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AM" Zweites Blatt. "WD MW« MM WmA, Wi, Aekichi md die WgPM. AmtsbLcrtt für die Kgl. Amtshauptmannschuü zu Meißen, das Kgl- Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abonnementpreis vierteljährlich 1 Mark. Einzelne Nummern 10 Pfg.— Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Nk. 3«. Freitag, dm Mal —- Das Urtheil der Welt. Original-Roman von Emmy Rossi. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Ja, das ist gewiß," entgegnete der eine Direktor, „aber ein leicht sinniger Kerl durch und durch. Er stellt sich jetzt so unschuldig wegen der Frau, — er hat sie damals ganz einfach sitzen lassen, und mit der kleinen Marion, der feschen, ungarischen Tanzsängerin ist er durchgebrannt." Benares kam inzwischen mit einer Hand voll Zeitungen zurück. Zwischen Plaudern und Kaffeetrinken las er die Notizen, die ihn interessirten, plötzlich stutzte er und wurde einen Moment verwirrt, doch verbarg er seine Ueberraschung hinter dem Blatt und las scheinbar ruhig weiter, — dann legte er die Zeitung, es war die Wiener Presse, — fort und wandte sich wieder den Bekannten zu; nachdenklich fragte er: „Ist morgen am Sonntag das Einwohner-Meldeamt geöffnet?" „Das glaube ich nicht," meinte der Agent und setzte ein wenig vorlaut und neugierig hinzu: „Haben Sie so große Eile, Jemanden auf zufinden?" „Benares zuckte die Achseln: „Eile hat cs nicht, — ich brauche nur einen neuen Apparat für meine neue Production und erinnere mich von früher eines geschickten Zeichners, der meine Ideen klar zu Papier zu bringen verstand, seit Roberts Ende arbeite ich ganz andere Sachen," fügte er hinzu, „doch jetzt will ich mich empfehlen, ich komme heute Abend mal vor, Herr Director," fügte er mit Verbeugung hinzu, „und sehe mir die Vorstellung an, auf Wiedersehn, meine Herrn." Er schüttelte jedem der Bekannten die Hand, zahlte dem Oberkellner seinen Kaffee und ging direct aus der oberen Etage die Treppe. Hinunter, zum Hause hinaus. Unter den Linden, quer am Damm vor der Obstbude, blieb er bei der Zeitungsverkäuferin stehen. „Geben Sie mir die Wiener Presse, — die letzte", forderte er, und seine Stimme klang seltsam erregt und heiser. „Hier, gnädiger Herr", entgegnete dienstbeflissen die alte Frau, — seine vomehme Erscheinung hatte ihre Höflichkeit und den Titel hervor gerufen. Er achtete dessen nicht und schritt rasch die Allee der Linden entlang, dem Brandenburger Thor zu, mehrere Male versuchte er beim Schein einer Gaslatern« die Notiz zu finden, die ihn vorhin so erregt hatte, aber das im Sturm flackernde Licht machte jede Bemühung vergeblich. Es war inzwischen Theaterzeit geworden, — in der Oper sang Niemann den Lohengrin, und aus dem westlichen Viertel rollten viele Equipagen dem Opcrnhause zu. Benares hatte hinter der Passage den Damm gekreuzt, und ging nach denklich, ohne sonderlich des Wegs zu achten, dem Thiergarten zu. Da passirte er einen vornehm-stillen Palast, in dessen vertieftem Vestibül eine Helle Gaslaterne brannte. Er trat näher, entfaltete sein Zeitungsblatt, suchte und fand die Notiz in der Presse: „Josephine Barbara Möllendors, geborene Tücher aus Wien, wird ersucht, dem Advocaten Ignaz Laubinger auf der Wieden Nr. 17 ihren Aufenthalt kund zu geben, da nach dem Tode ihrer Eltern deren Nachlaß an sie fällt, und zu reguliren ist." — „Die Alten mögen ein ganz hübsches Sümmchen hinterlassen haben", murmelte er in sich hinein, „ich werde meine Frau aufsuchen und mich mit ihr aussöhnen, ehe sie die Nachricht von dem Tod ihrer Eltern erfährt — es geht ja aus dem Aufruf hervor, daß sie mit ihnen nicht in Ver bindung stand — das wundert mich zwar, denn ich dachte damals, sie würde