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meister, „ich meinte an dem Abend nur so bei wegelängs, daß man den jungen Sckwarz, den leiblichen Neffen von der alten ermordeten Sanna — Gott hab' sie selig — vor dem feinen Fremden warnen müßte, da ein junger Mensch gar zu leicht in die Fallstricke des Bösen fallen könnte. Aber cs war ja alles lächerlicher Kram, da der Herr Notar Sauer solches besser als unser einer wissen muß, obschon ich weiß, daß der Fremde im Lampert'schm Hause gewesen ist —" „Ja, mit dem Notar Sauer," unterbrach ihn der Krämer, „Herr von Santen wollte dock das alte Haus verkaufen, man sagt, an den Amerikaner, ter steinreich sein soll, hm, ja." „Na, dann hatte er wabrlkch keine Ursache, alte Weiber umzubringen," bemerkte der Cigarren-Rcisenoc wegwerfend. „Ist der Fremde denn noch hier?" „Er logirt im „Deutschen Kaiser", unser erstes Hotel, sah ihn heute noch in der Start." Die Unterhaltung drehte sich noch eine Weile um diesen Gegenstand und um die geheimnißvolle Anwesenheit des Herrn von Santen in seinem Hause, worüber der Reisende ebenfalls lächelte, da ja ein Nachtzug, wenn er nicht irre, hier eine Minute anhalte und der Herr des Hauses doch sicherlich einen Hausschlüssel gehabt, um zu jeder Zeit dasselbe betreten zu können. Die guten Bürger zerbrachen sich die Köpfe, welchen Zweck der Mör der bei seiner Unthat gehabt haben könne, da erwiesenermaßen nichts ge raubt oder erbrochen sei. „Doch, doch, der Schreibtisch des seligen Lampert," bemerkte der Schneidermeister, „mein Schwiegersohn, der eine Zeit lang im Comptoir des Alten gearbeitet hat, meinte nur so bei wegelängs, daß der Selige, wie der junge Schwarz ihm einmal gesteckt habe, vielleicht ein zweites Testament gemacht und irgendwo im Hause versteckt hätte; seine Tante Sanna wüßte sicherlich darum, die weil sie so bei wegelängs, wenn die Frau es ihr zu arg gemacht, ein Wörtlein darüber habe fallen lassen." „Hm, ja," meinte der Krämer kopfschüttelnd „dann müßte die Ge schichte wohl eigentlich von demjenigen ausgehen, der ein Interesse an dem zweiten Testament hätte, und, — hm, ja, weshalb denn eigentlich die alte Sanna daran glauben mußte, ist mir nicht erklärlich. „Das ist logisch, lieber Herr!" bemerkte der Cigarrenreisende, „zumal die Wirthschafterin eine Gegnerin des ersten Testaments, wonach, wenn ich reckt verstanden, die Hinterbliebene Wittwe zur Universal-Erbin ernannt worden, doch jedenfalls gewesen ist, wie?" „Na, das ist gar nicht zu bezweifeln," rief der Schneidermeister Dinkel, sein Bierglas energisch auf den Tisck niedcrsetzend, „ich war seit vielen Jahren des alten Lamperts Leibschneider, und hab' die Sanna wie mich selber gekannt, sie und ihr Herr waren verbunden wie Pech und Schwefel in allen Ehren, wie die treue Magd mit ihrer Herrschaft, das weiß die ganze Stadt, oder ist es nickt so?" „Natürlich — versteht sich —" tönte cs im Kreise wie aus einem Munde. „Sanna ging, wie man zu sagen pflegt, für ihren Herrn durch's Feuer, bis ganz plötzlich die neue Haushälterin engagirt wurde, welche Herr Lampert auf der Reise kennen gelernt hatte. Dies war die erste Dummheit, die er beding, na, Alter schützt vor Thorheit nickt, Fräulein Weiße war eine stattliche Perfon in den besten Jahren, reif genug, nm einzusehen, daß der alte Lampert mit seinem Reichthum eine gute Partie für sie sei, und so mischte sie die Karten recht klug, spielre einen Trumpf gegen Sanna Schwarz aus