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20 Der griechisch-türkische Streit. Die Veranlassung zum Zerwürfnis zwischen Griechenland und der Türkei ist die Insel Kreta. Die Insel Kreta oder Kandia steht unter türkischer Botmäßigkeit, die Kretenscr aber suchten sich in den letzten Jahren durch einen Aufstand von der türkischen Herrschaft zu befreien, und die Einwohner Griechenlands waren ihnen dazu be hilflich. Die Türkei fordert in ihrem Ultimatum vom 10. v. M. von der griechischen Regierung die Garantie, daß die Einwohner Grie chenlands sich nicht mehr an der Befreiung Kretas betheiligen würden. Die griechische Regierung verstand sich nicht zu dieser Garantie. Um den Ausbruch des Krieges zwischen der Türkei und Griechenland, aus welchem möglicher Weise ein allgemeiner europäischer Krieg werden könnte, zu verhüten, soll der Streit auf der Conferenz zu Paris, au welcher die bei dem Pariser Friedensvertrag von 1856 betheiligten Mächte (Frankreich, England, Rußland, Preußen, Oestreich, Italien und die Türkei) vertreten sind, beigelegt werden. Es fragt sich, ob die Conferenz den Streit beizulcgeu im Stande sein wird. Wenn ihr dieses aber auch für den Augenblick gelingen sollte, so würde der Zwiespalt zwischen der Türkei und Griechenland doch früher oder später wieder hervortreten. Und dieß würde um so mehr zu erwarten sein, wenn die Entscheidung der Conferenz haupt sächlich darin bestehen würde, daß auf einseitige Weise nur Griechen land zur Nachgiebigkeit gezwungen werden sollte. Die öffentliche Meinung in Rumänien (Moldau und Walachei), Serbien rc. steht auf der Seite Griechenlands, und Rußland ist nach wie vor durch die Verhältnisse sein natürlicher Bundesgenosse. In der europäischen Türkei ist die christliche Bevölkerung sehr stark vertreten. Diese christliche Bevölkerung, deren Bildung eine europäische ist, lehnt sich mit ihren Interessen an das Königreich Grie chenland an, die türkische Regierung aber, deren Character schon an sich ein asiatischer ist, hat auch ihren Schwerpunkt in Asien. Soll dem europäischen Element der christlichen Bevölkerung in der Türkei gegenüber die türkische Herrschaft in Europa fortbestehen, so muß die türkische Regierung den europäischen Provinzen der Türkei eine in der Verwirklichung des PrincipS der Selbstverwaltung bestehende Ver fassung gewähren. Versteht sich die türkische Regierung nicht dazu, so wird die an ihre europäischen Bundesgenossen sich anschließende, und mit der Zeit immer mehr erstarkende christliche Bevölkern ng der Türkei die türkische Regierung immer mehr, aus Europa nach Asien zurückdrängeu. (H. Dztg.) Ein Eisenbahnbau. Skizze aus jüngstvergangener Zeit von Ludwig Habicht. Welch' gewaltige Welt und Leben umgestaltende Wirkungen Ei senbahnen hervorgebracht haben, ist schon vielfach erörtert worden. Die Welt fliegt damit fernen unbekannten Gegenden zu. Wir ar men Jetztlcbenden können uns nur in dem Anfang einer neuen Epoche noch nicht zurechtfinden. Der Eine erblickt in diesem großartigen Weltverkehr den Untergang alles Dessen, was uns erhaben schien md wünschenSwexth, er sicht ein Herabsinken der ganzen Menschheit ,u tieferer Stufe und in diesem fieberhaften Eisenbahn-Verkehr liegt hm die Quelle aller jener socialen Gebrechen, die an der Menschheit lagen, liegt ihm die Ursache jenes heillosen Materialismus, der die Leister abnutzt, verflacht und in den Staub wirft. Der Andere zlaubt in allem diesen nur den Keim einer neuen Cultur-Periode zu mden, die in ihrer Fülle und Großheit alle bisherigen weit über ragen wird. In allen denkenden Zeitgenoffen aber regt sich die -chmerzliche Ahnung, daß wir nur die Bahnbrecher einer neuen Zeit md daß, wenn sie endlich hereingcbrochen, wir und unser Andenken ängst in Staub zerfallen. Das ist das Tragische unseres Geschicks, ?aß wir an dem großartigen Bau einer neuen Zeit mit allen unse ren Kräften zimmern, während wir mit unseren Füßen noch in Schutt und Asche