zu ihnen zuröckkehren er hielt ein in seinem Gedanken ¬ gang, ein flüchtiges Erschrecken faßte ihn, „ja wenn ihre Eltern sie nicht erhielten, wovon ernährte sich denn die kränkliche Frau?" Es war nicht der Wintersturm allein, der ihn plötzlich durchschauerte, er schloß die Augen vor dem Bild von Noth und Elend, das da urplötzlich vor ihm auftauchte, — an diese Möglichkeit hatte er bis jetzt in seinem Leichtsinn nie gedacht. „Das wäre schrecklich", sagte er ganz laut zu sich selbst. Die Zeitung knöpfte erunter dem Paletot ein und schickte sich eben an, das Vestibül zu verlas sen, als eine Equipage vorrollte und in demselben Augenblick aus dem Inneren des Hauses drei Personen heraustraten. Zwei zierliche, vermummte Damen und ein schlanker, blonder Herr mit englischem Gesichtsschnitt. Sein Blick traf den Fremden, der ihn ebenfalls ansah, und während über das Gesicht des Artisten eine blutige Flamme schlug, erblaßte der Andere wie unter einer tödtlichen Beleidigung. Einen Moment schien es, als wolle er den Arm erheben und eine hinausweiscnde Bewegung machen, aber Benares hatte ihm schon den Rücken zugedreht und die Straße be schritten. Die Damen waren während dieses Momcnts in den Wagen geschlüpft, ihr Begleiter folgte ihnen, und fort rollte die stolze Karosse, dem Opemhause zu, während Benares seine Schritte nach dem Tempel der Muse Vulgariva lenkte. Während der Wagen die Linden entlang rollte, fiel an der grell erleuchteten Ecke der Friedrichstraße am Cafe Bauer das volle Licht der elektrischen Lampen auf die Gesichter. „0 viel!" rief Bella von Gleichen und sah ihr vib-s-vis förmlich erschreckt an, „wie blaß das blaue Licht macht, — Sie sahen soeben ganz unheimlich aus, als hätten Sie ein Gespenst gesehen." „Aber Wasserfliege, Du bist großartig, Höflichkeiten zu sagen," dämpfte Thea von Zedwitz ihren pathetischen Ton. Lionel Alvers suchte zu lächeln und entgegnete galant zweideutig: „Ich hoffe, Fräulein Bella wird mich noch in einem besseren Lichte betrachten". Aber die Libelle hatte doch Recht gehabt, — er hatte ein Gespenst gesehen, welches einst dem ehrwürdigen Hause Alvers Schande und Kummer gedroht hatte, — und seines Vaters Fluch hatte noch heute durch sein Herz und seinen Arm gezuckt, um jenen Menschen, dem er galt, von der Schwelle zu jagen, die sein Fuß zu betreten gewagt. Und ein paar Stunden später flüchtete sich Benares eigenes Kind in dies geschützte Vestibül vor der Unbill des Wetters, — denn die arme, frierende, hungernde Lita war die Tochter dieses schönen Mannes mit dem schlechten Herzen. 6. Capitel. Frau Möllendorf hatte nach dem Opiat die Nacht ruhig verbracht, am Morgen nahm sie einige Erfrischungen zu sich, und nun erst trat das Ereigniß des letzten Abends klar vor ihren Verstand. Daß ihr liebes Kind noch so spät von Sorge getrieben in die Nacht hinausgeeilt war, um Etwas für die kranke Mutter zu verdienen, erschütterte sie tief, und zum ersten Mal machte sie sich Vorwürse, daß sie nicht versucht hatte, an das Elternherz zu appelliren, für ihr Kind wenigstens, welches wie eines Bettlers Kind nun dem Mitleid fremder Menschen anheim gefallen war. Sie nahm sich vor, ihren Eltern zu schreiben und dem jungen Arzt die ausgelegten Geldmittel zurückzuerstatten, wenn sie ihre Bitte erfüllen und ihr Geld schicken würden. Wenn ihr Vorhaben noch schwankend gewesen war, so brachte die Rückkehr Juli's cs zu einem festen Entschluß. Frau Wilke hatte ein hübsches Tricotklcid, sowie neue Schuhe und Strümpfe für Lita gekauft, und die Kleine sah in dem neuen Anzug ganz verändert und außerordentlich liebreizend aus. Die kurzen Locken ringelten sich um das zarte Gesicht, welches heute weniger bleich von den leuchtendn Augen