und wurde Frau Lampert, d. h. Gebieterin des Hauses und Erbin des ganzen Vermögens. Daß eine arme Schwester des seligen Lampert, der»n Mann sich erschoß, mit ihren Kindern leer ausgehcn und am Bettelstäbe in die Fremde ziehen mußte, kümmerte die Erbin nickt, desto mehr aber die alte Sanna, und da hieß es nun in unserer Sta"t, daß sich bei Lampert die Schwarze und die Weiße um die Herrsckaft stritten." „Sehr gnt," lächelte der Reisende, „ein vollständiger Roman mit einem tragischen Adsckluß." „Hm, ja, wenn Herr von Santen gestorben ist," meinte der Krümmer bedächtig, „gebe Gott, daß der junge Herr das Bewußtsein wieder erhält, um Lickt in die Sache zu bringen." „Weiß man, wo die enterbte Schwester geblieben ist?" fragte der Reisende. „Nein, daß weiß kein Mens ch " erwiderte Meister Dinkel, „ich glaube aber steif und fest an ein zweites Testament, und auch, daß Sanna darum gewußt hat, weil Herr Lampert, wie sie öfter in ihrer knurrigen Weise sagte, es schon längst bereut hätte, seine Schwester so schändlich verlassen zu haben, daß diese Mordthat darum geschehen, glaub' ich ebenso steif und fest." Er leerte sein Glas mit einem energischen Zug und setzte es ebenso fest auf den Tisch. Man stritt sich nun noch ein Langes und Breites über jene räthsel- hafte Geschichte, «eil jeder Kopf sich eine eigene Ansicht darüber gebildet hatte. Der Reisende erhob sich, um noch einen Gang in's Freie zu thun, wie er sagte, und wünschte der Gesellschaft eine gute Nacht! Langsam durch die Straßen schlendernd, gerieht er bald auf eine hübsche Promenade, mit schattigen Bäumen bepflanzt, durch deren Zweige der Mond sein zitterndes Licht warf. Principgemäß rauchte der Reisende oder vielmehr Detectiv niemals im Dunkeln und zumal im Freien, um seine Gegenwart nicht zu verrathen, da der Zufall oft die Lösung schwieriger Räthsel unerwartet bieten kann. Er war ein Mann von vielleicht vierzig Jahren mit einem höchst respcctablen Aeußern, leichtem elastischen Gang und nannte sich Kugler. Ueber den räthselhaften Mord eifrigst nachgrübelnd und das soeben aus dem Munde der schlichten Bürger Gehörte, welches er versucht war, eine Gottesstimme zu nennen, in seinem scharfen Gedächtniß summarisch ordnend, um einen Ueberblick der Situation zu erlangen, schritt er langsam und gewohnheitsgemäß ganz geräuschlos unter den Bäumen dahin, ge flissentlich die dunkelste Seite wählend. Plötzlich blieb er aufhorchend stehen, es war ihm, als habe er Fuß tritte vernommen, vielleicht ein Pärchen, das die stille Einsamkeit der Pro menade zu einemu ngestörten Spaziergang benutzte, da sich nach dem schauerlichen Ereigniß kein Mensch mehr Abends in diese Gegend zu wagen schien. Kuglers feines Gehör hatte sich nickt getäuscht, es näherten sich in der That langsame Schritte wie von mehreren Personen, cr hielt sich un beweglich still. Jetzt vernahm er den Schall gedämpfter Worte. „Still," gebot eine halblaute Stimme, „hier ist nicht der Ort zu vertraulicher Unterhaltung, mein Lieber! Warten wir damit, bis wir unter Dach und Fach sind. Ich denke, wir gehen lieber in'- Haus." „Wie Sie wünschen," versetzte eine andere Stimme, „obgleich wir hier so unbelauscht jetzt sind, wie in meinem Zimmer, da keme Mcnschen- scele mehr in diese einsame Gegend wagt aus Furcht —" „Ach so," fiel die erste Stimme ein, aus Furcht vor den Mördern, eS ist eine heillose Geschichte damit." Es waren zwei Herren, welche jetzt, von den durchschimmernden