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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 18.03.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-03-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190803181
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19080318
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19080318
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-03
- Tag 1908-03-18
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Monat
1908-03
-
Jahr
1908
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Morde bezichtigt. Da- soll ihn so erbittert habe», daß er vom „Temple" fortan nicht mehr reden höre» wollte. Ursprünglich (seit 1212) war der .Temple" daS OrdenShauS der Tempelritter und der Wohnsitz ihres Schatzmeisters Hubert. Als sich hundert Jahre später Philipp der Schöne der Ordensgüter bemächtigte, richtete er den „Temple" als Wohnhaus ein, überließ ihn jedoch nach der Vernichtung des Ordens den Johonniterrittern. In der Revolution verwandelte man dann den Turm, als Ersatz für die Bastille^in ei» Gefängnis. Viele Erinnerungen knüpfen sich an daS Gebäude. Hler gab einmal der Herzog Philipp von Vendäme ein üppige» Prunkmahl, uud mau erzählt, daß während des Festes der slorentinische Astrolog Anuota prophezeit habe, daß die Mauern de» Hause- dereinst die Klagen eines -um Tode verurteilten Königs hören würden. AIS dieser König (Ludwig XVI.) im Jahre 1786 die Abtei deS „Temple" besuchte, sagte er zu einem Prior: „Die große Ordnung in Ihrem Hause gefällt mir sehr gut: ich werde wieder kommen." Am 12. August 1792 wurde der König „im Namen der Nation" eingesperrt. Ein Gefangener, Herr von Rsmusat, schilderte das Gefängnis folgendermaßen: „Man gelangt in den „Temple" durch einen großen, mit Säule» geschmückten Torweg, der in einen großen Hof führt; hier befindet sich ein schönes modernes Haus. In der Mitte dieses Hauses ist eine sehr hohe Torwölbung, die in den zweiten Hof führt. In diesem «weiten Hofe ist ganz hinten ein sehr enger, dreifach verschlossener Durchgang, durch den man in einen dritten Hof gelangt; hier liegt das eigentliche Gefängnis, der 1306 von einem Ritter, namens Jean le Turc errichtete „Temple-Turm". Zur Zeit des Direktoriums war der „Temple" immer dicht besetzt. Die vier Kerkermeister Laurent, Lasnes, Boniface und Fauconnier taten keinen Schritt, ohne zu stam meln: „Im Namen der einen und unteilbaren Republik". Die „Damen" der Bürger Kerkermeister hatten für die Gefangenen zu kochen, aber was sie kochten, scheint nicht sehr appetitlich gewesen zu sein; da gab es Bouillon von Knochen, die man beim Lumpensammler gekauft hatte; Fleisch, das die Sanitätskommission als gesundheitsschädlich zurück gewiesen hotte; verfaultes Gemüse; weiße Bohnen, die in Abspülwasser gekocht worden waren; Bouletten aus verschimmeltem Brot und Fleuch- abfällen usw. Lang war unter dem Direktorium die Liste der Ge fangenen: da war der Oberst von Sägur, der Aristokratinnen beschütz haben sollte; von Nohan-Rochefort, der in Gegenwart eines Spitzels ge- sagt hatte: „Wird der Sturmwind dieses unglückliche Land noch lange Helmsuchen?"; der Marquis von Alenjo, Gesandter des Regenten von Portugal, den man der Spionage beschuldigt«; der berühmte Komiker Gogibus, der in einem Coupletvers sich darüber lustig gemacht