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MM!« «rH Beilage zu Nr. 121. Sonnabend, den 13. Oktober 1900. bist will ein, mit „Natürlich —" „Marie wird jetzt wissen, daß Du ihr Bruder nicht und zwischen uns wählen muß, — wenn sie mich Ter Mörder du«,, Opfer und fuhr Der Mnttersshn. Roman aus der Gegenwart von Arthur Zapp. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) In Karl drängte das, was er seit Wochen und Monaten in sich hineingeschluckt hatte, einmal zum offenen Ausbruch. „Denkt Ihr, ich merke es nicht," rief er, un fähig sich zu mäßigen und ohne auf den Einwurf des Vaters zu achten, „wenn Jhr's auch nickt offen sagt, in jeder Miene laßt Ihrs mich fühlen! Ich will Ottos Almosen nicht, — ich will Euer Mitleid nicht! — Ick braucke Euch nicht, — ich werde schon allein fertig! — Ich verlange ja von Euch nichts, als daß Ihr mich in Ruhe laßt!" Auch der alte Köster war nicht von der sanftesten Gemüthsart, auch in ihm fing der Zorn an überzukochen. Daß Karl so hartnäckig Ottos Geld nnd seine gutgemeinten Mahnungen zurückwies, erbitterte ihn über die Maßen. Zornig, mit der Faust auf den Tisch schlagend, schrie er zurück: „zum Donnerwetter! Soll das etwa heißen, daß Du mich, daß Du Deinem Vater den Stuhl vor die Thür setzest?!" „Das soll heißen, daß ich mich nicht beleidigen lasse! Stutzig? Zum Henker auch, ich lasse mich uicht in meiner Wohnung verdächtigen!" In diesem Augenblick trat Frau Helene ein, die eben „Dann geh ich in die weite Welt", fiel Lorenz hastig „lind will sie mich zum Manne, gut — dann geh ich ihr fort, um mir anderswo einen Herd zu gründen." „Abgemacht also!" rief Hans, legte die Ruder ein nnd stieß vom Lande ab. Lorenz folgte ihm schweigend, und bald ruderten sie Seite an Seite, mit kräftigen Armen ihre Fahrzeuge über die blinkende Fluth schnellend. Eine Stunde mochte im schweigenden Wettlauf verschwunden sein, als Lorenz plötzlich erschreckt die Ruder sinken ließ. „Sieh dort, Hans, das Gewitter kommt wirklich her auf, fühlst Du den Luftzug? Laß uns schnell nach Sonder burg zurückkehren." . . Memme!" rief Hans verächtlich, „willst Lootle sein und fürchtest Dich vor einer Wolke? — Hei, mein Junge, auf den Tanz freue ich mich, kehr um, Du Hasenherz!" „Schweig!" rief Lorenz zornig, „wer giebt Dir das Recht, mich zu beschimpfen? — Wie kannst Du es wagen, den Sohn Deines Wohlthäters und Lebensretters, dem Du des Vaters Brot soeben genommen, so frech zu be leidigen? Hüte Dich, Hans Lüders, ich bin Dir gewachsen!" Die genossenen Getränke hatten den sonst so nüchternen nnd sanften Lorenz unnatürlich erregt und die Beleidi gungen des Pflegebruders Oel ins Feuer gegossen. Er fühlte sein Blut in den Adern sieden und wie ein wilder Strom alle Besonnenheit fortreißen. Hans hatte sich blitzschnell erhoben, einen Blick nach Horizont, wo eine schwarze Wolkenmauer sich lang- heraufschob, einen zweiten nach einem andern dunklen der auf der See sich ihnen rasch zu nähern schien, und einen lästerlichen Fluch ausgestoben. brot Schurke!" schrie Hans, „Du willst mir Euer Bettel thun. Werfen? Das sollst Du nicht zum zweiten Male aus, wer ist's, wir machen die Geschichte hier gleich Du nun Braut bekommt. Da, — und da, — hast Bei Ha?" der Elende ^blitzschnell hervorgestobenen Worten hatte ahnungslosen schwere Ruder emporgehoben und dem ww (aß dieser einige so wuchtige Hiebe damit ver- semen Händen entÄ^ ^sammenbrach die Ruder aus die Seite neigte. und der Kahn sich schwankend auf dann erschreckt