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FW- Zweites Blatt. -WE WMM MckU WM, Wi, MMkh« Md die sliMMM. AmLsbtclLL Mr die Kgl. KmtshaupLmannschaft zu Weißen, das Kgl- Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abonnementpreis vierteljährlich I Mark. Einzelne Nummern 10 Pfg.— Inserate werden Monta,» und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Rr. 88 Freital,, den 2. November 1888. Auf sicherer Fährte. Criminal-Roman von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Der mitangekommene Arzt untersuchte die grausige Wunde und con- statirte, daß eine in solchen Dingen geübte Hand die That vollbracht, da die Kehle mit einem festen Rundschnitt bis auf den Halsknochen ge troffen und dadurch der augenblickliche Tod herbeigeführt worden sei. Wer konnte dies gethan haben? Der eine Gerichtsherr warf einen Seitenblick auf Rudolf, welcher aschfahl und bebend auf die Todte blickte. „Sie sind der Neffe der Ermordeten?" fragte er plötzlich, auf den erschreckt Zurückweichenden zutretend. „Ja," stammelte Rudolf. „Waren Sie etwa verreist, daß Sie erst jetzt davon erfuhren, obwohl das Feuer schon geraume Zeit im Lampert'schen Hause gewüthet?" „Nein, ich schlief," antwortetete der junge Mann mühsam, „wurde erst durch einen Bekannten geweckt. Meine Wohnung liegt beim Holzhof." „Ziemlich entfernt also," nahm der zweite Gerichtsherr das Wort. „Na, Sie müssen aber einen Bärenschlaf haben, um von dem letzten Donnerschlag nicht geweckt zu werden," meinte der Erste kopfschüttelnd. „Gehen Sie nur wieder nach Hause, Sie sehen ja selber wie ein Leichen bild aus." „Ja, ja, mein lieber Schwarz!" setzte der Arzt, ihm die Hand theilnehmend auf die Schulter legend, hinzu, „nehmen Sie ein Brause pulver, die Geschichte hat Sic schrecklich angerissen." „Na, kein Wunder, meine Herren!" bemerkte der Notar, „war er doch so zu sagen der einzige Mensch, von dem die alte Tante etwas hielt." Rudolf sagte kein Wort, noch einen scheuen Blick auf die Todte werfend, wankte er hinaus, während die Herren sich ebenfalls anschickten, das Haus zu verlassen. „Ich kann aber die Leiche nicht hier behalten," rief Sauer ängstlich, „den Kuckuck auch, meine Familie bleibt mir nicht im Hause." „Ich schicke eine Bahre vom Krankenhause," sprach der Arzt, „sie kann in's dortige Leichenhaus gebracht werden." Der rechte Flügel des Lampert'schen Hauses war bis auf die Grund mauern niedergebrannt, während das eigentliche Wohnhaus vollständig erhalten worden war. Von dem Mörder schwieg jedes Gerücht. Wer konnte diese schauerliche That vollführt haben? — Diese Frage beschäftige nicht blos die Criminal-Beamten, sonder auch das ganze Städtchen in ungewöhnlichem Maße, da Niemand sich ruhig mehr zu Bett legen mochte und doppelte Schlösser und Riegel, bissige Haushunde, sowie ge ladene Waffen fast in jedem Hause jetzt zur Tagesordnung gehörten. Die Zeitungen der Provinz beschäftigten sich eingehend mit dieser geheim- nißvollen Affaire, worin der Besitzer des Hauses eine so eigenthümliche Rolle spielte, und auch die auswärtigen Blätter nahmen überall Notiz davon. In solcher Weise erhielt auch zuerst der Commerzienrath Hilberg davon Kenntniß und selbstverständlich machte die Geschichte auf ihn wie seine Frau den tiefsten Eindruck, weshalb sie sich entschlossen, die Kur ab zukürzen und nach Hause zu reisen, um an Ort und Stelle sich von dem Umfang der grausigen Geschichte