hatte, Laß Schuster und Schneider sich zu Offizieren ernannten; der ehe- malige Auditeur Louvet, bei dem mau sin Bild „der Marie Antoinette, . Frau des enthaupteten Capet", gesehen hatte usw. Eingcsperrt waren ierner Frau von Montauban und Frau von Saint-Aignan; dann der Marquis von Crequi, der auf die Frage nach feigem Namen voll Stolz erwiderte: „CrLgui, Abkömmling eine- Marschalls von Frankreich, an geklagt, weil er einen makellosen Namen führt." Nach dem Staatsstreich vom 18. Brumaire ließ. Bonaparte viele Staatsgefangene in Freiheit letzen, obwohl Fouchö, sein Polizeiminister, sehr dagegen war. Die noch übrigblieben, wurden, nachdem die Niederrelßung deS „Temple" be schlossen worden war, nach Vincennes gebracht. Der Abbruch des StaatsgesängnisseS war erst 1811 beendet; ein kleiner Rest, der noch stehengebliebeu war, wurde unter Napoleon HI. abgetragen. Wie Georges Fchdeau Schwankdichter wurde. Georges Feydeau hat in der vorigen Woche zwei große Erfolge errungen: in Berlin mit Seinem in Paris längst abgespielten Schwank ^Der Floh im Ohr", und in Paris mit seinem allerneursten Schwank: „Occupe — toi d'Amelie!" Dieser doppelt« Sieg veranlaßte den „Matin", den glücklichen Autor zu fragen, wie er auf den guten Gedanken gekommen sei, Schwänke zu schreiben. „Wie ich Schwankdichter geworden bin?" antwortete Fey- deau. „Ganz einfach: aus Faulheit. Wie! daS setzt Sie in Erstaune»? Dissen Sie denn nicht, daß die Faulheit di« mirakulöse, fruchtbare Mutter der Arbeit ist? Ich sage „mirakulöse", weil der oater gan- unbekannt ist. Ich war ein Knabe von sechs oder sieben Jahren, genau weiß ich es nicht mehr. Eines Abend- nahm man mich inS Theater mit. Was man spielte, Hobe ich vergessen. Aber ich war begeistert. DaS Tbeatcrsiebcr hatte mich gepackt. Am nächsten Morgen ging ich in aller Herrgottsfrühe an die Arbeit. Mein Vater überraschte mich. Ich fuhr mir mit fiebernder Hand durch mein ungekämmtes Haar und schrieb ein Theaterstück, ganz einfach ein Theaterstück. „Was machst du da?" fragte mein Vater. — „Ein Theaterstück", erwiderte ich be. stimmt. Als einige Stunden später die würdige Dame, die mir die ersten Elemente aller Wissenschaften «invrägen ivllte, mich holen kam, sagte mein Vater freundlich: „Lasten Sie Georg nur sein. Er hat heule früh schon gearbeitet. Er hat ein Stück geschrieben." Ich sah hier sofort das Heil und den rettenden Trick: ich stürzte mich seit diesem gcbencdeiten Tage jedesmal, wenn ich meine Ausgaben nicht gemacht hatte, mit Eifer aus mein Dramenheft, und die Miß blieb verzückl stehen und ließ mich in Ruhe. So begann ich Schwanldichter zu wer- den. Auf dem Gymnasium schrieb ich bann heroische, hochtrabende Dialoge, von deren Inhalt ich aber heute nichts mehr weiß. FürS Theater Härte ich damals mein Leben gekästen. Autor? Schauspieler? DaS war mir ganz gleich. Ich erinnere mich, daß ich mit meinem Mit schüler Föraudy sjeht Mitglied der Comödie Franqaise) in einem ei--4 gemieteten Saale AugierS — Schwiegersohn deS Herrn Poirier — zur Ausführung bringen wollte; die Sache zerschlug sich jedoch Mein erste größeres Stück: „Damenschneider" schrieb ich al- Soldat. Es war ein Erfolg, aber dock nicht so, wie ich ihn mir geträumt hatte. Ich verlor ober nicht den Mut; im Gegenteil, ich fragte mich, warum es so und nicht anders geworden sei. Und ich