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stets der feste Schild und Schirm sein wird, der sich schützend über dem theuren Vaterlande ausbreitet. Am Donnerstag Nachmittag hatte der Reichskanzler Fürst Bismarck den letzten Abschied vom hochseligen Kaiser genommen, und daß dieser wußte, wie es um ihn stand, dafür zeugt die Thatsache, daß der Kaiser die Hand der Kaiserin ergriff, in die des Fürsten Reichskanzler legte und durch diesen stumnien Akt die Zukunft seiner Gemahlin der Fürsorge des Reichskanzlers anheimgab. Auch soll der Kaiser, wie der Berichterstatter der „Nat.-Ztg." aus unanfechtbarer Quelle erfährt, in den Momenten vollen Bewußtseins noch Kraft genug gehabt haben, um einige Wünsche auf Blockpapier zu schreiben, und soll auf einem dieser Zettel auch der Wunsch ausgesprochen sein, den König von Sachsen zu sehen. Jedenfalls steht fest, daß während dieser letzten Bekundungen klarsten Bewußtseins noch Staatsgeschäfte den Kaiser beschäftigten, wie aus diesen Aufzeich nungen hervorging. Wie berichtet wird, war das Ende weiland Sr. Majestät des Kaisers Friedrich sanft und schmerzfrei. Abwechselnd war der sterbende Kaiser bei Bewußtsein; er schlummerte sanft und ruhig in das Jenseits hinüber. Die Kaiserin-Königin hielt des Kaisers Rechte in ihren Händen. Ander anderen Seite des Sterbelagers standen der Kronprinz und Prinz Heinrich, auch die Prinzessinnen-Töchter waren zugegen. Leichter Schlummer hielt den Kaiser wieder seit 11 Uhr Vormittags umfangen, da seufzte der hohe Patient gegen Uhr noch einmal tief auf; es schien, als wolle der Kaiser sich noch einmal erheben, aber kraftlos sank der Körper in die Kissen znrück, leicht neigte sich das Haupt zur Seite, Kaiser Friedrich hatte voll endet. In ernster Trauer umstanden die tiesgebeugten Mitglieder der kaiser lichen Familie das Sterbelager des dahingeschiedenen Monarchen, nachdem sie knieend an der Leiche ein stilles Gebet verrichtet hatten. Bald darauf geleitete Se. kaiserl. und königl. Hoheit die tiefgebeugte Mutter in ihre Gemächer. Sir Morell Mackenzie bereitete den Kaiser auf den nahen Tod zuerst am 13. Juni vor. Der Monarch nahm die Worte des Arztes mit derselben Fassung und Ergebenheit entgegen, die den Monarchen während der ganzen schweren Krankheit auszeicknete. Vom Fürsten Bismarck nahm der Kaiser am 14. Juni Abschied. Der Kaiser streckte dem Fürsten beide Hände entgegen, drückte dieselben und sah dem Kanzler lange in's Auge. Noch einige Worte über die letzten Stunden des Heimgegangenen Kaisers mögen den bisher mitgetheiltcn Details zugefügt werden. Wir haben bereits erzählt, daß von allen Denen, die treu und unentwegt an dem Lager des Sterbenden bis zum letzten Augenblicke gestanden, Niemand mit mehr Beharrlichheit dieser Liebcspflicht obgelegen, als die gramgcbeugte Kaiserin-Mutter Victoria. Unbeschreiblich rührend waren die Scenen, welche sich da abspielten. Unverwandt beinahe waren die Augen des scheidenden Helden auf seine treue Gattin und Pflegerin gerichtet. Hand in Hand verlebten diese beiden innig verbundenen Menschen die letzen bangen Stunden vor der Trennung. Sobald der kranke Kaiser sich auf die andere Seite wenoete, so stand auch die Kaiserin auf und ging auf die andere Seite des Bettes, und wieder hefteten sich die beiden Augenpaare aufeinander, wieder schlan gen sich die Hände in einander. Stand Kaiser Victoria auf, um sich vom Bette zu entfernen, so richteten sich die Augen des Sterbenden auf sie und folgten ihr und er winkte mit der Hand, als könne er sich nicht von ihr trennen, und verließ sie das Zimmer, dann haftete das Auge des Kaisers gleichsam sehnsuchtsvoll auf der Thür. So gingen die Stunden dahin. Von Zeit zu Zeit kamen und gingen die anderen Mitglieder der Kaiser lichen Familie. Der Sterbende mochte wohl in