selber zu überzeugen und gegen den un- beimlichen Thäter, welcher wie Macbeth den Schlaf mordete, die nothwendigen Sicherheits-Maßregeln zu ergreifen. — „Er wäre sicherlich im Stande, dem Blitz in's Handwerk zu pfuschen," meinte der Bankier nachdenklich, „und einem den rothen Hahn auf's Dach zu setzen." „Ach was," widersprach die leidende Gattin, welche im Grunde noch keine große Sehnsucht nach der kleinstädtischen Hcimath besaß, „es wird so schlimm nicht sein, gewiß ist die alte Sanna vom Blitz erschlagen worden, und da mackt man in unserm Neste gleich einen Mord daraus. Ebenso mit Herrn von Santen, der wunderbarerweise ganz geheimnißvoll bei Nacht und Nebel in sein eigenes Haus zurückgekehrt sein soll. Kannst Du Dir auf diesen Unsinn einen vernünftigen Reim machen?" Hilberg blickte seine Frau verwundert an. „Wahrhrftig, Kind, da hast Du recht, die Geschichte sieht geradezu unsinnig aus, und muß unbedingt entstellt sein. Ich möchte wohl erst einmal an Dr. Sauer schreiben —" „Thue das, vielleicht ist's ganz unnöthig, sich zu ängstigen und die Kur zu unterbrechen," siel die Commerzicnräthin eifrig ein. „Sauer als nächster Nachbar muß die Sache doch am besten wissen." Hilberg schrieb sogleich den Brief an den kleinen Notar und ging selber nach der Post damit, seine Gattin grübelnd zurücklassend. Sie hatte jetzt eine Nichte als Gesellschafterin bei sich, welche der reichen Tante die geheimsten Wünsche an den Augen abzulesen suchte und sie nebenbei ein wenig tyrannisirte, was unserer Commerzienräthin ganz besonders gefiel. Es giebt Naturen, welche durchaus keine Sanftmuth und Nachgiebigkeit ertragen können, und zu diesen gehörte Frau Hilberg; ihre kleine unbemittelte Nickte verstand sich sofort auf die Natur der Tante und wußte sie zu nehmen, wie der Commerzienrath sich bewundernd aus- drücktc. Als Letzterer mit seinem Briefe vergnügt nach Meran hinschlenderte, sich des schonen Morgens und der herrlichen Natur erfreuend, sah er eine lange schlotterische Gestalt, die Hände auf dem Rücken gelegt, den Hut in den Nacken, langsam vor sich hinschreiten. „Aha," murmelte er, „der verrückte Engländer, ein vertrackter Kerl, die richtige Vogelscheuche!" Er beschleunigte seine Schritte und befand sich bald an der Seite der langen Figur, die ihn mürrisch anschaute und seinen Gruß mit einem nachlässigen Kopfnicken erwiderte, ein Betragen, wie man's von Mr. New man schon in Meran gewohnt worden war. „Prächtiges Wetter, Sir!" redete ihn Hilberg in englischer Sprache an. „Jes, Sir!" schnarrte der Engländer kurz. „Heute wieder in die Berge, he?" „Des, Sir!" „Dann könnten wir die Tour zusammen machen, Sir! —Habe heute auch Lust dazu." Der Engländer blieb stehen, maß den Commerzienrath von oben bis unten und erwiderte nach einer Pause: „No, Sir!" „Den Kuckuck auch, Herr! — Sie sind ein unhöflicher Patton," polterte Hilberg in deutscher Sprache. „Jes, Sir! No Sir! das nennt man auf Deutsch: Flegelei!" „All right, Sir!" erwiderte der Engländer, nickte gravitätisch und wandte sich dann, um langsam den Rückweg anzutreten. Hilberg blickte ihm entrüstet nach, bis sein Zorn allmählich in eine stille Heiterkeit überging. „Es ist in der That ein Narr," dachte er im Weiterschreiten, „ich habe meine Wette verloren." Er hatte mit einigen Bekannten gewettet, den Engländer ausseinem wunderlicken Jncognito, das er durch sein kurzes Des- und No-Manöver wie ein