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2 nur wenig Hoffnung vorhanden, daß über die 60,000 Arbeiter bald Erlösung, d. i. Arbeit, kommen wird. Der Haß der Brodherren ge gen die Union ist sehr bitter. Sie zeigen auch nicht die leiseste Ab sicht, die Hand zur Aussöhnung bieten zu wollen, während die Kohlen arbeiter aus einem Meeting neulich beschlossen haben, den Kampf bis zum letzten bitteren Ende auszusechten. Freilich würde, wenn man alle Strikenden befragte, die bei weitem größere Zahl derselben sich für fofortige Aufnahme der Arbeit erklären. Denn man darf nicht vergessen, daß die Eisenarbeitcr, 50—60,000 an der Zahl, die zu sinken gezwungen sind, keinem Gcwerkvcrcine angehörcn und im wahren Sinne des Wortes darben. Sammlungen werden für sie in den betreffenden Bezirken veranstaltet, aber man kann sich denken, welche Summen da zusammcnkommen, wenn man erwägt, daß die Krämer während des Strikes so gut wie keine Geschäfte machen. Zum Unglück hat die bis dahin so außerordentlich milde Jahreszeit eine winterliche Strenge angenommen und man sieht nun Frauen und Kinder um Kohlen, die sie früher in Hülle und Fülle hatten, wie um das Leben kämpfen. Doch die Unionsmitglieder sind entschlossen, auszuharren; freilich, so lange die Union das Geld hergcbcn kann, und wie ost diese 7500 L. wird entbehren können, ist eine heikele Frage. Was den Geldpunkt anbetrifft, so verlieren sicherlich beide Parteien. Die Arbeiter würden, wenn sie auf die vorgeschlagene temporäre Lohnherabsctzung eingegangen wären, nicht so viel verloren haben, als dies bereits durch die Arbeitseinstellung geschehen ist, und die Brodherren würden, wenn sie bei den bisher bewilligten Löhnen verharrt hätten, sicherlich nicht solchen unermeßlichen L>chaden erlitten haben. London, 23. Januar. Das nach Australien bestimmte Emi- grantenschisi „Northfleht" ankerte letzte Nacht im Canal und wurde von einem ausländischen Dampfer nicdergerannt. Von 412 Aus wanderen und der Schiffsmannschaft wurden nur 85 gerettet. Der Name des Dampfers, welcher ohne aufzuhalten weiter fuhr, ist un bekannt. Nach einem der „Börsenhalle" zugegangcnen Londoner Tele gramme vom 23. Januar hat der oben gemeldete Zusammenstoß zwischen dem Auswandererschiffe Northflect und einem Dainpfer etwa zwei Meilen von Dungensneß statlgefunden; der Dampfer soll ein australischer gewesen sein. Aus New-Jork, 23. Januar, wird gemeldet: Der Senat in Wäshington hat eine Vorlage, betreffend den Bau neuer Corvetten für die Kriegsmarine, angenommen, wornach die Anzahl derselben bis auf 10 vermehrt werden soll. In Minnesota hat, wie von dort ein getroffene Nachrichten melden, ein heftiger Schneefall stattgcfunden. Durch die gleichzeitig cingetretene große Kälte ist eine bedeutende Anzahl von Personen umgekommen. Adresse des deutschen Protestanten-Vereins an vr. Sydow in Berlin. Hochverehrtester Herr Doctor! Seit Jahren mit Ihnen durch dieselben Gesinnungen und Bestrebungen verbunden, können wir uns nicht versagen, den Gefühlen unserer Theilnahme an der schweren Kränkung und Verfolgung, die in letzter Zeit auf der Höhe eines reichgesegneten Berufslebens Sie betroffen hat, einen Ausdruck zu geben. Daß Sie seit Monaten für die maßvolle, von tiefem sittlichen Ernst getragene Kundgebung einer Ueberzeugung, welche ihr großer Lehrer Schleiermacher als eine vollberechtigte erklärt hatte, von Ihrer vorgesetzten kirchlichen Behörde zur Verantwortung gezogen worden waren, war eine in dem Lande, in welchem das deutsche Volk den Hort freien protestantischen