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„Das freut mich, zu hören," lächelte Clara melancholisch, „ich tauge leider nicht zu solchen Experimenten." „Weiß ich, Kind, — aber die Menschen sind nun einmal nicht an ders zu gewinnen, ein bisserl Falschheit muß alleweil dabei sein, um sich durch'« Leben zu laviren." „Schlimm genug für einen ehrlichen Charakter," versetzte Clara bitter, „wozu nützt alsdann die strenge Moral, wozu eine redliche Erziehung? Der Kluge welcher beiden unter der Maske ein Schnippchen schlägt, be hält ja allemal recht, während der offene, ehrliche Mensch dem Hohn und Spott erliegen muß." „Na, na, Kleine, nur nicht das Kind mit dem Bade verschütten," lächelte Hilberg, — auch der Ehrliche kann ohne unsere sogenannte Welt klugheit nicht mitkommen und muß natürlich über die eigenen Füße stolpern, das ist nun esnmal so. Ich möchte Ihrer Frau Mama den Text lesen, daß sie ihr Töchterchen ohne Klauen und Zähne in den Kampf der Welt hat hinausziehen lassen. Wir leben in der Gesellschaft stets auf dem Kriegsfuß und müssen deshalb auch immer in voller Rüstung sein, um jeglichen An griff mindestens pariren zu können, wenn wir selber auch nicht angreifen mögen. Das ist die eigentliche Moral des Lebens, mein Kind!" Clara schüttelte seufzend den Kopf und schritt schweigend am Arm des Commerzienraths, der dieses Thema immer weiter ausführte, dahin, ohne von der herrlichen Gegend etwas zu sehen, und nur hier und da eine zerstreute Antwort gebend, bis sie die Waldorf'sche Villa erreicht hatten, wo sie sich rasch von ihrem Begleiter verabschiedete. „Die Geschichte mit dem Brief hat einen Haken," dachte Hilberg, nachdenklich seiner Wohnung zuschreitend. „Das Mädchen war ja plötzlich wie ausgewechselt, was unmöglich die Mordgeschichte, die ihr ja gänzlich fern steht, verursacht haben kann. Ich werde sehen, was mein Procurist darüber schreibt und alsdann erst Sauer's Antwort abwarten, um sofort heimzukehrcn. Muß mich hinter die kleine Ida stecken, damit meine Alte hierbleibt, — würde daheim ein schreckliches Lamento machen." Natürlich brachte die weltkluge Nichte es im Handumdrehen dazu, daß die Tante auf die Idee kam, dem Gatten zur Abreise zu rathen, während sie selber in Meran bleiben und ihre Kur vollenden wolle. Der Commerzienrath sträubte sich noch ein wenig, die kranke Gattin zu verlassen, ließ sich aber doch endlich überreden, zumal als umgehend die Antwort des kleinen Notars eintraf, welcher die Ereignisse in den krassesten Farben malte und die Rückkehr des Herrn Commerzienraths für sehr gerathen hielt, was der Procurist in seinem Schreiben nun freilich nicht für nothwendig erklärte. XV. Der schlotterige Engländer, Mr. Newman, war, als er sich auf der Burg so plötzlich ohne Abschied empfohlen hatte, mit langen Schritten nach Meran zurückgeeilt, um hier eine Depesche an Dr Stevenson in L. aufzugeben, sodann einen Wagen zu miethen und sich nach St. Leonhardt fahren zu lassen, von wo er dierect in die Berge Hinaufstieg. Der wunderliche Geselle hatte keinen Blick für die prächtige Naturwelt ringsum, hastig stieg er weiter und weiter, ohne ein Zeichen der Ermüdung, die Schatten des Abends lagerten sich auf den grünen Matten, die Taunen, Lärchen und Nußbäume verwandelte sich aus dunkelgrün in schwarz, die Gletscher glühten in Rosengluth, kleideten sich in Lilia und tieferes Blau, bis auch