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75 Wie uns aus sicherer Quelle mitgetheilt wird, und wie unter jetzigen Verhältnissen vorauSzusehrn war, hat die König!. Regierung von dem Bau eines neuen Gerichtsamtsgebäudes in Wilsdruff vor der Hand abgesehen. Die neuen Militäreinrichtungen nehmen die Staatsmittel so in Anspruch, daß auf jedem andern Gebiete die Ausgaben auf das Noth- wendigste beschränkt werben müssen. — Wie wir hören, behalt Wilsdruff nicht nur seine bisherige Garnison, sondern es verlautet auch, daß der Stab d.s Uhlanenregiments, in welches das Gardereiterregiment umgewandelt werden soll, hierher zu liegen kommt. Man bezeichnet bereits den Oberstleutnant v. Miltitz, bisher in österreichischen Diensten, als künftigen Commandeur desselben. — Bei der am Montage hier stattgefundenen Re- krutirung kamen 144 Mann zur Gestellung. Hier von wurden 53 für tüchtig, 71 - untüchtig, 18 - untermäßig, 1 . zur Zeit untauglich befunden, 1 wurde als Ernährer zurückgestellt, uts. Außerdem konnte sich ein Mann Krankheit- halber nicht gestellen und ein Mann war kurz vor der Stellung gestorben. DaS Betragen der Re kruten war im Allgemeinen gut, die Furcht vor massenhafter Aushebung mochte den jungen Leuten in die Glieder geschlagen sein. — Am Fastnachtsdienstage ist in unserm Nachbak dorfe Kaufbach beim Gutsbesitzer Schumann in den Abendstunden zwischen 8 und 10 ein frecher Einbruchsdiebstahl verübt worden. Die Diebe haben aus der Scheune eine Leiter geholt, sind auf dieser in die Oberstube gestiegen, haben aus einer dort stehenden Eommode, die sie aufgebrochen, 90Tblr. in Silber und Papier und aus der Stube eine Wurst entwendet, dagegen eine zweite Wurst und die andern freiliegenden Effekten unberührt gelassen. Zu ihrer Sicherheit haben die Diebe eine Waschleine am Fenster befestigt, damit sie im Entdeckungsfalle an dieser herunterglciten konnten, die Leine war scharf zugezogen und glaubt man, daß sie auf die sem Wege den Rückzug angetrcten haben; unten angekommen haben die Diebe die Leine, soweit sie erreichbar, abgeschnitten. Also vorgesehen und das Eigenthum nicht ohne sichern Gewahrsam gelassen! Die Giftmischerin von Lyon. Aus den Papieren eines Polizisten. Novelle v. W. Anthony. „Es war im Sommer des Jahres 1824 als bei dem Polizeidirector Murisson, meinem Chef, von mehreren Familienvätern Lyons die Anzeige gemacht wurde, daß auf eine völlig räthselhafte Art Knaben in dem zartesten Alter ihren Aeltern ent rissen seien. Man hatte nicht den geringsten Finger zeig für dir Ermittelung dieses rathselvollen Raubes, der sich alsbald von Woche zu Woche wiederholte und die ganze Stadt in Aufruhr und Schrecken versetzte. Vergebens war die größte Borficht der Eltern, umsonst alle Recherchen der Polizei, erfolg los eine Preisausschreibung von fünftausend Frank für Denjenigen, der auf die Spur des Knaben räubers führen könne. Auffallend erschien es, daß nur die schönsten und zugleich die kräftigsten Kinder männlichen Geschlechtes ein Opfer jenes frevelhaften und geheimnißvollen Verbrechers wurden, der sein scheußliches Unwesen trotz der allgemeinsten Auf merksamkeit noch immer fortsetzte. Etwa ein halbes Dutzend Kinder — sämmtlich Knaben — waren auf diese unerklärliche Art verschwunden, als mich der Polizeidirector eines Tages in sein Privatcabinet entbieten ließ. Ich bemerke, daß ich dazumal noch eine sehr untergeordnete Charge und zwar bei der geheimen Polizei einnahm, die unter dem Ministe rium Decazcs bekanntlich weithin anderes zu thun hatte, als sich um geraubte Kinder zu bekümmern. „Sie haben sich durch Ihre Umsicht und durch Ihren Scharfblick", so redete mich Herr Murisson an, als ich mit tiefem Compliment in seinen luxuriös ausgestatteten Salon trat, „bei verschiedenen kleinen Affairen so ausgezeichnet, daß ich Ihnen mein volles Vertrauen schenken kann in einer Angelegenheit, die seit Kurzem unsere Stadtväter in Angst versetzt und die nicht durch öffentliche Recherchen meines Corps zu enthüllen ist. Ich habe Ihnen eine längere Dispens aus Ihrem Ressort erwirkt. Sie stehen fortan direct und allein unter meinem Befehl. Da Sie erst seit Kurzem hierher dirigirt sind, kennt man Sie noch wenig, zumal Sie in Ihrer Civilkleidung und in Ihrem ganzen Wesen Niemandem den Ver dacht einflößen, als gehörten Sie zur Polizei!" Herr Murisson lächelte bei dieser Phrase eigen- thümlich in sich hinein und ich verneigte mich für ein Compliment, daS mir von einem Polizeidirector am unerwartesten kam. „Die Polizisten in Uniform belagern umsonst die Institute und Schulhäuser", fuhr mein Chef fort, „die Dienstboten begleiten die Kinder verge bens auf Schritt und Tritt. Das Elternauge wacht ohne Erfolg. Ihre Aufgabe ist schwierig, aber der Lohn wird nicht auf sich warten lassen. Was Sie etwa für Ihre besonderen Pläne brauchen sollten, steht zu Ihrer Disposition!" Damit verabschiedete mich mein Chef, indem er mir an der Thür noch zuricf, daß er persönlich überzeugt sei, diese schwierige Angelegenheit den sichersten Händen anvertraut zu haben! Auch ohne dieses Compliment wäre mein Ehr geiz auf's Höchste angespornt worden und obschon ich die große Schwierigkeit meines Auftrages keines wegs unterschätzte, durchglühte mich eine eigenthüm- liche Freude. Abgesehen von der unausbleiblichen Belohnung und Chargenerhöhung war mir Gele genheit geboten, allen Familien der guten Stadt Lyon einen wesentlichen Dienst zu leisten und für die ihrer Lieblinge beraubten Mütter Gewißheit an die Stelle der durch die immer noch aufflackernde Hoffnung genährten Zweifel zu setzen. Ich eilte nach Hause, um dort in aller Still« zu überlegen, wie die schwierige Aufgabe zunächst 10*