Mond strahlen beleuchtet, sichtbar wurden und nun rascher vorwärts schritten. Der D-tectiv blieb noch einen Augenblick stehen, worauf cr dcn beiden Spaziergängern geräuschlos folgte und seinen Schritt beschleunigte, bis er mit ihnen fast in gleicher Linie war. Sic sprachen keine Silbe, bogen aber so plötzlich nach Kuglers Seite hinüber, daß dieser fast erschreckt zurückwich und sich, den Athem anhaltend, hinter einen Baum drückte. Der cinc von den beiden Herren schloß eine Pforte aus und beide verschwanden in einem Garten. Der Detectiv strengtc sein Gehör an, vernahm aber nickts weiter, als gedämpfte Schritte, welche sich entfernten und bald ganz verloren. Rasch entschlossen zog er ein Taschenmesser hervor, betastete die Pforte und schnitt ein Zeichen in das Holz, worauf er sick wieder auf dcn Rückweg begab, und mit bewunderungswürdiger Ausdauer die Bäume zählte, deren Anzahl er sick dann notirte. Hierauf gina er in seinen Gasthof zurück, ließ sich einen Nachttrunk bringen und begab sich zur Ruhe. XVII. Die beiden Herren, welcke von dem Dctectiv Kuglers verfolgt und, nach seinen Manipulationen zu rechnen, auck bereits beargwöhnt waren, hatten sick in das Haus, zu wclckem der Garten gehörte, begeben und saßen jetzt in einem Zimmer im Dunkeln. Nur der Mondstrahl erhellte die Sophaecke, wo der Eine sich niedergelassen und wir erkennen in ihm den Amerikaner Stevenson, während Rudolf Sckwarz sich einen Stuhl heranzog und mit einem Seufzer darauf niedersank. „Nun sagen Sie mir vor Allem, was Sic von dcr Ankunft des Staatsanwalts erfahren haben," begann Stevenson ruhig, „und ob Sie meinen Auftrag hinsichtlich des Hospitales, wo Herr von Santen sich be findet, ausgcführt haben." „Ach Gott, ich weiß nickt, wo mir der Kopf steht," seufzte der junge Mann, es ist wohl am besten, daß ich zu dem Staatsanwalt gehe und ihm Alles mittheilc." „Dazu ist es noch immer früh genug, mein Lieber!" erwiderte Ste venson ungeduldig, „ich habe Sie in diese Patsche gebracht und werde Sie nickt im Stiche lassen, davon, denke ich, könnten Sie wohl überzeugt sein, weil ich andernfalls doch sofort das Weite gesucht haben würde. Nun also, erzählen Sie hübsch folgerecht, damit man seine Maßreg In darnach treffen kann." „Ja, verzeihen Sie, Herr Doctor, ich fange gleich an. Herr von Santen, welcher bisher nur unverständliche Worte hervorgebracht, sängt jetzt an, im Zusammenhänge zu phantasircn, schwätzt lauter tolle» Zeng, besonders von einer Dame, welche ihn irgendwo erwartet." „Hoffen die Aerzte auf seine Wiederherstellung?" „Ja, und auch ich hoffe darauf," erwiderte Sckwarz resignirt. „Ich will alles über mich ergehen lassen, wenn nur der Mord von meiner Seele genommen wird." „Sckwätzen Sic nicht so thöricktes Zcug," rief Stevenson unwillig, „auch ich hoffe auf sein Leben, würde mir aber, was die Gewisscnsfrage anbetrifft, kein einziges graues Haar über seinen Tod wachsen lassen. Sie haben sich gegen einen Mörder vertheidigt, das ist Alles. Was seine Fieber-Phantasien anbetrifft, so ist es ja möglick, daß cr sich noch als Mörder Ihrer Tante selber denuncirt, wenn überhaupt etwas daraus ge geben werden könnte Für mich ist die Hauptsache, ob er am Leben bleibt, und daß Sie, mein Freund, durck Jhr schreckliches Gebühren keinen Verdacht auf sich lenken. Ein Glück für uns beide, daß man Ihr jam mervolles Aussehen auf den elenden Tod Ihrer Tante schiebt und sie deshalb allgemein bedauert, was