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DM- Drittes Blatt. "WH WM, Wi, Ädelilchi M Sie UmWickn. AmtsbLcrLL für die Kgl. KmtshauptmannschafL zu Weißen, das Kgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdrusf. Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abonn emcntvreis vierteljährlich I Mark. Einzelne Nummern 10 Psg. — Inserate werden M-utazS und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Nr. S8. Areitan, den 7. Decembcr 1888. Auf sicherer Fährte. Criminal-Roman von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Und nun bedielt dieser doch recht, obgleich noch nicht zu erkennen war, in welchem Umfange die Schuld des jungen Mannes sich erweisen werde. Er konnte auch den Amerikaner nicht freilassen, da seine Verbindung mit Rudolf Schwarz, welche Kugler bereits vorher hartnäckig behauptet hatte, nun ebenfalls erwiesen und durch Rudols's Verwirrung stark ver dächtigt worden war. Beruhte des Letzteren Aussage auf Wahrheit, existirte wirklich ein zweites Testament des verstorbenen Lampert, und konnte dasselbe herbeige schafft werden, dann gewann der Verdacht gegen Herrn von Santen aller dings einen bestimmten Boden, da es in keinem Fall anzunehmen war, dass Rudolf Schwarz seine alte Tante um dieses Documentes willen, das für ihn keinen Werth hatte — ermordet habe. Der Staatsanwalt unterbrach hier seinen Gcdankengang und nickte mehrere Male vor sich hin. „Er hat im Lampert'schen Comptoir gelernt, für den alten Herrn treu gearbeitet, hoffte auf ein Legat und ging leer aus," sprach er halblaut, „Grund genug für ihn, auf jenes zweite Testament zu fahnden, zumal er ein un vermögendes Mädchen aus guter Familie heimzuführen wünscht. Hm, bm, mein Bester, jenes Document konnte somit einen soliden Werth für Dich besitzen. — Vielleicht legte die alte störrische Tante Dir Hindernisse in den Weg, welche Du nicht anders als durch ihren Tod beseitigen konntest. Die Sache spricht mindestens eben so sehr für als gegen Deine Schuld." Es war jedenfalls ein sehr verwickelter und höchst interessanter Fall, Werth genug, das ganze Arsenal criminalistischer Geistesschärfe dafür in's Feuer zu führen. Der Staatsanwalt setzte sich wieder vor den Schreibtisch, um das Billet, welches der Detectiv ihm vorhin eingehändigt, von allen Seiten zu betrachten. Dasselbe trug die Adresse des Herrn Balduin von Santen, während auf dem Papier, das Kugler ihm dabei geschrieben, die Worte standen: „Von Fräulein Born im Hotel „Zum deutschen Kaiser." Ich übernahm die Besorung veS Billets für den Hausknecht, dem ich meine Cigarren offerirte." „Ein schlauer Patron, dieser Kugler," brummte der Staatsanwalt im Tone aufrichtiger Anerkennung. „Immense Begabung, famoser Spür sinn, werde ihn zu dem verunglückten Amerikaner nach S. schicken, wollen sehen, wer den andern überlistet." Das Briefchen an Herrn von Santen war klein und zart, und schien mit seinem Jasminduft für nichts weiter als ein Billet-doux gelten zu wollen. Die Handschrift war elegant, doch fest und sicher. Was hatte diese Dame, welche bei dem Unglück in St. Leonhardt der Mittheilung des Amerikaners zufolge eine so zweifelhafte Rolle gespielt, dem Herrn von Santen zu schreiben? Der Staatsanwalt besah das Couvert, welches den gewöhnlichen Verschluß hatte und befeuchtete denselben mit einem in Wasser getauchten Schwämmchen. Der Klebstoff löste sich und die Oeffnung des Couverts geschah ohne Beschädigung des letzter». Außergewöhnliche Zwecke erheischen auch außergewöhnliche Mittel, der