fand die Gründe, die ich suchte, denn ich bin starrköpfig. Mit Faulheit und Eigensinn kann man schon etwas erreichen. Als ich nach der Premiere meines „Damenschneiders" das Theater verließ, traf ich JuleS PrLvel, der zu mir mit einem Tone, den ich nie vergessen werde, sagte: „Man hat Ihnen heute einen kleinen Erfolg bereitet, aber Sie werden ihn bezahlen müssen." So klug und wahr batte noch nie jemand gesprochen. Ich sah balh, daß die Schwänke, die man aufführte, alle nach einem hergebrachten Schema gearbeitet, und daß die Personen, die man auf die Buhne brachte, nichts als lächer liche Marionetten waren. Da ich nun der Ansicht war, daß unS das Leben Schwankstoffe genug bietet, begann ich meine Postenaestalten bald in der Wirklichkeit zu suchen und bemühte mich, sie, unter Wahrung ihres EbarakterS. nach einer lustspielartigen Exposition i» burleske Situationen zu stürzen. . ." Der japanische Koch des Admiral- Evans. In der Märznummer des „Live Wire Magazine" erzählt Admiral Evans, der Führer des amerikanischen Geschwaders, welches augenblicklich die pazifische Küste der Vereinigten Staaten ausiucht, eine originelle Geschichte, welche wieder einmal beweist, wie wenig es den fortschrittlich und nüchtern denkenden Japanern daraus ankommt, niedrige Posten in ausländischen Betrieben einzunehmen, wenn nur ihr Wissensdrang dabei Vorteile finden kann. — Als ich — so berichtet der amerikanische Geschwaderchef — noch einfacher Kapitän war und die Fregatte „New Dork" komman- dierte, batte ich aus meinem Schiff einen japanischen Koch, namens Kato, welcher es nicht nur verstand, vorzügliche Koteletten zu bereiten, sondern der mir auch als Tisch- und Tafelstewart gute Dienste leistete. Ich hatte ihn bald in die Geheimniste deS eleganten Servierens ein- geweiht, und er bediente mich bei Tisch wie der beste Kellner des Wal- dors-Astoria-Hotels. Dabei zeigte er ein außerordentliches Interesse für alles, waS um ihn herum vorging, und oft sah ich ihn noch spät abends über seinen Büchern sitzen. Er studiert« Nautik, lernte Sprachen und war überhaupt ein außerordentlich geweckter und gescheiter Mensch, den wir alle lirbgewannen und der sich mir speziell sehr an schloß. — Tie Jahre vergingen, ich erhielt das Kommando eines Schlacht schiffes, und als ich gelegentlich einmal meiner alten „New Aork" einen Besuch abstattete, hörte ich von dem Befehlshaber, daß mein Kato schon seit längerer Zeit verschwunden sei. Da» Heimweh, hätte er kurze Zeit vor seinem Fortgang öfter- geäußert, triebe ihn »ach Japan zurück. — Noch einige Jochre später befand ich mich mit meinem Schiff im Hafen von Marseille. Einige huiidert Fuß von uns entfernt lag ein japanischer Kreuzer vor Anker, und der erste Offizier des „Javs" kam zu uns au Bord, um mir eine Einladung des Kapitäns zu überbringen. Ob ich ihm die Ehre antun würde, mit ihm zu frühstücken. Ich jagte zu, legre Paradeuniform an und begab mich an Bord des japanischen Kreuzers. Der Kapitän empfing mich in einem dunklen Gange, begrüßte mich höflich, geleitete mich nach seiner Kabine, wo ein gedeckter Tisch stand, und forderte mich auf, Platz zu nehmen. Als ich dieser Aufforderung nachgekommen war, ertönte plötzlich hinter mir eine Stimme, die aus alten Zeiten Erinnerungen in mir zu wecken schien: „Der Herr Kapitän wünscht zu essen — was darf ich