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Wochenblatt Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Mebmlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. ^7 12. Dienstag, den 11. Februar 1873. Tagesgeschichte. Dresden. Dem Landtage ging ein k. Decret wegen Verlegung des böhmischen Bahnhofs in Dresden zu, worin die Staatsregierung beantragt, die Ständeversammlung wolle sie 1. ermächtigen, die pro- jectirte Verlegung der sächsisch-böhmischen Staatseisenbahn vom öst lichen Ende des Personenbahnhofs bei Dresden bis jenseits Strehlen, sowie die damit im Zusammenhang stehende Umänderung des Bahn hofes auf Staatskosten ausführen zu lassen, 2. sich mit der Anwen dung des Expropriationsgesetzes auf die Erwerbung des dazu erfor derlichen Grund und Bodens einverstehen, 3. die Entnehmung der zu der Ausführung der Bahnverlegung erforderlichen 800,000 Thaler aus den verfügbaren Beständen des mobilen Staatsvermögens be willigen. Unter der Ueberschrift „Sociales Wahrzeichen" bringt der „Dresdner Volksbote" folgenden freundlichen Herzenserguß: Fast täglich liest man von Bränden, die durch Unvorsichtigkeit oder Spielerei sich selbst überlassener Kinder veranlaßt worden sind. Nun öffnet eimal eure Ohren, ihr menschenfreundlichen Manchesterapostel, Capi- talmacher, Arbciterpatrone und wie ihr sonst heißen mögt, wir wollen euern schwerfälligen Begriffen zu Hülfe kommen Nach dem ehernen Lohngesctz ist der Mann zugestandenermaßen nicht im Stande, seine Familie zu erhalten, die Frau muß mit hinaus an die Maschiene und Wcbstühle. Könnt ihr euch nun ein Bild machen, was unter- deß aus den Kindern wird? Nein, das könnt ihr nicht! Damit hat sich jene Mässe, die ihr in enren Schädeln herumschleppt, und die bei vernünftigen Menschen Gehirn heißt, nie beschäftigt. Daß die Heranwachsende Generation einer gräßlichen Entartung entgegen gehen muß, das kümmert euch nicht: axrös nou8 1s äslugs! Aber daß euch die Negierung beim Kopfe nehmen müßte, wenn die durch euer Treiben verlassenen, verwahrlosten Kinder dem Gemeinwohl gefährlich werden, das begreift ihr? — Nicht! Nun, dann werdet ihr vielleicht begreifen, wenn dies Geschlecht groß geworden und euch einst den rochen Hahn aufs Dach setzen wird!" Berlin, 6. Februar. Nach einem demBundesrathe zugegange nem Gesetzentwurf soll aus der französischen Kriegsentschädigung ein Neichsinvalidenfonds mit einer Cavitalsumme von 187 Mill. Thlr. gebildet und von einer Behörde verwaltet werden, die in Berlin ihren Sitz hat. DasGeld ist zinsbar anzulegen in Schuldverschreibungen, die auf den Inhaber lauten oder Schuldverschreibungen eines Reiches oder Staates, oder solche, die von einem Reiche oder Staate garan- tirt sind, ferner in deutschen Eisenbahn-Prioritätsobligationen, in deutschen Renten- und Pfandbriefen und in Schuldverschreibungen deutscher communaler Corporationen (Provinzen, Kreise, Gemeinden, sowie deutscher M^liorations- und Deich-Genossenschaften). Der Kampf zwischen den Schöffengerichten und Schwur gerichten wird sehr bald entbrennen. Der Justizminister Leonhardt in Preußen ist ein entschiedener Parteigänger des Schöffengerichts und hat dasselbe in den Entwurf der neuen Deutschen Strafproceß- ordnung aufgenommen. Die veröffentlichten Motive der Strafproccß- vrdnung sagen u. a.: 1) Die Strasurtheile werden in 1. Instanz nicht mehr von rechtsgelehrten Richtern allein, sondern überall unter Mit wirkung von Laien gefällt. 2) Die erkennenden Gerichte I. Instanz sind Schöffengerichte. Sie zerfallen in die großen, mittleren und kleinen Schöffengerichte. 3) Die großen Schöffengerichte treten an dle Stelle der seitherigen Geschwornengerichle. 4) Die Schöffen üben m gleichberechtigter Stellung mit den rechtsgelehrten Richtern das Nlchteramt in seinem vollen Umfang aus. 5) Gegen die Urtheile der Schöffengerichte findet keine Appellation statt. Im Kriege von 1866 haben die Festungen eine unbedeutende, iim Kriege von 1870 eine desto bedeutendere Nolle gespielt. Diese Erfahrungen haben dahin geführt, daß viele kleinere deutsche Festungen «(Minden, Erfurt, Wittenberg, Cosel, Graudenz, Colberg und Stral sund) aufgegeben, die andern dagegen, namentlich im Westen und Osten umgebaut und verstärkt werden sollen. Die Verstärkung wird bestehen in der Anlegung detachirter Forts, welche die erste