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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.03.1908
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-03-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080327013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908032701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908032701
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-03
- Tag 1908-03-27
-
Monat
1908-03
-
Jahr
1908
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Lezug-.Preit Morgen-Ausgabe S. Lnzeigen-Prei- mr an» -V»r»n* durch »ni«r« Lei««» uud Sv«d>r«ur» la« Hou» ,»beacht« au«,»d» b laue «wrarnli olrnrljthrlich 8 «., nionallich I M i ilutcad» > (morgen» und ade»»«) v>ert«l» ladrlich «.SO M„ monaUlch i.SV M. Durch di« Post ,» br,leben! gl mal itglich) innerhalb Deulichla»b« und der drunchrn Kolonien »ierlelltl-rlich b,2ü M., monatlich I,7L M. aallchl. Post- brftellqelb, ,ür Oesterreich s L VS i», Ungarn 8 D vieNelitdrlich. Ferner in Sei« gien, Dänemarl, de» Dvnaukaaien, Frank reich, Ilalien, Lu;emdura, Niederlande, Norwegen, Nutzlaiid. Lchivcden, Schweiz un» Sdanien. In allen übrigen Liaalea i>ur direkl durch di, L«»«». ». «I erhLUlich. Adonnrmrnl-Annabmei Puguknlplatz 8, bei unseren TrLaern, Filialen. Spediteuren und Aunadlnestellen, lowie PoftLmlrrn ua» Lriesträgern. Di« etnjelne Lummer koket IS Pfg. Nrdakltv» und arvedUion: Iohannchgaste 8. Lelevbon Nr. IE, Nr. l4693, Nr. ,4694. rWMrTagMM Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. iür Fnxrm» an« Leipzig uno Umgedun, d» Sqeipallen« Petuzril» 2st PI., ftnonjiell» itlnzeigea iw Pt., Reklamen > M.: ooa aatwür«« 8V Pt, Reklamen l.'L M.i oomilutlaiidstiiM.. stnanz. ?Inj«>zr»7LP' ckeklaineu M. lj-Uerate».-vehdldeaii: »mUich«n2e>l4v»i Oe.lugegrdübr ü M. p. Laulead »ikl. P->il- gebühr. »elchalttinzeigen an bevor,ugler stelle im Preile «rhdhl. Rabatt nah Lari< Hesterlellt» UultrSg» Unnen nicht »urück- ,,erogen werden. Für da« Suchen,«» un de-u-anuea Lagen und Plätzen wird krn.« Garanti« übernommen. Nnzeigen.tlanabmei Lugukutplntz b>, bei lämilichen gillalen u. allen «nnonien- Slpedilidneu de« Ju» und Sutlande«. Haupt - Sillai« verlrn t Lnrl Lluncker, Herzogl. Baar. Hojduch. Handlung, Lützowstratz« lü. (Telephon VI, Nr. ML). Nr. 88. Freitag 27. Mär; 1908. 182. Jahrgang. Das wichtigste vom Tage. *Jm Reichstage hielt Fürst Bülow eine bemerkenswerte Rede über die preußische Wahlrechtsfrage. lS. d. bes. Art. und Parl.-Ber.) * Die österreichische Regierung beantragt die Erhöhung derBranntweinsteuerumSOHeller für das Liter. (S. Ausl.) * Der Großherzog vonLuxemburg ernannte dieGroß - Herzogin zur Statthalterin. lS. Ausl.) * Die Holländische Kammer nahm gestern mit 54:41 Stimmen ein Gesetz an. das der ungenügenden Zahl der für den verlängerten Milizdienst bestimmten Truppen abhelfen soll. lS. Letzte Tep.) * Rifaat Bei, bisher Gesandter in Athen, wurde zum t ü r - kischenBotschaftcr in London ernannt. lS. Ausl.) Atultuv und Ueberkultuv. Ter Nachfolger Lehdens an der Berliner Universität Geheimrat His hat in der Medizinischen Gesellschaft zu Berlin einen Vortrag gehalten, in dem er von der „Ucbcrkultur" unserer Zeit sprach, die nervös durchseucht und von einem schrankenlosen Subjektivismus ergriffen sei. Wir beab sichtigen nicht etwa, gegen diese Rede zu volcmisieren; schon deshalb nicht, weil uns der Vortrag nur in einem kargen Auszug vorlicgt und weil es unloyal wäre, einzelne Acutzerungen ihrem organischen Zusammenhänge zu entreißen und sie kritisch zu beleuchten. Es entsinnt sich ja wohl auch ein jeder, daß er einmal in einer Stunde der geistigen Uebermüdung und seelischen Verstimmung selbst ähnliches geäußert hat. Nur fragt eS sick. ob solche Urteile einer