ihren Augen die bange Sorge lesen und es schien, als ging in ihm nun erst das volle Erkennt- niß auf, daß die liebenden Angehörigen wirklich Grund zu den schlimmsten Befürchtungen hatten. Flüsternd fragte er einmal die Aerzte, ob es denn wirklich so schlimm mit ihm stände. Man tröstete ihn mit dem Hinweis auf die Ueberängstlichkeit der Liebe. Und immer näher rückte so der letzte, der furchtbare Augenblick heran. Dr. Mackenzie stand dickt am Bette, die Uhr in der Hand, und legte von Zeit zu Zeit seine rechte Hand auf das Herz des Kranken. Es war 11 Uhr 15 Minuten, als der Arzt mit kaum vernehmbarer, zitternder Stimme, das Haupt zu den das Bett umstehenden Mitgliedern der Kaiserlichen Familie erhebend, auf englisch sagte: „Soeben ist Seine Majestät verschieden." Da tönte lautes Schluchzen rings umher. Die Kaiserin warf sick über den Gatten und brach fast unter dem Gramgefühl zusammen. Dem Kronprinzen, unserem jetzigen Kaiser Wilhelm, liefen die Thränen an den Wangen herab, während er sich zum Handkuß auf den Heimgegangenen Kaiserlichen Vater niederbeugte, sanft ergriff er alsdann den Arm seiner hohen Mutter und geleitete sie aus dem Sterbezimmer. Der Reichstag dürfte der „Kreuz-Zeitung" zufolge am 25. d. M. zur Entgegennahme der kaiserlichen Botschaft zusammenberufcn werden. Einige Tage später wird voraussichtlich Se. Maj. der Kaiser dem versammelren Landtage von Preußen das feierliche Gelöbniß der Verfassung ablegen. Der Allerhöchsten Proklamation an das preußische Volk, der einzigen, welche der Kaiser, dem Vernehmen nach, erlassen wird, sieht man in den allernächsten Tagen entgegen. Berlin, 16. Juni. Der am gestrigen Tage ausgegebene Armee befehl an das Heer lautet: „Während die Armee soeben erst die äußeren Trauerzeichen für ihren auf alle Zeiten in den Herzen fortlebenden Kaiser und König Wilhelm I., Meinen hochverehrten Großvater ablegte, erleidet sie durch den heute Vormittag 11 Uhr 15 Minuten erfolgten Tod Meines theuren inniggeliebten Vaters, des Kaisers und Königs Friedrich III., Majestät, einen neuen schweren Schlag. Es sind wahrlick ernste Trauer- tage, in denen Mich Gottes Fügung an die Spitze der Armee stellt und es ist in der That ein tief bewegtes Herz, aus welchem Ich das erste Wort an Meine Armee richte. Die Zuversicht aber, mit welcher Ich an die Stelle trete, in die Mich Gottes Wille beruft, ist unerschütterlich fest, denn Ich weiß, welchen Sinn für Ehre und Pflicht Meine glorreichen Vorfahren in die Armee gepflanzt haben und Ich weiß, in wie hohem Maße sick dieser Sinn immer und zu allen Zeiten bewährt hat — in der Armee ist die feste, unverbrüchliche Zugehörigkeit znm Kriegsherrn das Erbe, welches vom Vater auf den Sohn, von Generation zu Generation geht — und ebenso verweise Ich auf Meinen Euch allen vor Augen stehenden Großvater, das Bild des glorreichen und ehrwürdigen Kriegs herrn, wie es schöner und zum Herzen sprechender nicht gedacht werden kann, auf Meinen theueren Vater, der sich schon als Kronprinz eine Ehrenstelle in den Annalen der Geschichte erwarb, und auf eine lange Reihe ruhmvoller Vorfahren, deren Namen hell in der Geschichte leuchten und deren Herzen warm für die Armee schlugen. So gehören wir zu sammen, Ich und die Armee, so sind wir für einander geboren und so wollen wir unauflöslich fest zusammenhalten. Möge nach Gottes Willen Friede oder Sturm sein, Ihr werdet Mir jetzt den Eid der Treue und des Gehorsams schwören und Ich gelobe, stets dessen eingedenk zu sein, daß die Augen Meiner Vorfahren aus jener Welt auf Mich hernieder sehen und daß Ich ihnen dermaleinst Rechenschaft über den Ruhm und die Ehre der Arme? abzulegen haben werde!" Schloß Friedrichskron, den 15. Juni 1888. Wilhelm. Einen in fast gleichem Sinn gehaltenen Armeebefehl hat Se. Maj. der Kaiser Wilhelm auch