Geistes erkennt, unerhörte Erscheinung. Allein an die Möglichkeit einer Verurlheitung, einer Amtsentsetzung konnte Niemand glauben. Umgeben von einer in inniger Anhäng lichkeit um Sie geschaarle Gemeinde, hochverehrt von Männern und Frauen, die Sie in einer glaubcnsverwirrten Zeit zu Christo geführt und im Glauben au ihn befestigt hatten, ergraut im Dienste der Kirche, der Sic von Jugend auf Ihre ganze Kraft gewidmet, geehrt von Ihrem Könige, geachtet von Ihren Mitbürgern, mild im Urtheil, rein im Wandel, das ächte Bild eines Hirten, wie die christliche Ge meinde ihn gegenwärtig bedarf, glaubten wir Sie gegen ein Verfah ren gesichert, wie cs in Ihrer neulich vom Consistorium der Provinz Brandenburg beschlossenen AmtScntsctzung vorliegt. Noch hallen wir Lie Ansführung des Beschlusses für unmöglich. Preußen, durch wunderbare Waffcnersolge an die Spitze Deutschlands gestellt, kann seine mächtigste Waffe, die Freiheit des Geistes, vor der seine Feinde am meisten zittern, nicht mit eigner Hand zerbrechen. Aber die bloße Thatsache, daß ein solcher Beschluß gefaßt werden konnte, rust Schmerz und Entrüstung hervor. Nur eine Stimme des Un willens hallt unter allen deutschen Stämmen wieder. Jetzt erst er kennen wir recht, wie weit das protestantische Kirchcnthum von dem protestantischen Geiste abgeirrt ist, und welche Anstrengungen unser Volk zu machen hat, um die protestantische Kirche an Haupt und Gliedern zu erneuern. Sic, hochverehrter Herr Doctor, sind uns seit Jahren in diesem Kampfe für die höchsten Güter unseres religiösen Lebens vorangegangen. Sie haben nicht nur gegen den Jrrlhum gestritten, sondern auch am Tempel der Wahrheit gebaut. Sic Haven nicht nur mit der Fackel der Kritik in das Dunkel der Vergangenheit geleuchtet. Sie haben auch das gegenwärtige Geschlecht mit dem heil. Feuer Ler Ncligiou erwärmt. Mit diesen! Ausdruck unserer Theilnahme sprechen wir Ihnen im Namen von Tausenden hierfür unsern Dank aus. Das Urtheil über Ihre Richter überlassen wir der Nachwelt. Sie tragen Ihren Lohn in Ihrem eignen Herzen und in dem Bewußtsein, daß der Tag nicht mehr fern ist, an dem die Saat, die Sie ausgestreut haben, fröhlich aufgehen wird. Heidelberg. Der Ausschuß des D. Protestanten-Vereins. Am Scheidewege. Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Der junge Stahl war ans Fenster getreten und hatte die bren nende Stirn an die kalten Scheiben gelehnt. Mit zerstreuter Miene hörte er auf das Geplauder seines Freundes und erst bei der letzten Frage schreckte er auf und nickte nur mit dem Kopfe. Hermann warf sich nachlässig in einen Stuhl und begann, zier lich seinen etwas röthlich schimmernden Schnurrbart drehend: „den Grafen habe ich Dir schon beschrieben; er ist aufbrausend und heftig und verträgt keinen Widerspruch: aber wer ihn zu behandeln weiß, kann ihn um den Finger Wickeln.— Die Gräfin ist —doch die mußt Du ja kennen", unterbrach er sich selbst und richtete sein volles ehr liches Auge dem Freunde zu. Rudolph fühlte die dunkle Röthe, die sein Gesicht überzog; ver geblich suchte er sie niederzukämpfen, nur seiner Stimme war er noch Herr und er entgegnete ziemlich fest und ruhig: „Erzähle itymer — es liegen Jahre zwischen unserer Bekanntschaft." Dem Leibjäger war völlig die Bewegung seines Freundes entgangen. „Nun, von der Gräfin ist nicht viel zu sagen," fuhr er fort und lehnte sich noch be quemer im Stuhl zurück: „sie ist sanft und gutmüthig und verwirrt nichts. An ihr wirst Du freilich keinen großen Rückhalt haben. Mit den beiden Jungen