dem Herrn Kapitän servieren?" Er staunt blickte ich mich um — hinter mir stand in respektvoller Haltung der japanische Kapitän in seiner goldstrotzenden Uniform — die Ser viette über den Arm schwingend. Erst jetzt in dem Hellen Licht, das durch die Luke hereinflutele, erkannte ich jein Gesicht — crkannle ich meinen früheren Koch. — Kato! — ries ich erfreut. — Zu dienen, Herr Kapitän — Kato — jetzt Kapitän in der Marine Seiner Majestät des Kaisers von Japan! — So feierte ich mein Wiedersehen mit meinem dcreinstigen Koch. — Aber, fährt Admiral Evans in seiner Erzählung fort, die Sache hatte mir doch zu denken gegeben, und ich habe seither streng darauf gesehen, daß, so weit meine Einflußsphäre reichte, in der Marine der Vereinigten Staaten keine japanischen Angestellten mehr zur Ver- Wendung kamen. Die guten Leute sind mir doch zu intelligent. Russische Klostergesänguiste. Vor drei Jahren dekretierte der Zar, daß alle Personen, die sich als Verschickte in den Gefängnissen des Ssus- daler und des Ssolowezki-Klosters befänden, sofort in Freiheit zu sehen seien. Von der russischen Presse wurde dieser Befehl mit Genugtuung begrüßt; glaubte man doch, daß die traurigen Klostergcsängnisse, diese Ueberbleibsel der mittelalterlichen Jnquisitionscpoche, in denen ohne jegliches Prozeßverfahren Menschen eingekerkert wurden, die nur die eine Schuld hatten, daß ihre religiösen Ansichten nicht in den offiziellen Nahmen paßten, jetzt endlich abgeschafft seien. Nun stellt sich aber heraus, daß das SsuSdaler Klostergefängnis noch existiert, und da man nicht gut airnehmen kann, daß der Zar sein Volk getäuscht hat, muß man zu der Ueberzcugung gelangen, daß Väterchen durchaus nicht so macht" ist, wie man wohl denkt, und daß seine Befehle einfach nicht vollstreckt werden. Ssusdal ist, wie H. A. Prugcrwin in der „Rußkaja Myhl" schreibt, eine der ältesten Städte Rußlands. Jetzt ist cs eine kleine Kreisstadt mit 4—5000 Einwohnern, ohne Industrie und Handel. Nur an Kirchen und Klöstern ist Ssusdal reich: auf 5000 Einwohner gibt es hier 30 Kirchen und 4 Klöster. Aus den Straßen der Stadt begegnet man daher auf Schritt und Tritt Mönchen, Geistlichen und Nonnen. Während die Nonnen ein ruhiges Leben führen und u. a. die großen Gemüsegärten ihrer Klöster selbst bearbeiten, sind die Mönche stark heruntergekommen. Die Trunksucht ist unter ihnen stark verbreitet, und ein betrunkener Klosterbruder ist auf der Straße keine Seltenheit. Dazu kommt noch, daß das Bildungsniveau der Mönche sehr niedrig ist. Viele Mönche können nur mit Mühe und Not lesen und ihren Namen schreiben. Und in dieses Kwster werden Menschen verschickt, die vom Glauben abge- sallen sind und sich gegen die rechtgläubige Kirche vergangen haben! Ten Mönchen liegt es ob, den Ketzern ihre Irrtümer vorzuhalten und sie der Kircbe wieder zuzuführen. Man kann sich leicht vorstellen, wie diese Pre digten der rohen Mönche auf die hochgebildeten Abtrünnigen wirken müssen. Der ehemalige Arckumandrit deS Spasso-Jesimjew-Klosters in Ssusdal war Sserafim Tschitschagow. Ein Aristokrat von Geburt und Erziehung, gewesener Artillerieoberst, warf er eines Tages die glänzende Uniform ab unb wurde Geistlicher. Nach einigen J-ohren wurde er Mönch, dann Archimandrit und schließlich Kommandant des Kloster, gesängnisses in Ssusdal. Gegenwärtig ist