förmlich verklärt erschien. „Denken Sie nur, Frau Möllendorf," sagte die geschwätzige Wirthin, während sie das kleine Zimmer säuberte, „Harms seine Tochter ist heute Morgen zurückgekommen, die Tänzerin, Sie wissen ja, ich habe Ihnen ost von ihr erzählt. Wir haben immer geglaubt, die vergißt vor lauter Glück und Jubel ihren alten Vater, — ach, Du lieber Gott, wie traurig ist es dem armen Wurm in den letzten Jahren ergangen, — Seit drei Jahren ist sie von der Bühne, als ihr Junge geboren ist, ein ganz rei zender, kleiner Bengel, — hat sie im Krankenbett etwas weggekriegt, so daß ihr das Tanzen verboten ist, da ist der vornehme Herr, der sie geheirathet hatte, nicht mehr verliebt in sie gewesen, und er hat ihr schließlich erklärt, ihre Ehe wäre gar nicht gültig, wegen der russischen Reli gion und anderen Ceremonien, ich verstehe das nicht, aber es war alles falsches Spiel! Die Juli hat sich aufs Abwarten gelegt, sie hat gedacht, so jung und stark sie sonst war, das Uebel müsse sich geben, sie hat auch trotz aller Warnung wieder getanzt, — aber das war ihr Unglück! Mitten im Ballet ist sie zusammengestürzt, für todt haben sie sie nach Hause getragen. Wochenlang, monatelang hat sie ihr Bett nicht ver lassen können, die Dienstboten haben gute Tage gehabt, — die Arme hat nach und nach alle ihre schönen Schmucksachen verkaufen müssen, und ihre feinen Kleider, ihre Pelze, betrogen ist sie an allen Ecken und Enden, zuletzt hat sie nichts mehr gehabt, gar nichts! Von Fremden wollte sie nichts, dazu ist sie zu stolz, — da hat sie denn, wie sie eben das Bett wieder verlassen konnte, ihr Letztes, das goldene Kreuz von ihrem Vater, zu Gelde gemacht, und damit ist sie nach Berlin gefahren, — hätte sie das doch nur eher gethan. — „Sie wird einen schrecklichen Empfang von ihrem Vater gehabt haben?" frug Frau Möllendorf zaghaft, da sie ihr Spiegelbild in diesen Erlebnissen erblickte, aber es klang doch ein hoffnungsvoller Ton durch, daß es anders sein könnte. „Schrecklichen Empfang?" Frau Wilke ließ den Besen in eine Ecke fallen und schlug die Hände zusammen, „nein, Frau Möllendorf, Sie kennen doch unsern alten Harms nur sehr schlecht! Gefreut hat er sich, gefreut wie ein Gott, daß sie nun wieder bei ihm ist, und er hört gar nicht auf, sie zu trösten und den Jungen zu küssen, Eltern drohen wohl in guten Tagen ihren Kindern, wenn sie ihnen nicht zu Willen sind, aber kommt das Unglück, so verlassen sie sie doch nicht, — Ihnen hab' ich ja immerzu gerathen, sich an Ihre Eltern zu wenden," — schloß sie in vorwurfsvollem Ton und deutete auf Lita, die, stumm und in sich gekehrt, ihren Gedanken nachhing. Frau Möllendorf weinte leise vor sich hin. „Ja," sagte sie dann plötzlich, „es war unrecht von mir, es war falscher Stolz, meine Eltern werden mir vergeben, ick bin ja nur unglücklick, aber ich habe nichts Un rechtes gethan. Nur zu sehr habe ich meinen Mann geliebt, — ach, Frau Wilke, wenn Sie ihn gesehen hätten, Sie begreifen Alles, so ein schöner und feiner Mann wie ein Graf. — Aber er konnte nickt treu sein, vom ersten Tag an nicht, — ich habe maßlos geduldet, daß er mich aber um meinen Sohn bringen und mich hilflos mit meiner Tochter zurücklassen würde, das hätte ich nie gedacht. — Und doch wünsche ich nichts sehnlicher, als daß er zurückkehrt, dann würde ich gewiß gleich gesund, ich bin ja eigent lich nicht krank, nur etwas schwach von dem vielen Husten, ja, hören Sie, Frau Wilke," sie winkte sie dicht heran und flüsterte ihr zu: „Mir hat heute Nacht geträumt, uiein Mann käme bald, Sie sollen sehen, ich werde noch einmal recht glücklich." Ein heftiger Hustenanfall unterbrach sie, — im Tuch zeigten sich wieder große, rothe Flecke. „Na, wir wollen's