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Zweck nahm ich mir einen der geriebensten DetectivS mit, welcher zuvör derst die Aufgabe hatte, dem Grafenschloß in Thüringen einen Besuch zu machen, sich durch irgend ein vermuthlich existirendes Conterfei des ver schollenen letzten Erben von der Identität desselben zu überzeugen und in dieser Weise dem Pseudo-Grafen ein Bein zu stellen." „Sehr gut," sprach der Staatsanwalt, beifällig mit dem Kopse nickend. „Hat Ihr Detectiv sich von der Begründung Ihres Verdachtes überzeugt?" „Vollständig, — ich ging mittlerweile an den Rhein, wo die Erb schaft auf den Verschollenen wartete, und erfuhr hier, daß diese wirklich schon reclamirt und bereits ein namhafter Vorschuß darauf erhoben worden sei. Mit diesem Vorschuß machte sich unser Pseudo-Graf auf eine Weile unsichtbar." „Und ihn wollen Sie nun mit Herrn von Santen in Verbindung bringen?" fragte der Staatsanwalt achselzuckend, „worauf gründet sich diese ungeheuerliche Voraussetzung, mein Bester?" „Auf das Resultat einer Maulwurfsarbeit, Herr Staatsanwalt!" versetzte Stevenson ruhig. „Ich habe vernommen, daß aus der Haupt stadt der bedeutendste Criminalist hierhergekommen ist, um den abscheulichen Mord im Lampert'schen Hause aufzuklären und den Thäter zu entdecken; nun wohl, der erste Schritt dazu sollte meine Verhaftung sein, ich erwartete eS, hätte auch an Ihrer Stelle genau dasselbe gethan." Der Staatsanwalt blickte ihn scharf an. „Fahren Sie fort," sprach er kalt. „Ihr Detectiv hat seine Schuldigkeit gethan," sprach Stevenson, „er hörte, daß ich, ein Amerikaner, dieses Nest ohne eigentlichen Zweck zum zeitweiligen Aufenthalt mir erkoren, daß ich das Lampert'sche Haus be sehen, allein dort mit der alten Wirthschafterin verkehrt habe, somit hin reichende Verdachtsgründe zur Verhaftung darbot. — Wenn ich nun auch mein Alibi in jener Schreckensnacht nachweisen kann —" „Davon später," unterbrach ihn der Staatsanwalt barsch. „Sie werden doch nicht glauben, daß ich Sie auf Ihre Angaben hin sofort in Freiheit setzen werde? — Nur eins sagen Sie mir," setzte er ironisch hinzu, „wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihren Pseudo-Grafen mit Herrn von Santen zu identificiren?" „Nun, ich ließ mir in Köln die genaue Personalbeschreibung des Erben geben, welche mit der des Pseudo-Grafen genau übereinstimmte, natürlich nach der Schilderung meines Detectivs. Der Herr, welcher ihm die Abzahlung eingehändigt, bemerkte dabei, daß ich seinen Doppelgänger Mittags an der Tafel eines bestimmten Hotels finden könnte. „Graf Hallenberg, wie er leibt und lebt!" fügte er hinzu. Ich ging natürlich dorthin, sah und hörte zugleich, daß dieser Doppelgänger dem Grafen in Tyrol begegnet sei. So folgte ich seiner Spur, gerieth nach Meran, durchstreifte die Berge, bei welcher Grlegenheit ich einen trefflichen Priester kennen lernte und mit diesem Herrn beinahe Augenzeuge der Katastrophe wurde, welche der Frau von Santen das Leben kostete. Der junge Gatte der in so tragischer Art, noch dazu auf der Hochzeitsreise im Handum drehen Wittmer geworden, erschien mir sofort interessant, weil ihn — zwar bleich und aufgeregt — die Frau war soeben hinabgestürzt — im an gelegentlichen Gespräch mit einer jungen, sehr schönen Dame sah, einer Erzieherin, deren Zögling von dem furchtbaren Anblick