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252 Engel" war ein gewandter, vielseitig gebildeter und höchst unterhaltender Mann, die Hausfrau, noch jung und hübsch, hielt Alles im besten Stande, führte eine gute Küche, und war ohne Koketterie von jener harmlosen Herzensgüte, welche edlere Männer an Frauen so entzückt. Stundenlang saß Otto in dem behaglichen, warmen Fremdenzimmer, Zeitungen lesend oder mit dem lustigen 'Knaben des Hausherrn spielend. Eines Tages war die Mittagstafel reicher als gewöhnlich, viele Fremde speisten da, meistens Kauf leute, welche durchreisten, um die große Breslauer Wollmesse zu besuchen. Otto gegenüber saßen zwei junge Männer, welche ihm aufsielen. Der eine durch die Schönheit seines noch ganz jugendlichen Antlitzes, der andre durch ein Gesicht, aus welchem für den Pkysiogno- miker Schlauheit, Sinnlichkeit und Herzenskälte sprachen; der oberflächliche Beobachter mußte ge stehen, daß der Herr nicht gerade häßlich, nach der neuesten Mode gekleidet war, und der Kenner von Juwelen, daß s ine Tuchnadel und der Ring, den er am rechten Zeigefinger trug, Tausende werth sein konnten. Die beiden Herren sprachen von Geschäften. Der jüngere bemerkte lächelnd, daß Herr Willing, so ward der andre genannt, sicherlich seiner reizen den Braut viel Schönes aus Breslau mitbringen würde und sragte, wann die Hochzeit sein solle. „Ich denke im November", entgegnete Willing, „da wird mein Bräutchen gerade achtzehn Jahre alt, im Winter mache ich auch keine Reisen und kann die Flitterwochen genießen." Balo nach diesen Worten stand er auf, zahlte rasch seine Rechnung und eilte, um, wie er sagte, den Schnellzug nicht zu versäumen. Der Hausherr, welcher nicht fern saß, wandte sich jetzt Mll der im höflichsten Tone ausgesprochenen Frage an den jungen Mann: „Wertder Herr Beckmann, wer ist denn die Braut dieses Herrn?" „Fräulein Goldhaar aus Danzig", war die Antwort. Der Wirth schüttelte den Kopf und murmelte: „Armes Mädchen!" „Goldvaar?" rief Otto, /,ein seltener Name, ich habe ibn nur einmal gehört." „Das Fräulein verdient ihn nicht, denn sie bat braune Locken, kein Goldbaar und ich glaube bei ihrem Vater ist wenig Gold zu finden, der Mann ist wacker, lhätig, intelligent, aber er hat kein Glück." „Und Herr Willing heirathet ein armes Mäd chen?" warf gedehnt sprechend, Herr Lukas, so hieß der Hausherr, dazwischen. „Warum nicht? Herr Willing ist sehr reich, das Fräulein geistvoll, anziehend, schön und unbe scholten. Für ihn ist es sogar gut, wenn man ihm nachsagt, daß er das Lied singt: „Was frag' ich viel nach Geld und Gut, „Wenn ich zufrieden bin!" „Wie ist der Taufname der jungen Dame?" fragte Otto. „Die Verlobungskarte nannte sie Constanze." „Ob-sie diesen Mann lieben mag?" sagte mehr zu sich selbst als zu den Andern der Doctor Franke. „Ha, das würde ich auch fragen", äußerte der Engelwirth, kennte ich Herrn Goldbaar nicht. Er hat bei mir zweimal gewohnt, ist jedesmal in Ge schäften acht Tage hier geblieben, einmal hatte er die Tochter bei sich. Es war schön, diese beiden Menschen zu sehen, durch Bande der innigsten Liebe verbunden. Herr Goldhaar ist nicht der Mann, seine einzige Tochter zu einer Heirath zu zwingen oder zu bereden!" Als die Tafel aufgehoben war ging Otto, ganz gegen seine Gewohnheit, ohne seine Tasse Kaffee zu trinken, in sein Zimmer. Lange saß er oa, in Träume versenkt. Die Bilder einer schöneren Ver gangenheit zogen an seiner Seele vorüber, er sah sich, bestrahlt vom goldenen Sonnenlicht, in dem anmuthigen Garten, in der befreundeten Familie, er erinnerte sich des Tages, wo er Constanzen ge rettet hatte. Wozu gerettet? Daß sie die Gattin eines gemeinen Menschen werde sollte? Konnte sich dieses poetische, edle Kind, in ein berechnendes, genußsüchtiges Mädchen verwandelt haben? Kaum denkbar! Wenn ihr Vater wirklich ver armt war, wenn sie sich opferte, verkaufte! Otto's Augen wurden feucht. Er sprang auf und ging mit raschen Schritten auf und ab. „Ich muss sie sehen, sprechen, ebe sie diesen Schritt thut. Aber wozu soll ich sie sehen? Viel leicht, nachdem ich idr Jahre lang in ruhiger Freund schaft zugethan war, mich durch ihre reizende Er scheinung bezaubern lassen?— Nein! Goldhaar ist ihr Vater, ein verständiger, achtbarer Mann, er muß wissen, was er zu thun hat." Dennoch ging Otto Abends wieder in den Speifesalon, setzte sich zu Herrn Lukas und sragte ihn nach Herrn Willing aus. „Hm, lieber Herr Doctor", entgegnete der Ge fragte, „ich will nichts gegen einen Mann gesagt haben, der seit Jahren bei mir logirt, so oft er durchreist, allein zu Ihnen sage ich, der Mann würde einen sehr wunderlichen Ruf haben, wäre er nicht reich, gäbe er nicht brillante Gesellschaften und besäße er nicht eine fabelhafte Schlauheit. Er hat schon Sachen gemacht — na, sie haben ihm nicht können hinlänglich bewiesen werden, damit ist Alles gesagt. Eine große Erbschaft hat er kürzlich angetreten, die nächsten Verwandten des Erblassers gingen leer aus, aber das Testament war ohne den geringsten Formfehler, also nicht umzustoßen. Es war freilich sehr befremdend, daß der alte Mann, welchen Herr Willing beerbte, mit seinen Neffen und Nichten bis zu seiner letzten Stunde im besten Einvernehmen lebte, und ihnen gar nichts hinter ließ als einige werthlose Gemälde, man flüsterte von bestochenen Zeugen, denn das Testament war von einem Juristen, nicht von dem Testator selbst aufgesetzt, allein — es ward nichts bewiesen. Herr Willing nahm das Geld, kleidete Altar und Kanzel neu, sandte den Spitälern tausend Thaler und zeigte