näheren und ruhigeren Prüfung standhaltcn. Zunächst muß darauf verwiesen werden, daß fast jede Generation über die Ucbcrkultur ihrer Tage geklagt und sehnsüchtig den Blick zum Ideal der guten alten Zeit zurückgcwcndet hat. Es gehört, wie es scheint, zu den immanenten Eitelkeiten des Menschengeschlechtes, sich immer auf einem Gipfel der Zivilisation zu wähnen. Jede Generation sieht ihre Väter tief unter sich in längst überwundener Niederung. Wenn die Erd bewohner erst auf luftigen Zeppellinien die heute noch unerschlossenen Räume des Aethers durchmessen, werden sie mit denselben Tönen gerührter Herablassung von dem schnaubenden Dampfroß sprechen, wie wir sie jetzt anschlagen, wenn wir uns der gelben Postkutsche erinnern. Man sollte also zunächst einmal nicht von Ucbcrkultur, sondern höchstens von lieber. Zivilisation zu sprechen. Kultur und Zivilisation sind nicht dasselbe. Ein Mensch kann nie genug und nie zuviel Kultur haben, auch eine Nation nicht, denn Kultur ist nur die Einheit des Stils in allen Aeußerungen des individuellen und nationalen Lebens. Die Kultur eines Menschen bekundet sich in der Uebercinstimmung seines Denkens und Fühlens, seines Wollens und Handelns, in dem Einklang zwischen der Lehre, zu der er sich bekennt, und dem Leben, das er lebt. Klaffen hier abgrund tiefe Widersprüche, so besitzt er keine Kultur» ruft er dem Betrachter den Eindruck der Harmonie hervor, so besitzt er Kultur. Zu wenig oder zu viel kann er nicht besitzen, ebensowenig wie ein Mensch zu wenig oder zu viel Genie besitzen kann. Kultur ist ein unteilbarer Begriff; dieser Begriff wird aber oft mit „Manieren", „Schulbildung" und anderen guten und nützlichen Dingen verwechselt, die zwar zur Kultur gehören, aber nicht mit ihr identisch sind. Nein, wenn wir offen sein wollen, so müssen wir gestehen, daß die heutige europäische Menschheit sehr „wenig" Kultur besitzt, viel weniger als das Griechenland der besten Zeit oder die Renaissance, denn alle unsere Anschauungen, die religiösen, die politischen, die sozialen, die künst lerischen sind in einer Umbildung begriffen. Wir leben in einer Periode der Gärung und eS fehlt uns durchaus an der schönen Sicherheit und Unbefangenheit, die ein Kennzeichen der Kultur ist. Gerade weil unsere Zeit sehr subjektiv ist — „schrankenlos" subjektiv ist sie durchaus nicht — deshalb kann man sie nicht überkultiviert nennen. Denn Kultur ist immer Einheit. Die Männer der Presse gleichen dem Wächter auf dem Turm. Wenn etwas Verdächtiges sich nähert, so müssen sie ins Horn stoßen. Das sollte immer geschehen, wenn vor Ueberkultur gewarnt wird. Für gewöhnlich binkt dann der Hinweis auf die „Halbbildung" hinterher und nicht lange, so werden — wie es auch in dem erwähnten Vortrage geschehen ist — die .Mächte des Glaubens" angerufen. Wir haben gegen diese Anrufung an sich nichts einzuwenden; der Mensch hat daS Recht, religiös zu sein und für seinen Glauben Propaganda zu machen. Ohne jeden Glauben könnte die Menschheit überhaupt schwer leben und wir dürfen den Satz „Glauben macht selig I" ohne jede Ironie nachsprechcn. Aber der Glaube soll nicht gegen das DorwärtSstreben der Menschheit uuSgespielt, er soll nicht zu einem Hemmschuh, zu einer Bremse der Entwicklung werden. Wir wissen bis jetzt sehr wenig und können noch unendlich viel lernen. DaS Gehirn ist das wahre Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Nur müssen wir uns entschließen, unsere Bildungs methoden von Grund auf zu ändern und manchen historischen Plunder in die Rumpelkammer zu werfen. Dir müssen daran denken, nicht nur dem Geiste, sondern auch dem Körper sein Recht zu wahren; wir müssen nicht da- Wissen, sondern das Können zum Ziel der Erziehung machen, nicht allein der Wahrheit, sondern