stehen und Schutt und Asche auf unsere Häupter regnet lind uns und unsere Zeit begräbt. . . Doch ich will nicht den ungeheueren Umwälzungen nachspüren, die unsere Eiseilbahnen auf der harten Erdscholle und im weichen Menschenherzen verursachten, ich will nur in schwachen Umrissen die mannichfaltigen Veränderungen schildern, die schon der Bau dieser alles fortstoßenden Bahnen hervorbringt. Vor wenigen Jahrzehnten war der Ball einer neuen Eisenbahn noch ein Ereigniß, das Millio nen Hände und noch mehr Herzen in Bewegung setzte. Der Bau der kleinen Eisenbahn von Löbau nach Zittau war soeben von der Regierung bewilligt worden und damit war schon zwischen den beiden Städten ein Faden gezogen, an den sich das Wohl und Wehe Tausender knüpfte. Noch saßen die Directoren wie Macbeths Hexen um den Zau- bcrkessel, aus dein eine neue Bahn mit Blitzesschnelle emporsteigen sollte und schon berauschte der Dampf davon die Köpfe der Umsteh enden und bald war alles in eine Zauberwolke eingehülll — in die des Aktienschwindels. — Alles zeichnete — vom ärmsten Tagearbei- tcr bis zum Fabrikbesitzer hinauf, von der Geheimen Ober-Landes- Gerichts-Räthin bis zum Stubenmädchen hinab, und die Stadt war im förmlichen Aufruhr. Jeder fühlte sich unglücklich und zerknirscht, der nicht wenigstens 1000 Thlr. gezeichnet, selbst wenn er nicht ei nen Pfennig in der Tasche halte. Die Bahn wird eine der einträg. lichsten werden, hat das wohlweise Directoriuin verkündet, denn sie läuft nur durch Flachland, hat wenig Flüsse zu überbrücken und 12 bis 20 Prozent Dividende lassen sich mit größter Sicherheit erwarten. Da sind die glänzendsten Einnahmen gesichert, und wer nur ein klei nes Kapital hat, kann jetzt die Hände in oen Schovß legen und von seinen Renten leben. In wenigen Tagen stehen Millionen auf dem Papiere und nuu beginnt erst das eigentliche Wettrennen um Aktien. Die Papiere steigen fabelhaft rajch, wie der Barometer bei schönem Wetter und je mehr man sehnend die Hände nach ihnenausstreckt, je mehr scheint sie ein neckischer Wind in die Höhe zu treiben; freilich ist es nur ein Wind, der später kalt und eisig Manchem um die Nase geweht hat. — Einige Tage später, und die nur 100 gezeichneten Aktien stehen auf 115. Jetzt dämmert in Jedem die Ahnung auf, daß hier eine unerschöpfliche Goldgrube entdeckt worden und der Erwerb von eini gen Aktien genügt, um für immer ein sorgenfreies, glückliches Leben zu führen. Der Kaufmann Herrmann Schmidt hat sich zuerst über den Bau dieser Bahn lustig gemacht, das Ganze als eine schlechte Spcculation bezeichnet, bei der sich ein kluger Geschäftsmann nicht betheiligen dürfe; er hat auch über die Zeichnungen seiner Freunde gespottet und ihnen harte Verluste angekündigt und nun muß er zu seinem Entsetzen gewahren, daß die angezweiseltcn Aktien immer höher stei gen und er ein Thor war, der sich einen prächtigen Gewinn hat entgehen lassen. Der arme Mann ist jetzt in Verzweiflung, ein Schwin del erfaßt ihn, er sieht schon im Geist die Aktien zu einer unerreich baren Höhe steigen und schon jetzt sind alle Papiere in festen Hän den. Niemand mag trotz des höchsten Angebots verkaufen. Uno was das Unglück des Kaufmanns noch erhöhen muß — sein ganzes Haus ist im Besitz von Aktien, fein Commis, seine Köchin, ja selbst sein Hausknecht. Niemand giebt seinen beredten Vorstellungen Gehör und verkauft ihm den kleinsten Antheil. Schmidt ist ein kleiner bewegli cher Mann, seine Augen sind überall, sie lächeln den Kunden zu und sehen dann schon wieder das auf der Erde liegende Streichhölzchen. Er weiß, er sieht Alles, noch niemals haben ihn seine Berechnungen getäuscht — stets ist der Kaffee aufgeschlagen, wenn er vorher be deutende Einkäufe gemacht hat, nun mußte ihn zum ersten Mal ein solch schrecklicher Schlag treffen und ihm die Gelegenheit entgehen, sich zum Kommerzienrarh aufzuschwingen. Dies war der stille Ehrgeiz des kleinen Mannes, der mit Nichts angefangen hatte, aber