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Das Turnen scheint neuerdings in der norddeutschen Bundes armee eifriger denn ;e betrieben werden zu sollen. Wenigstens geht das aus einem vorliegenden Bericht über die Militär-Central-Turnanstalt zu Berlin hervor, der folgende Angaben enthält. Im letzten Jahre haben gegen und in diesem über 100 Privat-Anmeldungcn zum Ein tritt in die Anstalt stattgefunden. Die Militairabtheilung umfaßt für den gegenwärtigen Winter-Offiziercursus 57 Offiziere, worunter sich 3 sächsische, 2 badische und 2 Hessen-darmstädtische befinden. Der Frühjahrs-Unteroffiziercursus ist jetzt auf 172 Unteroffiziere festge setzt worden, während sich bisher demselben nur 82, und früher so gar nur 57 zugetheilt befanden. Wieder ein Krieg aus und zwar ein recht unnützer und bedauer licher. Der Preuß. Landtag hat 7800 Thlr. bewilligt, damit drei neue Stellen im Obertribunal geschaffen werden; der Minister,hat dafür zugesagt, daß nie mehr Hilfsrichtcr beschäftigt werden und zugestanden, daß die Würde des Obcrtribunals durch die HUfsrichtcr erheblich gelitten habe. Im Versöhnungseifer wurde auch ein Ober staatsanwalt bewilligt. Der Magistrat von Marienburg in Preußen kann unmöglich ein Freund der Lehrer sein. Diese hatten bei ihm ein Gesuch um Verbesserung ihrer Stellen cingereicht, weil die Lebensmittel so theuer wären, die Brennmaterialien noch theurer und die Lehrer in Danzig nnd Königsberg sich besser ständen. Zwei Tage darauf erhielten sie den Bescheid, daß ihre Bitte nicht gewährt werden könne und daß ihnen anhcimgestellt bleibe, sich in Danzig oder Königsberg eine Stelle zu suchen. Am Schluß heißt es wörtlich: „Den Stempel zu Ihrem Gesuch zu 5 Sgr. und zu diesem Bescheid mit 15 Sgr., zu sammen 20 Sgr. haben Sie binnen 8 Tagen bei Vermeidung der Exemtion hier einzuzahlen. Die Erdbeben rücken näher. In Darmstadt verspürte man am 13. Jan. um Mitternacht einen Stoß, der 6 Secunden anhielt, die Fenster klirrten, die Thüren zitterten und das ganze Haus bebte; der Stoß (eigentlich 3 Stöße) ging von Süden nach Norden. Auch in Frankfurt :c. spürte man die Erschütterung. Nordhausen, 16. Jan. Gestern Abend um 9 Uhr ist in dem Eisenbahnlunnel zwischen Ellrich und Walkenried, zwischen dem Idel und Bondel, ein gräßliches Unglück passirt. Es waren da eine große Zahl von Arbeitern eben mit ihrem Abendessen beschäftigt, als sich in dem Gebälk ein Knistern und Knattern vernehmen ließ, dem bald Geröllc in großen Massen nachfolgtc. Einer Anzahl der Arbeitenden gelang cs, sich noch vor dem vollständigen Zusammensturze zu retten, aber 17 Personen werden heute vermißt und sind jedenfalls von dem massenhaften Erdreich, welches herunter gestürzt ist, so begraben, daß an Rettung nicht zu denken ist. Ein sachverständiger Augenzeuge theilt mit, daß der Schutt vor 4 Wochen nicht entfernt werden kann. Bis jetzt hat man 2 Todte aus demselben hcrvorgezogcn. Ein Ver unglücktes dessen Arm von einer schweren Walze getroffen war und durch sie festgehalten wurde, gab seinen Geist auf, bevor man Maß regeln ergreifen konnte, um ihn aus seiner schrecklichen Lage zu be freien. London. Die vergangene Woche hat die Zahl der Schiffbrüche wieder um 104 vermehrt, so daß das Jahr 1«68 mit 2508 ab schließt. Die Brigg „Hannibal" bringt die erfreuliche Botschaft nach Li verpool, daß sie am WeihnachtStage die Bark „Ocean Spray", die auf dem Wege nach Ncwhork war, gesprochen und erfahren habe, daß dieselbe 39 Personen, Passagiere und Bemannung des geschei terten Dampfers „Hibernia" an Bord führe und dieselben in Ma deira zu landen gedenke. Während des abgelaufenen Jahres wurden nicht weniger als 203 Personen durch Pferde oder Fuhrwerke in den Straßen Lon dons getödtct; davon waren 65 Kinder unter 10 Jahren, 28 zwischen 10 und 15 Jahren und 120 Personen über 15 Jahre. Ungefähr dieselbe Menschenzahl verlor während