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Wochenblatt Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sievenlehn und die Umgegenden. > Mmtsölatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 48.Freitag, den 20. Juni 1873. Tagesgeschichte. Ueber den Stand der Saaten im Königreich Sachsen berichtet man: So unangenehm auch die Witterung im Mai im Ganzen war, so hat er doch das alte Sprüchwort: „Mai kühl und naß, füllt Scheuer und Faß", nicht Lügen gestraft. Hat er auch die Vege tation nur mäßig gefördert, so hat er sie doch durch Nachtfrost nicht geschädigt; die langsamere Entwickelung der Saaten war denselben offenbar von Nutzen und die rauhe, feuchte Witterung hatte überdies den großen Vorthcil, daß die Pflanzcnfeinde nicht zur Herrschaft ge langen konnten. Der Stand aller Saaten ist ein wahrhaft pracht voller und wenn dieselben vor Unheil bewahrt werden, gehen wir einer sehr guten Ernte entgegen. Es gilt dieses nicht nur von dem Getreide, sondern auch von dem Naps; alle Rapssaaten, welche nicht schlecht bestanden in den Winter kamen, verheißen einen überaus reichen Ertrag. Unter der kälteren Witterung im Mai haben allein Futterpflanzen insofern gelitten, als sie im Wächsthum zurückgeblieben sind, so daß Anfangs Juni an Grünfütternng noch nicht zu denken war.' Aus Vorstehendem erhellt schon zur Genüge, daß die Nacht- sröstc im April weder den Getreidcsaaten noch den Futterpflanzen geschadet haben; aber auch auf die Obstbäume und Rebstöcke ist ihr Einfluß nicht so schadenbringcnd gewesen, wie von Uebcrängstlichen und Spcculanten befürchtet worden. Nur frühblühende, zarte Obst- nrten und Sorten haben einigermaßen gelitten, die anderen ver sprechen eine gute Ernte und der Weinstock wird immer noch einen halben Ertrag geben. Der „Dresdner Presse" berichtet man aus Leipzig: Der Leip ziger Advocat Freytag, der bekanntlich seinerzeit Liebknecht und Hep ner vor dem Schwurgericht verlheidigte, soll in einer Eingabe an das Obcrappellationsgericht oder Justizministerium dasjenige Schöffenge richt welches Vebel wegen Majestätsbeleidigung zu neun Monaten Gcfängnib und Verlust des Reichstagsmandates vcrurtheilte, in sol cher Weise beleidigt haben, daß darauf gegen Frehtag selbst eine An klage von Seiten der Gerichtsbehörde erhoben wurde. Der Ange klagte ist nun in erster und zweiter Instanz zu Haft, man sagt auf die Dauer von 4 Wochen und Tragung der UntersuchungSlosten ver- urtheilt worden. Ein trauriger Unglücksfall hat sich am vergangenen Donnerstag Nachmittag, wie dem „L. Tgbl." mitgetheilt wird, im Dorfe Dreis- kau bei Rötha zugetragen. Daselbst kam die dreijährige Tochter des Windmüllers Winkel beim Spielen einem Flügel der im Gauge be findlichen Windmühle zu nahe, wurde von demselben erfaßt und so schwer' am Kopfe verletzt, daß sie wenige Minuten darauf ihren Geist aufgab. Der deutsche Reichstag hat sich am 13. Juni mit den Anträ gen Schnlze-Delitzsch's und Lasker's beschäftigt, die dahin gehen, daß künftig 1) die Einzel-Landtage nicht mit dem Reichstage gleichzeitig lagen, 2) daß die Monate October, November lind Dezember als die günstigste Zeit für die regelmäßigen Sitzungen des Reichstages zu wählen seien. Der Reichskanzler Fürst Bismarck stimmte beiden An trägen in der Hauptsache bei und erklärte, die einzelnen Landtage müßten sich nach dein Reichstage richten, nicht der Reichstag nach den Landtagen, wie seither. Das Reich mit seinen Interessen habe überall den Vorrang und Vortritt. Der Reichskanzler drückte sich so aus: „Der Reichstag darf nicht von den anderen parlamentarischen Ver sammlungen als Aschenbrödel behandelt werden, dem zugcschobcn wird, was er machen soll, das ist eine Einrichtung, der ich mich, so weit mein Einfluß reicht, nicht länger fuge. Es leidet darunter die nationale reichsmäßige Entwickelung, wenn die Einzellandtage sich angewöhnen, die Ncichsangchörigkeit als einen Zubehör zu ihren Partikulareinrichtungcn zu betrachten, wenn sie sich endlich daran ge wöhnen, daß das Reich nicht ein Anbau zu ihren Einzclstaaten ist, sondern die Gesammtwölbung, unter der die Einzelstaaten wohnen müssen, und die zu kräftigen, die Aufgabe Aller ist." Die Einzel- Landtage meinte er, würden zwar wegen der für das nächste Jahr sestzustellendkn