sie im nächtlichen Dunkel verschwanden. Da tauchte plötzlich ein Kirchlein in schwarzen Umrissen empor, von einigen Hütten malerisch umgeben. Mr. Newman athmete tief auf, trocknete sich die erhitzte Stirn und warf sich dann in's Gras nieder, wo er eine Weile regungslos liegen blieb, „So, nun kann's wieder losgehen," murmelteer, sich elastisch erhebend. „es liegt beim Jo, ein wahrer Lebensbalsam in dieser Bergluft." Langsam schritt er auf das Kirchlein zu, das in seiner absoluten Schmucklosigkeit etwas Erhabenes hatte, umkreiste dasselbe mit prüfenden Blicken und näherte sich dann den Hütten, die sich durch nichts von ein ander unterschieden und somit die wahre Gleichheit verwirklichten. Die primitiven Lampen erhellten bereits das Innere der Hütten, wo sich Alles gemeinschaftlich um den Herd gelagert hatte, um das frugale Abendbrod einzunehmen. In der Nähe des Kirchleins stand die Hütte des Pfarrers. Der Engländer sah den geistlichen Herrn am Tische sitzen und seine Suppe essen. Ohne sich zu besinnen, klopfte er an die Thür und trat ein. Er schien sich mit dem Pfarrer bereits bekannt gemacht zu haben, da ihm dieser sehr freundlich zunickte und ihm zum Essen einlud. „Nehmen Sie fürlieb, Werther Herr! Reserl, bring' Teller und Löffel für unsern Gast." Die alte Wirthschafterin brachte beides und setzte den gefüllten Teller vor Mr. Newman, der nach der großen Anstrengung sehr hungrig war und hastig zugriff. „Kann ich die Nacht hier bleiben, Hochwürden?" fragte er, als das Mahl beendet war. „O, freilich, — ich bin, so klein auch meine Hütte, doch immer auf einen oder zwei Gäste eingerichtet, und froh, meine Einsamkeit in solcher Weise unterbrochen zu sehen. Sie werden wohl längere Zeit in Meran bleiben?" „Ich hatte allerdings die Absicht," versetzte Newman, „zumal ich hier ein Rendezvous mit einem Freunde, den ich seit Jahren nicht gesehen, geplant, doch ist diese Absicht jetzt auf seltsame Weise verändert worden. Denken Sie sich, Hochwürden, daß dieser Freund, ein gewisser Dr. Ste venson aus New-Jork, mir heute aus Westfalen schreibt, wie er mich be reits in Meran erwartet und auf mein Eintreffen nicht mehr gehofft habe, weshalb er die Einladung eines gewissen Herrn von Santen, dessen junge Gattin hier jüngst in den Bergen in der traurigsten Weise verunglückt sei, angenommen und sich nach X. Westfahlen begeben habe." Forts, f.) * Dem „M. Fremdenbl." wird von Bayreuth geschrieben: Der vom untcrfränkifchen Schwurgerichtshof im Jahre 1874 wegen eine- auf dem Fürsten Bismarck verübten Attentats zu einer Zuchthausstrafe von 14 Jahren verurtheilte ledige, nunmehr 36 jährige Böttchergeselle Eduard Kullmann aus Magdeburg hat am 30. v. M. diese Strafzeit im Zucht hause St. Georgen (Bayreuth) verbüßt. Eine weitere 7jährige Gesäng- nißstrafe wegen verschiedener an vorgenanntem Straforte verübter Vergehen hat derselbe in der Gefangenen-Anstalt Amberg noch zu verbüßen. Der Gesundheitszustand des Verbrechers ist kein günstiger. * 60 Köche und 100 Lakaien haben den Zaren auf seiner Reise durch den Kaukasus begleitet. So erzählt der Petersburger Korrespondent der „Times", welcher gleichzeitig mit dem russischen Kaiser den Kaukasus bereiste. Bei der Benutzung der großen Militärstraße nach Tiflis hatte derselbe große Mühe, den Köchen und Lakaien, welche 100 Postpferd e und 20 Wagen und Omnibusse brauchten, zuvorzukommen.