an die Marine erlassen. Die Disconto-Gesellschaft in Berlin ist das Opfer eines frechen Betruges geworden. Vor einigen Tagen erschien bei der Direction derselben ein Herr, der sich als englischer Botschaftssekretär, Ebarles Stewart Scott vorstellte und legitimirte, mit dem Ersuchen, der englischen Botschaft ein Conto zu eröffnen und die monatlichen Checks derselben auf London cinzukassieren. Da diesem Ersuchen entsprochen wurde, übergab derselbe einige Tage später zwei Checks im Betrage von 5000 Lstr., auf Formu laren der englischen Botschaft ausgestellt, und ersuchte gleichzeitig,- den Saldo der bei einem anderen Bankhaus geführten Rechnung in Höhe von 21000 Mark zu zahlen was auch geschah. Als nackmittags von Berliner Juwelieren über einen Herrn Scott, der sich als englischer Botschaftssekretär vorgestellt, Auskunft verlangt wurde, schöpfte die Disconto-Gesellschaft Verdacht und nun ergab sich, daß sie es mit einem Schwindler zu thun hatte. In ganz ähnlicher Weise hat der Betrüger von den Juwelieren S. Friedeberg Söhne ein Paar Brillantohrringe im Werth von 6500 Mk. erschwindelt. Die Disconto-Gesellschaft hat auf die Ergreifung Scotts, von dem bis heute jede Spur fehlt, eine Belohnung von 1000 Mk. ausgesetzt. Voraussichtlich wird v. Putt kam er in den nächsten Tagen Berlin verlassen; im Ministerhotel werden die Vorbereitungen zum Auszuge leb haft betrieben. Nach einer Mittheilung der „Voss. Ztg." will v. Putt- kamer sick zunächst nach der Provinz Sachsen begeben, nach anderen Blättern nach Stolp in Pommern. Wahrscheinlich jedoch geht er zunächst zu seinem Sohne, dem Landratb in Freistadt, Kreis Liegnitz, später aber nach Pommern, und zwar nach dem in der Nackbarschaft von Varzin gelegenen Gute Karzin, welches er erst kürzlich von einem Verwandten geerbt hat. Es ist möglich, daß er dort auf längere Zeit seinen dauernden Aufenthalt nimmt, da die Verwaltung des umfangreichen Gutes seine persönliche Anwesenheit wün- schenswerth macht. Die Stadt Berlin hat eine große Erbschaft von 780 000 Mk. ge macht. Der vor einigen Jahren verstorbene Generalkonsul Behrend hat ihr diese Sunime vermacht und bestimmt, daß aus deren Zinsen unver sorgte und unbescholtene Töchter gebildeten Standes eine jährliche Rente von etwa 900 Mk. erhalten. Womöglich soll auch ein Asyl für sie ge baut werden. Die österrcickische Staatsschuld hat im Jahre 1887 nach dem jetzt veröffentlichten Ausweis der Staatsschulden-Kontrol-Kommission-die Höhe von 4 Milliarden Gulden erreicht, ja sogar um einige Millionen überschritten. Drei Viertel der gesammten Schuld entfallen auf die ver schiedenen Renten, während der Rest von einer Milliarde sich auf die Lotterie anleihen, die Eisenbahnschuld, die Salinenscheine, die Staatsnoten und ver schiedene andere Verbindlichkeiten vertheilt. Das jährliche Zinsen-Erforder niß der gesammten Staatsschuld beläuft sich jetzt nach Abzug des Beitrags von 31 Millionen Gulden, welchen Ungarn leistet, auf 122 Millionen Gulden. Es tritt die Nachricht auf, daß die Stellung des deutschen Bot schafters in Paris, Grafen Münster, erschüttert sei. Man will wissen, daß der Botschafter in der Paßangelegenheit eine Mäßigung gezeigt habe, welche den maßgebenden Auffassungen wenig entspreche. In Wiener diplomatischen Kreisen hält man der „N. Fr. Pr." zufolge diese Gerüchte nicht für grundlos. „Es scheint," so schreibt dieses Blatt, „daß G>af Münster an den neuerdings gegen die Reisenden aus Frankreich eingeführten Paßkontrolen, über deren Werth und Nothwendigkeit die Meinungen auch in Deutschland sehr getheilt sind, keinen rechten Gefallen fand und daher nicht mit der in Berlin gewünschten Schneidigkeit bei deren Ausführung mitwirken mochte." Diese Auslassungen haben eine gewisse Aehnlichkeit mit den Erörterungen, welche einst dem