des Jahres 1868 ihr Leben auf den Eisenbahnen von England und Wales. Drei Damen vom höchsten Adel in Spanien haben dem Mar schall Serrano einen von 15000 Frauen unterzeichneten Protest ge gen die Einführung der Religionsfreiheit überreicht. Ein Eisenbahnbau. Skizze aus jüngstvergangener Zeit von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Einige Jahre vergingen — mit ihnen der Aktienschwindel und die wie vom Himmel regnenden Goldstücke hatten sich wie die des Teufels mit der Zeit in glänzenden Schmutz verwandelt. . . Die einst so hoch geschätzten Aktien fielen so schnell, daß einigen Inha bern derselben förmlich schwindlich davon wurde. Sobald die Bör sen-Spcculation zum Rückzug geblasen und die Aktien der kleinen Bahn um einige Prozente gefallen war, benutzte Herr Schmidt sofort die Gelegenheit, eine große Masse dieser zukunftsreichen Papiere an sich zu kaufen — er hielt den Rückgang für eine vorübergehende Be stimmung oder für eine geschickte Specnlation, um dann die Course zu einer noch fabelhafteren Höhe zu treiben. Nichts von alledem ge schah — das Rad war einmal im Nollen und riß das Vermögen Tausender mit in den Abgrnnd. . . Bald standen die Aktien der Zweigbahn unter xaii, sie sanken noch tiefer und zuletzt hatten sie gar keinen Cours mehr. Wo waren da die glänzenden Dividende geblieben? Nicht einmal die festgesetzten Zinsen wurden gezahlt. Mit seinen Aktien sank auch Herr Schmidt zusammen — er hatte beinahe sein ganzes Vermögen darin angelegt — und diese unheilvollen Pa piere mit Aufopferung seiner Ehre erkauft und jetzt waren sie werth- los wie einst sein Heiralhsversprechen, und überall verfolgte man 24 ihn mit Hohn und Spott, daß er sich nun doch verrechnet habe — nein, das konnte er nicht länger ertragen — es mußte diesem ent- wertheten Dasein ein Ende gemacht werden, und eines Morgens fand man ihn erhängt auf seinen Speichern. — Auch im Hause des ehe maligen Hausknechts brachte der Fall der Aktien eine förmliche Pa lastrevolution hervor lind der strenge Gemahl wurde jetzt des Thro- nes eutsetzt und Auguste ergriff sofort das Sceptcr. Der einst so tief betrauerte Verkauf der Aktien erhielt eine andere Beleuchtung und war jetzt der Grundstein ihres Glücks. Hatte die Zweigbahn schon alle Herzen in Bewegung gesetzt — als sie noch aus dem Papier stand — so griff der Bau der Bahn noch tiefer und schneidender in alle Lebens-Verhältnisse ein — warf dem Einen übcrmüthig die reichsten Glücksgüter in den Schooh und machte den Andern zum Bettler. Eine fieberhafte Specnlationslust ergriff alle Kreise. Jeder wollte für die Bahn arbeiten, Material liefern — oder schon jetzt um eine Stelle bei der künftigen Verwal tung werben. Es begann eine förmliche Jagd, Einer suchte dem An dern die Beute aus den Händen zu reißen und vor keinem Mittel wurde zurückgescheut, um ans Ziel zu gelangen. Alle Arbeiten wur den von der Direction an den Mindestfordernden verdungen und der unglückliche Brodneid der Handwerker strafte sich oft sehr empfind lich. Schon war einen» Wackern Ktempnermeister eine Menge Arbeit übertragen worden, da erbot sich ein Concurrent, dieselbe bedeutend billiger zu liefern. Er hatte seinem Mitmeister die Arbeit glücklich aus den Händen gerissen, aber noch ehe er seine Verbindlichkeit ganz erfüllen konnte, war der unglückliche Neidhart bankerott. Welche heftige Leidenschaften traten da ins Spiel. Kein Mittel schien zu schlecht, um einen tüchtigen Vortheil zu erhasche». Betrug, Bestechung, List und Verschlagenheit zeigten sich überall; Jeder suchte rücksichtslos die Nächststehenden bei Seite zu schieben. Rede man nicht allzuviel von der Jagd des Amerikaners nach dem allinächtigen Dollar; cs fehlt uns nur das große, reiche Jagdgebiet — aber bei den ersten Eisenbahnbauten zeigt es sich doch, daß auch der Deutsche, wenn sich nur eine tüchtige Gelegenheit bietet, sür