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vchEMW 2. Beilage zu No. 40 Vaterländische». — R ö hrs dorf b. Wilsdruff. Begünstigt vom Wetter war das am Himmelfahrtstage hier gefeierte Missionsfest wiederum außerordentlich zahlreich besucht. Von nah und fern waren die Festgäste herbeigekommcn. Auf Grund von Luc. 24, SO—53 rief der Festprediger 8up. vr. Harig aus Großenhain der Gemeinde zu: Himmelfahrtsgemeinde, vergiß nicht deine Missionsschuld! — um deines Herrn willen, dersegnend gen Himmel fuhr, um der Heiden willen, die mit dir unter einem Himmel wohnen, und um deiner selbst willen, damit die Erde dir werde zu einem Vorhof für den Himmel. Die Predigt machte auf die Zuhörer einen tiefen Eindruck und wird dazu gedient haben, den Missionseifer zu wecken und zu stärken. Bei der Nachversammlung im Gasthof, dessen Saal die Theil nehmer kaum zu fassen vermochte, machten k. Dr. Roch, k. Crusius aus Taubenheim und 8up. Dr. Harig verschiedene Mittheilungen aus der Mission und zeigten, wie nöthig sie sei und wie sie nicht vergeblich arbeite. Sichtlich erfreut und befriedigt von der Festfeier trennte sich die Missionsgemeinde in der Hoffnung: So Gott will, an der Himmelfahrt im nächsten Jahr auf Wiedersehen beim Missionsfest in Röhrsdorf. — Die Collecte betrug über 115 Mark. — Das Dresdner Journal schreibt: „Zu der heute unter Vor sitz des Rittergutsbesitzers v. Oelschlägel abgehaltenen ordentlichen General versammlung der Landwirthschaftlichen Feucrversicherungungs-Genossenschaft im Königreiche Sachsen hatten sich 25 Mitglieder eingefunden. Geschäfts bericht und Rechnungswerk fanden die einstimmige Annahme durch dieselbe; in gleicher Weise wurde die Entlastung des Vorstandes aus der Rech nungsführung ausgesprochen. Weiter genehmigte dieselbe eine außergewöhn liche Brandschädenvergütung in Höhe von 1212 Mk. an einen von Brand unglück betroffenen Bahnwärter, welches es unterlassen hatte, seinen Um zug anzuzeigen und dadurch satzungsgemäß einen Anspruch auf Vergütung verwirkt hatte. Ferner stimmte die Versammlung den im Druck vorliegenden neuen Satzungen der Genossenschaft an Stelle der bisherigen zu. Die haupt sächlichsten Abänderungen beruhen darin, daß die Mitglieder nunmehr in LagcSgeschichte. Berlin, 16. Mai. Die Aerzte haben es von der Witterung und dem weiteren Befinden Sr. Maj. des Kaisers den Tag über abhängig gemacht, ob dem Monarchen schon heute ein kurzer Aufenthalt im Schloß park gestattet werden könne, der im herrlichsten Frühlingsschmuck prangt. Der Kaiser hat den sehnlichen Wunsck ausgesprochen, sich in freier Luft zu bewegen. Die Gesichtsfarbe des Kaisers ifi frischer und die Haltung kräftiger geworden. Die Umgebung des Kaisers ist von besten Hoffnungen auf fortschreitende Genesung erfüllt. Die leichte Entzündung der Schluck organe war im Laufe des Tages so gut wie ganz zurückgetreten, so daß unter der Affection der Kaiser nicht weiter zu leiden hatte. Er blieb auch den Tag über in seinem Arbeitszimmer mit Lesen und Schreiben beschäftigt, ohne im Geringsten sich angegriffen zu fühlen. Die Kaiserin blieb ununter brochen in des Kaisers Nähe. Die auf heute Abend verschobene Reise nach Danzig macht sie von dem Ausspruch der Aerzte abhängig. In den näch sten Tagen will Dr. Mackenzie die längst geplante Reise nach London an treten. Seine Abwesenheit von Charlottenburg wird nach dem Wunsche des Kaisers sich nur auf wenige Tage ausdehnen. Die Vermählung des Prinzen Heinrich mit der Prinzessin Irene von Hessen wird, wie nunmehr endgiltig bestimmt ist, am Donnerstag, den 24. Mai, stattfinden. Die Trauung des erlauchten Paares erfolgt in der Schloßkapelle zu Charlottenburg durch den Oberhofprediger Dr. Kögel. Der Reichskanzler Fürst Bismarck ist, vom Grafen Wilhelm Bis marck und dem Grafen Rantzau begleitet, nach Varzin abgereist. Das sozialdemokratische Flugblatt, von welchem am 29. April etwa ! 