zusammen, als plötzlich ein jäher Windstoß sein Fahrzeug umherwirbelte und das Meer aufwühlte. Hastig griff er nach dem Ruder, warf einen scheuen Blick auf den jetzt führerlosen Kahn des armen Lorenz und stieß einen Fluch aus, als er bei dem noch tageshellen Mondlickt in geringer Entfernung ein Schiff bemerkte, das geradewegs auf ihn lossteuerte. Es war eine Scha luppe, von einer Anzahl kräftiger Ruderer bemannt, und — war denn der Teufel los? — er erkannte die britiscke Flagge; die Schaluppe war von dein Kreuzer abgesandt, ihn heranzuholen. „Noch habt Ihr mich nicht," knirschte er, sich mit aller Kraft m die Ruder legend, „fischt erst meinen Ka meraden auf." Vorwärts ging's durch die zischende Fluth. Wie der gespenstische Holländer flog der Kahn über die jetzt bereits sehr aufgeregte See. Wenn er nur einen Vor sprung von zehn Minuten noch gewann und das Gewitter, wie es den Anschein hatte, rasch heraufkam, umdas Mond licht auszulöschen, dann wollte er den Engländern schon eine Nase drehen, da er die See auf fünf Meilen in der Runde genau kannte. Hei, wie das lustig schon wurde! Dies Wetter war dem Brudermörder ganz recht, weil es den Aufruhr in seiner Brust übertönte. Die schwarze Wolkenwand hatte der ungeheure Wirbelwind wie im wilden Tanze herauf gejagt, und dunkle Nacht wurde es jetzt, unr von auf- leuchtenden Blitzen sekundenlang erhellt. Wie es heulte und krachte, als ob die wilde Jagd losgelassen worden wäre; wie die hochgehenden Wogen den Kahn wie einen Spielball hinauf- und hinabwarfen! Aber Hans Lüders war ein Seemannskind, ein echter Lootse, das zeigte er in dieser schrecklichen Nacht, wo Gottes Gericht ihn zu zermalmen drohte und das Gespenst des Erschlagenen ihn wie Kain dahinzujagen schien. Die bärtigen Lippen fest aufemandergepreßt, den stieren Blick geradeaus gerichtet, das wirre Haar wild flatternd im Sturm, der ihm den Hut schon längst ent rissen hatte, so daß er wie ein Steinbild im Kahn stand, das Steuer mit nerviger Faust, deren Sehnen aus Stahl zu bestehen schienen, regierend. Endlich dämmerte es wieder am nächtlichen Himmel. Die Blitze wurden seltener, der Donner grollte feiner nnd ferner, stiller wurde die See. Dann legte sich nach und nach der Sturm bis zu einer frischen Brise, welche die Wolken zerstreute und dem Monde wieder freie Bahn gab. Jetzt athmcte Hans auf, blickte um sich mit noch wirrem Blick und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Weder von dem englischen Kreuzer, noch von der Schaluppe war etwas zu sehen, auch nicht von — Er mochte den Namen nicht einmal in Gedanken wiederholen, sondern suchte sich, scheu umherlugend, zu orientieren. Der Sturm hatte ihn beinahe wieder bis nach Sonderburg zurückgeworfen. „Bah, meine Junge," murmelte er, „sei kein Kind, — in Kriegszeiten gilt ein Leben soviel wie ein Stichling. Das Glück bleibt mir; wer will mich einen Lügner heißen, wenn ich sage, daß uns der Sturm auseinandertrieb? Kann ich für ihn einstehen? Hatte genug mit mir selber zu thun, und was ist denn weiter dabei? Die Memme wäre so wie so untergegangen, hat jetzt ein leichteres Ende gefunden." Er hatte bei diesem Selbstgespräch den Mastbaum aufgerichtet und das Segel entfaltet, um mit Hilfe der günstigen Brise rasch der Heimath entgegen zu steuern. Dann aber besann er sich eines Besseren und lavirte auf der See umher, bis er nach Sonnen-Aufgang sein Fahr zeug der Birk zuwandte, wo er nach zwei Stunden landete. (Fortsetzung folgt.) Zum §8. Sonntage nach Trinitatis. 