er Erzbischof in Orel. Seit uralten Zeiten dienten die Klöster von Ssusdal als Vcrschickungsort für Leute, di« sich gegen die Kirche oder den Staat vergangen hatten. Aber den größten „Ruhm" erwarb sich in dieser Beziehung das Spasso-Jefim- jew-Kloster, bas vollständig einer Festung gleicht. Alles, was in dieser Festung geschah, umhüllt ein tiefes Geheimnis. Dieses Geheimnis konn ten nur Menschen enthüllen, die mit der russischen Zensur nicht zu rechnen brauchten. In socher Lage befand sich z. B. Alexander Herzen während seines Aufenthaltes im Auslande. Er hatte die Ssusdaler Festung besucht und sprach von ihr im Zusammenhang mit der SchiSma- srage im ersten Buche des „Polarsterns". - Die TrommclakadcitUe. Von der berühmten Basier F^stnachr schreibt man der „Thurgauer Zeitung": Wenn andernorts die Narren kappe bereits wieder an unsichtbarer Stelle geborgen cst, dann erst be ginnt in Basel das tolle Treiben — die „Fasnacht", wie es der Basier in feinem Idiom nennt, indem er daS erste „a" betont und kräftig dehnt. Von allen Seiten strömen die Neugierigen herbei; die ganze Nachbar- schäft wird öde und leer, und selbst von Bern, Zürich, Freiburg i. B., ja sogar von Belfort und Montbcsiiard bringen die Züge eine lebens- lustige Schar nach Basel, denn die Basler Maskenbälle, der „Morgen streich" und nicht zu vergessen das Nationalinstrument, die Trommel, versprechen so viel Unterhaltendes. Das Trommeln oder „Nueßen" aus ben mittelalterlichen „Kupferkübeln" ist in Basel das ganze Jahr voli- zesiich verboten, aber vier Wochen vor der Fasnacht erklärt es di« Negie rung im öffentlichen Amtsblatt für erlaubt, und von diesem Moment an wird in den Versammlungslokalen der sogenannten „Cliquen", in Privathäusern und Höfen das Kalbfell bearbeitet nach allen Regeln der Kunst, denn der Basler bat ein feines Ohr für daS Trommeln, und wer an der Fasnacht trommelt, ohne ein Meister des Schlegels zu sein, der braucht für den Spott nicht zu sorgen. Heuer hat man es sogar zu einer „Trommelakademie" gebracht, an welcher unter bewährter Leitung achtzig Jünglinge das „Rneßen erlernten; man muß sich also nicht haruber wundern, wenn vorgeschlagen wird, statt eines Heimatscheines möge der Basier Bürgerrat dem in die Ferne ziehenden Bürger eine Trommel mitgeben, damit er auf aesvanntem Kalb'ell beweise, wes Landes Kind er sei. Die Basler FaZnacht ist etwas Avartes, das nirgend ein Vorbild hat, und dos so bodenständig und wurzelfest ist, daß selbst der enorme Zuzug ausländischer Bevölkerung daran nichts zu ändern vermag. Wie üblich, begann die Fasnacht auch dieses Jahr am Montag nach Aschermittwoch, und zwar in aller Herrgottsfrühe: um 4 Uhr morgens. Gähnend und frierend zogen die Leure scharenweise durch dos Dunkel der Nacht in die Altstadt hinab. Da schlug es vom hohen Münster herab die vierte Stunde, und im selben Moment sielen an allen Ecken und Enden der Stadt die bereitqehaltenen Schlegel gerbend anfs Fell; dazu erschallte der schrille Rus der P'eue. und unter dem Scheine der großen und kleinen, mit bemalter Leinwand über zogenen Laternen zogen die einzelnen „Cliquen" in vollkommener Ord nung trommelnd durch die Straßen, während die zahlreichen Zuschauer vergeblich versuchten, die Knittelverse aus den vorüberwandernden Tronsparentlaternen zu entzissern. Als die ersten Trommelschläge