dichtes Netz um seine Person gewoben, herauszulocken, da er be hauptete, daß hinter der grotesken Figur ein Geheimniß sich verberge. Heute war er schon zum dritten Male, wo er sogar bis zur offenen In sulte sich verstiegen, an dem „Rhinozeros-Panzer" abgeprallt und schien nun die Lust verloren zu haben, mit dem „schlotterigen Kerl" wieder an zubinden. So besorgte er denn seinen Brief an den kleinen Notor, ließ sich die für ihn angekommene Poft aushändigen und wollte das Gebäude wieder verlassen, als der Beamte ihn zurückrief. „Hier ist noch ein Brief an eine Dame, welche, wenn ich nicht irre, zu ihrer Familie gehört, Herr Commerzienrath! Derselbe ist jedenfalls irrthümlich unter der Adresse des Herrn Waldorf angekommen. Hilberg, welcher ein alter Bekannter auf der Meraner Post war, nahm den Brief und las halblaut: An Fräulein Clara Hagen. „Ja jo," setzte er lauter hinzu, „die junge Dame ist in der That jetzt bei Waldorf's, doch will ich den Brief an sie besorgen, da der Bote sicherlich schon fort ist." Er steckte den Brief zu sich und verließ das Haus. Unterwegs zog er denselben wieder hervor und betrachtete kopfschüttelnd die Adresse und den Poststempel. „Aus L.," murmelte er fast bestürzt, „wer mag von dort an sie schreiben? Seltsam, zumal die Schrift von einer Männerhand herrührt. Ich werde ihr den Brief selbst geben und sie dabei beobachten, oder besser noch, sie direct dämm befragen." Nachdenklich ging er weiter, fortwährend über dieses Räthsel nach grübelnd. Dann kam er zu dem Resultat, daß er eine directe Frage unmöglich an sie richten könne, da ihm jeglicher Grund dazu mangelte und er im Grunde auch nicht zum Inquisitor geschaffen sei, sich aber eine Beobach tung nicht entgehen lassen wolle. Er ging jetzt geradeswegs zum Waldorf'schen Hause, wo er, bereits bevor er dasselbe betrat, die Mittheilung empfing, daß Fräulein Hagen spazieren gegangen sei. „Wohin?" „Dort hinaus nach der Burg Tirol," lautete die Antwort, „das Fräulein war gespenstisch blaß vom vielen Wachen." Der Commerzienrath sah nach der Uhr und meinte bei sich, daß ihm eine solche Tour auch gut thun könne. — So schritt er denn rüstig vorwärts, um sie vielleicht noch einzuholen, entschlossen, bis zur Burg Tirol, welche ein kleines Stündchen von Meran liegt, zu wandern, und ihr unter vier Augen den Brief, welcher seine Neugierde lebhafter, als er sich gestehen mochte, erregt hatte, zu überreichen. In der That mußte er auch den ganzen Weg machen, um die Ge suchte zu finden. Hoch oben erhebt sich die uralte Burg Tirol mit ihren epheubekränzten Zinnen, wo einst die berüchtigt Margarethe Maultasche mit ihrem zweiten Gemahl, dem liebenswürdigen Sohne Kaiser Ludwig der Bayern, um's Jahr 1342 Hof hielt und sagenhaft nach ihrem Tode als bösartiges Gespenst im Volksmunde noch fortleben sollte. Während am Fuße der Burg die Etsch vorüber rauscht, hat man oben die herrliche Aussicht über das ganze Vietschgau bis zu den ewigen Gletschern der himmelanstrebenden Berge. Der Commerzienrath hatte an diesem Morgen keinen Blick dafür, er spähte nur nach der Gesuchten umher und entdeckte auch richtig ein Helles Gewand, besten Trägerin er bald bei der romantischen Burg erreicht hatte." „Guten Morgen, Fräulein Hagen!" rief er den Strohhut schwingend, ihr athmenlos zu. „Ach, Sie sind's Herr Commerzienrath! — Guten Morgen „Den man eigentlich nicht zu wünschen braucht, da der Morgen ge-