Staatsanwalt war es dm beiden Gefangenen schuldig, hierzu einem solchen Mittel zn greifen, um das Dunkel, mit welchem die verschiedenartigen Aussagen und Denunciationen das Verbrechen gleichsam verschleiert hatten, zu verscheuchen und einen wirklichen Lichtstrahl zu entdecken. — Das jasminduftende Briefchen enthielt nur folgende anscheinend harm lose Zeilen: „Lieber Herr von Santen! Ich las in der Zeitung von dem abscheulichen Mordattentat, dem Sie im eigenen Hause beinahe zum Opfer gefallen, und kann es mir deshalb bei meiner Durchreise nicht versagen, mich persönlich von Ihrem Befinden zu überzeugen. Gewährt es Ihnen Freude, mich zu sehen und zu sprechen, dann lassen Sie es wissen, ich bin im Hotel „Zum deutschen Kaiser" zu finden. Sonst trifft mich der 30. September im Hotel de Rome unter den Linden, Berlin. I. Born." Der Staatsanwalt blickte nachdenklich auf die Zeilen, welche er mehrere Male überlas. Dann notirte er sich den letzten Satz, faltete den kleinen eleganten Bogen wieder zusammen und schob ihn in's Couvert zurück, welches er vorsichtig wieder verschloß. Niemand hätte eine Verletzung daran entdecken können. Er mußte zugestehen, daß der Amerikaner mit seiner Behauptung, dieses angebliche Fräulein Born und Herr von Santen hätten sich als Bekannte im Gebirge wiedergesehen, im Rechte sei, woraus noch allerdings nicht zu folgern war, daß ein Verbrechen diese beiden Menschen verbinden müsse. War eine Liebschaft mit einem jungen schönen Mädchen vor der Ehe etwas Besonderes? Bah, die Armuth allein hatte sie getrennt, ein Fehler, den Herr von Santen durch seine Heirath mit der allerdings viel ältern, aber reichen Wittwe Lampert corrigirte. Hier machte der Staatsanwalt in einer sehr logischen Combination einen plötzlichen Gedankenstrich. Seine klugen Augen schienen in die Ferne zu starren, nach den romantischen tiroler Bergen, wo ein jäher Absturz den armen Herrn von Santen schon auf der Hockzeitsreise zum Wittwer machte. Die ganze Scene schien sich nach der Schilderung des Amerikaners vor seinem innern Auge abzuspielen und eine Art Unruhe schien sich des sonst so kaltblütig beobachtenden Beamten zu bemächtigen. Herrn von Santcn's Person wuchs in den Augen des Staatsanwalts und das Wiedersehen mit diesem Fräulein Born, das hier so plötzlich auftauchte, erhielt nun ebenfalls eine größere Bedeutung. — Unzweifelhaft galt der letzte Satz des Briefchens einem verabredeten Rendezvous in Berlin. Man war jetzt frei und reich, um seiner Neigung zu folgen. Der Staatsanwalt warf sich in den Sessel, legte die Hand über die Augen und verfolgte seinen Gedankengang. Er hatte verschiedene Male mit dem Notar Sauer conferirt und von diesem erfahren, daß Herr von Santen ihm kurz vorher aus München geschrieben habe, ohne ein Wort von seiner Heimkehr verlauten zu lassen. Weshalb diese heimliche Ankunft in der Nacht? — War anzunehmen, daß der junge Herr so rücksichtsvoll gegen eine alte Person sein sollte, welche ihre Abneigung ihm stets ganz offen und unverblümt gezeigt, daß er nach seiner Angabe ihren Schlaf nicht habe stören wollen? —Es war ganz undenkbar! Der kleine Notar hatte ihm unter anderm auch von dem Gerüchte eines zweiten spätern Testaments Mittheilung gemacht, dasfelbe aber be zweifelt, da er, als langjähriger Anwalt des seligen Lampert, sicherlich Kenntniß davon erlangt haben würde. Wenn nun dieses Gerücht, wonach die alte Sanna davon wissen solle, den Wittwer und Universal-Erben zurückgesührt, um die gefährliche, ihm feindlich gesinnte Alte aus