bewußtlos nieder- gestürzt war, und um welchen sich die Dame durchaus nicht kümmerte. Da» Fräulein verließ sofort nach der Heimkehr ihre Stellung und ich war sehr überrascht, sie vor wenigen Stunden auf dem hiesigen Bahnhof den ankommenden Zug verlassen zu sehen." „Sie ist hier in der Stadt?" fragte der Staatsanwalt etwas hastig. »Ja, logirt im „Deutschen Kaiser", wo sie Augenzeugin meiner Ver haftung war." Der Staatsanwalt erhob sich und sagte: „Sie äußerten den Wunsch, Nachrichten über den Zustand eines gewissen Mr. Newman, welcher in S. verunglückt und dort zurückgeblieben sei, zu erhalten. Ich werde so fort darüber telegraphiren und Ihnen die Antwort dann zustellen lassen." „Sie sind sehr freundlich, Herr Staatsanwalt!" versetzte Stevenson, „doch würde mich nur dies insoweit beruhigen können, als ich erführe, sein Leben nicht gefährdet, daß er mindestens bei vollem Bewußtsein sei. Ich erwarte eine wichtige Nachricht durch ihn, welche möglicherweise, da meine Abreise verhindert worden, verloren gehen und dadurch meine Lage verschlimmert werden könnte." „Ich werde alles Nöthige nach dieser Seite hin veranlassen," sprach der Staatsanwalt, seinen Hut ergreifend, den er, der imponirenden Per sönlichkeit des Amerikaners unwillkürlich Rechnung tragend, abgelegt hatte. „Sie sollen sich der deutschen Gesetzpflege gegenüber nicht zu beklagen haben." Er wünschte ihm einen guten Abend und trat auf die Thür zu. Hier wandte er sich noch einmal um und fragte: „Wie heißt jene Dame, von welcher Sie vorhin sprachen?" „Die Dame im „Deutschen Kaiser"? Sie nannte sich in Meran Fräulein Born." „Und, — noch eins, Herr Doctor!" — er nannte den Gefangenen zum ersten Male bei diesem Titel. — „Inwiefern war Ihnen Herr von Santen noch weiter interessant geworden?" „Aha, er beißt an," dachte Stevenson, ohne eine Miene zu verziehen. „Hm," erwiderte er ruhig, „ich fand sofort eine interessante Studie an ihm, wie Sie nach der vorher geschilderten Situation begreifen werden. Außerdem auch eine frappante Aehnlichkeit, obwohl mein Pseudo-Graf blond und Herr von Santen aber stark brünett ist. Diese Aehnlichkeit besteht auch noch in einem kleinen feuerrothen Maal von herzförmiger Gestalt hoch oben an der Stirn, welche beide gleichmäßig besitzen, ich sah es, als ich ihn an jenem Felsenabhange bei Meran beobachtete, er in der Aufregung den Hut abgenommen hatte und sich das Haar durchstrich. Können Sie mir verargen, Herr Staatsanwalt, wenn ich bei diesem An blick bei der ganzen seltsamen Scenerie meine Combinationen machte, meine Schlüsse zog, welche mich, so Gott will, noch sicher zum Ziele führen sollen?" Der Staatsanwalt war sehr nachdenklich geworden. „Weshalb sind Sie nicht bei meiner Ankunft sofort zu mir gekommen?" fragte er sichtlich erregt. „Ich hoffte auf die Nachrichten meines Vertrauten, um mit Beweisen vor Sie hintreten zu können. Schade, daß Ihr eifriger Detectiv so rasch gegen mich vorgegangen ist." „Er hatte von Ihrer geplanten Abreise Wind bekommen und forderte den Haftbefehl von mir, doch seien Sie ruhig, ich werde Sie Ihrer Frei heit nicht länger als absolut nothwendig ist, berauben." Er nickte dem Gefangenen zu und ging; so ganz und gar war er doch nicht von seiner Schuldlosigkeit überzeugt, da die Geriebenheit solcher Burschen oft die aschgraue Möglichkeit übersteigt. (Forts, folgt.)