mit bie- nenhaftem Fleiße und rastloser Umsicht sich schon ein hübsches Ver mögen erworben. Als er noch einmal seinen Kommis darauf auf merksam gemacht hatte, daß ein kleiner sichrer Gewinn besser sei, als ein großer unsichrer, und das Geheimniß der ganzen kaufmännischen Wissenschaft in einem raschen, vonheilhaften Umsatz bestehe, und der Kommis gegen alle diese Vorstellungen taub blieb und lächelnd ver sicherte, daß er die Aktien nnter keinen Umständen verkaufen wolle, da vermochte Schmidt nicht länger seine Wuth zurückzuhalten, er konnte in seinem Geschäft einen Menschen nicht brauchen, der die Un verschämtheit hatte, Aktien zu besitzen, und die noch größere, sie um keinen Preis loSzufchlagcn. Schmidt kündigte seinem herzlosen Kom mis und dieser zog vor, lieber seine Stelle, als seine theuern Aktien aufzugeben und hielt sie beim Scheiden jubelnd mit den Worten in die Höhe: „Was brauch ich ihren lumpigen Gelullt, ich kann von meinen Renten leben." Je weniger cs dem guten Schmidt gelang, in den Besitz von Aktien zu kommen, je mehr steigerte sich sein Ver langen darnach — seine Freunde, denen er die höchsten Angebote machte, verhöhnten ihn und erinnerten ihn an seine frühern Prophe zeiungen. Schmidt war in Verzweiflung und in solchen Lebenslagen scheut man vor nichts mehr zurück. Er wußte, daß selbst sein Haus knecht 2000 Thaler gezeichnet hatte, nun ließ er alle Minen springen, um wenigstens in Besitz dieser Papiere zu kommen. Anfangs suchte er durch sanfte Vorstellungen das steinerne Herz seines Hausknechts zu erschüttern, vergebens. „Gew mer der Appel, kriß do de Ketsch (Kern)," erwiederte stets der handfeste Rheinländer in seiner Kötni- nischen Mundart und blieb dabei, die Aktien zu behalten. Schmidt konnte leider den Hausknecht nicht so leicht entbehren; er war seit Jahren im Geschäft und ein anstelliger Bursche; der unglückliche Kaufmann richtete jetzt sein Augenmerk auf seine Köchin, die sich ebenfalls im glücklichen Besitze von Aktien befand. Die Köchin konnte wohl 30 Jahre zählen, bereits zeigte sich ein schwacher Flaum auf ihren Lippen — aber man konnte sie doch nicht häßlich nennen. Sie war voll und blühend, nur etwas zu groß, denn sie überragte um einen Kopf ihren Herrn. Schmidt war auch hier Anfangs mit seinen Bitten und Vorstellungen nicht glücklich; die Köchin stand unter dem Einfluß des Hausknechts, mit dem sie ein stilles Verlöbniß eingegan gen war und zeigte deshalb dieselbe Hartnäckigkeit, ihre Aktien zu behalten. Herr Schmidt griff jetzt im unwiderstehlichen Drange nach Aktien zu einem verzweifelten Mittel; er bot der Köchin feine Hand an. Auguste hielt Anfangs die Werbung ihres Herrn für einen Scherz, doch Schmidt war so eifrig, so feierlich, sie konnte an dem Ernst seiner Absichten nicht mehr zweifeln. Als die VcrlobungSringe ge wechselt wurden, machte Schmidt seiner Braut den Vorschlag, ihr für die Aktien vorläufig so viel baares Geld zurückzugeben, als sie ein gezahlt habe, damit sie sich die nöthigc Ausstattung beschaffen könne. Auguste hatte jetzt kein Arg, sie brachte freudig ihrem Bräutigam die Scheine und würde nicht einmal das Geld genommen haben, wenn es ihr nicht Herr Schmidt aufgedrungen hätte. — Der Hausknecht war außer sich über die Treulosigkeit seiner Geliebten; er sagte ihr geradezu, sie würde von ihrem Prinzipal hinters Licht geführt wer den. Auguste lächelte dazu; sie war so sicher, so glücklich; aber Herr Schmidt zögerte mit dem Aufgebot und auf ihre nicht undeutlichen Anspielungen vertröstete er sie stets damit, daß er erst seine Woh nung glänzender einrichtcn und für seine junge hübsche Frau noch einige Zimmer ausbauen müsse. — Endlich ging der heirathslustigen Köchin die Geduld aus; sie drang ans eine Entscheidung und jetzt entlarvte sich Herr Schmidt, er wolle nur einen Scherz gemacht ha ben und von einer Hcirath nichts mehr wissen. Auguste war der Verzweiflung nahe; sie hatte es sich so süß, so schön geträumt, ein-