dem Wege zu räumen, alsdann, ohne fremde Augen fürchten zu müssen, das ganze Haus einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen und vor Tagesanbruch wieder zu verschwinden — oder — nur den Mord zu vollführen und jenes Geschäft, da alle Dienstboten außer Sanna entlassen waren, bei seiner Heimkehr, vielleicht schon am folgenden Tage, vorzunehmen. — „Ungeheuerliche Combination!" brummte der Staatsanwalt, sich Sr- gerlick erhebend, „dieser Amerikaner hat mit seinen Geschichten ein Labyrinth geschaffen. Doch soll Fräulein Born auch ein wenig überwacht werden." Es klopfte. „Darf ich eintrcten, Herr Staatsanwalt?" fragte Kugler, zwischen Thür und Angel. „Ohne Umstände, ich erwarte Sie. Ist Schwarz ohne Aufsehen in Sicherheit gebracht?" „Keine fremde Seele hatte von meiner Mission eine Ahnung, er ist ein guter Kerl, dieser Schwarz! — Nur eine junge Dame, seine heimliche Braut nämlich, welche uns begeanete, schien Witterung zu bekommen. Ich bemerkte, daß sie uns folgte, hütete mich aber meinen Gefangenen darauf hinzuweism, und richtig, als ick ihn hinter Schloß und Riegel gekracht und das Haus wieder verlassen hatte, kam sie wie ein scheues Vögelchen an mich heran und fragte kaum hörbar, ob Herr Schwarz verhaftet worden sei." „Ah, sie hatte also dergleichen schon befürchtet?" rief der Staatsan walt mit einer Art Erleichterung. „So schien es in der That; ich zuckte die Achseln und bedauerte, zum Schweigen verurtheilt zu sein, worauf sie in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrach und einige Worte wie: „der Unselige — um meinetwillen —ich wußte cs" — hervorstammelte. Als ick ihr meine Begleitung anbot, sie zu beruhigen suchte, schluchzte sie noch heftiger und eilte wie eine Besessene von dannen." „Da haben wir's," sprach der Staatsanwalt, „also doch die beiden Rechten gepackt." „Unzweifelhaft, Herr Staatsanwalt! — Wenn ich mir jedoch eine Bemerkung noch gestatten dürfte —" „Reden Sie, mein Lieber!" „Dann glaube ich fest, daß der etwas beschränkte Schwarz von dem schlauen Amerikaner zu der That angestiftet worden ist." Der Staatsanwalt nickte gedankenvoll. „Wir haben uns mit diesem Herrn ein wenig vorzusehen, Kugler! — Seine Papiere befinden sich in vollständiger Ordnung —" „Wollcn's abwarten, da wir ihn in Nr. Sicher haben. Für jetzt habe ich etwas Besonderes für Sic, mein lieber Kugler! —Wann kommt der letzte Zug von Minden?" „In einer halben Stunde'" „Da haben Sie keine Zeit mehr zu verlieren, da Sie mit diesem Zuge nach S. fahren müssen, wo Sie einen auf der Station beim Ein steigen verunglückten Amerikaner besuchen müssen. Hören Sie, was Dr. Stevenson mir darüber gesagt hat." Er erzählte dem aushorchcnden Kugler von seiner Unterredung mit dem Gefangenen und er verschwieg ihm nichts, obwohl er hier und da seine Zweifel einfließcn ließ. „Nun, was halten Sie von der Geschichte?" fragte er schließlich, ihn scharf anblickend. Der Detectiv war augenscheinlich überrascht und sehr nachdenklich geworden. „Das würde die Sache ja im Handumdrehen auf den Kopf stellen," versetzte er unruhig, „sie mindestens im höchsten Grade verwirren. — Der kranke Herr von Santen kann uns mittlerweile doch nicht entwischen, Herr Staatsanwalt?" „Bewahre, er war freilich schon recht munter und schien mir von einer fabelhaften Unruhe gepeinigt zu werden." „Und die Geschichte von dem rothen Maal stimmt?" „Ich habe den herzförmigen Fleck genau gesehen, kann aber ja auch nur ein listiger Verdächtigungsgrund sein." Der Detectiv nickte gedankenvoll.