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Beilage z« Nr. 8S des Wochenblattes für Wilsdruff re. Auf sicherer Fährte. Criminal-Roman von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Man berichtet dergleichen, er soll aber noch nicht tobt sein, während eine alte langjährige Dienerin des Lampert'schen Hauses mausetodt auf- gesunden worden ist. Da das Schreckliche sich in einer Gewitternacht er eignet und der Blitz zum Ueberfluß auch dort eingeschlagen hat, so denke ich mir, daß die beiden Opfer in dieser Weise umgekommen sind, ein Er- eigniß, welches der Volksmund zu Mordthaten umgestempelt hat." „Möglich ," erwiderte Clara, zerstreut den Brief in die Kleidertasche schiebend. „Sie entschuldigen, Herr Commerzienrath, „daß ich Sie ver lasse, um nach Meran zurückzukehren. Meinen besten Dank für Ihre Freundlichkeit, den Brief mitzunehmen — " „Keine Ursache, es war nur Eigennutz von meiner Seite, liebes Fräulein!" unterbrach Hilberg sie trocken, „da Mr. Newman, wie ich sehe, sich auf französische Art empfohlen hat, so müssen Sie wohl oder übel mit meiner Begleitung fürlieb nehmen. Will versuchen, Sie ebenso vortreflich zu unterhalten, wie Sie der und kio-8ir, Fräulein Clara!" Diese lachte gezwungen und schritt so leichtfüßig und rasch voran, daß der erhitzte und halbermüdete Bankier ihr kaum zu folgen vermochte. "Ei, ei, Sie wollen mir wirklich entlaufen?" rief er unwillig, „daß ist nicht hübsch von Ihnen, mein Fräulein! — Ich will Ihren Brief ja gar nicht lesen, auch nicht wissen, von wem er kommt, nur hören möchte ich gern, ob und was etwa von der Mordgeschichte darin steht." Clara blieb beschämt und heiß erröthend stehen, um den Commerzien rath zu erwarten. „O, verzeihen Sie mir," sagte sie, ihm die Hand entgegenstreckend, welche er rasch ergriff und durch seinen Arm zog. „So, nun lesen Sie den Brief," befahl er ernsthaft. „Das wäre in dieser Gefangenschaft eine zu schwere Aufgabe," meinte Sie lächelnd, „lassen Sie mich erst frei, Herr Commerzienrath! — So nun gehen Sie voran!" befahl sie ebenfalls ernsthaft. Er gehorchte und nun öffnete Clara den Brief, welcher von Niemand anders, als von Dr. Stevenson war. Sie sah zuerst nach der Unterschrift und fühlte wieder das heiße, ver- rätherische Erröthen, welches sie im Innern verwünschte, zumal, als sich gerade der Commerzienrath in diesem Moment umwandte. „Ja, es steht hier etwas vom Herrn Santen," sagte sie mit unsicherer Stimme, „er ist halb erwürgt aufgefunden worven, lebt zwar noch, ist aber nicht vernehmungsfähig, da er im Fieber liegt und irre redet. Die alte Wirthschafterin ist grausam gemordet worden, von den Thätern fehlt bis jetzt jede Spur." Clara's Blick hing mit starrem Ausdruck an dem Schreiben, als drohe ihr aus den Zeilen eine ungeheuere Gefahr, dann faltete sie es hastig zusammen, schob es in'S Couvert und in die Tasche. Der Commerzien rath beobachtete sie aufmerksam; wer konnte diesem Mädchen, das niemals in X. gewesen war, von dort schreiben? Unwillkürlich drängte sich diese stille Frage auf seine Lippen. „Haben Sie in X. Bekannte, Fräulein Hagen?" Sie schreckte zusammen und blickte ihn an, als erwache sie aus einem schweren Traum. „Verzeihen Sie, Herr Commerzienrath!" stammelte sie, ihm ihr todten- blasses Antlitz, aus welchem jeder Blutstropfen verschwunden zu sein schien, zuwendend, „ich verstand Ihre Frage nicht." „Die Nachricht scheint Sie außerordentlich entsetzt zu haben, mein Kind!" sprach Hilberg, ohne Umstände ihre zitternde Hand durch seinen Arm ziehend, „kommen Sie, wir wollen langsam nach Meran zurückkehren, der Weg wird Sie beruhigen. Ich begreife nicht, wer Ihnen solche Dinge, die am Ende, da die Persönlichkeiten Ihnen fern stehen oder ganz fremd sind, gar kein Jntresse für Sie haben können, so unzart auftischen mag." Clara schwieg eine Weile, um ihre Fassung wieder zu erlangen, was ihr nach kurzem und schwerem Kampfe auch gelang. „Sie begreifen das jetzt nicht," erwiderte sie nicht ohne Bitterkeit, „und sind mir doch eigens hierher gefolgt, um solche Dinge aus dem Briefe zu erfahren." „Das ist richtig, und steht deshalb mit meiner letzten Aeußerung im Widerspruch," gab Hilberg ruhig zu. „Sehen Sie, Fräulein Clara! — ich will ganz offen gegen Sie sein. Der Brief kam zufällig in meine Hände, weil der Postbeamte die Adresse für eine irrige und Sie noch zu uns gehörig hielt. Der Poststempel X. erregte meine Neugierde, da Sie meines Wissens dort weder Verwandte noch Bekannte haben. Hierzu trat der beunruhigende Zeitungsbericht, welcher möglicher Weise durch Ihren Brief eine andere Beleuchtung erhalten konnte, Gründe genug, um mich zu veranlassen, Ihnen denselben persönlich zu überweisen. Habe ich damit Ihren Unwillen verdient, dann verzeihen Sie mir." „O bitte, Herr Commerzienrath," wehrte Clara mit gezwungenem Lächeln ab, von Verzeihung kann in meiner Lage keine Rede sein. Ich muß dieselbe vielmehr für mich selber in Anspruch nehmen, weil ich Ihnen über diesen Brief keinen weitern Ausspruch geben kann als die Versicher ung, daß kein Bewohner aus X., sondern ein Bekannter aus Köln auf der Durchreise ihn geschrieben und von dort abgesandt hat." „So, so," sagte Hilberg, nachdenklich in die Ferne blickend, „das ist etwas Anderes. Nun, ich habe wenigstens einen bestimmten Anhalt und werd? das Uebrige wohl heute aus unserem Lokalblatt und den Ge schäftsbriefen erfahren. Das Blatt erhalte ich sonst regelmäßig, ist in den letzten Tagen merkwürdigerweise ausgeblieben. „Man hat Ihre Frau Gemahlin schonen, Sie nicht unnöthig beun ruhigen wollen, Herr Commerzienrath!" bemerkte Clara leise. „Versteht sich, übrigens eine ganz verkehrte Rücksicht, hätte ganz nett mit abbrennen können, eine hübsche Bescheerung, den Henker auch, wer weiß, wie die Spritzen mein Haus zu gerichtet haben." „Dann könnten Sie doch allein heimkehren, da Ihre Frau Gemahlin in der besten Obhut sich befindet." „Habe auch schon daran gedacht, mein Kind! — Wissen Sie was? — Meine Nichte ist viel klüger als Sie, die führt das Regiment und leitet meine Frau nach ihrem Willen, ohne daß diese es merkt. Wir be finden uns Alle ganz gut dabei."