Rücktritt des Grafen Münster vom Londoner Botschaftsposten in der Presse vorangingen. Man beklagte sich auch damals über Mangel an der in Berlin gewünschten „Sckneidigkeit" bei der Behandlung kolonialpolitischer Differenzen zwischen Deutschland und England. Das Wiener „Fremdenblatt" sagt: Oesterreich-Ungarns Bevölkerung stehe bewegt unter dem mächtigen Eindrücke des Trauerereignisses, doch sei das Deutsche Reich fest begründet, sein neuer, thatkräftiger Regent, welchen Bande inniger Herzensfreundschaft mit unserem Herrscherhause verknüpfen, wird Deutschlands Frieoensmission fortführen. — Die „Neue Freie Presse" schreibt: Kaiser Friedrich werde als Held und als Weiser, wie er seine Leiden trug, als Ideal eines aufgeklärten Herrschers fortleben, als Soldat habe er den Norden und den Süden Deutschlands eng verknüpft. Auch alle anderen Blätter gaben einem mächtigen Trauergefühl Ausdruck. Die „Pall Mall Gazette" meldet: Es giebt keinen Theil der civili- sirten Welt, wo das Leiden des Kaisers Friedrich nicht die beständige Theil- nahme erregte und sein Tod nicht das Gefühl persönlicher Trauer hervor riefe. Kein Charakter wird in der Geschichte höher dastehcn, als der seinige. Er trug das Leiden mit wahrhaftem Heldenmuth und sein Tod war ein tapferer." Pest, 15. Juni. Der Ministerpräsident Tisza richtete Namens der Regierung folgendes Telegramm an den deutschen Botschafter Prinzen Reuß: „Von innigster Theilnahme erfüllt für das tragische Geschick des erlauchten deutschen Kaiserhauses und für die Trauer des deutschen Volkes, das binnen wenigen Monaten zwei erhabene Träger der Krone verloren hat, ersuche ich Euer Durchlaucht aus Anlaß des Hintrittes Sr. Maj. des Kaisers Friedrich den Ausdruck tiefster Betrübniß und aufrichtigsten Beileids der Königlich ungarischen Regierung entgegen nehmen zu wollen." Tisza. Rom, 15. Juni. Als der König die Nachricht von dem Ableben des Kaisers Friedrich erhielt, sandte er sogleich ein Beileidstelegramm an den Kaiser Wilhelm. Der Ministerpräsident Crispi telegraphirte an den Reichskanzler Fürsten Bismarck und an den Botschafter de Lannay. Madrid, 15. Juni. Der Ministerpräsident Sagasta verlas das Telegramm, welches den Tod des Kaisers Friedrich meldete. Der Präsi dent gab der lebhaften Theilnahme der Kammer Ausdruck, dem sich Cano vas de Castillo Namens der Reformisten und die ganze Kammer anschlossen. Nach Nachrickten aus Paris hat man dort die Nachricht von dem Ableben des Kaisers Friedrich mit respektvollem Bedauern entgegengenommen. Die ganze Presse veröffentlicht sympathische Nekrologe, in denen sie der Großartigkeit des Charakters, dem energischen Geiste, der erleuchteten Friedens liebe des Dulderheros ihre Huldigung erweisen. Einige Zeitungen fügen noch hinzu, daß die sicherste Bürgschaft des Friedens verschwindet und be trachten die Thronbesteigung Wilhelm 11. als eine Kriegsgefahr. — Die „Däbats" sagen, daß, solange Fürst Bismarck leben wird, der Friede von Europa nicht mehr als in den letzten zehn Jahren bedroht sein würde. — Floquet wird seine Abreise nach Marseille verschieben. — General Billot wird den Präsidenten der Republik bei den Leichenfeierlichkeiten vertreten. — Man rüstet sich auf die Abreise des Königs der Belgier nach Berlin. — Die englische Presse stellt fest, daß es andere friedliche Einflüsse gebe, als der verstorbene Kaiser, dessen Tod nichtsdestoweniger eine Kalamität sei. — Die „Daily News" sagen, die deutsche Politik ist zu solide begründet, als daß sie so leicht verändert werden könnte. Kopenhagen, 15. Juni. Die Nachricht vom Tode des Kaisers kam, während die Könige von Dänemark und Schweden im Ausstellungspark frühstückten, hier ein. Ein Eilbote überbrachte König Christian die Depesche und sofort wurde die Flagge vor dem Pavillon gesenkt. Die Orchester