40,000 Exemplare beschlagnahmt wurden, und welches gemeine Schmähungen gegen die Kaiser Wilhelm und Friedrich, sowie gegen den Kronprinzen enthält, wird noch immer in einzelnen Theilen Berlins verbreitet. In Berlin allein wurden bis jetzt 13 Personen von den Beamten der poli tischen Polizei bei dem Verbreiten des Blattes ergriffen und verhaftet; ent lassen ist hiervon bis jetzt Niemand. Unter den Verhafteten befindet sich auch der muthmaßliche Verfasser des Manuskriptes, sowie der Buchdrucker Karkinnis, welcher in seiner Wohnung die unangemeldete Druckerei betrieb. K. besaß eine geräuschlos arbeitende und eigenartig konstruirte Handdruck presse, welche sich ebenfalls in polizeilichem Verwahrsam befindet. Be schlagnahmt wurde zugleich das „Geschäftsbuch" der Druckerei, welches leit Dezember vorigen Jahres für Druckarbeiten eine Einnahme vün ungefähr 40 Mk. nachwics. Während dieser Zeit aber wurden drei sozialdemokra tische Flugblätter mit einer Auflage von je 100,000 Exemplaren verbreitet, und nach einem Vergleich der vorgefundenen Typen mit der Druckart der ! Flugschriften kann als feststehend angenommen werden, daß die Herstellung ! derselben die nicht gebuchten Lieferungen des Druckes repräsentiren. Die Anklage gegen die Betheiligten wird neben dem Vergehen gegen das Preß- und Sozialistengesetz erhoben werden wegen Majestätsbeleidigung und Theil- nahme an einer geheimen Verbindung. Aus Elsaß-Lothringen. Die Verkehrsbeziehungen mitFrank- reich sind im Laufe der letzten Jahre ganz merklich zurückgegangen. Nachdem erst wieder in jüngster Zeit der bekannte Vorfall in Belfort ge zeigt hat, daß die Deutschen ihres Lebens jenseits der Vogesen nicht sicher sind, und nachdem auch eingeborene Elsässer wiederholt die Erfahrung ge macht haben, daß sie von ihren früheren Landsleuten manche Unannehm lichkeiten zu erdulden haben, ist der Strom der Touristen und sonstigen Reisenden immer kleiner geworden; es geht überhaupt nur noch Derjenige nach Frankreich, der dort ganz nothwendige Geschäfte zu besorgen hat. Die Kontrole der die Grenze überschreitenden Personen ist überdies eine ziem lich strenge, wodurch schon Mancher wegen der dabei zu erfüllenden For malitäten zurückgehalten wird. Der Handelsverkehr mit Frankreich hat aber in noch stärkerem Maaße abgenommen als der Personenverkehr. Die Errichtung der Zollschranken im Jahre 1871 und die später bezüglich ver schiedener Handelswaaren bedeutend erhöhten Eingangszölle haben es be wirkt, daß in vielen Geschäftszweigen ein Absatz nach Frankreich kaum mög lich ist. Am meisten davon betroffen sind die großen Spinnereien im Ober elsaß, welche sich gezwungen sahen, Filialen in Frankreich zu errichten, und die großen Bierbrauereien in Straßburg. Andererseits ist der Import des französischen Weines wesentlich verringert, namentlich seitdem der sehr viel billigere deutsche Schaumwein den Champagner mehr und mehr verdrängt. Vom politischen Standpunkte aus kann dieser Rückgang des Verkehrs mit Frankreich für Elsaß-Lothringen nur als etwas heilsames betrachtet werden, da in Folge dessen die Elsaß-Lothringer immer weniger mit den Franzosen in Berührung kommen und andererseits förmlich gezwungen werden, mit Altdeutschland in mannichfaltigere Beziehungen zu treten. In einem officiösen Artikel läßt sich die „Köln. Ztg." über unser Verhältniß zu Rußland wie folgt aus: „In Wirklichkeit haben sich die internationalen Verhältnisse in den beiden letzten Jahren derart gestaltet, daß wir mit der practischcn Möglichkeit rechnen müssen, wider unsern Willen in einen Krieg mit Rußland verwickelt zu werden. Wir müssen die Augen offen halten, wir müssen alle verdächtigen Bewegungen verzeichnen, ohne gerade aus jedem Maulwurfshaufen, der emporsteigt, das unmittelbar be vorstehende Losplatzen der großen russischen Mine zu prophezeihen; wir müssen vor Allem das Deck unseres Schiffes möglichst von russischen Werthen säubern, um den Russen nicht selbst die finanzielle Voraussetzung und Unter lage für einen Feldzug zu schaffen und den russischen Krieg, den wir ver meiden möchten, nicht auch noch mit unserem guten deutschenGelde zubezahlen." In Rußland soll die Verbannung nach Sibirien abgeschafft werden. Das Project wurde kürzlich dem Reichsrathe unterbreitet, welcher es demnächst in Berathung ziehen wird. Man beabsichtigt, die Deportation nach Sibirien durch Kerkerstrafen zu ersetzen. Dieses Project wird jedoch vom Finanzminister Wyschnegradski auf das Heftigste bekämpft. Derselbe motivirt seine ablehnende Haltung damit, daß die Verbrecher, welche nach Abbüßung ihrer Strafe zu ihren Gemeinden zurückkehren, diesen wieder Nachtheile bringen werden, und daß es „bei der jetzigen finanziellen Lage Rußlands absolut unmöglich sei, eine Reihe neuer Kerker zu bauen." Freitag, den 18. Mai 1888. Der Sultan überhäuft das deutsche Reich mit Liebenswürdigkeiten. Während er für andere Länder bei ähnlichen Gelegenheiten noch nie mehr als 200 türkische Pfund als seinen Beitrag zu Wohlthätigkeitskonzerten gespendet, hat er bei einem kürzlich in Konstantinopel zum Besten der Ueberschwemmten in Norddeutschland veranstalteten Konzert die Summe von 500 türkischen Pfunden — 11500 Franks gegeben, obwohl er der Sammlung für den gleichen Zweck bereits die gleiche Summe zugewendet hatte. Da die Paschas und hochgestellten Effendis dem Beispiel ihres Herrn nach Kräften gefolgt sind, so ist die Einnahme eine verhältniß- mäßig sehr bedeutende gewesen. Der Boulangismus, der die politische Welt in Europa noch auf langeZeit hinaus beschäftigen wird, ist durch die Rund reise Boulangers im Departement du Nord, die sich zu einem Triumphzuge gestaltet und die Reise Carnots in den Schatten gestellt hat, in ein neues Stadium getreten. Der Exgeneral hat die Deputirten ohne Unterschied der Parteien in der heftigsten Weise angegriffen, er hat von den „500Nichts- thuern" in der Kammer gesprochen, die, anstatt sich mit den Interessen des Landes zu beschäftigen, sich mit sich selbst beschäftigen und versichert, daß er Alles aufbieten werde, um einem solchen Zustande ein Ende zu machen. Boulanger könnte unmöglich eine solche herausfordernde Sprache gegen die Deputirtenkammer führen, die bisher als der wahre Souverän des Landes betrachtet worden, wenn nicht die allgemeine Unzufriedenheit mit der Na tionalvertretung solche Dimensionen angenommen hätte, daß jede Aussicht geschwunden, durch die Kammern dem Lande nach Innen Ruhe und Frieden und nach Außen ihm eine Achtung gebietende Stellung zu sichern. So lange die Kammern in ihrer jetzigen Zusammensetzung bleiben, ist keine Rettung für das Land möglich. Aber auch die Auflösung der Deputirten kammer wird der Verwirrung kein Ziel setzen, sie kann der Regierung keine zuverlässige, feste Majorität, auf die sie sich stützen könnte, geben. Die Neuwahlen würden die französische Nation weder auf die Republik in ihrer bisherigen Verfassung, noch auf den Boulangismus oder Bonapartismus einigen. Unter den jetzigen Republikanern befindet sich kein Mann, der die Massen Hinreißen und begeistern und die Standarte bilden könnte, um die sich alle diejenigen schaaren, welche nicht ferner dulden wollen, daß die französischen Zustände der Welt zum Gespötte dienen. Weder Carnot, der nur ein rechtschaffener, ehrlicher Mann ist, aber weder Energie noch be sondere staatsmännische Fähigkeiten besitzt, noch Freycinet, der durch seinen Bautenschwindel das Land in Schulden gestürzt, noch Ferry, der durch das tonkinesische Abenteuer sich für alle Zeiten unmöglich gemacht, können helfen. Was bleibt also anders übrig als ein Staatsstreich? Die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit desselben befestigt sich in dem Maaße, als die bis herige Zerrüttung der öffentlichen Verhältnisse andauert, und da Boulanger die Entschlossenheit an den Tag legt, einen solchen Staatsstreich zu wagen, so ist es sein Name, um den sich alle Unzufriedenen sammeln, gleichviel aus welchen Gründen sie die Regierung, die Kammern und den Parlamen tarismus bekämpfen. Von ihm erhoffen die Geschäftsleute Ruhe und Ord nung und eine Aufbesserung der Handels- und Verkehrsverhältnisse und die Revanchepolitiker, die in Frankreich eine große Rolle spielen, die Be friedigung ihrer Rachegelüste. Beide mögen und werden sich täuschen, aber Frankreich betrachtet ihn als seinen Retter und dies genügt. Nirgends sind die Pächter von Grundstücken übler daran als in Irland. Die Grundbesitzer sind meist englische Lords und Fabrikbesitzer und gegen diese wird seit Jahrzehnten von einem großen Theil der Ir länder Krieg geführt mit Brand und Mord. Zahlt ein Pächter seinen Zins nicht, so wird er von dem Eigenthümer aus Haus und Pacht an die Luft gesetzt, zahlt er aber seinen Zins, so dringen irische Banden nachts oder oft auch am Hellen Tage ein und verwüsten ihm alles, wobei es oft zu Mord und Totdschlag kommt. Die Leute wollen aber doch leben und arbeiten, nicht lumpen und betteln wie ihre Gegner.