine Liebe, die nicht die Seele verschönert, ist keine wahre Liebe; die Eifersucht vermag das nie, sie ist nichts weiter, als eine elende Habsucht des Herzens. Der Eifersüchtige will ein fremdes Herz besitzen, einschließen, vor aller Well verbergen, wie ein Geizhalz seinen Mammon und nun wacht er Tag und Nacht mit ArguSaugen über seinem Schatz. Der Eifersüchtige will sich mit Gewalt eines Herzens bemächtigen, er sucht es wie ein Tyrann durch unauflösliche Bande an sich zu fesseln, aber die wahre Liebe erträgt nicht diese Ketten und geht daran zu Grunde. Ja diese trostlose Leidenschaft führt stets zur Empörung und sie muß endlich jdas schaffen, was vorher nicht bestand, sie macht —" Wanda vollendete nicht; sie war in tiefster Erregung an das Fenster getreten und schaute mit thränenseuchten Äugen in das dunkle Blältergrün des alten Baumes. Hier war jeder weitere Zuspruch vergeblich, das fühlte Rudolph wohl, und als er jetzt zum Abschiede ihr die Hand reichte, bat sie, mit einem müden, traurigen Lächeln um Verzeihung und ihre Augen senkten sich dabei mit einem wunderbaren Ausdruck in die seinen. Niemals vorher hatte sic ihm einen solchen Einblick in ihr Inneres gestattet, als heut. Sonst war sie stets ruhig und zurückhaltend ge wesen, nichts als die gelehrige Schülerin, die mit jeder Stunde geizt, die ihr Wissen zu bereichern vermag — heut war sie aus sich herauö- getretcn, jedes ihrer Worte hatte verrathen, wie viel er ihr geworden; er fühlte noch ihren warmen Händedruck, und diese sehnsüchtigen, träumerischen Augen begleiteten ihn noch, wie er durch den Wald wanderte. Daß für die Ruhe ihres Herzens aus ihrem geistanregen den Verkehr eine Gefahr entstehen könne, dieser Gedanke war ihm niemals gekommen. Es fehlte ihm dazu die nöthige Eitelkeit und weil er sich selbst gegen solche Empfindungen gewappnet hielt, glaubte er auch nicht, daß sie je in der jungen Brust des jungen Mädchens Eingang finden könnten. Mochte die Gräfin immer für ihn verloren sein, ihr Bild allein lebte in seinem Herzen. Wohl hatte sie sich seit der Anwesenheit des Grafen noch geflissentlicher zurückgezogen, und wenn sie zufällig mit ihm zusammentraf, kaum einige höfliche Worte mit ihm gewechselt, aber brauchte es dieser äußeren Zeichen, wo ein heiliges unauslöschliches Gefühl für immer in seiner Seele lebte? Mochte Wanda auch in ihrer Sehnsucht nach Geist und Wissen manches Anziehende haben, einen tiefen, herzbewegenden Eindruck konnte sie auf ihn nicht ausüben. Er begriff es selbst nicht, warum sich nicht der Wunsch in ihm regte, ein Herz fcstzuhalten, das sich ihm gewiß in treuester, glühendster Liebe zu eigen gab. Wanda ge hörte zu jenen weiblichen Wesen, die in dem Sein und Leben des geliebten Mannes völlig aufgehen, die mit ewiger Spannkraft ihn treu begleiten, in welch'unwirthbare hohe Gefilde sich auch sein Weg verlieren möge. Wohl war sie vielleicht die passendste Lebensgefährtin, die er zu finden vermochte und dennoch wagte er nach diesem Glück nicht die Hände darnach auszustrecken. Was ihn davon abhielt, war ihm selbst nicht klar. Wie licht und sonnig sie sich auch gab, ihm schien es doch, als ob die Fäden eines dunklen Geheimnisses um sie gesponnen; er lächelte oft selbst über seine Einbildung und trotzdem wurde er diese wunderlichen Vorstellungen nicht los. Der aufgefundene Handschuh kam ihm dann in den Sinn und manches unbesonnene Wort ihres Bruders gab ihm noch mehr zu denken. Nun irrten seine Gedanken von der Einen zur Andern. Wie groß und edel erschien ihm dagegen Helene! In ihrem Wesen lag eine antike Ruhe, die schon damals seine jugendliche Einbildungskraft mit den schönsten Jdealgestalten der griechischen Dichter verglichen. Und jetzt, wo sie sich in "einer unnahbaren Ferne hielt, war sic seiner Seele näher gerückt, als je. Die größte Poesie, mit der sich eine Frau umgeben kann,ist der dreifache Glanz, den ihre Schönheit, ihr Unglück und ihr Adel um sie verbreitet. In Sinnen verloren hatte er nicht auf den Weg geachtet, erst jetzt blickte er auf und gewahrte, daß er sich in der Nähe des kleinen Tempels befand. Zauberte ihm seine aufgeregte Phantasie das Bild der Jugendgeliebtcn vor, oder war sie es wirklich? Die Gräfin stand