auch der Schönheit huldigen. Auf diesem Wege zur Kultur aber wollen wir uns durch keine Kassandrarufe auf- halten lassen. Das ALaiserpaar* in Venedig. Venedig, 26. März. Während der gestrigen Galatafel an Bord der „H o h e n z o l l e r n" wurden keine Trinksprüche ausgebracht. Die hübsch mit venezianischen Lampen geschmückte „Gal- leggiante", aus der ein erlesenes Konzert ausgeführt wurde, umfuhr während des Mahles, langsam weite Kreise ziehend, die glänzend er leuchtete „Hohenzollcrn". Die Matrosenkapelle dec Kaiscrjacht löste die italienische „Banda" in Zwischenpausen ab. Gegen 9 Uhr war die Tafel zu Ende, der König verließ die Kaiserjacht, während ihm und seinen kaiserlichen Gästen vom Publikum am Ufer und auf den zahllosen, mit den Wellen der Lagune schaukelnden Gondeln crncurc lebhafte Be grüßungen dorgebracht wurden. Venedig, 26. März. Der Kaiser begab sich heute früh 10 Uhr mit dem K ö n i g v o n I t a l i e n, der ihn von Bord der „Hohcnzoller n" abholte, im italienischen KünigSboot zu Besichtigungen. Tic Kaiserin machte eine Gondelsahrt und besichtigte die Paläste Giovannelli und Martinengo. Auch Prinz August Wilhelm und Prinzessin Viktoria Louise unternahmen vormittags Besichtigungen. — Mittags folgte der Kaiser einer Ein ladung der Gräfin Morosini zur Tafel. Ter Kaiser verlieh dem Generalmajor Grafen Trombi den Kroncnorden erster Klasse. Nach der Abreise von Venedig wird das Kaiserpaar mit seiner Um gebung eine Kreuzfahrt im Adriatischen Meere und in den sizilianischen Gewässern unternehmen, wobei auch einige Häfen ange laufen werden dürften. Genaueres ist darüber noch nicht bestimmt. Die Ankunft in Korfu wird, wie schon gemeldet, am 6. oder 7. April erwartet. Sicherheitsdienst für den Kaiser an der türkischen Küste. Köln, 26. März. Ter „Köln. Ztg." wird aus Konstantinopel gemeldet: Zur Verstärkung des Sicherheitsdienstes an der Küste und im Inneren Albaniens aus Anlaß der Anwesenheit deS KmserS in Korfu wurden außer den zwei Jägcrbatailloncn aus Saloniki zwei Jnfantcricbataillonc nach Janina entsandt. DeL? Ttcnrzler* über? -ns pvsrrtzifcbe Wahlrecht. lAui> dem Reichstag.) O Berlin, 26. März. lPrivattelegramm.) Unten im Saale und oben auf der Tribüne ist wieder alles eins — scheinbar wenigstens —, und man beäugt sich gegenseitig vergnügt; aber es wird Wohl noch einige Zeit dauern, o;C die eingetreten« Entfremdung zwischen Journalisten und Abgeordneten überwunoen ist. Man erfuhr beute so beiläufig allerlei schöne Sachen, die in den unter Ausschluß der Oeffentlichkeit vorgenommcncn Sitzungen pajsiert waren, und worüber der Nachwelt die amtlichen Sitzungsberichte näheren Aufschluß geben werben. Heute bemerkte man nur viele ganz unverständliche Anspie lungen auf Reden vom Montag. Doch heule ist heute, und das Heute zeigte sich in der Gestalt eines zwar nicht ganz großen Tages, aber doch einer Sitzung, die durch die Anwesenheit des höchsten Reichsbeamten und durch sehr gewichtige Beratungsgegenstän-c ausgezeichnet war. Fürst Bülow sah nicht gerade blühend, aber doch sehr gesund aus. An seiner Seite zeigten sich Äethmann-Hollweg, Krätke, v. Schön, Nieder ding, Sydow und eine große Zahl von Räten. Auf der Bunbesratsseite waren die stimmführenden Bundesratsbevollmächtigten der meisten Einzelstaaten bemerklich. Die auswärtige Politik hatte man erledigt. Heute galt es, gelegentlich des Etats des Reichskanzlers die innere deutsche Politik zu besprechen — eine Elfzahl von Resolutionen gab die mannigfaltigsten Themen zu dieser Orchestermusik. Eingeleitet wurde die Sitzung durch eine Plänkelei zwischen Herrn Singer sSoz.) und Herrn Kratke, der begreiflicherweise den Vor wurf der Verletzung des Briefgeheimnisses aus seinen Beamten nicht sitzen lassen