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lingsduft und Sonnenschein, als Glück und Herzensseligkeit entgegenleuchtet — ehe die Frau Commerzienräthin so weit ist, um in den Wagen zu steigen. Während sie dann der Hofjäger-Allee im Thiergarten zurollen und die Mutter sich Toilettenstudien hingiebt, weilen Melanie's Gedanken bei dem glücklichen Paare dort in den Gefilden Thüringens. — Sie denkt an die Zeit zurück, in der sie der gute Geist der Beiden gewesen, an die Briefe die sie vermittelt, Briefe voller Liebe und Sehnsucht. Dann preßt sie plötz lich die Hand auf die Brust, daß ein leises Knittern sie heiß erröthen macht. „Bei Gott im Himmel, er ist unschuldig!" sagt sie leise vor sich hin, daß Frau Caroline fragt: „Wie sagtest Du, Kind?" „O, nichts, Mama — nichts, garnichts." Dann beschließt sie, den Commissarius, der damals bei dem Proceß wegen des Mordes an ihrem Vater als Zeuge betheiligt war, aufzusuchen. Er ist es vielleicht, der etwas in der Sache thun kann, die Unschuld des Verurtheilten an den Tag zu bringen. * * „Nicht wahr, Kind, Du wirst nicht lange fortbleiben?" „Ich weiß nicht, Mutter. Aber Fritz wird bald zurückkommen; der bleibt dann bei Dir. Wie gut, Mutter, daß er uns nicht verlassen hat, wie er gewollt!" Dabei nimmt Anna den Kopf der Blinden zwischen beide Hände und lehnt mit der Stirn auf deren ergrautes Haar. Wie gut es ist, daß die alte Frau das schmerzliche Zucken in dem bleichen Antlitz ihres Kindes nicht sehen kann; sie wäre sonst wohl nicht so ruhig geblieben. „Kind, hast Du noch etwas?" fragt sie, „möchtest Du noch irgend etwa« sagen?" — fragen?" „Nein, Mutter, — aber es wird mir so schwer, Dich jetzt so allein zu lassen." „Nicht doch, Kind; ich bin ja daran gewöhnt, so allein zu sitzen. Wenn ich ja etwas brauchen sollte, Du weißt — ich finde Alles selbst. Dann kommt ja auch Fritz bald." „Das ist gut, sehr gut. Leb' denn wohl, Mutter." Dabei preßt sie das Haupt der Blinden plötzlich leidenschaftlich an ihre Brust und be deckt ihr Gesicht mit fast heftigen Küssen. Dann flüstert sie ihr noch ein Wort ins Ohr und eilt im nächsten Augenblick aus dem Zimmer. Die Blinde wiederholt erstaunt dies zugeflüsterte Wort: „Verzeih'mir wenn ich Dich betrübte!" — oder hatte sic „betrübe" gesagt? — Sie will nach Anna rufen, aber draußen fällt schon die Thüre ins Schloß, und dann hört sie den leichten Schritt die Treppe hinab. Worauf konnte das Kind die Worte bezogen haben? Unten geht Anna mit gesenktem Blick die Straße hinab. Ihr ist so weh um's Herz, und doch klingt ihr Schritt so fest und entschlossen. Sie blickt nicht ein einzig Mal zurück, und die dicht vollgepfropfte Reisetasche, die sie in der Hand trägt, scheint ihr nickt einmal schwer zu werden. „Ein Sträußcken Palmen, Fräulein," sagt da die Stimme einer alten Frau an ihrer Seite, „fünf Pfennige kostct's, wollen Sie es nicht kaufen?" Anna hemmt ihren Sckritt. Ein Lächeln legt sich um ihren Mund, sie greift nach den kleinen Zweigen mit den glänzenden Kätzchen, während ihr Blick hinauffliegt zu dem sonnigblauen Aprilhimmel, über den nur hier und da ein weißes Wölkchen streift, im Sonnenschein glänzend wie der Flügel eines Engels. Und leise