er schallten, waren Schlas und Kälte überwunden, und eine lustige Fröhlich, keit hob an über dem ganzen lachenden Treiben.. . . Der hereiogefalleue Examinator. Der „Leipziger Lehrerzeitung" entnehmen wir folgendes Geichichtchen: Ein österreichischer Landesschul inspektor, Herr Dr. N., prüft eine Kandidatin der französischen Sprache in deutscher Literatur und fragt, ob sie den „Zauberlehrling" kenne. Diese bejahte es. Er fragte sie dann, welcher Dichtungsart daS Werk zuzuzählen sei. Sic antwortete natürlich: , Es ist eine Ballade." — „Nein!^ antwortete Dr. N. mit überlegenem Lächeln, „eS ist eine Satire! Und gegen wen — glauben Sie?" geistreichelte er weiter. Keine Antwort. „Gegen Börne!" sagte er dann, indem er die Wir kung seines verblüffenden Wissen» von den Gesichtern der Anwesenden insgeheim abzulesen stichle. Der schlagfertigen Kandidatin hat er aber docy nicht imponiert. Sie antwortete dem Herrn k. k. Landcrächulinipek- tor folgendes: „„Den „Zauberlehrling" schrieb Goethe im Jahre 1797 nach einer Erzählung deS Schriftstellers Lucian; gedruckt erschien er zuerst in Schillers Musenalmanach von 1798. Da nun Dörn^ im Jahre 1786 geboren ist, müßte Goethe also seine „Satire" gegen einen elf- jährigen Knaben geschrieben haben. Das dürfte kaum nach GoetheS Geschmack gewesen sein. Ob Ludwig Börne schon mit elf Jahren ein solch ausgewachsener Satiriker war, als der er viel später bekannt und gefürchtet wurde, weiß ich wirklich nicht." Sprach's, stand aus, machte eine tadellose Verbeugung und — entschwand. Weibliche Boxer. Vor dem Polizeirickter in Sheffield erschien eine Frau, namens Mabel Wood, unter der Anklage der schweren Körper verletzung, begangen an einem Manne, mit welchem sie in Streit qe- raten war. Der Kläger erzählte, daß »wischen ihm und der Beklagten in früheren Zeiten ein freundschaftlich«» Verhältnis bestanden habe, daß aber in letzter Zeit durch allerlei Vorkommnisse getrübt worden sei. Bor einigen Tagen war cs nun zu einem Woriwcchsel zwischen ben beiden gekommen, die Lady sei ohne weiteres auf ihn zugesprunaen, habe ihn unter den Arm genommen und fürchterlich verprügelt. Es wäre ihm nach schwerem Bemühen gelungen, sich von ihr zu befreien, aber nur mit dem Erfolg, daß sie ihm einen kunstgerechten Borhieb versetzte, welcher seine Kinnlade ousrenkte. Der Richter betrachtete erstaunt den recht kräftig auLsehenden Mann, der von einer lvrau 'ich so hatte zu- richten lasten — das Geheimnis wurde ober bald gelöst, als die Be klagte, nach ihren Personalien gefragt, angab, daß sie eine mit mehreren Auszeichnungen gekrönte Preisboxerin sei, welche selbst schon anerkannte Championboxer geworfen habe. — „Dagegen, Herr Richter," sagte der Kläger wehmütig lächelnd, „kann doch selbst der stärkste Mann nicht» ausrichten." — Ter Gerichtshof hatte denn auch ein Einsehen und ver urteilte die schneidige Dame, an den Kläger eine gewisse Summe als Schadenersatz für Doktorkosten usw. zu zahlen, außerdem noch ein Schmerzensgeld. — Die Preisboxerin sah den Kläger von oben bis unten verächtlich an, zog ohne ein Wort zu sagen ein Scheckbuch hervor und stellte einen Scheck auf den Betrag aus. — Dann sich stolz dem Aus gang zuwendend, jagte sie: „Der soll nur noch mal mit mir anfangen!" Bismarck-Lncca. Durch die illustrierten Blätter geht neuerdings wieder das