ja übrigens auch kein Jrrthum dcr öf- fentlicken Meinung ist." Nein, hieran bin ich schuldlos," versetzte Rudolf, das gesenkte Haupt erhebend, „was aber werde ich gegen ibn ausrichten, wenn cr soweit her- gestellt ist, um vernommen zu werden?" Haben Sie sich das ganz klar ' gemacht, Herr Doctor?" „Ich sollte ea denken, mein Lieber! — Er ist sicherlich ein sehr ge riebener Bursche, welcher leinen Vortheil benutzen wird. Nun gut, er denuncirt Sie einfach als Einbrecher, das Ucbrige folgt dann ganz von selbst." „Und das kann ick nicht ableugnen," stönte der junge Mann, „ich habe in seinem Hause einen Schrank erbrochen und bin dabei von ihm betroffen worden, habe mit ihm gerungen und ihn halb erwürgt in dem brennenden Hause zurückgelassen. Diese schrecklichen Thatsachen kann ich nickt ableugnen." „Nein, darin steckt aber sein Vortheil, weil man Ihnen nun auch den Mord der alten Sanna zuschreibt, kein Richter würde darüber einen Augenblick darüber in Zweifel sein, es liegt ja auf der Hand." „Das ist's, ich fliehe noch in dieser Nacht oder gehe morgen früh zum Staatsanwalt," rief Rudolf verzweiflungsvoll. „Sachte, sachte, mein Lieber!" beruhigte Stevenson, „cinc kopflose Flucht würde Sie unrettbar zum Schuldigen stempeln und Ihr Verderben besiegeln, das müssen Sie einsehen. Zum Staatsanwalt — apropos, was haben Sic über ihn vernommen? — Wen darüber befragt? — Er wohnt privatim hier, nicht wahr?" „Der Staatsanwalt soll einer der tüchtigsten Criminalisten Deutsch lands und deshalb in der Verbrecherwelt sehr gefürchtet sein, das sagte mir ein Freund, welcher Landgcrichtsschreiber ist; cr, der Staatsanwalt, wohnt beim Obergerichtsrath Melchior, dem Vorgesetzten meines Freundes." „Hat letzterer Ihnen nichts von einem Begleiter desselben gesagt?" fragte Stevensohn ruhig. „Nein, er scheint ganz allein gekommen zu sein." „Hm, kennen Sie den Gasthof „Zum schwarzen Bär"?" „Na, freilich," erwiderte Schwarz verwundert, „es verkehren dort nur meistens kleinere Bürger, Handwerker und was dazu gehört, übrigens ein anständiges Wirthshaus." „Ließ sich erwarten, — gehen Sie auch zuweilen hin?" „Jetzt schon lange nicht mehr," sagte Rudolf, „die jungen Kaufleute besitzen dort ein Clubzimmer, doch frequentire ich denselben nickt mehr." „Weil Sie für die Zukunft sparen, sehr löblich." sprach Stevenson lächelnd, „thun Sie uns Beiden nun den Gefallen, Herr Schwarz, und gehen Sic morgen Abend wieder in den Club —" „Das würde sich für mich nicht passen," meinte dieser betreten. „Der schauerliche Tod meiner Tante —" „Verpflichtet Sie nicht, sich von der Menschheit abzusondern," fiel Stevenson energisch ein, „das ist deutsche Senlimcntalität, wir Amerikaner denken anders darüber. Aber wir sind ja nun einmal in Deutschland und müssen uns der Sitte fügen. Können Sie nicht irgend einen Vor wand für Ihr Erscheinen erfinden? Vielleicht einen Freund aufsuchcn? Es liegt mir nämliä, viel daran, über einen Fremden Aufschluß zu er halten, welcher zugleich mit dem Staatsanwalt eingetroffen ist und im „Schwarzen Bär" logirt. Ich war zufällig am Bahnhof und sah die Herren aussteigen, fing auch einige Zcichen des Einverständnisses zwischen dcn Beiden auf — ich beobachtete nämlich sehr scharf, — was mich auf dcn Gedanken brachte, daß wir es hier mit einem Dctectiv oder geheimen Criminalbeamten zu thun haben." „Allmächtiger Gott!" stöhnte Schwarz, „nun geh' ich dock zum Staatsanwalt." (Fortsetzung folgt.)