flüstert sie: Auferstehung! —" Dann geht sie noch ein Weilchen an dem Ufer des Canals entlang' der in seiner schwarzen Fluth den sonnigen Himmel spiegelt. „Ueberall Licht, Wärme und Sonnenschein!" denkt Anna mit einem tiefen Athem- zuge. Dann überlegt sie, auf welche Weise ihr weiter Weg am schnellsten zurückzulegen sei. Sie steigt in einen Omnibus, immer noch das glückliche Lächeln auf dem Antlitz, das die Palmenzweige hervorgerufen haben. Mit demselben Lächeln fragt sie dann eine halbe Stunde später den Schließer an der Pforte des Strafgefängnisses in Plötzensee, ob sie heut Einlaß finden könne. Dies mal nickt der Beamte, ohne sie erst zu Ende sprechen zu lassen, — drei, vier Mal schon hat er sie abgewiesen. — Doch in einer Stunde kam der Gefangene ja frei, da mochte sie immer zu ihm gehen. Er erlaubt auch, daß sie ihre Tasche in seiner Zelle zurückläßt. Dann folgt sie dem Manne mit dem großen rasselnden Schlüsselbunde durch lange Gänge, in denen ihre Schritte unheimlich an den kahlen Mauern widerhallen. Endlich öffnet er eine der vielen Thüren. „Na, nun spazieren Sie nur herein, kleines Fräulein. In einer halben Stunde lassen wir den Vogel da drinnen wieder frei; so lange können Sie sich etwas mit ihm erzählen. Ich hab' nicht Lust, dabeizustehen." Sie tritt in einen kahlen, düstern Raum; dann fällt die Thür hinter ihr schwer in's Schloß, daß der dumpfe Ton von den Wänden wiederhallt. Der Mann dort vor ihr, an dem vergitterten Fenster ist Aloys Heidecker, sie weiß es, ohne ihn mit einem Blick gestreift zu haben. Sie drückt die Hände auf's Herz. — Nun muß es ja kommen, wie sie es sich so oft aus gemalt in all' den langen Nächten, in denen sie bei ihrer Arbeit so selige, glückliche Zukunftsbilder erträumt. Jetzt wird er die Arme ausstrecken und fragen: „Du kommst noch zu mir, Anna? Du, die ich am schwersten ge kränkt? Du bist die Einzige, die mir treu bleibt, wenn all' die Anderen mich verlassen und verachten!" Und dann, an seinem Herzen hangend, will sie ihm erzählen von der Liebe, die Alles verzeiht, die so langmüthig ist in ihrem Glauben und Hoffen, die nie aufhören kann, was ihr auch angethan würde — von dieser Liebe, die ihr Herz allein erfüllt! Aber er blickt fick nicht einmal um nach ihr. Er bleibt unbeweglich am Fenster stehen, die Stirn an die Scheiben gepreßt, hinter denen die rostigen Eisenstäbe sich kreuzen. Sollte er ihr Kommen gar nicht bemerkt haben? Sie ruft seinen Namen, leise nur, und doch so bittend, so freudvoll. Jetzt wendet er den Kopf, aber er erwidert ihren Gruß nicht. Er tbut ihr keinen Schritt entgegen; er streckt nicht einmal die Hand nach ihr aus. Nur um seinen Mund legt sich ein harter bitterer Zug. „Aloys!" ruft sie und ein Blick sehnsüchtiger Liebe heftet sich an sein Gesicht. „Was willst Du hier?" fragt er, ohne daß sein Ausdruck milder geworden. „Dich!" erwidert sie und hebt die gefalteten Hände flehend zu ihm empor. Mit gesenkten Augen setzt sie dann zaghaft hinzu: „ich wollte fragen, was Du zu thun gedenkst, wenn Du in einer halben Stunde freikommst." „Was kümmert das Dich?" — Einen Moment blickt er in ihre großen erschreckten Augen; dann wendet er sich wieder ab. (Fortsetzung folgt.)