Bild BiSmarcks mit Pauline Lucca Auch in unserer Familie befand sich — so schreibt ein Leser der „T. N." — eine solche Photographie. Diese enthielt aber einen untergcdruckren Pers, den ich nirgends dem Bilde Leigefügt sah. Er lautete: „Was ist es für ein Herzensdrang, Der sich allhier verkündet? ES ist der Stimme Znberklang, Dert diese zwei verbindet. — Wenn Er mal spricht und Sie mal sing! DaS reinste Silber nur erklingt!" Wider Balhorn. Die „Süddeutschen Monatshefte" machen neuer dings auf eine scheußliche Verunstaltung des Goetheschen Nächtliches aufmerksam, die schon seit langem allen Gebildeten ein Greuel ist. Es handelt sich um nachstehende, leider von zoblreicken deutschen Lieder tafeln gesungene Verballhornung: Unter allen Wipfeln Ist Ruh'; In allen Zweigen Hörest du Keinen Laut. Tie Vöglein schlafen im Walde. Warte nur, balde Schläfst auch du. Zweitens aber war dem Goethe-Nachdichter daS Lied nicht lang genug. Er dichtete darum folgende erbauliche Strophen hinzu: Unter allen Monden Ist Plag'; Und alle Jahr' Und alle Tag' Jammerlaut (!) DaS Laub verwelkt in dem Walde. Warte nur, balde Welkst auch du. Unter ollen Sternen Ist Ruh'; In allen Himmeln Hörest du Harsenlaut Die Englein spielten, das schallte (!) Warte nur, balde Spielst auch du. Da nach Mitteilung der „Süddeutschen Monat-Hefte" ein Lieder buch, das dieses schimpfliche Machwerk enthält, bereits in sechsund zwanzig Auflagen verbreitet ist, und das Lied in der angegebenen Fällung angeblich auf vielen deutsche» Volks- und Mittelschulen ge sungen wird, so glauben wir, daß es nunmehr an der Zeit ist, das Un kraut mit Stumpf und Stiel auszurotten. Nachweis der BevSlkerrmgsvorgänge in Leipzig im Monat Februar IS08 Vevötterung-vorg-ng« Mnwohnerzah! au' de« N Juli IM berechnet. Geb orene Lebendgeborene, männliche » weibliche » zusammen Darunter ehelich Geborene - unehelich » Totgeborene, männlich« » rvetbilche - zusammen Darunter ehelich Geborene » unehelich - S estorb en e (au-schlicht. Totgeborenes Gestorbene überhaupt, männliche » » werbliche » » zusammen Darunter unter t Jaqr alle .Kinder » ehelich Geboren« - unehelich . Todesursachen. Zahl der JLll«: 1. Klndbettfieber 2. Scharlach 8. Masern und Röteln 4. Diphtherie und Kruno b. Keuchhu'le» 6. Typhus 7. Tuberkulose 8. Krankheiten der Ntmung-organe Darunter Jnstuenza 5. Magen- und Larmkaiarrh elnschltchltch Brech durch >all Darunter unter 1 Jahr IV. Gewaltsamer Tod ». Se d lmokv d Mord und Totschlag, sowie vtnrichtnig e. Verunglückung oder andere gewaltsam Einwirkung ll. Alle übrigen Todesursachen Leipzig, den 17. März 1908. Standesamt Le,p .tg t tAttLripztkv ll < Mandeloml Leipzig M I '.V ileu-Leipüg) V Zusammen Z 8 Z § 'ß r r iru «8 SI bv'. >87 I4N 4l' >81 29 27.; 17 NN 6.» 21!» -'44 102 273 48 st2>> IN 4.' 1' vl 14 24> N ö 24 7 1 tt l 1' 18 '7 4 8 bst Ii> 8 8 -k 1 — 12 lva 74 2? 88 38? so 37 14 842 154 14b 3*» .vg 48 'M» iS >7 17' 38 34 14 24 8 111 2-t l> 8 1- 0 d» 4 — I l i 1 —— e 1 I 1 1 r 14 I 1 12 — »6 14 8 17 1 c« 8» .8 Ibn 14 13 3 87 8 i7 8 17 d 83 u 16 6 18 s 4ü 9 l 1 2 3 1b — — d- — — -— 6 2^ 33 1 87 17 Tas Statistische Amt der Lta-t Leipzig. k»r neu! kjyukl zllgrf. Ml-Zslr-Mer-Kslrso OrizivLlpLkst«: > 2.—, 1/, Ok. I,—, 1/4 21. 0.8V. VerLsufsstsIIsn: 0 rmä in z)1ev 8iL6tt-i!en.
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