Verthei- digungslinie weit vor die eigentliche Festung und Stadt hinausrückt und in der Vermehrung der Ausrüstung durch bombenfeste Caffematten und weittragende gezogene Geschütze. Zu dieser Umgestaltung werden in einem Gesetzentwurf, der dem Bundesrathe vorliegt, 68 Mill. Thlr. verlangt, für 1873 18 Mill, und für die 10 folgenden Jahre je 5 Mill. Thlr.; die Summen sollen aus den franz. Milliarden ent nommen werden. Die Festungsbauten in Elsaß-Lothringcn sind dabei nicht in Anschlag gebracht. Für Cöln sind über 9 Mill., für Mainz 922,000 Thlr., für Spandau und Küstrin je über 4 Mill., für Posen und Königsberg je 7 Mill., für Sonderburg-Düppel über 2 Mill., für Befestigung der unteren Elbe 4 Mill, und der unteren Weser S Mill., für Wilhelmshaven 10 Mill. Thlr. verlangt. Ein interessanter Auftritt hat im österreechischen Herrenhaus bei Berachung über die Lehrfreiheit der Universität stattgefunden. Baron von Lichtenfels, ein alter streng katholischer Herr, einer drr höchsten Würdenträger des Staates und Vertrauter des Kaisers, brach gegen die päpstliche Unfehlbarkeit und ihre Urheber, die Jesuiten, los. Er erinnerte den anwesenden Cardinal Rauscher daran, daß er selber anfangs ein Gegner der Unfehlbarkeit gewesen und sie in einer Schrift als einen „Hochverrath am Staate" erklärt habe. Habe sich der Cardinal auch später bekehrt, so dürfe doch der Staat die War nung nicht in den Wind schlagen. Es dürfe in den Schulen nichts gelehrt werden, was dem Rechte des Staates widerspreche, die Gren zen zwischen Staat und Kirche seien durch Gesetze genau zu regeln und den staatsgefährlichen Wühlereien der Jesuiten und Römlinge müsse scharf entgegen getreten werden u. s. w. Das Herrenhaus brach in stürmischen Beifall aus und die Wiener amtliche Zeitung veröffentlichte die Rede des Alten Wort für Wort. Durch Oesterreich ist sie gefahren wie ein Lausfeuer. Man muß sagen, daß ein Katho lik schärfer und eindrucksvoller gegen die Unfehlbarkeit und die Je suiten aussprechen kann, als ein Protestant, weil er weniger in den falschen Verdacht geräth, gegen den Katholizismus selbst zu sprechen. Paris. Das „Journal osficiel" veröffentlicht das Gesetz zur Bekämpfung der öffentlichen Trunkenheit, welches die französische Nationalversammlung im Januar zum Abschluß gebracht hat. Die Herren Grafen und 'Marquis sind perfecte Temperenzler. Jede Per son, die auf öffentlichen Plätzen, in Casos, Schenken rc. betrunken getroffen wird, zahlt eine Buße von 5 Frcs. Im Rückfalle innerhalb eines Jahres wird sie vor das Zuchtpolizeigericht gestellt und mit einer Strafe von 16—300 Frcs. und Gefängniß von 6—30 Tagen bestraft. Wer binnen 12 Monaten rückfällig wird, den trifft das Maximum der eben erwähnten Strafe. Die dritte correctionelle Ver- uxtheilung zieht den Verlust der bürgerlichen Rechte nach sich. Eine ähnliche Scala ist für die Wirthe festgcstellt, welche Betrunkenen oder Minderjährigen Getränke verabreichen. Wer von der Polizei betrunken gefunden wird, ist auf seine Kosten nach dem nächsten Ort zu führen und dort zu behalten, bis er wieder zum Verstand kommt. Das Ge setz ist in allen Wirthschaftslocalen auszuhängen und dessen Zerreißen mit 5 Frcs. Buße bedroht. Diese Bestimmungen lassen an Strenge nichts zu wünschen übrig. Nicht einmal der erste Rausch, der in Deutschland als das Kennzeichen des braven Mannes gilt, ist straf frei. Das einzig gute an dem Gesetze mußte etwa sein, daß es we nigstens eine Verjährung zuläßt, so daß nach einem Jahr die be gangene Sünde nicht mehr in Mitrechnung kommt. London. Die gegen den Danipfer „Murillo" vorliegenden Zeugenaussagen lassen kaum mehr einen Zweifel zu, daß dieser es war, der die „Northfleet" in den Grund gebohrt hat. Ferner ergiebt cs sich, daß eine Rettung nicht nur im Bereich der Möglichkeit lag, sondern sich auch ohne Schwierigkeit und Gefahr konnte bewerkstelligen lassen. Vom moralischen Gesichtspunkte aus trifft den, der das Un glück verschuldet der Vorwurf eines hundertfachen Mordes, doch da es in keinem Lande ein Gesetz giebt, welches die Vernachlässigung einer Lebensrettung an und für sich straffällig anerkennt, so wird der schuldige Kapitän wahrscheinlich blos wegen des durch ihn verschul deten Zusammenstoßes zur Rechenschaft gezogen werden können. Einstweilen befindet er sich im Gewahrsam. Wie aber der ganze Ca-