mußt Du sehen, wie Du fertig wirst, der älteste ist ein stiller Junge — „die Schlafmütze" nennt ihn der Graf, der jüngste aber ist ganz der Vater und auch dessen Liebling; aber er ist noch eigensinniger wie der Graf. Wenn Du dem Jüngsten etwas durch die Fiugcr stehst, dann hast Du vollends beim Grafen gewonnen Spiel!" „Nein, des werde ich nicht!" entgegnete Rudolph fest, in dem sich der Erzieher zu regen begann. — „Wenn er seinen Dichterträumen nun einmal Lebewohl sagen mußte, dann wollte er sich auch seiner neuen Aufgabe mit aller Entschlossenheit weihen. Wolf blickte seinen Freund verwundert an und sagte mit bedenklicher Miene: „Ja, lieber Freund, dann sag' ich Dir im Voraus —" er stockte und wußte nicht, wie er schonend seine Gedanken ausdrücken solle. Rudolph verstand ihn schon: er trommelte leise mit den Fingern auf der Fensterscheibe herum und entgegnete ruhig: „Daß ich nicht lange Hauslehrer des Grafen von Dornhof sein werde, jwillst Du sagen: aber ich wrrde dennoch den Eigensinn dieses Knaben brechen." Ans dem Gesicht des jungen Dichters war jeder träumerische Aus druck verschwunden — es zeigte jetzt beinahe eine gewisse Härte. Der LeibjSger schüttelte mit dem Kopfe, er wollte das ihm unan genehme Gespräch abbrechcn und sagte ausstehend: „Komm lieber Freund, laß uns heut noch eine Wanderung durch die Hauptstadt machen. Ich will die paar Stunden benutzen, morgen Abend hocke ich schon wieder auf unserm stillen Dorfe." Die Freunde wollten nüt einander das Zimmer werlassen, da trat die Mutter wieder herein. Sie richtete einen ängstlich fragenden Blick auf ihren Sohn, aber ehe dieser antworten konnte, begann schon der Leibjägcr mit seiner kräftigen, etwas lauten Stimme: „Fangen Sie immer an zu packen, liebe Frau Stahl, morgen geht es fort." „Wirklich!" rief sie erfreut, die bis zum letzten Augenblick ge zweifelt hatte. Grade diese Freude schnitt dem jungen Dichter in's Herz: es klang fast bitter, als er jetzt sagte: „Ich habe wirklich die Stelle angenommen und nun wirst Du gewiß mit mir Zlffrieden sein." Er j sah seine Mutter mit einem traurigen Blick an und ohne ihre Ant wort abznwartcn, eilte er hinaus. Wolf steckte seinen Arm unter den des Freundes und schlenderte mit ihm die Dorfstraße entlang. Er achtete nicht auf die Schweig samkeit seines Begleiters, in ihm tobte die Freude, die Residenz wiedcrzusehen und in seiner glücklichen, übcrmüthigcn Stimmung er schien ihm selbst das ernste, düstere Antlitz des Freundes heiter und fröhlich.' Es giebt Menschen, die nur immer die Welt in demjenigen Lickte sehen, das ihre eigene Seele ausgestrahlt hat. Nach einer kurzen Wanderung bemerkte der Leibjägcr einen Omnibus, der eben von seinem Stationsorte sortfahre wollte. Er rief ihm schon von weitem ein krästigcs „Halt" zu und machte so lange Schritte, daß ihm der Freund kaum zu folgen vermochte. Einige Augenblicke später rollten die Freunde der Residenz zu. Jetzt erst entfaltete sich die ganze Natnrfriscke des wilden, lustigen Gesellen. Je großartiger sich das Wogen und Treiben der Hauptstadt vor ihnen aufthat, je heiterer wurde Wolf. Die Luft der großen Stadt schien förmlich berauschend auf ihn zu wirken. Er hatte für Alles Augen, freute sich über die großartige Veränderung, die seine Vaterstadt'während seiner langen Abwesenheit erfahren, und war noch glücklicher, wenn er auf alte bekannte Dinge stieß, au denen die Zeit spurlos vorübcrgegaugen war.. Selbst die plumpen AnschlagesLulca sanden in seiner Begeisterung für die Vaterstadt die vollste Anerkennung.