will. Lattmann fWirtsch. Vag.) entwickelte das etwas bunte Programm seiner Genossen. Er wünscht die Zurückdrängung des Ausländertums im Deutschen Reiche. Gegen die Einführung des Reichstagswahlrechts in allen Bundesstaaten setzte er sich nachdrück lich ein. Fürst Bülow folgte als Redner, und weil gerade Lattmann der letzte gewesen war, so erhielt dieser eine der Liebenswürdigkeiten, die unser Kanzler gern an den Mann zu bringen liebt. Was er dann zur Frage des Wahlrechts sagte, wird nicht viel weniger umstritten werde, als seine berühmte Erklärung vom 10. Januar im Preußischen Abgeordnetenhause. Man hat munkeln hören, daß dem Fürsten selbst die Schroffheit, die manche Hörer aus seiner damaligen Rede heraus empfunden haben, später leid gewesen ist. Sich selbst dementieren will ein an verantwortlicher Stelle stehender Mann nicht gern. Aber wir konnten seinen Worten, dem Tonfall seiner heutigen Rede den Willen entnehmen, den liberalen Wahlrechtswünschen in stärkerem Maße zu willfahren, als man am 10. Januar entnehmen konnte. Un klares blieb freilich genua. Will er die geheime Wahl geben? — Diese Frage wird man sich vorlegen müssen und man kann sie mit Bestimmt heit nicht beantworten. Tatsache aber ist, daß er kein Bedenken gegen die „Geheime" vorbrachte, Wohl aber in einem kurzen Sätzchen aner kannte, daß sich in unserer Zeit neue Abhängigkeiten gebildet hätten. Wenn man diese Zeichen zu deuten unternimmt, so bleibt wenigstens die Wahrscheinlichkeit, daß es dem leitenden Staatsmann Preußens nicht unmöglich erscheint, zur geheimen Wahl überzugeben. Tas ober ist ja das allerwenig st e, was man von ihm erwarten muß. Und so befriedigte die Rede nicht wenig. Zum Schluß seiner Rede erhob sich der Kanzler zu einem warmen Appell, die Fundamente des Staats nicht zu untergraben, auf dem Deutschlands Größe mit beruhe. Wenn der nächste Redner, Herr Wellstein lZtr.) sich entrüstet dahin ausließ, eine solche Erklärung hätte er nicht für möglich gehalien, so hat er sich angesichts der unklaren Haltung des Zentrums zur preußischen Wahlrechtsreform doch wobl nur künstlich in diese Er regung hinaufgetrieben. Aba. Emm et lSoz.s befürwortete die Reso lution Albrecht und brachte die elsaß-lothringischen Steuerfälle zur Sprache. Der Vertreter Elsaß-Lothringcns Halley rechtferngte die Steuerfreiheit bes Kaisers beim Kaiserschloß Urville, Ivährend er beim Fürsten Hohenlohe die Rechtsfrage auf sich beruhen ließ. Abg. P c: t - hoff lFrs. Va.) hatte auch den Eindruck in bezug auf die Erklärung Bülows, daß Vieser jetzt etwas mehr aus sich herausgegangen sei. als am 10. Januar und jedenfalls eine gründlichere Reform geplant sei. Eine kurze Auskunft gab Bethmann-Hollwep: Die Vor lage über den Verlust der Staatsangehörigkeit ist bei der Ausarbeitung auf Schwierigkeiten gestoßen, soll ober demnächst fertig gestellt werden in dem Sinne, daß der Verlust der deutschen Staats angehörigkeit erschwert, und der Wiedcrgewinn erleichtert wird. Tann noch der kolonialfreundliche süddeutsche Abg. Storz, und man ging, nachdem ein Schlußantrag angenommen war, über zur Abstimmung über die Resolutionen. Bei der Resolution über das Wahlrecht erhoben sich nicht die gc- samten freisinnigen Abgeordneten, sondern, soviel zu bemerken war, Schrader, Hermes und Naumann. Es folgte noch eine sympathische An regung der Nationalliberalcn, vorgetrageu durch deu Abg. Osaun: es möchte iu der V o r b i l d u n g derDiplo maren eine gründ liche Reform eintreten. Schon oft ist geklagt worden, daß der Stand sich zu exklusiv abschließe. Frische-Z Blut würde ihm gut tun. Staatssekretär v. S ch ö n, der vor kurzem noch Sckön bi?»', beantwortet.' die Anregung. Tine sächsische SchrrLdebntte. Die drei ersten Tage dieser Woche