1. Kor. 11, 30: Und ein gut Theil schlafen - Die ersten christlichen Gemeinden erscheinen vielen Christen unserer Tage im Glorienscheine christlicher Voll kommenheit. Man preist die Bruderliebe der Urgemeinde Jerusalems, die geistlichen Gaben der Korinther, den Glauben der Epheser, die Opferfreudigkeit der Philipper. Gewiß, wir können von diesen Gemeinden vergangener Zeiten viel lernen. Aber vollkommen sind auch sie nicht gewesen. Muß doch Paulus von den Christen zu Korinth bezeugen: Ein gut Theil schlafen! Wenn das zu Korinth geschah, gegenüber der gewaltigen Verkündigung des größten Apostels geschah, so dürfen wir uns doch nicht wundern, daß auch auf die Christengemeinden der Gegenwart das Wort zutrifft: Ein gut Theil schlafen! Aber wir sollen uns auch nicht entmuthigen lassen durch diese an sich beklagenswerthe Thatsache. Wir sollen nicht denken, daß wir vergeblich arbeiten, weil erst so wenige unserer Stimme Gehör schenken. Unserer Stimme? Nein, der Stimme Jesu Christi, an dessen Statt wir Bot schafter sind, der durch uns vermahnt: Lasset Euch ver söhnen mit Gott! Der Schlaf ist des Todes Bruder, aber er ist uicht der Tod selber. Schlafende können aufgeweckt werden. Geht es nicht anders, so müssen sie aufgeschreckt werden. Indessen genügt bei vielen schon ein sanfter Zuruf: sie erkennen die vertraute Stimme des Erzhirten und reiben fick de» Schlaf aus deu Auge», Es sind dock viele, die schliefen, wieder wach geworden in unseren Tagen. Möchte sich jeder Leser die Frage vorlegen: Schlafe ich oder bin ich wirklich wach? Möchte er sich diese Frage öfter vorlegen. Mancher ist schon unvermerkt eingeschlafen " wahrend er wach zu sein glaubt. Dann bist wenn die Heiligung dir keine Ruhe läßt; wenn du kämpfst und streitest, vor Allem gegen dich selbst; wenn du dir täglich im Streite den Frieden sickerst- wenn MiM d«m L-bm ist. Dmm List du auch wecken. Die Sshne des Cestsen. Eine wahre Gejchichte von E. Heinrichs (Fortsetzung.) «Nnchdrmk verboten.) Wenn wir nur kein Gewitter bekommen", bemerkte Lorenz prüfend am Horizont umherschweifend, und seinen Kahn dann ins Wasser ziehend, was Hans mit dem seinen bereits bewerkstelligt hatte. „Bei dem Mondschein und klarem Himmel?" lachte dieser'; „sei kein Narr, Lorenz! — Doch noch ein letztes Wort, unser Pakt gilt noch —" von einem Ausgang zurückgekehrt war und dieschon vorher die streitenden Stimmen gehört hatte. Ueberdies sprach die Situation, in der sie die beiden Männer fand, deutlich genug. Der alte Köster stand mitten in dem Zimmer. Sein Gesicht war dunkelroth; seine Angen blitzten zornig zu dem Sohn hinüber. Karl saß am Tisch; er hatte beide Ellbogen aufge stemmt und sah finster vor sich hin. Helene trat an den Trotzigen heran; sie umschlang seine Schulter mit einem Arm und flüsterte ihm ein paar begütigende Worte ins Ohr. Er aber schob sie unsanft von sich. „Laß mich!" herrschte er sie an. Die junge Frau drehte sich mit einem Seufzer nach ihrem Schwiegervater herum und winkte ihm beschwich tigend zu. „Ich gehe schon," sagte der alte Mann tief gekränkt und schritt znr Thür, „ich gehe schon; mit dem ist ja doch heute nicht zu reden." Als er draußen auf der Straße war und noch ein mal im Geiste das eben Erlebte durchging, schüttelte er im Stillen den Kopf über Karls maßlose Empfindlichkeit und Heftigkeit, und die Frage stieg in ihm auf: „Hat er nöthig, sich so ganz kopflos und unvernünftig zu geberden, wenn er sein Gewissen rein weiß?" Zum ersten Male keimte der Zweifel in seiner Seele, und er fragte sich: „Hätte er es am Ende doch gethan?" 