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Benares verstand sie und beherrschte sich: „Wenn mein Kind von mir nichts wissen will, so will ich mich ihr nicht aufdrängen. Ich werde die Mittel schicken, welche zu ihrer Erziehung nöthig sind und später bestimmen, was mit ihr werden soll, — geben Sie mir die Adresse des Doctors, von dem Sic sprachen." Er drehte Lita den Rücken, wahrend Frau Wilke ihm die Nummer der Straße und den Namen des Arztes nannte. „Tiefenbach, Tiefenbach?" sagte er sich besinnend, „ein Sohn des Professor Tiefenbach?" „Das weiß ich nicht, Herr Möllendorf." „Wo ist Robert?" hauchte Lita. Benares mußte sich erst einen Augenblick besinnen, daß diese Anrede ihm galt. Er sah sie scheu an, und zögernd kam es von seinen Lippen: „Todt". Dann sagt er kurz: „Adieu!" und ging. „Vater, Vater!" klang ein Wehschrei hinter ihm her, aber er hörte ihn nicht mehr, die zufliegende Thür verschlang den reuevollen Aufschrei eines gekränkten Kinderherzcns. Im Hofe sah Benares wohl zufällig noch einmal nach der Keller wohnung zurück, — Juli stand am Fenster, ihr Knabe neben ihr auf einen Stuhl. „Benares, Benares", rief Juli wild und klopfte an das Fenster „gehen Sie nicht, Sie, Sie sind der einzige Zeuge gewesen," — ihre Stimme verhallte, denn der Artist hatte sie kaum erkannt, so war er mit verdoppelter Eile davon geschritten. Als Juli den Hof durcheilt und die Hausthür erreicht harte, sah sie sich vergebens in der Straße nach ihm um, er war dem Blick verschwunden, — trostlos ging sie gesenkten Hauptes zu ihrem Kind zurück. „Mein armer Fedor", schluchzte sie, den Knaben an sich drückend, „wie soll ich beweisen, daß Du einen ehrlichen Namen führst, wenn Alles sich von mir wendet. O mein Gott, wenn es wirklich nur eine Schein- Ehe gewesen ist, — so bin ich vor dem Urtheil der Welt eine Ehrlose, eine Verlorene." — „Was haben Sie nur, Juli, wem sind Sie dem so schnell nachge laufen?" frug Frau Wilke sie verwundert. „Einem Menschen, der in Petersburg als mein Landsmann bei meiner Trauung mit Graf Rostschew, zugegen war, — er und seine Frau, — und er ist, als er mich erkannte, fortgeeilt, es ist also eine unrechte Sache gewesen." Frau Wilke dachte, da seine Frau auch zugegen gewesen sein konnte, nicht einen Moment an Benares, der damals die schöne Marion für seine Gattin ausgegeben hatte, — und Juli blieb in trüber Stimmung zurück. Eine Stunde später kam Doctor Paul Tiefenbach, er war erschrocken, seinen kleinen Liebling so krank und elend zu finden. Lita reichte ihm, vom Sopha aus, auf dem sie lag, beide Hände. „Ach, ich wollte, ich dürfte auch sterben, Herr Doctor, meins Mutter ist todt, mein Bruder ist todt, — und meines Vaters Herz ist für mich auch todt." „Tröste Dich, mein liebes Kind", sagte Paul, bis in's Mark er schüttert von dem maßlosen Weh, welches ihre Brust zerriß, „ich will Dir stets ein treuer Freund, ich will Dir Bruder und Vater sein." Da schlang sie die mageren Aermchen liebevoll um seinen Hals und flüsterte: „So hat Gott mich doch nicht ganz verlassen, — nun will ich auch gern weiter leben." — Drei Tage später begruben sie die Mutter der Kleinen, ihr Vater war nicht wiedergekommen, doch brachte ein Dienstmann einen großen Kranz für den Sarg in seinem Namen und die Entschuldigung, er habe abreisen müssen. „Selbst dieser rohe, ungebildete und herzlose Mensch", sagte Paul zu seiner Tante, „versuchte noch das Urtheil der Welt zu seinen Gunsten zu wenden, — das ist hoffentlich das Letzte gewesen, was wir von Litas Vater gehört haben, — er überläßt mir die Sorge für das Kind, das ist gut, so sind wir den unliebsamen Patron für immer los." „Und was geschieht jetzt mit dem Kind?" „Käthchen hat die Güte gehabt, sie einstweilen mit sich zu nehmen, ihre Eltern hat sie, wie immer, für ihre Wünsche gewonnen, ich hoffe, die Kleine erholt sich rasch in den so günstig veränderten Verhältnissen. Käthchen hat ihr ganzes Herz gewonnen." „Ja, Käthchen ist eine Sonnennatur, der sich alle Blumen zuwenden müssen," sagte Irene in warmer Anerkennung. Aber auch die Sonne wird oft von schweren Wetterwolken verhüllt, und ein leiser Hauch der Verleumdung trieb, zum Sturm geschwollen, trübe Wolken an dem reinen Lebens-Horizont des jungen Mädchens auf und suchte die sonnige Natur zu verdunkeln. 8. Capitel. Bei Frau Thea von Zedwitz war großer Empfang, — die schöne Frau war auf den ingcniensen Einfall gerathen, alle Damen, welche aus dem Wohlthätigkeitsbazar als Verkäuferinnen fungirt hatten, einzuladen, und zwar zu einem Ball, zu dem jede Dame das gestellte Bild-Costüm anlegen sollte. Eine Menge der reizenden Frauen- und Mädchengestalten in der Maske berühmter Originale, wogte in den weiten Räumen auf und ab. Unter dem Gros der Männer, die im schwarzen, eintönigen Frack erschienen waren, stachen vereinzelte Uniformen leuchtend ab. Einer der stattlichsten Marsjünger, Lothar von Buchner, wich kaum von der Seite der silberhaarigen Libelle, obgleich Lionel Alvers ihr das Ballbou quet hatte verehren dürfen und auch als ihr Tischherr bestimmt war. Trotzdem sie Rivalen waren, herrschte doch ein freundliches Einvernehmen zwischen ihnen, Alvers wußte nur sehr gut, daß der unbemittelte Lieutenant die ebenso unbemittelte Schöne nie als sein Weib heimführen könnte, und er war nur zu sehr von Bellas practischem Verstand überzeugt, um ihr bei einem Definitivum unvernünftiges Handeln zuzutrauen. Er war nun einmal in ihre feenhafte Schönheit verliebt und konnte sich bei seinem Reichthum den Luxus gestatten, nach Neigung zu heirathen, mochte der liebenswürdige Offizier, der ihr ja ohnedies nahe verwandt war, immerhin denselben Geschmack haben und das reizende Mädchen bcgehrenswerth finden, — das machte sie ihm nur noch interessanter und seinen Sieg vollkommener. Ganz so freundschaftlich war Lothar dem Bankier nicht gesonnen, obgleich er in ihm den eleganten Cavalier und vornehmen Charakter aner kannte, aber da er seine schöne Großcousine wirklich leidenschaftlich liebte, so war bei seinen geringen Aussichten, sie je sein eigen zu nennen, ein gewisser, eifersüchtiger Neid im Spiele, und nur die Gewißheit, daß Bella ihn lieber hatte als den Bankier, hielt ein freundliches Begegnen außer Frage. (Fortsetzung folgt.) Redaktion, Druck und Berlag von H. A. Berger in Wilsdruff.