den Gelderwerb nicht ohne Talent ist. Und ein Eisenbahnbau berührt fast alle Kreise und wühlt das Oberste zu Unterst. Tausend fleißige Hände bekom men plötzlich Arbeit und einen weit reichlicheren Verdunst als sie je gehabt — mancher Taugenichts und Müssiggänger findet glücklichem Plätzchen uud wäre es nur ein Schreiber. Schon die Vermessung setzt eine Menge Leute in Bewegung, wie viele Hebel werden ausge setzt, damit die Bahn dies odcr jenes Feld eines Gutsbesitzers durch schneide und er dafür einen glänzenden Preis hcrausschlagen kann. Ein Raih der Stadt sucht den Bahnhof in die Nähe seines Gartens zu bringen — damit seine umliegenden Grundstücke einen höher» Wenh erbalren sollen; er läßr alle Minen springen und es gelingt ihm zu seinem bejvndern Nutzen uud zum Nachtheil der Stadt — der damit der Bahnhof so unbequem wie möglich zu liegen kommt. Die meisten Bauern, die anfangs den Bau der Bahn yerivünscht, w il sie nur noch auf einem Umwege zn ihrem Hinterfeide gelangen können, streichen doch mit rechtem Behagen die hübsche Summe ein, die sie sür ihr Fleckchen Land bekommen' uud gewinnen später immer mehr die Ueberzeugung, daß sie ein glänzendes Geschäft gemacht ha ben. Mancher ist dadurch schuldenfrei geworden — denn zuerst muß ten von dieser Summe die Gläubiger befriedigt oder diese gerichtlich darein willigen, daß dein Grundbesitzer das Geld ausgezablt werden konnte. Die Bahn brauchte eine Unzahl eichne Schwellen und die Bauern erinnerten sich daran, daß sic hier und da einen kleinen Ei chenbestand hatten, sie schlugen ihn nieder und erhielten wider alles Erwarten die bedeutendsten Summen aus dem Erlöse von alten Bäu men, denen sic kaum eine Beachtung geschenkt hatten. Von allen an der Bahn liegenden Bauern hatte der Bauer Eich ner den heftigsten Groll gegen diese Neuerung gefaßt. Nach der Vermessung mußte die Bahn seinen Acker gerade in zwei Hälften thei« len und er war fest entschlossen, nicht einen Fuß breit Landes für das Teufelswerk hcrzugeben. Schon die Feldmesser jagte er vom Felde, riß die von ihnen eingeschlagenen Pfähle heraus und kam we gen dieses eigenmächtigen Schrines in Untersuchung. Mit Mühe und Noth brachte cs sein Advokat dahin, daß die ihm auferlegte Gefäng- nißstrafe in eine bedeutende Geldsumme verwandelt wurde. Gerade diese Strafe erbitterte noch mehr den eigensinnigen finstern Mann. Eichner war ein Greis von 70 Jahren, aber sein robuster Körper, das knochige, harte Gesicht mit den weißen buschigen Augenbraunen zeigte noch eine ungebeugte Kraft. Er war trotz seiner Jahre von nnermüdlicher Rüstigkeit und galt in der ganzen Gemeinde für einen hab- und streitsüchtigen Menschen, dem man gern aus dem Wege ging. Der alte Eichner hatte ein einziges Töchterchen und so streng und schonungslos er gegen alle Welt auftrat, seine Ernestine hütete er doch wie seinen Augapfel und die harten, trockenen Augen ruhten stets mit väterlichem Wohlgefallen auf seinem Kinde. Nur in letzter Zeit war dies Verhältniß getrübt worden, Ernestine hatte ihr Herz dem Sohne eines armen Leerhäuslers geschenkt und der alte Eichner war außer sich, als er hinter die Liebschaft kam. Der Sohn eines Lecrhäuslers! Das klingt einem reichen Bauer eben so verhaßt, als wenn ein Baron hört, daß seine Tochter einen armen Küster liebt. Der alte Bauer drohte mit seinem väterlichen Fluche, wollte die Tochter aus dem Hause stoßen, aber Ernestine blieb unerschütterlich und ihr Geliebter wanderte mit dem festen Vorsatze aus dem Dorfe sich ein solches Vermögen zu erwerben, daß der alte Eichner keinen Grund mehr haben sollte, ihm die Tochter zu verweigern. Der Ei senbahnbau war eben erst im Aufblühen; überall fehlte es an flei ßigen Händen und Wilhelm Walther war einer der Ersten, der als Eisenbahn-Arbeitcr aus seinem Dorfe zog. Man verhöhnte ihn da rüber im ganzen Dorfe; der alte Eichner lachte grimmig auf und