haben in der Zweiten Kammer des sächsischen Landtags ausgedehnte Schuldebatten gebracht. Anlaß dazu gaben Anträge, die von nationalliberaler und iwn freisinniger Seile aus gestellt waren. Olingen die Anträge, die den Rainen des Abg. Günther trugen, mit eine ganze Reihe von moderner. Eiiizelsorderungeu ein, die iu deu letzten Jahren lebhaft diskutiert worden sind, so forderte der naliouallibcrale Antrag, gestellt von dem Abg. Hettucr, kurz und bündig eine Neuregelung des gesamten Volks- schulweicns iu einem den Bedürfnissen der Oleg cn wart und dem jetzigen Stand der pädagogischen Wissenschaft ent sprechenden Sinne und hob als Soudersordcrnngen nur hervor die Durchführung der sachmänuischen Schulaussicht, Abänderung der Diszivlinarbestimmungcn für die Volksschullehrer und Erweiterung wie Vertiefung ihrer Vor- und Fortbilbuna. Es verlohnt sich, aus der lebhaften Debatte der beiden Tage ein Resümee zu ziehen, das die Stellung der Regierung zu den einzelnen Anträgen und den Standpunkt der Parteien beleuchtet. Man kann die Fragen, nm die es sich in den Debatten handelte, in drei Gruppen teilen. Die erste betraf den Aufbau des Volksschulwesens. Hier wurde von dem Aba. Günther die Einführung der Einheitsschule und die Beseitigung der Standes sch ulen gefordert, und auch der Abg. Hettner fano warme Töne iür die Vertretuna dieser Forderung, wenn er auch nicht verkannte, daß sie nur allmählich und nur unter Schonung des Be- stehenden durchacfübrt werden könne. Was von beiden Rednern zu- auustcn der in Bauern so bewährten Einheitsschule vom nationalen und sozialen Standpunkt aus gesagt wurde, war trefflich. Gerade der sozialen Zerklüftung unseres Volkes gegenüber täte es not, wenn man oie Einheitsschule entführte, die die Kinder aller Stände in ein und der selben Schule znsammensührt, um ihnen gemeinsam eine nationale Volks- bildung gleich in den ersten Jahren ihres Schulbesuches zuteil werden zu lassen. Treffend wurden auch die Standesvorurteilc widerlegt, die unter mancherlei Bedeuten sich verbergen, mit denen man dieser großzügigen Reform zu begegnen sucht. Nur ein sehr triftiges Argument fehlte. Der Hinweis nämlich, daß die Einführung der Einheitsschule eine gaiue Reihe von weiteren Reformen, w,e Verminderung der Schüler zahl in einer Klasse, gute bvgienischc Schulverhästnisse u. dgl. m. zur Folge haben würden. Denn ivbald die Kinder auch wohlhaoender und rinstußreicher Kreise in die allgemeine Volksschule genötigt wer den, werden diese Eltern eben mit allem Gewicht darauf dringen, dan solche, fstpformen cintreten, während ihnen die jetzigen Mißstände in den gewöhnlichen Volksschulen viel ferner liegen! Kultusminister Beck freilich wollte von der Einheitsschule wenig wissen. Wenn er aber meinte, die sofortige Gründung von Privatschulen für die Kinder wohl- l>abcndcr Stände würde den erhofften Effekt verhindern, io wäi'e dem leicht zu begegne» durch Schwierigkeiten, die man solchen Privatscbnlcn bereitet, oder durch ein Verbot solcher Schulen. Tie zweite Gruppe von Fragen betraf den Ebaraktir de: Volks'cd nie -- soll sie konfessionelle Schule sein oder 2 imi! ltänl rb u I e? Hier zeigte sich in der Debatte, daß Bedenken geaen die Simultanschule leider auch von nationa'liberaler S ite er hoben wurden, da die konfessionelle Schule- zu stark im VolkSl'ewußt'cin eingebürgert sei, und sowohl Kultusminister Beck, wie die konservativen Redner bekannten sich völlig zu der Konsessionsschule. Wir können de n nur auf das entschiedenste widersprechen. Die unselige konfcsuoncUe Zerrissenheit unseres Volkes soll nicht schon den Kindern als etwas Normales erscheinen, indem sic nach Konfessionen verteilt ihren Unter richt erhalten. Es genügt, wenn der Religionsunterricht geteilt