15. Kapitel. „Warum besucht uns Herr Assessor Köster gar nicht mehr?" fragte Konstanze Göring ihren Vater. Der Kammergerichtsrath zuckte mit den Achseln. „Ich weiß es nicht, Kind." Nach einer kurzen Pause fügte er jedoch hinzu; „Freilich, denken kann ich mir's ja; es geschieht sicherlich aus Zartgefühl; er befürchtet, daß uns sein Besuch nicht mehr angenehm ist." Das junge Mädchen heftete ihre Augen in grenzen losem Staunen auf ihren Vater. „Ich begreife Dich nicht, Papa; aus welchem Grunde sollte Herr Köster zu einer so unbegründeten Befürchtung kommen?" Der alte Herr blieb die Antwort eine ganze Weile schuldig. „So ganz unbegründet wäre eine solche Be- sorgniß nicht," gab er endlich zur Antwort, und als er den Blick seiner Tochter von Neuem fragend auf sich ge richtet sah, fügte er hinzu: „Es ist eine unangenehme, peinliche Geschichte, die dem jungen Mann passirt ist." Konstanze ließ die Stickerei, mit der sie sich beschäftigt hatte, in ihren Schooß sinken; das lebhafte Roth, das ihr plötzlich ins Gesicht stieg, bewies ihr tiefes Interesse. „Eine peinliche Geschichte, Papa?" Der Kammergerichtsrath zögerte wieder mit der Ant wort; dieses Thema schien ihm nichts weniger als an genehm. Endlich begann er: „Ich habe Dir seiner Zeit nichts davon erzählt, denn wozu Dich mit so häßlichen Dingen behelligen. Uebrigens, wenn Du die Zeitungsbe richte über stattgehabte Gerichtsverhandlungen lesen würdest, so -" „Die lese ich nie!" warf das junge Mädchen mit einer Bewegung des Schauderns ein, „da kommen oft so entsetzliche, schreckliche Dinge vor.' Aber was hat das mit Herrn Köster zu thun?" Sie erwartete in sichtlich ängst licher Spannung die Antwort. „Herr Köster," so berichtete der Kammergerichtsrath, „mußte in einer häßlichen Diebstahlsgeschichte als Zeuge aussagen, und auf der Anklagebank saß sein Bruder." lieber des jungen Mädchens freundliche Züge lief ein heftiges Erschrecken. „Herrn Kösters Bruder, Papa? Sein wirklicher Bruder?" Der Kammergerichtsrath nickte. „Aber das ist ja furchtbar!" rief Konstanze aus; ihr Gesicht war plötzlich ganz blaß geworden. „Und er sitzt — sitzt nun in — ?" „Nein, er wurde freigesprochen." Das junge Mädchen athmete tief auf; über ihr Ge sicht glitt ein freudiges Lächeln. „Er wurde freigesprocken," fuhr der Kammergerichts rath fort, „weil die Sache nicht genug aufgeklärt werden konnte. Der Verdacht lastet noch heute auf ihm; das wirft natürlich einen großen Schatten auf das Leben seiner Angehörigen, einen tiefen Schatten." „Armer, armer Herr Köster!" Es klang wie ein Seufzer, der aus der Tiefe ihrer innersten Brust herauf kam. Aus ihren Mienen war wieder alle Freude ge schwunden. „Und Du glaubst, Papa, daß er deshalb nicht mehr kommt?" Herr Göring bejahte. „Du kannst Dir denken, wie dem feinfühligen, ehrliebenden, jungen Manne zumuthe sein mag; es hat ja doch seiner Zeit als interessanter Fall in allen Blättern gestanden. Und nicht genug damit, es hat ihm ja die ganze Zukunft verpfuscht, denn der junge Mann, dem seine Begabung und sein ernstes Streben eine glänzende Karriere in Aussicht stellte, hat für immer jedenfalls aus Ehrgefühl, aus übertriebenem Ehrgefühl, meine ich, auf den ganzen Staatsdienst verzichtet. Denn schließlich, was kann er dafür, wenn sein Bruder schuldig ist!" „Nicht wabr, Papa?" pflichtete das junge Mädchen mit auffallendem Eifer bei, „es ist doch ungerecht, daß er nun darunter zu leiden hat."