Etats auch im Herbst tagen müssen, sic würden aber viel Zeit ersparen können, wenn sie weniger Plenarsitzungen und kürzere Reden hielten. Man sagt, Fürst Bismarck habe den famosen Preßgesetzent wurf gar nicht gelesen. Nun, gehört wird er nun wohl davon haben und ihn sicher erschrocken zurückzichcn, wenn er folgende Fra gen in deu „Wespen" liest: „Wenn nach §20 des Prcßgesctzentwurfs Derjenige, der in einer Druckschrift die Grundlagen der staatlichen Ordnung in einer die Sittlichkeit, den Rechtsstnn oder die Vaterlands liebe untergrabenden Weise angreift, mit Gcfängniß oder Festungs haft bis zu zwei Jahren bestraft wird, auf wie lange müßte dann der Verfasser dieses Entwurfes cingcsperrt werden? Dem Reichstage ist unter der Ueberschrift: „Eine Dotation für das ganze Land", eine Petition zugegangcn, die leider ein frommer Wunsch bleiben wird. „Die Verdienste der Chefs (des Heeres) sind groß, sehr groß, sie würden auch nicht geschmälert, wenn man auch an jeden einzelnen Arbeiter, der zu dem Erfolge beigetragen, also an jeden gemeinen Soldaten ein Geschenk, eine Dotation auStheilte. Wie viele gemeine Soldaten find mitgegangen, die Weib und Kind und einen Verdienst von mehreren Thalern des Tages, eine sichere Existenz, zurückließen und dem Tode und einer ungewissen Zukunft entgegen gingen. Nun, sie haben nicht mehr als ihre Pflicht gethan. Die Dotation wird sie für ihre Verluste auch nicht entschädigen. Aber sie wird zeigen, daß das Vaterland Jedem, auch dem gemeinen Mann dankbar ist. Anspruch auf eine Dotation hat ja überhaupt Niemand, weder Chef noch Soldat; Jeder weiß auch, daß Deutsch land nicht in den Krieg gegangen ist eines Geldgeschäfts wegen, um fünf Milliarden zu erobern. Und die Vertheilung der Dotation ist möglich. Man darf nicht sagen, daß die Mittel nicht reichen. Die Mittel sind so vollständig, daß nicht einmal die fünf Milliarden angegriffen zu werden brauchen. Wenn man nur die Zinsen anwen det, die uns Frankreich bis zur Abtragung der Kriegsschuld zu zah len hat, so würde das eine sehr hübsche Detation geben. Nimmt man an, daß ungefähr eine Million Soldaten aufgeboten gewesen ist und gäbe man jedem einzelnen Mann eine Dotation von fünfzig Thalern, so würde das fünfzig Millionen Thaler betragen, bei weitem nicht die Summe, die uns Frankreich außer den Milliarden an Zin sen zu zahlen hat. Welchen Segen würde diese Dotation bringen! Weche Summe ist nicht ein unerwartetes Geschenk von 50 Thlr. für einen armen Mann. Wie manchem würde dadurch auf die Beine geholfen! Wie würde namentlich in kleinen Orten dadurch der Wohl stand gehoben! Diese fünfzig Millionen würden auch nicht zu Grün dlings- und Actienschwindel benutzt; sie würden segensreich im Lande circuliren. Diese Dotation wäre eine Dotation für das ganze Land." Fürst Bismarck hat sich über die nächste Papstwahl in einer Weise ausgesprochen, von welcher noch viel und vielleicht einst in den Geschichtsbüchern die Rede sein wird; wir wollen seine Erklärung hier mittheilcn. Er sagte: Es ist im Interesse des öffentlichen Friedens sehr wünschenswerth, daß die Papstwahl im Sinne der Mäßigung ausfällt und daß nicht gerade die zornige und kriegerische Partei des Papstthums in den Vordergrund kommt, wenn man überhaupt Versöhnung will. Unsere (Deutschlands) Aufgabe ist es allein, wenn die Papstwahl vollzogen ist, zu prüfen, ob sie unserer Ueber- zeugung nach legitim vollzogen ist, so daß der Gewählte nach unserer Ansicht berechtigt ist, in Deutschland diejenigen Rechte auszuüben, die einem legalen Papste ohne Zweifel bei wohnen. (Das amtliche Organ des römischen Stuhles, der Ossor- vatoro Romano, hört aus dieser Erklärung smit Recht oder Unrecht?^ heraus, daß die deutsche Neichsregierung möglicherweise einem nicht legal gewählten Papste die Ausübung seines Regiments in Deutsch land streitig machen werde sdaß sich die katholische Kirche von Rom lossagen könnej — und erhebt einen furchtbaren Wuthschrei. Wir werden uns hülcn, die Verbalinjurie», die dem deutschen Reichskanzler an den Kopf geworfen werden, abzudrucken, sie gehen über alles Par lamentarische Meilen weit hinaus und sind derart, daß, wenn Bebel so etwas sagte, Simson Sturm läuten, seinen Böckum Dolffs auf- setzcn und die Sitzung schließen würde.