ge oeben wird. Bei dem übrigen Unterricht müssen die Kinder den Ein druck erhalten, daß er mit der Konfession nichts zu tun hat, daß sic ibn ohne Unterschied des religiösen Glaubensbekenntnisses als Kinder ein und desselben Staates, ein und desselben Vaterlan des erhalten. Und diese Forderung wird so oft erhoben werden, bis die Widerstände gebrochen sind, die ja im letzten Grade immer noch von dem falschen Grundsatz ausgehen, als ständen Staat und Gemeinde nicht selbständig über den Kirchen- und KonsefsionSgemcinsckasten. Nahe verwandt der konfessionellen Schnlsragc ist die nack einer Aenderung deS Religionsunterrichts. Teuu eben die- selben Kreise, die an der Konfessionsschule fcsthaltcn, legen immer noch das größte Gewicht auf den pädagogisch io unfruchtbaren dovuaknchen Schulunterricht, während die Verfechter der Simnltanschule dem Reli- gionsuntcrricht einen mehr geschichtlichen Charakter geben wollen. Immerhin haben sie mit diesem Wunsch auch schon bei den Vertretern jener andern Richtung so vielEinsluß ausgeübt, daß diese, wie Minister Beck zugab, in die Prüfung darüber cintreten wollen, wie der Re- liqionsnnterricht geändert weroen könne. Freilich — sein Bedenken, inan dürfe an die Kürzung deö geistlichen McmoricrstofjeS nur mir Vorsicht Herangehen — verspricht nicht gerade, daß man im Mini sterium schon sehr reformfreudig auf diesem so wichtigen Gebiet ist. Bei dem Thema Religionsunterricht wurde auch das der sexuel len Aufklärung gestreift. Man tadelte mit Reckt das unpassende Äorgeden einer Lehrerin, die diese Aufklärung vcrstrckt batte, als sie das geistliche Lied „Nun danket alle Gott" behandelte, verschloß fick ober dem Ernst dieses ganzen Problems nicht. Der Gedauke de- Kultusministers, daß hier vor allem die Eltern zur Aufklärung be: ihren Kindern berufen sind, ist gewiß richtig. Allein, wie viele Eltern haben dazu kein rechtes Geschick! Gute Pädagogen können i*>ncn diese Pflicht okt mit besserem Erfolg abnebmcn. Die dritte Gruppe der Schulfragen, die deu Landtag beschäftigten, umfaßten Lehrerfragen. Zunächst die der geist lichen Schulaufsicht. Ihre Abschaffung ist nickt nur eine alte Lehrersordcrung, sondern auck ein liberaler Programmpnnkt, dessen Richtigkeit sich mehr und mehr auch konservative Kreise erschließen Auck die Landessynodc steht ihm sympathisch gegenüber. Kultusminister Beck hatte denn auck mehr finanzielle, als grundsätzliche Bedenken, und sah ein, daß mit der Zeit diese Forderung verwirklicht werden wird. Mr hätten aber gewünscht, daß er dabei weniger von der fegens reichen Verbindung von Kirche und Schule, Pastor und Lebrer ge sprochen als die DrinaIichkeit der Abs ch a s fung der geist lichen Schulaufsicht anerkannt hätte, denn wir befürchten nack diese, Zurückhaltung, daß man in ihm keinen fleißigen Förderer der Re form finden wird,sondern nur einen Minister, der norgedrungen Schritt für Schritt nachgibt. Gerade, wenn Kultusminister Beck wieder und wieder betont, wie freundlich er den Lehrern ge sinnt sei — so gibt cs eben kaum einen Rckormpunkt, au dem er diese Freundlichkeit besser beweisen kann, als indem er das von der Lehrer schaft mit Recht als drückend und beschämend empfundene Abhängig- leitsverhä-tnis von der Kirche anfziihcbcn trachtet, das in der geistliche» Schulaufsicht zutage tritt. Erfreulich ist es dann zwar, daß Kultusimuister Beck die Einfüh rung eines siebenten Seminarjahres zur Förderung der Lehrerbildung in Erwägung ziehen will — aber unbcIreis- lich bleibt es, weshalb man mit der Zulassung zu dem Universitäts studium der Lehrer so kargen möchte! Mögen auch praktische Bedenken vorliegen — die Regierung sollte nun trotzdem offen und froh sein, wenn
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